Zoltán Szalai: In Dubai veranstaltete der amerikanische Medienstar Tucker Carlson am Rande der internationalen Konferenz World Governments Summit den ersten Tucker Carlson Summit. Warum wurde die Veranstaltung nicht in Europa abgehalten und warum haben Sie teilgenommen?
Ich habe viel darüber nachgedacht, ob ich kommen soll, es ist schließlich eine halbtägige Fahrt hin und zurück, man geht auf die Bühne, macht die Arbeit und dann ab nach Hause. Und ich werde auch das Ferencváros-Spiel verpassen… Es war also eine schwierige Entscheidung, und auch zu Hause gibt es noch dazu eine Menge zu tun. Aber Tucker Carlson hat viel mehr Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung im Westen und auf deren Information, als wir einem Journalisten zugestehen. Es gibt Persönlichkeiten in der amerikanischen Öffentlichkeit, die irgendwo zwischen den Entscheidungsträgern und den Journalisten stehen. Das Wort „Influencer“ trifft auf sie gar nicht zu. Sie sind eher Meinungsbildner, Menschen mit Macht. Ungarn ist ein Land mit zehn Millionen Einwohnern und einem Bruttosozialprodukt, das so groß ist, wie es eben ist, und dennoch interessieren sich diese Menschen für das, was in Ungarn passiert, so ist das eine niemals wiederkehrende Möglichkeit, vorzustellen, was bei uns passiert. Deshalb habe ich mich entschlossen, die Einladung anzunehmen, denn ich helfe auch damit Ungarn. Natürlich könnte man fragen, warum er nicht stattdessen nach Europa kommt. Aber in Amerika ist es viel offensichtlicher, was man in Ungarn noch weniger offensichtlich ist, dass sich alles ändert. Wir Ungarn sind immer noch „in“ der europäischen Geschichte, von der wir glauben, sie sei der Hauptstrom der Weltgeschichte. Das war lange Zeit auch so, wir haben es in der Schule gelernt. Damals war Europa die größte Volkswirtschaft der Welt, heute ist es nur noch die drittgrößte. Wir müssen langsam begreifen, dass dieses Zeitalter vorbei ist und dass sich Europa leider in einer Abwärtsspirale befindet. Es hat keinen Atem mehr, es hat seine Vitalität verloren. Es braucht dringend einen neuen Nährstoff, um seine Muskeln wieder nachwachsen zu lassen, seinen Geist aufzufrischen. In der Zwischenzeit entwickeln sich anderswo in der Welt Regionen, die einst weit hinter Europa zurücklagen, zu großen Muskelwachstumsregionen. Die Zukunft liegt in der arabischen Region, in China oder Zentralasien, nicht in der Europäischen Union. Die Amerikaner haben beschlossen, dass es für Amerika an der Zeit ist, in der Gegenwart zu leben. Deshalb dachte ich, es lohnt sich, hierher zu kommen, um der Welt zwei Dinge zu sagen.
Was?
Einerseits, dass Ungarn nach wie vor ein interessantes, starkes, engagiertes, aufregendes und lehrreiches Land ist, und dass sein Ministerpräsident der am längsten amtierende Ministerpräsident ist, der seine Erfahrungen mit der Welt teilen kann. Andererseits wissen die Ungarn schon, dass die Zukunft nicht dort liegt, wo sie leben, sondern woanders. Und wir müssen Ungarn jetzt in diese Zukunft einpassen, wir können nicht nur im Rahmen der Europäischen Union bleiben. Und Ungarn ist bereit dafür, es ist offen, es ist gekommen, es ist da.
Kurz zuvor haben Sie Alice Weidel, die Vorsitzende der zweitgrößten deutschen Partei, getroffen. Was würden Sie als Erfahrung hervorheben?
Ich hatte ein sehr interessantes Treffen mit der Frau Parteivorsitzenden. Es ist lange her, dass ich eine solche Erfahrung gemacht habe. Die europäischen Spitzenpolitiker sprechen die Sprache des liberalen Journalismus, und wenn sie über Politik sprechen, ist es dann auch, als würde man einen liberalen Meinungsartikel lesen. Die Sätze haben keinen Biss. Sie wissen nicht einmal, was sie wollen, als ob sie sich schämen würden, etwas zu wollen. Das, was wir in Ungarn den führenden Typus nennen, verschwindet langsam von der europäischen Palette. Und jetzt kommt eine Frau, die härter und unverblümter ist als der verweichlichte europäische Mainstream: In dem, was sie sagt, steckt Wille und Phantasie. Ja sogar: Visionen, Optimismus und Kraft.
Während Donald Trump im Begriff ist, Frieden mit Putin zu schließen, unterzeichnen die europäischen Staats- und Regierungschefs ein Dokument, in dem sie sich für die Fortsetzung des Krieges aussprechen. Einen derart großen Gegensatz haben wir in der transatlantischen Welt vielleicht noch nie erlebt.
In der Tat gibt es auch eine tiefere Meinungsverschiedenheit. Wir Ungarn verstehen es, die Patriots for Europe verstehen es, und sogar Tucker Carlson versteht, dass sich die Ordnung und Logik des westlichen Denkens verändern. Unaufhaltsam. Das liegt daran, dass der Löwe namens Donald Trump der Falle entkommen ist und sich mit einem Mut an die Arbeit gemacht hat, der selbst Löwen beschämen kann. Er hat nicht damit begonnen, konkrete Entscheidungen zu treffen – natürlich hat er auch das getan –, sondern indem er deutlich gemacht hat, dass es für Amerika ein anderes Gut und Schlecht in der Welt gibt als unter der demokratischen Regierung. Man hat den Menschen bisher gesagt, Migration sei gut, er spricht es aus, sie ist sehr wohl schlecht. Man hat ihnen bisher gesagt, dass jeder, der über Frieden spricht, ein schlechter Mensch ist, weil Krieg das Richtige ist. Aber es ist genau andersherum: Frieden ist gut, Krieg ist schlecht. Sie haben immer gesagt, dass der Green Deal über allem steht. Trump sagt nein, denn man kann auch die Umwelt nicht ohne Wettbewerbsfähigkeit schützen. Man hat den Menschen gesagt, das Christentum sei veraltet und lächerlich, die Gläubigen seien ignorant und in einer Welt vor der Rationalität stecken geblieben. Aber Trump sagt nein, denn eine Gemeinschaft gottesfürchtiger Menschen und die christliche Tradition sind sehr wichtig für eine Nation. Und jeder, der das schätzt, steht auf der guten Seite, oder besser gesagt auf der Seite des Guten. Er sagte dasselbe über Familien, er sagte nein zu jeder Art von Gender, nein zu jeder Art von Geschlechtsumwandlung. Es gibt Männer und Frauen, und jeder, der etwas Anderes behauptet, liegt falsch. Bisher hieß es, Energie sei der Feind einer guten menschlichen Entwicklung, aber ohne billige Energie können wir kein akzeptables Leben für die Menschen schaffen. Das ist für uns nichts Neues, aber für die Ungarn ist dies eine Evidenz. Aber das ist eine befreiende Veränderung des westlichen Denkens, denn alles, worüber Trump gerade gesagt hat, es ist vernünftig und gut, wurde bisher von Liberalen stigmatisiert und abgelehnt. Die westlichen Politiker in Europa würden sich gegen Trump stellen, aber das können sie nicht mehr, der Wandel kommt mit solcher Wucht und entspricht so sehr dem gesunden Menschenverstand und dem natürlichen menschlichen Werturteil, dass er nun unaufhaltsam ist. Trump hat angekündigt, dass eine Politik, die besagt, dass wir Krieg und Töten um jeden Preis unterstützen, ein falscher Ansatz ist. Im Gegensatz dazu werden wir Frieden schaffen, koste es, was es wolle. Er hat den entscheidenden Schritt getan: Er hat sich mit dem russischen Präsidenten in Verbindung gesetzt, und es wird ein ernsthaftes Treffen organisiert. Dabei wird deutlich werden, dass es nicht ausreicht, eine Einigung über den Ukraine-Krieg allein zu erzielen, sondern dass die gesamte Weltordnung in die Verhandlungen einbezogen werden muss. Dazu gehört der Platz Russlands in der Weltwirtschaft, im Weltenergiesystem, im Weltmilitär- und Sicherheitssystem, in der europäischen Sicherheitsarchitektur, und dann ist da noch die Ukraine. Das ist ein ausreichend großes Paket, um eine Einigung zu ermöglichen. Ich denke, dass es dazu kommen wird, aber die Europäer werden diesen Zug wieder verpassen.
Seit dem Zweiten Weltkrieg sind wir daran gewöhnt, dass die Europäer den Amerikanern in deren ‘Windschatten’ folgen.Doch jetzt ist das Gegenteil der Fall: Sie widersetzen sich. Kann sich das ändern?
Die europäischen Staats- und Regierungschefs befinden sich in einer Zange, denn einerseits führen die USA, der dominierende Akteur in der transatlantischen Zusammenarbeit, den Werte- und Denkwandel an, und andererseits sind die Menschen selbst, die zustimmen, die andere Greifbacke der Zange. Auch sie wollen keinen Krieg, sie wollen keine Migration, sie wollen nicht, dass der Green Deal den Familienhaushalt zerstört, sie wollen nicht, dass traditionelle Werte verhöhnt werden, sie wollen nicht, dass das traditionelle Familienmodell durch die Förderung der Genderpolitik lächerlich gemacht wird. Und diese beiden Dinge, die veränderten Machtverhältnisse in den USA und die Menschen in Europa zusammen setzen die liberalen, progressiven Eliten in Europa zunehmend unter Druck. Was sich nicht beugt, bricht.
Kann Trump in absehbarer Zeit Frieden schaffen?
Ich denke ja.
Und werden dann die Interessen der Europäer dabei mitspielen können oder nicht?
Nein. Denn niemand wird für uns kämpfen. Denn eine Gemeinschaft, die nicht für sich selbst eintritt, die nicht kämpft, für die wird auch niemand eintreten. Wenn die führenden Politiker Westeuropas nicht verstehen, was passiert, wenn sie sich nicht engagieren, werden sie auch aus der Regelung herausgehalten werden. Aber wenn sie herausgehalten werden, wird es niemanden geben, der ihre Interessen vertritt. Dies ist die Welt der Realpolitik, nicht der moralisierenden Essayisten, in der es um harte Fakten und Interessen geht. Wenn man nicht für sein Volk, für sein Land kämpft, bleibt man einfach ausgeschlossen von allem. Was Europa jetzt tut, ist es, zu riskieren, bei jedem wichtigen Abkommen, das über unsere Zukunft entscheidet, außen vor zu bleiben. Wir Ungarn werden unserem eigenen Gewicht entsprechend dabei sein. Europa mag außen vor bleiben, aber Ungarn wird immer da sein, es wird immer Beziehungen unterhalten, und das, was den Ungarn wichtig ist, werde ich jedes Mal erkämpfen.