Interviews / Viktor Orbáns Interview in der Tageszeitung „Nemzeti Sport”
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Viktor Orbáns Interview in der Tageszeitung „Nemzeti Sport”

György Szöllősi: Viktor Orbán, der ungarische Ministerpräsident, gab Nemzeti Sport Ende des Jahres ein Exklusivinterview, das zeitlich und inhaltlich auch weiterblickt. Aus dem Interview geht hervor, dass sich das Fördersystem für Akademien ändert, dass der Regierungschef nicht „erwartet”, dass die Fußballnationalmannschaft weiterkommt, und dass er unsicher ist, was die olympischen Chancen im Kajak-Kanu und Schwimmen angeht.

Glauben auch Sie, wie MLSZ-Präsident Sándor Csányi, dass wir uns aus unserer EM-Gruppe qualifizieren sollten? – haben wir mit dem Thema begonnen, das die Ungarn vielleicht am meisten interessiert.

„Das wage ich nicht zu sagen”, sagte Viktor Orbán unserer Zeitung im Karmeliterkloster. „Das ist eine offene Gruppe. Hier kann alles passieren. Und ob wir triumphierend weiterkommen oder mit gesenkten Häuptern abreisen müssen, kann von ein oder zwei Bewegungen abhängen. Diese zwei Bewegungen müssen auf alle Fälle die richtigen sein. Das kann von einem glücklichen oder unglücklichen Eigentor abhängen, wie wir es schon einmal hatten, und auch von einer ungenutzten Chance. Es kann alles passieren. Es ist eine Gruppe, in der es ein Gottesurteil geben wird. Ich würde gerne drei denkwürdige Spiele sehen.

War es ein größeres Risiko, 2010 eine Million neue Arbeitsplätze zu versprechen oder ungebrochen an den Aufschwung des ungarischen Fußballs zu glauben, als es lange Zeit völlig aussichtslos schien?

Ich habe nie auch nur einen Moment daran gezweifelt, dass sich der ungarische Fußball erholen kann. Ich habe gelegentlich an der einen Million Arbeitsplätze gezweifelt, aber nie am Fußball. Doch gerade im Fußball habe ich den größten Fehler der letzten zehn Jahre gemacht: Wir haben ein Stadion für 60.000 statt für 90.000 Zuschauer gebaut. Wir waren kleingläubig, und das war ein Fehler.

Hm…

Ich habe also nie Zweifel am ungarischen Fußball gehabt, ich habe mehr als dreißig Jahre in den Umkleidekabinen verbracht. Vom MGTSZ SE Felcsút bis zum MÁV Előré und MEDOSZ-Erdért. Ich war in den Umkleidekabinen von Dörfern, Kleinstädten, Großstädten, der Hauptstadt, großen und kleinen Vereinen. Niemand kann mir weismachen, dass es keine Chance gibt, den ungarischen Fußball wieder aufleben zu lassen.

Aber viele haben es versucht.

Selbst wenn der ungarische Fußball eines Tages offiziell zu Grabe getragen werden sollte, können wir sicher sein, dass er wieder auferstehen wird. Ich habe gesehen, ich weiß, wozu der Fußball fähig ist und was er aus den Ungarn herausholt. Wie Wladimir Iljitsch hat der ungarische Fußball gelebt, er lebt und wird leben.

Nun gut, aber Sie kennen sicher die Theorie, die oft in der Öffentlichkeit geäußert wird, dass die ungarische Nationalmannschaft nicht wegen der Verbesserungen im heimischen Fußball der letzten Jahre gut ist, sondern trotz dieser Verbesserungen.

Dies sind kommunistische Erklärungen, die unter Qualen entstanden sind. Die Dinge bewegen sich in einem Land im Allgemeinen zum Guten oder zum Schlechten zusammen. Der ungarische Fußball ist auch nicht deshalb gut, weil das akademische System plötzlich besser geworden ist, weil unsere Trainer besser geworden sind – natürlich sind alle etwas besser als vorher –, sondern weil sich das ganze Land gemeinsam in eine bestimmte Richtung bewegt. Wir bewegen uns nach oben. Ich spreche nicht nur von der ungarischen Wirtschaft, sondern auch von der Kultur, der Kunst und der Wissenschaft, denn wir haben ja doch zwei neue Nobelpreisträger, worüber man sagen könnte, dies sei trotz des ungarischen Systems geschehen, aber das wäre schon vollkommen absurd. Die Ungarn als Gemeinschaft, diese etwa zehn Millionen Menschen, haben begonnen, sich gemeinsam nach oben zu bewegen. Sie sind zu größeren Leistungen fähig. Sie erwarten mehr vom Leben. Sie sagen nicht, dass es gut ist, wenn es nicht schlechter wird, sondern sie sagen, dass sie mehr wollen, dass sie vorankommen wollen. Sie finden eine Berufung im Leben für sich. Dies ist mit einer Art geistiger Erhabenheit verbunden. Der Wunsch nach einem höheren Leben ist in Ungarn aufgetaucht. Im persönlichen Leben der meisten Menschen und auch in kleinen Gemeinschaften. Es geht also nicht darum, inwieweit die Ausformung eines bestimmten Spielers mit den Akademien zusammenhängt, obwohl wir in dieser Hinsicht gut abschneiden, sondern darum, dass sich der ungarische Fußball als Ganzes nach oben bewegt.

Nun ja, die Akademien. Stehen wir mit ihnen tatsächlich so gut da?

An diesem Wochenende war ich zum Beispiel sehr froh, als ich zum Spiel Videoton-Paks ging und sah, dass Fehérvár mit acht Ungarn spielte. Einschließlich der Paks-Elf waren zu Beginn des Spiels neunzehn der zweiundzwanzig Spieler auf dem Platz Ungarn. Auch im Akademiesystem vollzieht sich eine Veränderung. Wir haben ein staatliches Akademiesystem, das mehrere Sportarten umfasst. Die einzige Sportart, mit der ich mich intensiv beschäftige, weil ich darin Erfahrung habe, ist das Fußball-Akademie-System, dessen Grundlagen wir uns mit György Mezey ausgedacht haben, der leider nicht mehr aktiv ist. Wir sind jetzt an einer Periodengrenze angelangt. Bisher mussten wir den Akademien helfen und die Prozesse regeln, d.h. mit welchen Trainingsmethoden, welcher Periodisierung, welchem Coaching, welcher Philosophie der Jugendentwicklung ist lohnenswert, zu arbeiten. Darin stecken mehr als zehn Jahre von uns. Jetzt haben alle Akademien ihre eigene Philosophie, ihr eigenes professionelles Konzept gefunden, sie haben ihre eigenen Einrichtungen, sie haben die richtigen Spezialisten gefunden. Was wir jetzt brauchen, ist, wie man in unserem Beruf sagt, dass wir uns auf den Output konzentrieren. Die Art und Weise, wie Akademien geführt und finanziert werden, wird sich erheblich verändern, wobei der Schwerpunkt auf der Leistung liegen wird. Darauf, was dabei herauskommt. Es geht nicht mehr darum, was dort passiert, sondern darum, was aus den Akademien herauskommt. Wie viele Spieler aus jeder Einrichtung spielen in der Erwachsenenmannschaft? Wie viele spielen für die Nationalmannschaft? Daran messen wir jetzt schon die Unterstützung.

Doch die Beaufsichtigung erfolgt auch weiterhin seitens des Staates und nicht des Verbandes?

Vorerst ja. Das System der besonders geförderten Akademien für Basketball, Handball, Fußball und andere Sportarten wird im Staatssekretariat für Sport verbleiben. Irgendwann kann der Moment kommen, in dem wir auch das werden abschaffen können. Aber so weit sind wir noch nicht. Wir gehen jetzt zu einem Output-System über, und wenn das funktioniert, können wir über eine andere Regelung nachdenken. Aber diese Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir sind noch nicht am Ende des Weges, sondern stehen erst am Anfang einer neuen Etappe. Ich warte darauf, in die Zeit zurückzukehren, die wir aus unserer Kindheit kennen: Damals gab es keine Akademien, sondern Vereine. Und die Vereine waren in der Lage, das gesamte ungarische Jugendsystem zu organisieren, weil sie das ganze Land abdeckten. Als ich vierzehn war, die Grundschule in Felcsút beendete und das Gymnasium in Székesfehérvár besuchte, kam ein Mann und sagte, er sei von MÁV Előre. Und Videoton kam wegen unseres Mannschaftskapitäns. Denn die Vereine wussten, dass es talentiert erscheinende Kinder gab, die irgendwo in der Komitatsmeisterschaft spielten. Diejenigen, die am besten waren, gingen zu Vidi [Kurzform von Videoton – Anm. d. Übers.], die weniger guten zu MÁV Előre. Heute stehen die Vereine unter so viel finanziellem Druck, dass sie, wenn sie die Wahl haben, die erste Mannschaft der Jugendmannschaft vorziehen. Sie haben noch nicht genug Geld, um sich Akademien zu leisten. Deshalb müssen wir den ungarischen Fußball davor bewahren, sich auf Kosten des Morgen nur auf das Heute zu konzentrieren. Das Akademiesystem ist eine Garantie für das Morgen, und in diesem Sinne ist es eine große Hilfe für den Sport. Bis die Vereine gestärkt sind, brauchen wir diese Krücke, das staatliche Akademiesystem.

Aber um das Sportjahr zusammenzufassen, gibt es über die Fußballerfolge hinaus zu denen auch gehört, dass Ferencváros auf europäischer Ebene überwintern kann, viel zu erzählen,, angefangen von den Leichtathletik-Weltmeisterschaften, die in Ungarn ausgetragen wurden, bis hin zu den neun Weltmeistertiteln in den olympischen Disziplinen, von den Goldmedaillen im Ringen und Fechten bis zu den Erfolgen im Polo und Segeln. Um Sie aus einem anderen Zusammenhang zu zitieren: Wir stehen ziemlich gut da.

Unsere einhundertvierundachtzig olympischen Goldmedaillen sind kein Zufall: Der Sport und die Ungarn passen von ihrem Charakter her gut zusammen. Der ungarische Sport sollte wieder dorthin zurückkehren, wo er früher war, d. h. zu hundert Prozent seiner Leistungsfähigkeit. Die Bedingungen waren in den letzten Jahrzehnten schwierig. Wir versuchen nun, in wenigen Jahren etwa dreißig Jahre der Vernachlässigung aufzuholen, ganz zu schweigen von dem deformierten Sportleben, das wir im Sozialismus hatten. Es ist unmöglich, die Kontinuität mit dem ungarischen Sportleben vor dem Kommunismus wiederherzustellen, zu viel Zeit ist vergangen. Wir können es nicht einfach wiederherstellen, wir müssen alles auf eine modernere Art und Weise neu aufbauen, und die treibende Kraft, der Treibstoff dafür ist die besondere Affinität der Ungarn zum Sport. Immerhin haben wir in zwei Endspielen von Fußballweltmeisterschaften gespielt, und es gibt Sportarten, die ohne die Ungarn gar nicht gedeutet werden können: Schwimmen, Fünfkampf, Kajakfahren, Ringen, Wasserball. Es gibt eine geheimnisvolle Verbindung, eine Liebe zwischen dem Sport und den Ungarn. In diesem Zeitalter der Uniformität und des Materialismus gibt es nur noch sehr wenige positive, erhebende und schöne Dinge, aber genau das ist der Sport, und deshalb ist er es wert, gerettet zu werden. Außerdem ist der Sport mit dem Problem der Eltern, mit der Frage der Erziehung verbunden. Es war schon nicht leicht, uns zu erziehen, aber heute ist es für die Eltern noch schwieriger. Im Vergleich zu unserer Kindheit gibt es heute viel mehr Möglichkeiten, aber auch damit zusammenhängend viel mehr Bedrohungen und Gefahren. Die Eltern sind in der Klemme, wie sie ihre Kinder zu den anständigen Menschen erziehen sollen, die sie sich wünschen, und der Sport hilft ihnen dabei. Es lohnt sich, die Sportförderung stärker als Mittel zur Unterstützung der Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder zu betrachten. Denn wenn ein Kind Sport treibt, muss es erst einmal an den richtigen Ort kommen, wo ein Trainer auf es wartet, der ihm nach klaren Regeln vorgesetzt ist. Er ist der Meister, der dir sagt, was du tun sollst, was du umsetzen musst, wenn du einen Mannschaftssport betreibst, musst du mit deinen Mannschaftskameraden zusammenarbeiten, du musst in einer Umkleidekabine sitzen. Man interagiert nicht online mit anderen Menschen, man interagiert physisch mit ihnen, das ist heutzutage ein Wert an sich. Dann muss man auf dem Spielfeld Leistung bringen, man muss sich zusammenreißen, vor allem in der Vorsaison, und man muss am Wochenende für die Mannschaft sterben. Das sind alles Dinge, die man außerhalb des Sports nur selten erlebt. Und das ist etwas, was unsere Kinder nirgendwo anders sehen. Sport ist also im Wesentlichen eine Sache der Erziehung, eine Sache, die am engsten mit der menschlichen, geistigen und intellektuellen Qualität der nächsten Generation verbunden ist, und so sollte man ihn auch sehen. Mit anderen Worten: Die ungarische Regierung ist nicht „sportvernarrt”, sondern familienfreundlich oder „kindervernarrt”, wenn man das so nennen kann. Sogar die Kunsterziehung kann in einem Atemzug mit der charakterbildenden Kraft des Sports genannt werden, aber letzterer erreicht eine viel größere Welt. Und, was am wichtigsten ist, er ist von unten nach oben offen, so dass auch Kinder aus den schwierigsten Verhältnissen einen Platz im Sport finden. Und wenn wir dies gut mit der schulischen Ausbildung verbinden könnten, könnten wir den Eltern wirklich helfen. Unsere Stars, unsere Weltmeister und unsere Olympiasieger sind wichtig. Sie sind unser bestes Selbst. Wenn jemand ganz oben auf dem Siegertreppchen steht, haben wir das Gefühl, dass wir durch unseren Botschafter dabei sind und er uns Ungarn in der Welt vertritt. Aber noch wichtiger ist es, dass unsere Kinder Idole und Vorbilder haben. Deshalb bereue ich nicht einmal die riesigen Geldsummen, die für nervtötend überbewertete Fußballstars ausgegeben werden, denn sie sind es, die unsere Kinder mit ihrem Charme in die Umkleidekabine bringen. Das ist jeden Pfennig wert.

In dieser Hinsicht hat dieses Jahr einen Durchbruch gebracht, eine neue Dimension: Ein Ungar, Dominik Szoboszlai, spielt eine entscheidende Rolle in einem der größten Fußballvereine der Welt.

Ja, und zwar an der Spitze eines Rudels. Denn er selbst hat natürlich die Tür des größten Vereins eingetreten, aber dazwischen gibt es jetzt den 20-jährigen Kerkez, es gibt Sallai im besten Alter in der Bundesliga, dann Schäfer – Gott helfe ihm, gesund zu bleiben. Ich sehe die Persönlichkeiten, aus denen der Kapitän die große Mannschaft der Zukunft aufbauen kann. Ich beginne jedes Jahr damit, dass ich mir am ersten Januar das 6:3 ansehe, weil man das Jahr mit einem Sieg beginnen sollte… Ich bin am ersten Januar schon im Himmel. Dieses Jahr habe ich es mir am 25. November, dem Jahrestag, angesehen, und je öfter man es sich ansieht, desto deutlicher wird, dass natürlich Puskás der König war, na aber auch Hidegkuti und Bozsik waren Genies, und die anderen auch der Reihe nach! Jetzt steht Szoboszlai im Rampenlicht, aber auch hinter ihm gibt es Spieler mit herausragenden Fähigkeiten. Wir haben eine Mannschaft, in der nicht nur eine Person Fußball spielen kann, sondern alle. Und jeder kann sehr gut Fußball spielen, höchstens einer besser als jeder andere auf der Welt. Dieses Gefühl kommt zurück, wenn ich mir ein Spiel der ungarischen Nationalmannschaft anschaue. Es gibt bereits Spiele, in denen wir ernstzunehmende europäische Mannschaften schlagen, und zwar nicht, weil wir ein Bravourstück vollbringen, sondern weil wir die besseren Spieler haben. Ich erinnere mich nicht an die glamourösen und spektakulären fußballerischen Erfolge des vergangenen Jahres, sondern an das Gefühl, das an die alten Zeiten erinnert.

Außerdem konnte Puskás nicht von Real Madrid nach Hause kommen, um für die Nationalmannschaft zu spielen, und die ungarischen Kinder konnten seine Spiele nicht jede Woche im Fernsehen verfolgen, genauso wenig wie damals Zehntausende von ungarischen Fans die ungarische Nationalmannschaft bei Weltmeisterschaften anfeuern konnten. So gesehen steht der ungarische Fußball in mancherlei Hinsicht besser da als je zuvor.

Freuen wir uns, dass wir so weit gekommen sind, aber schauen wir nach oben! Wo ist der Gipfel, auf dem wir sein sollten, wo der ungarische Fußball immer seinen Platz hatte? Diese dreißig Jahre waren sehr schwierig, eine Zeit, in der die Sportvereine nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Großindustrie alleine und ohne Geld dastanden, in der im Übrigen unsere Sportler und Trainer versuchten, ihr Bestes zu geben, und zwar auf eine Art und Weise, die jeden Respekt verdiente – und dabei kam ihnen ein Tsunami entgegen. Aber lassen wir das jetzt endlich beiseite und peilen wir lieber die Spitze des Berges an!

Die intensive und groß angelegte Entwicklung des Sports im letzten Jahrzehnt ist in Umfang und in ihrer Bewusstheit nur mit dem Aufbau nach dem Trianon vor hundert Jahren vergleichbar. Die Anstrengungen von damals zahlten sich in zwei dritten Plätzen im olympischen Medaillenspiegel und Silbermedaillen bei der Fußballweltmeisterschaft aus, und der Schwung hielt bis in die 1950er Jahre an. Können wir diese Höhepunkte wieder erreichen?

Warum sollten wir das nicht können? Wir haben alles dafür getan. Wir haben den Trainern Anerkennung gezollt; das war ja doch nicht angemessen, dass die Trainer, die mit unseren Kindern arbeiteten, dafür einen Hungerlohn erhielten und dabei Weltklasseleistungen erbrachten. Wir haben es geschafft, die Einrichtungen in Ordnung zu bringen und den Kindern und Sportlern das zu geben, was ihnen zusteht. Wir haben große internationale Wettkämpfe hierher geholt, damit sie zu Hause an Wettkämpfen teilnehmen konnten, die ihrer Arbeit würdig waren. Wir haben ein nationales Sportfernsehen geschaffen, das in jedem Haushalt zu sehen ist. Wir haben die gedruckte Version von Nemzeti Sport gerettet, denn wenn auch die traditionellen Zeitungen in der ganzen Welt in Agonie liegen, so gibt es keinen ungarischen Sport ohne Nemzeti Sport, wie jeder in meinem Alter weiß. Für den ungarischen Sport ist die Sportzeitung wie die Krone des Landes, wenn die Krone verloren geht, ist das Land verloren. Wir haben alles getan, was wir konnten, damit das Engagement der Ungarn für den Sport an die Oberfläche treten konnte. Jetzt warten wir auf die Ergebnisse. Und die kommen auch. Ich verfolge auch den Jugendsport, und auch dort sind große Kräfte am Werk. Ich bin optimistisch, aber es ist auch wichtig, dass wir als Politiker und Verantwortliche für die Wirtschaftspolitik weiterhin solche Leistungen erbringen, die die finanzielle Grundlage für den Sport schaffen. Ohne das geht es nicht, gerade in dieser offenen Welt. Wenn wir die Sportlerinnen und Sportler in Ungarn nicht wertschätzen, werden sie in internationale Gewässer rudern und sich zerstreuen. Die ungarische Wirtschaft muss in Schwung gebracht werden. Das liegt nicht in der Verantwortung der Sportler, sondern in unserer.

Neben den großen, langfristigen Zielen stehen auch die Olympischen Spiele in Paris vor der Tür. Zählen Sie schon die möglichen Goldmedaillen?

Vorerst mache ich mir nur Sorgen. Das ist nicht meine Art, aber ich habe so ein beunruhigendes Gefühl. Ich weiß nicht, was die Kajakfahrer können, und ich weiß nicht, was die Schwimmer können. Und doch haben die Leistungen dieser beiden Disziplinen einen entscheidenden Einfluss auf die Zahl unserer olympischen Medaillen. Ich hoffe, dass wir die Nachfolger der Weltklassesportler finden, die bei früheren Olympischen Spielen Goldmedaillen gewonnen haben, aber jetzt nicht mehr antreten. Es gibt auch eine Generationendimension in den erfolgreichen Sportarten. Es gibt Sportarten, die lange Zeit gut laufen und dann plötzlich schwächeln. Dann kommen sie wieder zurück. Deshalb kann man nicht von allen Sportarten erwarten, dass sie zur gleichen Zeit Ergebnisse auf Weltniveau bringen. Wir hatten eine fantastische Ära des Kajak-Kanusports. Ein anderes Mal hatten wir eine Ebbe im Fechten, und dann kam kürzlich die Flut, die Generation von Áron Szilágyi. Ob es eine Art Flaute geben wird oder ob das Segel weiter anschwillt, lässt sich nicht sagen. Katinka ist aus den Schwimmern raus, wir wissen nicht, wie es mit Milák weitergeht. Wir hoffen, dass Kós Hubert, der in Amerika trainiert, vielleicht ein Wunder vollbringt. Es gab eine Zeit, da befand sich der Ringkampf in einer Abwärtsspirale. Aber in diesem Jahr war die Rückgabe der Goldmedaille von Dávid Losonczi für mich das erbaulichste Erlebnis, das mich am stärksten aus meiner Alltagsroutine gerissen hat. Hinab in die Höllenschlünde, und wenn die Gerechtigkeit siegte, hinauf in den Himmel. Auch im Ringen wurden wir wieder zum Leben erweckt. Oder der Boxsport: Als ich ein Kind war, verging kein Jahr, in dem wir nicht mindestens drei oder vier große Champions aus dem Stegreif nennen konnten. Wir freuten uns auf die nationalen Mannschaftsmeisterschaften. Somodi, Edőcs, die Orbáns und Gedó. Dann hat sich das irgendwie ausgedünnt. Aber vor Kurzem habe ich mir die nationalen Meisterschaften angesehen, und es war, als ob eine neue Generation aufgetaucht wäre. Irgendwo in den Hinterzimmern, in den Trainingsräumen, der Öffentlichkeit des Landes unbekannt, gibt es fanatische Trainer mit einer fantastischen Entschlossenheit, die aus dem Nichts immer weitere neue Schüler hervorzaubern. Deshalb ist es auch gut, Ungar zu sein. Jemand kommt von unerwarteter Seite, aus dem tiefsten Inneren Ungarns, ohne jedes Vorspiel, und wird vor unseren Augen zum Besten der Welt. Auch unsere beiden neuen Nobelpreisträger sind ein gutes Beispiel dafür. Den Ungarn zuzuschauen ist das Unterhaltsamste und Abenteuerlichste, was es auf der Welt gibt. Da wir die einzigen sind, die unsere Sprache sprechen, entgeht der Welt dieses Abenteuer völlig. Das ist unser Privileg.

Aber die Veranstaltung der Olympischen Spiele im nächsten Jahr ist es leider nicht. Nachdem wir die Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Pest gesehen haben und davor die Tatsache, dass Paris nicht einmal ein Champions-League-Finale ordnungsgemäß ausrichten kann, schmerzt es da nicht noch mehr, dass nicht wir in diesem Sommer die Spiele ausrichten werden?

Ich habe auch ein schlechtes Gefühl. Es tut weh, wenn wir wissen, dass wir zu etwas fähig wären und es trotzdem nicht tun. Gleichzeitig müssen wir aber auch akzeptieren, dass die Nation sich gemeinsam bewegen muss. Es gibt immer Menschen, Gruppen von Menschen, die so in der Nation sind wie das unglückliche Schicksal im Text der Nationalhymne. Das ist leider unvermeidlich. Das größere Problem war, dass Ungarn in diesem Fall nicht immun genug gegen sie war. Man hat sie nicht in die Hölle gewünscht, und man hat sie auch nicht in wärmere Gefilde geschickt, aber ein guter Teil der Menschen war der Meinung, na ja, vielleicht ist ja doch etwas dran an diesem Sich-Sträuben… Und das wurde von den Vampiren der Kleingläubigkeit ausgenutzt, die aus den großen Ungarn kleine Ungarn machen wollen. Das mussten wir zur Kenntnis nehmen, und deshalb haben wir nicht mitgemacht, und ich habe auch nicht mitgemacht in diesem Kampf. So kann man Olympische Spiele nicht organisieren. Die Olympischen Spiele können nur dann organisiert werden, wenn die große Mehrheit der Menschen das Gefühl hat, dass der Moment gekommen ist.

Und jetzt machen die Gegner fröhlich Fotos beim Spiel der Nationalmannschaft in dem Stadion, dessen Bau sie die ganze Zeit abgelehnt haben.

Die Schwäche ist hinsichtlich des Parteibuches nicht wählerisch… Die Dinge haben sich inzwischen geändert. Alle wichtigen Einrichtungen, die für die Olympischen Spiele benötigt werden, sind fertiggestellt worden. Auch das olympische Dorf ist kein Hindernis, wir bauen Wohnheime im großen Stil; die Stadt wird sie unabhängig von den Olympischen Spielen brauchen. Es ist der Moment gekommen, in dem sich Budapest ohne die Olympischen Spiele wohl kaum noch in großem Umfang entwickeln kann. Budapest liegt bei 160 Prozent des Entwicklungsniveaus der Europäischen Union, während es in Ungarn Regionen gibt, die bei 50 Prozent liegen. Alle Gelder sollten an die weniger entwickelten Regionen gehen. Eine groß angelegte öffentliche Stadtentwicklung in Budapest kann also nur dann stattfinden, wenn sie mit etwas aufwartet, das für alle Ungarn von Bedeutung ist. Wenn das nicht der Fall ist, können wir nur ein minimales Voranschreiten erwarten. In den letzten zehn bis dreizehn Jahren wurde die gesamte Entwicklung in Budapest vom Staat durchgeführt. Die staatliche Entwicklung hat die Hauptstadt wieder auf die Weltkarte gebracht. Manchmal – erinnern wir uns nur an die Leichtathletik-Weltmeisterschaften – im Gegenwind der Hauptstadt. Wenn die Stadt die nächste Stufe erreichen will, können die staatlichen Mittel nur dann gezahlt werden, wenn es ein großes Ziel gibt. Die Regierung will Budapest nicht dazu drängen, eine Olympiade auszurichten, denn auch die Stadt muss zu dieser Idee heranreifen. Ich denke, das Schicksal schuldet den Ungarn eine Olympiade in Budapest. Die Frage ist, ob die Budapester diese Schuld eintreiben wollen.

Und zeigt die Tatsache, dass Ungarn und das Ungarische Olympische Komitee Balázs Fürjes für das Internationale Olympische Komitee nominiert haben, auch, dass wir diesen Traum nicht aufgeben werden?

Wir haben überall Sportdiplomaten, die in der Lage sind, große Ereignisse nach Budapest zu holen. Ungarn ist jetzt in diesen Organisationen stark vertreten, nicht nur im Fußball, sondern auch in der olympischen Bewegung.

Es gab eine Schlagzeile in der Presse, laut der Viktor Orbán mit Balázs Fürjes sich ins IOC gesetzt habe.

Das sagen nur diejenigen, die mit unseren manchmal sehr heißen und heftigen Debatten nicht vertraut sind.

Erwarten wir nach dem Internationalen Judoverband und der World Aquatics weitere große Sportorganisationen in Budapest?

Die Welt ist in Aufruhr, sei es in Bezug auf die öffentliche Sicherheit, Migration oder wirtschaftliche Instabilität. Heute gibt es für internationale Sportverbände keinen besseren Ort als Budapest. Wir sind billiger und wettbewerbsfähiger als die Schweiz, sicherer als jeder andere Ort auf der Welt, sowohl die Menschen aus dem Osten als auch aus dem Westen lieben diese Stadt, sie fühlen sich hier zu Hause, alles spricht für Budapest als Standort für Initiativen und Organisationen für den internationalen Frieden. Diplomatie, Kultur, Sport. Es wäre eine Torheit, dies nicht auszunutzen.

Sie haben Katinka Hosszú erwähnt. Ihre in einem etwas beleidigten Tonfall erfolgte Kommunikation lässt vermuten, dass sie der Regierung übel nimmt, dass sie heute noch keine Schwimmakademie hat. Und wird es auch keine geben?

Aber ja doch. Da das größte Kapital des ungarischen Spitzensports seine Weltklasse-Athleten sind, wird jeder, der nach seiner Pensionierung im Sport bleiben und eine eigene Werkstatt gründen will, die nötige Unterstützung erhalten. In einem vernünftigen Rahmen und zu fairen Bedingungen, aber wir werden jedem die Möglichkeit geben, seine eigene Schule zu gründen. Und für diejenigen, die nicht im Sport bleiben wollen, aber große Leistungen erbracht haben, steht der öffentliche Dienst offen. Von der Armee bis zum Außenministerium arbeiten viele Athleten in der ungarischen Verwaltung, weil sie ausgebildete, disziplinierte, ausdauernde und starke Menschen sind.

Wir haben viel über die Erneuerung des Hungarorings gehört, aber wird es auch eine MotoGP-Strecke in Hajdúnánás geben?

Für mich ist die unüberwindliche Faszination der Ungarn für alles, was brummt, für Autos, für Motorräder, rätselhaft. Ungarn ist auch ein Land der Ingenieure und Autohersteller. In den Köpfen der Ungarn sind Autos und Motorisierung eng mit Freiheit verbunden. Solange man kein Fahrzeug hat, fühlt man sich nicht frei. Es handelt sich um teure Sportarten, und das gilt auch für die Einrichtungen. Aber wenn es einmal gelungen ist, den Hungaroring zu erschaffen, dann müssen wir dafür sorgen, dass er seine Anziehungskraft behält. Wir sind die MotoGP-Strecke auch schon angegangen, aber es war uns zweimal zu viel. Es ist von uns zu erwarten, dass wir die Herausforderung beim dritten Mal meistern werden.

Ist der Hungaroring nicht auch dafür die Lösung?

Budapest ist nicht die Lösung für alles.

Wenn es irgendwo noch Reserven für den ungarischen Sport gibt, dann gibt es im Schulsport auch nach der Einführung des täglichen Sportunterrichts noch viel Luft nach oben. Können wir hier Fortschritte erwarten?

Das ist ein verwunschenes Schloss und wir haben den Schlüssel dafür noch nicht gefunden. In Ungarn wird Sport hauptsächlich in Vereinen betrieben, und die Verknüpfung von Schulsport und Vereinen war schon in meiner Kindheit ein Problem. Gábor Balogh, unser Olympia-Silbermedaillengewinner, hat an der Spitze des Schülersportverbandes einen vielversprechenden Job gemacht. Jetzt ist er wieder vom Fünfkampf abgeworben worden, aber ich hoffe, dass er die Arbeit, die er mit der Regierung begonnen hat, fortsetzen wird.

Apropos Fünfkampf. In vielen Sportverbänden gab es in letzter Zeit große Umwälzungen, nicht immer ohne Skandale. Unter anderem wurden regierungsnahe Politiker als Präsidenten abgelöst.

Die Dinge haben sich zum Besseren gewendet. Ich bin froh, dass auch ehemalige Sportler, Vertreter der neuen Generation, in die nationale Sportführung hineingewachsen sind.

Wie zufrieden sind Sie mit der erneuerten staatlichen Sportführung?

Wir werden den Tag nicht vor dem Abend loben. Wir sind immer noch erst am Anfang…

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