Zsolt Törőcsik: Guten Morgen aus Tusnádfürdő, wo wir Viktor Orbán, den Ministerpräsidenten, zu Gast haben. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!
Guten Morgen!
Da wir gerade in Tusnádfürdő sind, lassen Sie uns damit beginnen, dass die Freie Universität Bálványos in der Regel über die nationale Politik hinausgeht und auch strategische Fragen behandelt werden. Letztes Jahr haben Sie hier beispielsweise die Grundlagen der ungarischen Großstrategie skizziert. Welche Bedeutung hat diese Veranstaltung für die Festlegung der zukünftigen Ausrichtung Ungarns und der Region?
Wenn ich Ihre Frage auf einer intellektuellen Ebene verstehe, dann ist die Sommeruniversität in Tusnádfürdő die Befreiung, die Befreiung der ungarischen Politik. In der Politik ist die Perspektive ja äußerst wichtig, also der Zeitraum, auf den sich das bezieht, was du sagst, was du analysierst, womit du dich beschäftigst. Und die Politik ist eine Welt, die sich mit der Erledigung der täglichen Angelegenheiten befasst, also schließt sie dich ein. Man muss morgens zur Arbeit gehen und x Angelegenheiten erledigen, Entscheidungen treffen, sie umsetzen, also schließt sie dich in die Welt der täglichen Angelegenheiten. Und es ist eine großartige Erfahrung für uns, aber vielleicht auch für Nichtpolitiker, die sich für Politik interessieren, wenn Menschen, die sich mit öffentlichen Angelegenheiten beschäftigen, manchmal aus dieser engen Perspektive ausbrechen und in einen größeren Raum hinaustreten. Wir sprechen also darüber, was morgen sein wird, was 2030, 2040, 2050 sein wird, was wir tun, was der tiefere oder höhere Sinn davon ist, was die Perspektiven sind, und das Ganze bekommt plötzlich eine intellektuelle Spritzigkeit, eine Energie, eine Spannung, und plötzlich befreit es uns irgendwie. Deshalb kommen alle so gerne nach Tusnádfürdő. Man muss das nicht in dem Sinne als freie Universität der Freiheit betrachten, dass jeder macht, was er will, was natürlich stimmt, denn es gibt Konzerte, Kultur und auch Politik, sondern auch aus dem Blickwinkel der Perspektive, die uns aus unserem Alltag herausholt und uns befreit. Deshalb kommen immer alle hierher, ich auch, ich bin schon das mehr als dreißigste Mal hier, Gott weiß, wie oft ich hier schon war.
Wenn wir diese Perspektiven betrachten, was können wir dann im Vergleich zum letzten Jahr sagen? Letztes Jahr haben Sie eine Großstrategie mit einer Perspektive bis etwa 2050 skizziert. Wie hat sich das im Vergleich zum letzten Jahr verändert?
Letztes Jahr habe ich einen Trick angewendet. Ich habe gesagt, dass es eine Großstrategie für Ungarn gibt, habe einige Punkte angesprochen und dann gesagt, dass ich noch nicht so weit bin, um die Details vorzustellen. Morgen gehe ich einen Schritt weiter und kann bereits einige wichtige Elemente der ungarischen Großstrategie Ungarns vorstellen.
Da Sie bereits die Perspektive erwähnt haben: Tusványos bietet auch aus nationalpolitischer Sicht immer eine Perspektive, und aus dieser Sicht ist die Frage des Erhaltenbleibens in den Gebieten jenseits der Grenze und der möglichst intensiven Beziehungen zum Mutterland von zentraler Bedeutung. Wie bewerten Sie die letzten Jahre unter diesem Gesichtspunkt, und was kann die Regierung tun, um diese Beziehungen zu intensivieren?
Es gibt einen wichtigen Satz in der ungarischen Politik, der lautet: Der Staat hat Grenzen, die Nation hat keine. Und es gibt Länder, für die ein solcher Satz nichts bedeutet, weil die Grenzen der Nation und des Staates übereinstimmen, aber unsere Geschichte ist anders. Wir haben Gebiete verloren, uns wurden Dinge weggenommen, deshalb lebt ein Drittel der ungarischen Bevölkerung außerhalb der Grenzen, deshalb fallen bei uns die Grenzen des Staates und der Nation nicht zusammen. Und natürlich befasst sich die ungarische Politik im Sinne des öffentlichen Rechts mit den Angelegenheiten der Menschen, die innerhalb der Staatsgrenzen in Ungarn leben. Aber darüber hinaus gibt es auch einen nationalen Horizont, und hier in Tusnádfürdő erinnert uns die Situation immer daran, dass man, wenn man Ungar ist und über die Zukunft nachdenkt, über sich selbst nachdenkt, nicht nur die Ungarn in Ungarn im Blick haben darf, sondern auch die Ungarn jenseits der Grenze einbeziehen muss. Das nennen wir Denken in der Nation. Denken in der Nation klingt lustig, denn worüber sollten wir denken? Ein Schriftsteller hat einmal gesagt, dass er in Subjekten und Prädikaten denke, man kann darüber scherzen, aber der Satz „in der Nation denken” macht Sinn, denn er bedeutet, dass wir das Schicksal des Ungarntums in einem größeren Zusammenhang sehen als die Gesichtspunkte und Interessen der Ungarn, die gegen ihren Willen innerhalb der gezogenen Staatsgrenzen leben. Daran erinnert uns dieses Treffen, denn es ist das größte politische Treffen mit der Welt der Ungarn jenseits der Grenze. Es ist auch ein großer Erfolg, und wenn Sie mir es gestatten, das wird auch nicht in Frage gestellt. Ich erinnere mich noch daran, als wir 1990 in Ungarn die Demokratie einführten, war das noch ein großes Streitthema, ob nun Klein-Ungarn oder Groß-Ungarn, also dieses ganze historische Ungarn. Ich mag den Begriff „Großungarn” nicht, weil andere den Ausdruck „groß” verwenden, Länder, die in dieser Form nie existiert haben, dadurch also eher einen Wunsch ausdrücken. Das ist ja doch nicht die Situation Ungarns. Ich verwende den Begriff „historisches Ungarn”, weil darüber nicht zu diskutieren ist. Das ist keine Vorstellung, kein Plan, sondern eine Tatsache, die einmal schon verwirklicht wurde, und darauf pflegen wir uns zu beziehen, wenn wir von der Nation sprechen. Ich erinnere mich noch, dass es am Morgen der Demokratie heftige Debatten darüber gab, ob alle in Kategorien der Nation denken sollten oder nicht. Und es gab Parteien, die dazu nicht bereit waren, vor allem die linken Parteien, allen voran der SZDSZ. Aber diese Parteien sind entweder verschwunden oder haben ihre Haltung geändert, sodass es heute in Ungarn einen politischen Konsens gibt und auch in der Verfassung festgeschrieben ist, dass die ungarische Regierung auch für die Ungarn jenseits der Grenze Verantwortung tragen muss.
Und wie sieht das in der Praxis aus, wenn man die letzten Jahre betrachtet, oder welche Pläne gibt es dafür für die nächste Zeit?
Es gibt die doppelte Staatsbürgerschaft, die wir eingeführt haben. Dies ist eine historische Tat der nationalen Regierung. Dann haben wir Wirtschaftsförderungsprogramme auf den Weg gebracht. Jetzt sind wir hier in Siebenbürgen. Der Handel zwischen Rumänien und Ungarn übersteigt 13 Milliarden Euro und ist damit vielleicht der drittgrößte. Für uns handelt es sich also auch um eine äußerst wichtige wirtschaftliche Beziehung. Wenn wir in den Gebieten jenseits der Grenze Wirtschaftsförderungsprogramme durchführen, erweitern wir im Wesentlichen die Möglichkeiten des ungarischen Handels. Da gibt es noch die Bildungs- und Kultureinrichtungen. Da lernen doch im Karpatenbecken derzeit etwa 230.000 junge Menschen Ungarisch. Wir haben mehrere hundert Kindergärten und Krippen gebaut und renoviert. Für uns ist es wichtig, dass die hier geborenen ungarischen Kinder in ungarischsprachigen Einrichtungen lernen, auf Ungarisch lernen und die Welt verstehen können. Eine praktische Konsequenz des nationalen Denkens ist dann auch, dass wir unsere Autobahnen bis an die Landesgrenzen verlängert haben, da sie uns auch mit den dort lebenden ungarischen Gemeinschaften verbinden. Mit Siebenbürgen haben wir derzeit zwei solche Verbindungen, aber bald wird auch die Verbindung in Richtung Szatmárnémeti fertiggestellt sein, und wir werden nach Süden weitergehen und auch das Komitat Békés von Nagyszalonta aus öffnen. Ich möchte also sagen, dass sich das Denken in nationalen Kategorien in fast allen Politikbereichen widerspiegelt, in der Verkehrs-, Kultur-, Steuer-, Staatsbürgerschafts- und Bildungspolitik.
Und damit dies erfolgreich sein kann, ist es nicht schlecht, wenn die bilateralen Beziehungen zu den Ländern, in denen ungarische Minderheiten leben, gut sind. Bevor Sie nach Tusnádfürdő gekommen sind, haben Sie sich in Bukarest mit dem rumänischen Ministerpräsidenten getroffen. Inwiefern war dieses Treffen auch in dieser Hinsicht zukunftsweisend?
Wir starten aus einer guten Position, denn letztes Jahr hat die ungarische Diplomatie eine fantastische Leistung vollbracht, indem sie die physische Grenze zwischen Ungarn und Rumänien beseitigt hat. Meiner Meinung nach wurden die Rumänen ungerecht und unfair behandelt und aus dem sogenannten Schengen-Raum ausgeschlossen, in dem Freizügigkeit herrscht. Während der ungarischen Ratspräsidentschaft ist es uns gelungen, dies zu ändern und Rumänien in den Schengen-Raum aufzunehmen. Angesichts der historischen Vorgeschichte und der Beziehungen zwischen den beiden Ländern hätten die Rumänen vielleicht am wenigsten von uns erwarten können, dass wir ihnen dabei helfen würden, aber das Gegenteil war der Fall. Wir waren es, die dies in guter Zusammenarbeit mit ihnen und übrigens erfolgreich gelöst haben. Deshalb begann das Treffen mit dem neuen rumänischen Ministerpräsidenten vorgestern aus einer guten Position heraus, denn wir haben einen gemeinsamen Erfolg hinter uns. Wir sprechen von einem neuen Ministerpräsidenten, er ist mein dreiundzwanzigster oder vierundzwanzigster Kollege, also ist die Stabilität der rumänischen Regierung nicht mit der ungarischen vergleichbar, das ist eine andere Welt hier. Hier stabilisiert eher der Präsident das System, da er direkt gewählt wird, also sollten wir den Rumänen gegenüber nicht völlig unfair sein. Dieses System hat ein stabilisierendes Element, nämlich den Präsidenten der Republik, aber die Ministerpräsidenten wechseln häufig, daher ist es immer wichtig zu wissen, wer gerade auf der anderen Seite sitzt. Jetzt wurde jemand aus Nagyvárad (Oradea) zum Ministerpräsidenten ernannt. Er sprach Rumänisch, ich Ungarisch, aber kulturell bewegten wir uns in dem gleichen Codesystem. Er lebte nur wenige Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt und war lange Zeit Bürgermeister dieser Stadt. Er ist ein Schwergewicht. Kurz gesagt kann ich also sagen, dass er ein seriöser Mann ist, ein Schwergewicht, der klare Vorstellungen hat. Die Lage in Rumänien ist sehr schwierig. Es ist nicht meine Aufgabe, sie zu bewerten, aber es gibt hier ernsthafte wirtschaftliche Herausforderungen, deren Bewältigung sehr viel Fachwissen erfordert. Ich habe so etwas schon einmal gesehen. Es ähnelt der Situation in Ungarn am Ende des Gyurcsány-Systems, dem, was wir 2009-10-11 gesehen haben. Man kann damit umgehen, denn wir haben es auch geschafft, aber man muss sich zusammenraufen. Ich habe einen entschlossenen Ministerpräsidenten getroffen, der erfahren ist und mit ihm hat Rumänien gute Chancen, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Schauen wir uns auch die Beziehungen zu einem anderen Nachbarland an, nämlich der Ukraine, und wenn wir auf den Krieg und die Ukraine zu sprechen kommen, dann sind Sie letztes Jahr nach der Friedensmission hierhergekommen und sagten, dass wir uns langsam, aber sicher von einer kriegsbefürwortenden europäischen Politik wegbewegen und hin zu einer friedensbefürwortenden Politik. Demgegenüber sehen wir jetzt, dass nach einer gewissen Stagnation die Unterstützung für die Ukraine wieder zunimmt und Brüssel den EU-Beitritt viel stärker vorantreibt als noch im letzten Jahr. Was müsste geschehen, damit man wieder optimistisch über den Frieden sprechen kann und die Fragen im Zusammenhang mit der EU-Mitgliedschaft eine andere Richtung einschlagen?
Da Sie die Situation von vor einem Jahr angesprochen haben: Ich war damals tatsächlich in Kiew und konnte mit Präsident Selenskyj sprechen, wo ich versucht habe, ihm zu helfen, und ihm gesagt habe, dass er verstehen müsse, dass dieser Krieg verloren sei oder in wenigen Augenblicken verloren sein werde, dass die Zeit nicht auf ihrer Seite sei, noch nie hat jemand eine nukleare Supermacht besiegt, daher wäre es meiner Meinung nach für die Ukraine sinnvoll, sich für einen Waffenstillstand und Frieden zu öffnen. Damals lehnten sie das ab, und auch der Präsident lehnte mein Angebot ab. Ich sagte, dass ich gerne vermitteln würde, da ich nach Moskau und Peking reise und mit dem künftigen amerikanischen Präsidenten spreche, und dass ich gerne ein Instrument für den Frieden sein würde, wenn er das auch so sieht. Aber er sah das nicht so. Er sagte, die Zeit sei auf der Seite der Ukrainer, sie würden diesen Krieg gewinnen, es sei nur eine Frage der Zeit, und ob Amerika sich für den Frieden entscheiden werde oder nicht, werde sich zeigen, das könne man nicht wissen. Meiner Meinung nach war das eine tragische Entscheidung seinerseits, und den schwerwiegenden Preis dafür zahlen nicht wir Ungarn, sondern sie, die Ukrainer. Vor einem Jahr hätte man unter viel günstigeren Umständen einen Waffenstillstand oder sogar Frieden mit den Russen schließen können, jetzt sind sie in einer viel schlechteren Lage. Er hat die Lage falsch eingeschätzt. Die Behauptung, dass die Zeit auf der Seite der Ukraine ist, war auch schon vor einem Jahr nicht wahr und ist auch jetzt nicht wahr. Aber das ist ihre Sache. Wir haben getan, was wir konnten, wir haben ein Angebot gemacht, unsere Mitarbeit angeboten, und von nun an ist jeder seines Glückes Schmied. Seitdem kann man in den ukrainisch-ungarischen Beziehungen eines als bedeutend bezeichnen: dass die Brüsseler die EU-Mitgliedschaft der Ukraine forcieren. Ungarn grenzt an die Ukraine. Wenn wir an der Atlantikküste leben würden, könnten wir sagen: Wenn ihr dort im Osten der Meinung seid, dass das für euch gut ist, dann lasst uns über die EU-Mitgliedschaft der Ukraine sprechen. Aber wir leben nicht an der Atlantikküste, nicht einmal in den sicheren inneren europäischen Gebieten, in Deutschland, sondern hier am östlichen Rand Europas, in der Nachbarschaft der Ukrainer. Und die Situation ist so, dass die Mitgliedschaft der Ukraine für uns inakzeptabel ist, denn wenn wir die Ukraine aufnehmen, nehmen wir den Krieg auf, und wir werden zum Schauplatz des Krieges, diese Region der Welt wird zum Kriegsschauplatz. Ein Land, das sich im Krieg befindet, in die Europäische Union aufzunehmen, bedeutet, dass wir den Krieg aufgenommen haben, dass es Krieg in Europa geben wird, und geografisch gesehen wird diese Region am stärksten davon betroffen sein, die an das kriegführende, künftige EU-Mitglied oder Mitglied der Europäischen Union, die Ukraine, angrenzt. Das ist unzulässig, viele Ungarn würden sterben, unsere jungen Menschen würden weggebracht werden, wir würden in einen Krieg verwickelt werden, wir müssten schreckliche Zerstörungen erleiden, unsere Wirtschaft würde in Trümmern liegen, so wie es in einem Krieg üblich ist. Es liegt also im elementaren Interesse Ungarns, an seiner Ablehnung der EU-Mitgliedschaft der Ukraine festzuhalten und den Westlern klar zu machen, dass es sich nicht lohnt, Druck auf Ungarn auszuüben, denn dies ist keine taktische Frage, sondern eine existenzielle Frage für Ungarn. Wir werden niemals eine Außenpolitik unterstützen, die den Untergang Ungarns bedeutet, denn wir sind ja Ungarn.
Zugleich entgegnet Selenskyj darauf, dass dies den Interessen der Ukraine zuwiderläuft, und erklärte diese Woche, dass jeder, der den Interessen der Ukraine schadet, mit Konsequenzen rechnen muss. Unterdessen tauchten nach der Brandstiftung in der Kirche von Palágykomoróc an mehreren Orten in Transkarpatien anti-ungarische Parolen auf. Welche Maßnahmen oder Schritte sind angesichts dieser Ereignisse seitens Ungarns gerechtfertigt?
Ich denke darüber nach, ob die von Ihnen zitierte Aussage des Präsidenten wahr ist, dass nämlich die Position Ungarns den Interessen der Ukraine schadet. Das mag sein. Gleichzeitig sagt Ungarn nicht einfach nur Nein. Wir haben ein Angebot für die Ukrainer, denn wir betrachten die Ukrainer nicht als Feinde. Vielleicht sehen sie uns so, aber wir sehen sie nicht so. Und wir sind der Meinung, dass es eine geordnete Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der Europäischen Union geben muss, eine vernünftige und gut geregelte Zusammenarbeit, die gleichzeitig kein Kriegsrisiko für die Union darstellt. Von einer Mitgliedschaft kann also keine Rede sein, denn diese ist unwiderruflich. Es gibt keine Ausschlüsse, wir nehmen niemanden auf, um ihn am nächsten Tag wieder rauszuschmeißen. Wenn wir jemanden aufnehmen, übernehmen wir auch Verantwortung für sein Schicksal. Und das Schicksal der Ukraine ist heute, dass sie ein an Russland grenzender Pufferstaat ist. Und dieses Schicksal wollen wir nicht auf uns nehmen, die Ungarn sind gerade erst daraus entkommen, denn auch wir waren während des Kalten Krieges ein Pufferstaat. Wir waren nicht Teil der Sowjetunion, aber wir lagen am westlichen Rand der Sowjetunion und am östlichen Rand der westlichen Welt, wir waren ein Pufferstaat. Wir verstehen das, wir wissen, wie das ist, und wir wollen nicht in diese Position zurück. Die Ukraine befindet sich in dieser Situation. Das mag unbequem sein, sogar schlecht, und sie wollen sich daraus befreien, aber die Geschichte ist so, dass man die Hausnummer eines Landes nicht ändern kann, schon gar nicht auf Kosten seines Nachbarn. Wir haben also einen Vorschlag: keine Mitgliedschaft, sondern eine strategische Zusammenarbeit auf Vertragsbasis, die je nach Lage aufrechterhalten, gekündigt oder angepasst werden kann. Darin wären wir Partner, aber darum geht es jetzt nicht, sondern sie drängen auf die Mitgliedschaft. Und sie drohen zweifellos. Die Ukraine richtet also sehr ernsthafte Drohungen an Ungarn. Ich versuche, dies ruhig, mit strategischer Gelassenheit zu behandeln. Hitzköpfigkeit hat hier keinen Platz, dies ist keine Bühne, auch wenn Präsident Selenskyj von der Bühne kommt, das ist es nicht. Hier sind Besonnenheit und Erfahrung gefragt. Und deshalb lasse ich das, wenn es sein muss, an mir vorbeigehen, nehme es ernst, wenn es sein muss, und ordne Gegenmaßnahmen bei den Geheimdiensten und den Strafverfolgungsbehörden an, sodass wir die richtige Antwort geben, auch wenn wir das nicht an die große Glocke hängen, aber die Wahrheit ist, dass die Ukrainer immer mehr die ungarische Politik infiltrieren. Es gibt ja bereits ukrainefreundliche Parteien, die Tisza ist eine solche und die DK, die auch von Brüssel und der Ukraine unterstützt werden. Sie haben sich in die Medien integriert, und das ist deutlich zu erkennen. Wir kennen die Journalisten und Foren, die in Ungarn wie auf einen Auftrag hin ausdrücklich den ukrainischen Standpunkt vertreten. Sie haben auch die Welt der Experten infiltriert. Wir sehen doch solche Meinungen, sogenannte Expertenmeinungen, dass wir Ungarn, also die Ungarn in Ungarn, die Kirche in Transkarpatien angezündet hätten, um einen Konflikt zu provozieren, was natürlich Unsinn ist, aber natürlich sagt niemand von sich aus solchen Blödsinn, hier stecken Interessen dahinter. Wir müssen uns also verteidigen, denn die Ukraine dringt ein, integriert sich, nicht öffentlich, sondern heimlich, in der dunklen Grauzone, immer mehr in Ungarn oder im öffentlichen Leben Ungarns. Dagegen müssen wir uns verteidigen. Wir werden immer mit angemessenen Gegenmaßnahmen reagieren, wir werden nicht zögern, also sie kennen uns, sie wissen, dass wir unsere nationalen Interessen mit aller Kraft verteidigen werden.
Die Unterstützung der Ukraine ist auch im nächsten Siebenjahres-Finanzplan des Ausschusses deutlich enthalten. Sie haben letzte Woche gesagt, dass unter verschiedenen Titeln etwa 20 bis 25 Prozent dieses Budgets an die Ukraine gehen würden. Wie hoch ist dieser Betrag, wenn man ihn beispielsweise zum Bruttoinlandsprodukt Ungarns ins Verhältnis setzt oder wenn man bedenkt, wie viel das die ungarischen Steuerzahler, die ungarischen Familien kosten würde?
Ich habe alle möglichen Berechnungen anstellen lassen. Es ist schwer, das genau zu vermitteln, aber vielleicht können wir alle nachvollziehen, dass das Geld, das man der Ukraine geben will, das 18-fache der gesamten Rentenausgaben Ungarns in einem Jahr beträgt. So viel müssten wir geben, bzw. so viel müsste die Ukraine von der Europäischen Union erhalten, und einen Teil davon müsste sie von uns bekommen. Wir rechnen damit, dass die Ukraine in sieben Jahren etwa 360 bis 370 Milliarden Euro erhalten würde, und die gesamte Wirtschaftsleistung Ungarns beträgt in einem Jahr etwa 200 Milliarden Euro. Das sind nach ungarischen Maßstäben enorme Summen.
Und europaweit sind es die Landwirte, die sich als die größten Verlierer dieses Haushalts fühlen, und auch die ungarische Position ist, dass es für die Landwirte praktisch so ist, als würde ihr Geld an die Ukraine verschenkt werden. Was steckt dahinter? Warum sollten gerade die Agrarsubventionen am stärksten gekürzt werden?
Es ist schwer zu sagen, wer die größten Verlierer sind. Theoretisch gesehen sind ja alle Europäer Verlierer, weil wir das Geld in der Ukraine unnötig verbrennen, mit Ausnahme der großen europäischen internationalen Konzerne, die ohnehin schon in der Ukraine vertreten sind und den größten Teil des Geldes, das von uns dorthin fließt, abschöpfen werden, so wie sie es übrigens auch zu Beginn unserer Mitgliedschaft in der Europäischen Union getan haben, und es mit nach Hause nehmen werden. Es gibt also einige große europäische und natürlich auch amerikanische Unternehmen, die riesige Gewinne erzielen würden, wenn dieses Geld in der Ukraine ankommen würde. Aber die europäischen Menschen, darunter auch die Ungarn, würden alle verlieren. Die Landwirtschaft und die Landwirte stehen tatsächlich ganz oben auf der Liste der Verlierer, weil man ihnen viel Geld wegnehmen und in die Ukraine umleiten will. Andererseits würden sie auch Marktanteile verlieren, denn die Bedingungen für die landwirtschaftliche Produktion in der Ukraine sind ganz anders als hier, wo es viel teurer ist, weil unsere Landwirte alle möglichen Vorschriften erfüllen müssen. Es wäre kein fairer Wettbewerb, wenn man die Erzeugnisse von dort auf den europäischen Markt bringen könnte, weil sie dort billiger produzieren können, während wir zu einer teureren Produktion gezwungen sind. Deshalb müssen wir also unsere Landwirte schützen. Ich finde es empörend, dass der Tisza-Experte die europäischen oder vor allem die ungarischen Landwirte als dressierte Affen oder Schimpansen bezeichnet, nur weil sie ihre Bewirtschaftung an ein Subventionssystem angepasst haben. Was hätten sie denn tun sollen? Man kann nicht einfach so über Menschen reden, außerdem ist die Diagnose falsch.
Sie würden übrigens strenger werden …
Ich möchte jedoch hinzufügen, dass, wenn ich bedenke, dass der ehemalige Ministerpräsidentschaftskandidat der Linken die Rechten als mit Mist gefütterte Pilze bezeichnet hat und hier nun von Schimpansen die Rede ist, dies doch eine Bahn der Ontogenese ist. Man kann die Sache auch so betrachten.
Auch die Bedingungen für die Rechtsstaatlichkeit würden verschärft werden. Zum Beispiel würde man auch die Agrarsubventionen daran knüpfen, mit der Begründung, dass die Bedingungen für die Rechtsstaatlichkeit notwendig seien, um die Mittel effizient auszugeben. Was für ein Zusammenhang besteht Ihrer Meinung nach zwischen Rechtsstaatlichkeit und Effizienz?
Die Rechtsstaatlichkeit ist ein politischer Knüppel, der nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Die größten Verächter der Rechtsstaatlichkeit in Europa sind derzeit die Kommission selbst und Brüssel. Es ist das Unverschämteste, was ich je gesehen habe, dass ein Reichszentrum, das die Rechtsstaatlichkeit mit Füßen tritt, einen Mitgliedstaat wegen Rechtsstaatlichkeit kritisiert. Das Ganze ist ein System politischer Erpressung. Das muss man so, wie es ist, vergessen.
Lassen Sie uns noch über eine weitere Angelegenheit sprechen, denn gestern hat die Regierung die irische Band, die für ihre antisemitischen Äußerungen und ihre Unterstützung von Terroristen bekannt ist und auf dem Sziget-Festival auftreten sollte, aus Ungarn ausgewiesen. Ich werde die Reaktionen der Band hier nicht wiedergeben, da diese für diese Sendung ungeeignet sind…
Aber wir können uns das vorstellen, ja.
…aber auch die Festivalorganisatoren sagten, dass sie Hassreden zwar verurteilen, aber gleichzeitig allen Künstlern das „grundlegende Recht auf künstlerischen Selbstausdruck” garantieren, worüber in den letzten Tagen viel diskutiert wurde, was unter künstlerischem Selbstausdruck zu verstehen ist und was nicht. aber es scheint, als würden die Regierung und das Festival diese Frage auf einer anderen Ebene betrachten. Worum geht es in dieser Debatte, was muss man Ihrer Meinung nach hier vor allem beachten?
Zunächst einmal ist es wichtig, die eigenen Emotionen zu zügeln. Ich respektiere also die Menschen, die in der ungarischen Showbranche arbeiten, die Konzerte und Festivals organisieren, darunter auch das Sziget. Ich denke, das ist eine schwierige Arbeit, die viel Logistik erfordert, also ist es harte Arbeit, auch wenn sie viel Geld einbringt, aber am Anfang war ich sehr wütend auf sie, um ehrlich zu sein, dass sie Ungarn in eine solche Situation bringen konnten. Die ungarische Regierung hätte hier nicht eingreifen müssen, sie hätten so viel Verstand haben können, eine solche Band nicht hierher einzuladen. Ist das verdammte oder verfluchte Geld so wichtig, dass es das wert ist?! Aber dann habe ich mich beruhigt und geschaut, welche rechtlichen Möglichkeiten wir haben, und wir haben in aller Ruhe tagelang daran gearbeitet, eine geeignete rechtliche Lösung zu finden, die es uns ermöglicht, solche Personen aus dem Land auszuweisen. Und unser Rechtssystem vertritt ganz klar den Standpunkt, dass Ungarn ein freies Land ist. Dies ist eine Insel des Friedens, und es ist selbstverständlich, dass wir hier in Frieden miteinander leben und niemand wegen seiner Religion oder Herkunft verbal angegriffen werden darf. Das hat hier keinen Platz. Wenn du nach Ungarn kommst, musst du dich an unsere Gesetze halten! Dann komm lieber nicht, Freundchen.
Aber wenn wir das Ganze betrachten, gab es in der letzten Zeit mehrere Fälle, in denen unter Berufung auf den künstlerischen Selbstausdruck ziemlich seltsame Dinge passiert sind. Wie lange wird die Toleranz gegenüber den Ansichten anderer oder deren Ausdruck Ihrer Meinung nach noch anhalten?
Ich glaube, darum geht es nicht. Es ist zwar eine spannende Debatte, aber warum wird sie acht Monate vor den Wahlen so aufgeheizt? Weil es nicht darum geht, sondern schon um die Wahlen. Wenn es um demokratische Dilemmata geht, lohnt es sich, nach Amerika zu schauen, schließlich wurde das Ganze dort erfunden, auch wenn die Franzosen eher davon überzeugt sind, dass sie es waren, aber lassen wir das jetzt mal beiseite. Auch in Amerika stellt sich ein Großteil der Künstler hinter die jeweils liberalen Kandidaten, hinter die Demokratische Partei. Das passiert auch hier. Und dann schießen sie manchmal über das Ziel hinaus. Der eine sagt, die Rechte, die Wähler, die ihm nicht gefallen, seien Einzeller, der andere imitiert auf der Bühne die Erschießung des Ministerpräsidenten, der dritte nennt die Bauern Schimpansen, es gibt hier also alles. Aber das ist schon der Wahlkampf. Es geht also nicht um die Freiheit der Kunst im Allgemeinen, sondern darum, dass ein bedeutender Teil der Künstler und des Showbusiness – geben wir es zu, der größte Teil – sich hinter die liberalen, linken Parteien stellt. Das ist auch in Amerika so. Das geschieht auch in Ungarn. Dass sie dafür zugleich auch Geld bekommen, daran sollten wir keine Zweifel hegen, aber so ist das Leben eben. In Amerika hat das nicht geholfen. Im Allgemeinen hilft es nicht. Ich glaube, die Wähler mögen es nicht, wenn ansonsten beliebte, vielleicht sogar angesehene Menschen aus dem Showbusiness ihnen sagen wollen, wie sie über das Leben und die Politik denken sollen. Das hat in Amerika bisher auch nicht funktioniert. Ich stimme denen zu, die denken, dass das eher für uns gut ist, die wir angegriffen werden. Ich glaube, dass es uns in politischer Hinsicht nicht schadet, vielleicht sogar nützt. Es trägt auf jeden Fall zur Klarsicht bei.
Ich habe Ministerpräsident Viktor Orbán in Tusnádfürdő auch zur Bedeutung der Freien Universität Bálványos, zu den Bedrohungen in der Ukraine und zum EU-Haushalt befragt.