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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen, Ungarn!” von Radio Kossuth

Zsolt Törőcsik: Die Europäische Kommission hat diese Woche ihren Siebenjahres-Finanzplan für den Zeitraum ab 2028 vorgestellt, der gegenüber dem aktuellen Haushalt erhebliche strukturelle Änderungen enthält. Viktor Orbán sagte gestern, dass es sich bei dem Dokument in Wirklichkeit um einen ukrainischen Haushalt handele, der für Ungarn inakzeptabel sei. Warum das so ist, werde ich auch Ministerpräsident Viktor Orbán fragen. Guten Morgen!

Guten Morgen!

Lassen Sie uns einige Aspekte einzeln betrachten. Der Entwurf sieht ja vor, dass 100 Milliarden Euro für die Ukraine bereitgestellt werden, was übrigens 5 Prozent des gesamten Haushaltsbetrags entspricht. Gleichzeitig haben Sie und mehrere Mitglieder der Regierung gesagt, dass 20 Prozent für die Ukraine vorgesehen sind. Woher kommt diese erhebliche Diskrepanz zwischen den beiden Zahlen?

Wissen Sie, der Haushalt ist eine große Wissenschaft, man muss nicht nur lesen können, was darin steht, sondern auch, was zwischen den Zeilen versteckt worden ist. Unabhängig voneinander haben verschiedene Expertengruppen, nicht nur in Ungarn, sondern auch außerhalb, die versteckten Posten identifiziert, die in den Bereich der Einzelentscheidungen der Kommission überantwortet worden sind, und sie addiert. Nach Ansicht einiger Expertengruppen beläuft sich dieser Betrag auf 20 Prozent des Gesamtbudgets, der an die Ukraine überwiesen werden wird bzw. überwiesen werden könnte, andere Experten gehen von 25 Prozent aus. Mit ziemlicher Sicherheit, nicht aufgrund meiner eigenen Kenntnisse, sondern aufgrund der Kenntnisse von Fachleuten, aber mit ziemlicher Sicherheit wage ich zu sagen, dass mindestens 20 Prozent dieses Budgets für die Ukraine bestimmt sind, mindestens 20 Prozent des Geldes der europäischen Menschen, also auch 20 Prozent des Geldes der Ungarn, würden in die Ukraine fließen.

Gleichzeitig wird der gesamte Kuchen größer, da der Gesamtbetrag des Budgets von 1.200 Milliarden Euro auf 2.000 Milliarden Euro steigen würde. Warum passt es nicht hinein, dass die Ukraine mehr bekommt, wenn von vornherein mehr für andere Zwecke vorgesehen ist oder wenn wir davon ausgehen können, dass mehr vorgesehen ist?

Wenn wir nur die finanziellen Aspekte betrachten, dann müssen wir sehen, dass zusätzlich zu den 20 bis 25 Prozent, die der Ukraine zugeteilt werden, 10 bis 12 Prozent dieses Budgets für die Zinszahlungen der zuvor gemeinsam aufgenommenen Kredite verwendet werden. Wir lehnen diese Praxis übrigens ab. Wir halten es also nicht für eine gute Praxis, dass die Länder der Union gemeinsam Kredite aufnehmen, aber dies ist eine Entscheidung, eine Frage, die Ungarn allein nicht verhindern kann, weshalb diese Praxis bisher ungebrochen fortgesetzt wurde. Jetzt, wo es eine neue deutsche Regierung gibt, beginnt man auch dort die Verbotszeichen hochzuhalten, man will keine großen Kredite mehr aufnehmen, die zu einer ähnlichen Verschuldung führen, aber was geschehen ist, ist bereits geschehen, und so gehen 10 bis 12 Prozent für die Zinsen der zuvor aufgenommenen Kredite drauf. Wenn ich das zusammenrechne, dann fließen 30 bis 32 bis 35 Prozent dieses Haushalts in Posten, die im vorherigen Haushalt nicht enthalten waren. Es nützt also nichts, den Haushalt um ein paar Prozent zu erhöhen, wenn 30 Prozent davon, also 30 Prozent mehr als zuvor, aus diesem Haushalt hinausfließen, als wären sie gar nicht dagewesen. Die Menschen in Europa werden damit nichts zu tun haben, außer dass sie werden einzahlen müssen, ohne etwas dafür zurückzubekommen. Deshalb brüllen, murren, brummeln und schimpfen alle Mitglieder der Europäischen Union, je nach Temperament der europäischen Nationen.

Nun, da Sie die Menschen erwähnt haben, hier fliegen tatsächlich Billionen durch die Luft, wir sprechen hier von riesigen Summen, aber wie würden sich beispielsweise die ungarischen Bürger, die ungarischen Familien, die ungarischen Rentner fühlen, wenn dieser Haushalt in Kraft treten würde, ergänzt durch das Verbot von Energieimporten aus Russland ab 2028 durch Brüssel?

Das größte Problem mit dem Haushalt ist, dass er keine klare strategische Grundlage hat, und das gilt nicht nur für den EU-Haushalt, sondern das pflegt auch bei den nationalen Haushalten vorzukommen. Wenn wir also nicht wissen, wozu der Haushalt dient, kann er nicht gut sein, denn zuerst muss die Frage beantwortet werden, welche Ziele wir mit dem jeweiligen Haushalt erreichen wollen. Das gilt auch für den Haushalt Ungarns, aber auch für den gemeinsamen Haushalt der Union. Diese Frage ist nicht geklärt, oder auch wenn sie geklärt ist, so wird sie nicht ausgesprochen. Dieser Haushalt hat also nur ein einziges offensichtliches Ziel, nämlich die Aufnahme der Ukraine in die Europäische Union, und die dafür erforderlichen finanziellen Mittel werden geschickt, heimlich und zum Teil offen bereitgestellt, um sie dann der Ukraine zur Verfügung zu stellen. Dabei gibt es noch keine Entscheidung darüber, ob die Ukraine Mitglied der Europäischen Union wird. Und da es keine solche Entscheidung gibt, ist es auch nicht richtig, dafür Geld bereitzustellen. Dieses Geld sollte man schön unter den europäischen Ländern, die bereits Mitglied der Union sind, und ihren Bürgern verteilen, und wenn die Ukraine dann Mitglied der Europäischen Union wird, kann man darüber reden, wie man ihnen Geld gibt. Aber das wird in meinem Leben nicht passieren, also liegt das nicht in absehbarer Zukunft. Wenn wir die Ukrainer jedoch nicht in die Union aufnehmen, was meiner Meinung nach richtig wäre, dann müssen wir eine andere Art von Beziehung zu ihnen aufbauen, die keine Mitgliedschaft ist, sondern eine Art Kooperationsbeziehung, die auch finanzielle Auswirkungen haben kann, aber dann müssten die finanziellen Grundlagen für eine solche Zusammenarbeit in diesem Haushalt festgelegt werden. Ich möchte damit nur sagen, dass wir aus diesem Haushalt nicht erkennen können, wie sich die Verfasser des Haushalts, also diese Kommission, die Zukunft der europäischen Wirtschaft vorstellen. Und diese Unsicherheit besteht nicht nur in Bezug auf die Ukraine, sondern es werden beispielsweise auch Gelder aus der Landwirtschaft abgezogen. Es stellt sich dann die Frage, ob diese Mittel gestrichen werden, weil das bisherige System als verschwenderisch angesehen wird, weil sie für andere Zwecke verwendet werden sollen, weil die europäische Lebensmittelindustrie und die Landwirtschaft nicht mehr als Schlüsselbranchen angesehen werden, oder warum? Und wenn sie es wegnehmen, weil sie eine andere Vorstellung von der Zukunft der europäischen Landwirtschaft haben als wir bisher gemeinsam hatten, was ist dann diese andere Vorstellung von ihnen? Wenn bisher Millionen von Landwirten in Europa von der Landwirtschaft gelebt haben und wir ihre Arbeit unterstützt haben, was wird dann aus ihnen, wenn wir sie in Zukunft nicht mehr unterstützen, wovon werden sie leben, womit werden sie ihr Geld verdienen, wo werden sie arbeiten? Man kann also nicht einfach mit einem scharfen Messer in einen lebenden Körper schneiden, einen Schnitt machen und denken, es geschieht dann eben das, was geschehen wird, weil der Kranke verblutet. Dieser Haushalt würde also die Europäische Union ruinieren, und meiner Meinung nach wird er nicht einmal das nächste Jahr erleben. Entweder muss die Kommission ihn spektakulär zurückziehen oder Schritt für Schritt zurückrudern und ihn umschreiben. Das lese ich aus den Reaktionen heraus: Die europäischen Länder werden diesen Haushalt der Brüsseler Bürokratie ganz einfach nicht akzeptieren.

Die größte Empörung hat übrigens zumindest bisher die Umgestaltung der Agrarsubventionen ausgelöst. Die flächenbezogene Förderung würde ja ab einem bestimmten Niveau praktisch wegfallen. Welche Auswirkungen hätte das Ihrer Meinung nach auf die heimischen Landwirte, denn die Kommission argumentiert, dass damit junge Landwirte, Nachhaltigkeit und Wettbewerb gefördert werden?

Die Europäische Kommission müsste gar keine Argumente vorbringen, sondern einfach sagen, dass wir der Landwirtschaft diesen Betrag zur Verfügung stellen und ihn auf diesem oder jenem Weg auf möglichst einfache Weise an die Landwirte weiterleiten werden, was übrigens nicht der Fall ist, denn das System ist furchtbar bürokratisch. Das wäre ihre Aufgabe. Stattdessen gibt es ein Durcheinander, Hokuspokus, Brüsseler Diebesjargon, hierhin verschieben, dorthin verschieben, zusammenlegen. Wenn ich so etwas sehe, ich habe einige Haushalte aufgestellt und auch Haushalte aus der Opposition in Ungarn gesehen, wenn die Haushalte so kompliziert sind, hierhin und dorthin verschoben werden, Kompetenzen oben, unten, rechts, links auftauchen, dann weiß man, dass etwas Faules dahintersteckt. Und auch hier geht es darum, dass die Kommission keine Vorstellung von der Zukunft der europäischen Landwirtschaft hat und offensichtlich, um der Ukraine Geld geben zu können, alle möglichen früheren Posten kürzt, streicht und abzieht, um sie der Ukraine zuweisen zu können. Darüber hinaus ist die Mitgliedschaft der Ukraine in diesem Haushalt auch deshalb inakzeptabel, weil sie mit der Migration vergleichbar ist. Wenn man sie einmal hereingelassen hat, kann man sie nicht mehr raustun. Deshalb schlägt Ungarn einen schrittweisen Ansatz vor, denn natürlich muss man zusammenarbeiten, da es sich um ein bedeutendes und großes Nachbarland handelt, also muss man mit der Ukraine zusammenarbeiten. Aber man darf sie nicht einfach reinlassen und ihnen die gleichen Rechte geben, die wir als Mitglieder haben. Denn aus der Union kann man kein Land raustun. Das wissen nur wenige, aber es ist so vertraglich geregelt, dass man ein Land, das einmal aufgenommen wurde, zwar schikanieren, drangsalieren – das machen sie manchmal auch mit uns –, an den Hosenbeinen oder am Jackenärmel ziehen kann, aber rauswerfen kann man es nicht. Wenn wir jetzt ein riesiges Land aufnehmen, das auch noch riesig ist und von dem wir nicht wissen, wie viele Menschen dort leben, wir sprechen hier von einem Land von mehreren Zehnmillionen Menschen, dann können wir es nicht rauswerfen, und von diesem Moment an werden seine wirtschaftlichen Probleme zu unseren wirtschaftlichen Problemen. Es ist dann nicht so, dass es außerhalb der Union ein Land gibt, das Probleme hat, und wir ihm helfen, sondern es sagt zu Recht, dass mein Problem auch euer Problem ist, da wir uns in einem Wirtschaftsraum befinden, und dann solltet ihr das Geld geben. Und da gibt es keine Ausreden, dann muss man geben. Das Geld wird jahrzehntelang dorthin fließen, meiner Meinung nach hoffnungslos, denn die ukrainische Wirtschaft ist heute nicht in der Lage, dass man sie mit einer Mitgliedschaft und den damit verbundenen Geldern modernisieren könnte. Davon ist sie noch weit entfernt, sie ist nicht bereit für die Mitgliedschaft.

Wie schwierig wird es sein, den aktuellen Vorschlag zu ändern, und welche politischen Kräfte stehen überhaupt dahinter in Brüssel und hierzulande?

In solchen Augenblicken beginnt eine sehr spannende Zeit. Ich glaube, die Zuhörer können sich das gar nicht vorstellen. Hier sitzen also Tausende von Menschen, die diese Seiten durchgehen, teilen, multiplizieren, unterstreichen, überschreiben, Randnotizen machen, und dann beginnen diese 27 Länder miteinander zu reden und mit der Kommission, und es beginnt ein äußerst komplizierter Verhandlungsprozess in der Hoffnung, dass es gelingt, Änderungen an dem als Ausgangspunkt vorgelegten Haushaltsplan vorzunehmen, die für alle 27 Mitgliedstaaten akzeptabel sind, denn am Ende muss eine einstimmige Entscheidung über diesen Haushalt getroffen werden. Ich habe so etwas schon öfter gesehen, dies ist nicht der erste EU-Haushalt in meinem Leben, sondern der dritte, daher kenne ich diesen Prozess, ich kenne dieses Labyrinth, diesen Dschungel, durch den auch wir uns in solchen Fällen manövrieren müssen. Wir wissen auch schon, mit wem wir verhandeln werden, ich weiß ungefähr, mit welchen Ländern unsere Interessen übereinstimmen und mit welchen sie im Widerspruch stehen, und mit wem wir uns ungefähr einigen müssen, damit am Ende ein für Ungarn akzeptabler Haushalt zustande kommt. Aber es gibt hier noch ein größeres Problem. Wenn ich diesen Haushalt lese, dann ist das ein Haushalt der Hoffnungslosigkeit. Wenn man sich also zumindest durch die Zusammenfassung der Führung hindurchkämpft oder sie durchblättert, sieht man darin keine optimistische, triumphale Union mit klaren Plänen und einer vielversprechenden Zukunft, sondern eine Union in Schwierigkeiten, die hier und da Verluste hinnehmen muss, die unüberlegte Ziele finanzieren will, also reden wir über eine Union, die in Schwierigkeiten steckt, hektisch ist, keine klare Vorstellung von ihrer eigenen Entwicklung hat, sondern vielmehr auf Stagnation ausgerichtet ist und den Zerfall verhindern will. Das Ambitionsniveau dieses Papiers ist äußerst gering. Wir sind nicht der Union beigetreten, um solche „Überleben der nächsten sieben Jahre”-Haushalte zu haben, sondern um gemeinsam mit den anderen EU-Ländern klare Ziele zu setzen, die ambitioniert und ermutigend sind, die für die Mitgliedstaaten vielversprechend sind, und diese dann gemeinsam zu verwirklichen. Davon ist hier nichts zu sehen.

Wir werden sehen, was mit dem Haushalt geschieht. Was Ungarn jedoch mit Sicherheit von Brüssel fordert, ist, dass die Union drei ukrainische Führer, die für Zwangsrekrutierungen verantwortlich sind, auf die Sanktionsliste für Menschenrechtsverletzungen setzt. Dies hat die ungarische Regierung im Zusammenhang mit dem Fall József Sebestyén gefordert. Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass dieser ungarische Antrag erfüllt wird?

Wir haben in Brüssel für eine Überraschung gesorgt. Unser Außenminister war in den letzten Tagen dort, und sie dachten, also die Brüsseler, da sie von diesem bilateralen Konflikt gehört hatten, dass ein ungarischer Staatsbürger, also ein europäischer Staatsbürger, während einer Menschenjagd, also einer Zwangsrekrutierung, von den Ukrainern getötet wurde, und sie dachten natürlich, dass Ungarn dies nicht unkommentiert lassen würde, aber wir haben diesen Weg nicht gewählt, sondern den Bericht des Menschenrechtskommissars des Europarates hervorgeholt. Es handelt sich um ein ernstzunehmendes internationales Dokument, das kürzlich veröffentlicht wurde und in dem ein eigenes Kapitel den brutalen Menschenrechtsverletzungen während der Zwangsrekrutierungen in der Ukraine gewidmet ist. Wir in Brüssel sagen also nicht, dass es sich hier um eine ungarische Angelegenheit handelt, sondern dass es sich um eine europäische Angelegenheit handelt, die nicht nur Ungarn wahrnimmt, weil einer seiner Staatsbürger von ukrainischen Zwangsrekrutierern zu Tode geprügelt wurde, sondern um ein europäisches Problem, das auch andere wahrnehmen. Und diejenigen, die das wahrnehmen, haben – übrigens eine Organisation in Straßburg – die entsprechenden Informationen gesammelt, systematisiert und eine umfassende Bewertung veröffentlicht, die genau das sagt, was die ungarische Regierung sagt, nämlich dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt, sondern um eine Praxis. Tatsächlich findet eine Menschenjagd statt. Man nennt es Rekrutierung, Zwangsrekrutierung, aber die Leute, die mit der Rekrutierung beauftragt sind, jagen diejenigen, von denen sie glauben, dass sie sofort in die ukrainische Armee eingezogen werden können. Und wenn das mit guten Worten nicht geht, dann geht es eben mit Gewalt. Dabei begehen sie brutale Dinge, wie dieses Dokument deutlich macht. Und ganz am Ende haben wir gesagt: „Wisst ihr, liebe Freunde in Brüssel, das letzte Opfer war übrigens ein ungarischer Staatsbürger, der auch euer Staatsbürger ist, weil er EU-Bürger ist.” Wir greifen also von hier aus an und schlagen nicht unter Berufung auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Ukraine und Ungarn vor, dass die Europäische Union Vergeltungsmaßnahmen und Strafen in Aussicht stellt, sondern dass sie nicht untätig bleibt, sondern Sanktionen verhängt, beispielsweise indem wir die für die Menschenjagden verantwortlichen ukrainischen Führer auf die Sanktionsliste setzen. Ungarn hat sie übrigens gestern aus Ungarn ausgewiesen, aber nicht wegen der Ungarn, sondern weil es in unserem Nachbarland eine allgemeine Praxis gibt, die nicht akzeptabel ist. Das ist unser Ansatz, den wir auch durchsetzen werden, und was auf bilateraler Ebene als Sanktion eingeführt werden kann, hat Ungarn bereits gegenüber den drei uns bekannten, identifizierten Verantwortlichen eingeführt.

Brüssel hat jedoch nicht nur auf diese ungarische Bitte nicht reagiert, sondern es gab überhaupt keine Reaktion auf diese Angelegenheit. Was könnte der Grund für dieses Schweigen sein?

Es ist peinlich. Die Brutalität ist natürlich mehr als peinlich für die Betroffenen, also gibt es dort Opfer, aber auch aus Sicht der Brüsseler Bürokraten ist es peinlich. In Brüssel hört man nichts anderes, ich greife mir an den Kopf, nur dass mir hoffentlich nicht die Haare dabei ausfallen, dass die Ukraine angeblich fantastische Fortschritte vorgewiesen, diese erzielt habe, Fortschritte im Bereich der Menschenrechte, der Justiz und der Korruptionsbekämpfung. Die Brüsseler Politiker sprechen also von der Ukraine als einem Land, das alles getan hat, um sich fit zu machen, ja sogar schon fit ist, das an die Tür klopft, und ein paar Querulanten, zum Beispiel diese Ungarn, wollen die Tür nicht öffnen, obwohl dies den Ukrainern offensichtlich zusteht. Sie behaupten also, dass die Ukraine nicht nur reif, sondern sogar überreif für die EU-Mitgliedschaft sei. Wer die Ukraine kennt, weil er beispielsweise ihr Nachbar ist, so wie wir Ungarn, weiß genau, dass das nichts mit der Realität zu tun hat. Und natürlich kann man darüber diskutieren, ob das Justizsystem eines Landes bereit ist oder nicht, ob das Steuersystem bereit ist oder nicht, ob die Methoden der Wirtschaftsstreitbeilegung europäischem Standard entsprechen oder nicht. darüber kann man diskutieren, man kann es so oder so interpretieren, aber darüber, dass ein Mensch zu Tode geprügelt wird, weil er nicht einziehen wollte oder weil er der Meinung war, dass die Gesetzgebung, nach der er Soldat werden muss, nicht auf ihn zutrifft, und er nicht festgenommen und einem Gerichtsverfahren unterzogen wurde, sondern zu Tode geprügelt wurde, darüber gibt es nichts zu sagen. Dies ist eine klare Absage an die Tatsache, dass dieses Land dafür vorbereitet ist, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Und deshalb müsste Brüssel sich selbst widerlegen, wenn es diesen Fall aufgreifen würde. Das wird es aber von sich selbst nicht tun, deshalb müssen wir diesen Fall auf den Tisch bringen, denn die Brüsseler werden diesen Fall – zu Unrecht übrigens – nicht von sich aus aufgreifen. Die europäischen Werte, die europäischen Menschenrechtserklärungen und Grundsätze würden es erfordern, dass die Brüsseler Bürokraten diese Angelegenheit selbst aufgreifen und untersuchen. Aber sie tun es nicht, sie wollen sie vom Tisch schieben, denn es handelt sich hier um ein Land, das ihrer Meinung nach längst reif für die EU ist.

Interessant sind auch die Reaktionen der Ukraine und Ungarns, denn Kiew reagierte beispielsweise auf die gestrige Ausweisung mit der Ablehnung der Manipulationen Ungarns und der Unerträglichkeit einer solchen Respektlosigkeit. Auch in Ungarn hören wir, dass man von der Regierung Beweise für die Prügelattacke fordert, und Péter Magyar, der Vorsitzende der Tisza-Partei, sagte, er wolle sich nicht an der Kampagne beteiligen, die auf den Tod von József Sebestyén abzielt. Wie bewerten Sie diese ukrainischen und ungarischen Reaktionen?

Wie wir auch in Brüssel erklärt haben, ist der Fall József Sebestyén für uns Ungarn wichtig, denn er ist einer von uns, eigentlich sind wir alle József Sebestyén, wir, die ungarische Volksgemeinschaft, unabhängig davon, wo gerade die Staatsgrenzen gezogen wurden, wir sind doch eine Nation, deshalb ist dies für uns wichtig, es ist eine Herzensangelegenheit, eine Frage der Ehre. Aber wir dürfen nicht von hier aus argumentieren, sondern, wie ich bereits sagte, ausgehend vom Bericht des Menschenrechtsbeauftragten. Und wir müssen Leuten der Tisza-Partei, dem ukrainischen Geheimdienst und der ukrainischen Diplomatie sagen, dass sie nicht mit Ungarn diskutieren. Eine europäische Organisation hat schwarz auf weiß niedergeschrieben, dass dies eine Praxis ist, und diese Praxis muss abgeschafft werden, gerade weil zuletzt ein Ungar ihr zum Opfer gefallen ist. Wir müssen also allen Diskutierenden nicht den ungarischen Fall beteuern, denn dort sprechen die Fakten für sich, sondern wir müssen den Menschenrechtsbericht, den europäischen Bericht vorlegen, in dem diese Praxis nicht von Ungarn, sondern von nicht-ungarischen Berichterstattern beschrieben wird. Man kann den Verfassern also keine bilaterale oder ungarische Voreingenommenheit vorwerfen. Das ist die Realität. Es ist traurig, aber es ist nichts Neues in der ungarischen Geschichte, dass es Parteien gibt, die in einem ungarisch-ukrainischen oder ungarisch-ausländischen Streit immer den Ausländern Recht geben. Die Tisza-Partei ist Teil dieser Tradition. Die DK ist Teil dieser Tradition. Das sind Parteien, bei denen die Ungarn niemals Recht haben können, weil das Ausland immer etwas Höheres, Besseres, Wertvolleres repräsentiert und wir nicht mit dem Ausland diskutieren dürfen, sondern uns unterordnen, ihm folgen, es als Vorbild nehmen und die Anweisungen von dort akzeptieren müssen. Das ist eine andere Welt, also die Welt der ungarischen Opposition und ihre Beziehung zu Brüssel oder jedem anderen imperialen Zentrum, früher Moskau, Washington, jetzt Brüssel, eine untergeordnete Beziehung, in der ein Ungar niemals Recht haben kann. Das ist das Übel, von dem wir uns befreien müssten. Das bedrückt uns seit mehr als hundert Jahren, dass man uns auf den Kopf schlägt und sagt, dass ihr Ungarn niemals Recht haben könnt. Und es gibt Parteien, die das glauben, akzeptieren, davon leben, dass sie solche Befehle ausführen, und es gibt nationale Parteien, zu denen wir gehören, die stolz darauf sind und sagen: „Aber wir sind die Ungarn, und wir haben Recht, und das werden wir beweisen, und dafür werden wir kämpfen, und wir werden unsere Interessen verteidigen.” Wir sehen also jetzt in einer konkreten Angelegenheit den Abdruck dieser Debatte.

Lassen Sie uns auch über die wirtschaftlichen Fragen Ungarns sprechen. Sie sagten, dass der EU-Haushalt ein Überlebenshaushalt sei, gleichzeitig sagten Sie in einem früheren Interview, dass Ungarn auch wirtschaftlich Ambitionen habe. Da ist das Programm „Otthon Start Plusz [Start ins Zuhause Plus]”, das sich an junge Menschen richtet. Junge Menschen, von denen übrigens viele Eltern Anfang der 2000er Jahre mit der Aufnahme von Fremdwährungskrediten auf die Nase gefallen sind, sodass sie ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht haben. Wie kann man sie davon überzeugen, dass es sich trotz allem lohnt, jetzt einen Kredit aufzunehmen und eine Wohnung zu kaufen?

Es handelt sich hier um einen Forint-Kredit. Was war das Problem mit den Fremdwährungskrediten? Das Problem mit den Fremdwährungskrediten war, dass die Banken und die Gyurcsány-Regierung die Menschen in diese Fremdwährungskreditkonstruktion hineingezogen haben, indem sie ihnen sagten, dass sie bei einem Kredit in Forint hohe Zinsen zahlen müssten, bei einem Kredit in Euro hingegen niedrige. Natürlich sind die Menschen nicht dumm, also denken sie, dass ein Kredit mit niedrigen Zinsen besser ist als einer mit hohen Zinsen, und wenn dies sowohl von den Banken als auch von der Regierung unterstützt wird, dann ist das natürlich ein vernünftiger Vorschlag. Und niemand hat ihnen klar und deutlich gesagt, obwohl ich als Oppositionspolitiker versucht habe, dass sie ein Wechselkursrisiko eingehen. Also, vielleicht scheinen diese Kredite jetzt günstig zu sein, weil der Wechselkurs zwischen Forint und Euro für uns günstig ist, aber der Wechselkurs zwischen Forint und Euro kann sich verschlechtern. Und das hängt nicht nur von Ungarn ab, sondern auch von internationalen wirtschaftlichen Entwicklungen, auf die wir keinen Einfluss haben. Und Ihr setzt Euch dem Risiko aus, dass Eure Schulden plötzlich um ein Vielfaches steigen können, wenn sich der Wechselkurs des Forint verschlechtert. Das wurde ihnen nicht gesagt, und es gibt eine Debatte darüber, wer es gesagt hat, also welche kreditgebende Bank es gesagt hat und welche nicht. Darüber gibt es sogar Gerichtsverfahren. Wir haben Hunderttausende von Familien gerettet – übrigens dank György Matolcsy, der damals als Präsident der Zentralbank Vorschläge gemacht hat, wie man die Menschen aus den Fremdwährungskrediten in Forint-Kredite retten kann. Aber das hier ist eine andere Geschichte. Derzeit handelt es sich um einen forintbasierten Kredit mit einem festen Zinssatz von 3 Prozent, einer Laufzeit von 25 Jahren und einer Eigenkapitalanforderung von maximal 10 Prozent. Der Wert der zu erwerbenden Wohnung beträgt 100 Millionen Forint, bei einem Haus 150 Millionen. Dies ist ein sicherer Kredit für diejenigen, die ihn aufnehmen. Und ich würde junge Menschen ermutigen, dies in Betracht zu ziehen. Die Entscheidung müssen natürlich sie treffen, wir können nur eine Möglichkeit eröffnen, eine Tür öffnen, aber sie sollten darüber nachdenken, ob sie irgendwo alleine wohnen möchten, und wenn sie nicht in einer wohlhabenden Familie leben, in der die Eltern ihnen eine eigene Wohnung kaufen können, sondern sie ihre Zukunft und die Schaffung eines eigenen Zuhauses aus eigener Kraft gestalten müssen. Dann sind sie besser dran, wenn sie einen solchen Kredit aufnehmen, eine solche Wohnung kaufen und die Raten abbezahlen, die übrigens von der ungarischen Regierung durch einen Zinszuschuss unterstützt bzw. gesenkt werden, und das ist besser, als wenn sie den gleichen Betrag für Miete oder Wohnungsmiete ausgeben würden. Denn es ist nicht egal, ob ich die Miete an den Vermieter zahle und dafür eine Wohnung für einen Monat bekomme, oder ob ich einen Teil meiner Schulden für eine Wohnung, die später mein Eigentum wird, abbezahle, weil ich damit Vermögen schaffe und für mich selbst etwas aufbaue. Darüber lohnt es sich nachzudenken. Ich empfinde das als Durchbruch. Wir sehen also Zahlen, wie viel ein junger Mensch durch den staatlich geförderten Zinssatz sparen kann, was je nach Höhe des aufgenommenen Kredits viele Zehntausend Forint pro Monat ausmachen kann. Die mathematischen Modellberechnungen sind nun schon fertig, die wichtigste Phase der Verhandlungen mit den Banken ist abgeschlossen. Deshalb kann ich jetzt mit Sicherheit sagen, dass es sich nicht nur um eine Möglichkeit handelt, dass die Regierung nicht nur eine Idee in den Raum geworfen hat, sondern dass ein detailliert ausgearbeiteter Vorschlag auf dem Tisch liegt, der mit den Betroffenen, also in erster Linie den Banken und den Akteuren der Bauwirtschaft, abgestimmt und bis ins Detail ausgearbeitet ist. Die jungen Leute haben etwas zu studieren.

Da Sie die Bauwirtschaft erwähnt haben, darüber sprechen wir weniger. Wie rechnet die Regierung, welche Auswirkungen dies auf die Bauwirtschaft haben könnte?

Es gibt mathematische Modelle, hier muss man vorsichtig sein, ich gehöre zu den Vorsichtigen, aber selbst nach meinen konservativsten Berechnungen sieht es so aus, dass der Bau von 10.000 Wohnungen zu einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts, also der nationalen Wirtschaftsleistung, um 1 Prozent führen könnte. Und hier können leicht 30.000 bis 50.000 Wohnungen pro Jahr gebaut werden. Allerdings gilt dieses Konzept, dieses Angebot, nicht nur für neu gebaute Wohnungen und Häuser, sondern auch für gebrauchte.

Unsere Zeit ist abgelaufen, aber wir sollten noch ein Thema ansprechen, denn der Forschungsastronaut Tibor Kapu, der am Mittwoch im Pazifik gelandet ist, ist zurückgekehrt. Sehen wir bereits, welche Bedeutung diese erfolgreiche Mission auch langfristig haben wird, denn seine Mission war ja erfolgreich?

Ich höre mir, soweit es meine Zeit zulässt, die Wissenschaftler an, die über die Experimente sprechen, die Tibor Kapu, unser neuer Held, der uns alle mit Stolz erfüllt, im Weltall durchgeführt hat. Es ist schwer in Worte zu fassen, oder ich weiß nicht, es ist seltsam, die Wissenschaftler versichern, dass es sich um wichtige und wertvolle Forschungen handelte, aber ich sehe das aus einer anderen Perspektive. Ich habe irgendwo gelesen, dass es weltweit zwölf Nationen gibt, die von sich behaupten können, Menschen ins All geschickt zu haben, und zu diesen zwölf gehören auch wir Ungarn. Und wenn Sie das schon angesprochen haben, dann sollten wir etwas Gerechtigkeit walten lassen, denn natürlich spricht jeder von Tibor Kapu, so wie vor vierzig Jahren von Bertalan Farkas gesprochen wurde, aber da gab es noch einen zweiten Mann. Denn wir bilden nicht nur einen Astronauten aus, sondern zwei, denn ein Kind ist kein Kind, sagten die Alten, ein Astronaut ist kein Astronaut, also kann alles passieren, und was wird dann aus uns? Deshalb gibt es jetzt auch einen zweiten ausgebildeten ungarischen Astronauten, dessen Name nicht oft fällt, obwohl er alles durchgemacht hat, sich genauso vorbereitet hat, ein ebenso hervorragender Intellektueller und großartiger Mensch ist. Er heißt Gyula Cserényi, blieb aber im Schatten, weil er nicht mitgeflogen ist, aber dennoch verdient auch er Anerkennung.

Ich habe Ministerpräsident Viktor Orbán auch zum Entwurf des nächsten EU-Haushalts, zum Protest gegen die Zwangsrekrutierungen in der Ukraine und zu den Auswirkungen des Programms „Otthon Start” (Start ins Zuhause) befragt.

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