Interviews / Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth
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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth

Zsolt Törőcsik: Auf 16,4 Prozent ist im August die Inflation zurückgegangen, so setzte sich die seit Februar andauernde Abnahme fort, wenn auch ihr Tempo hinter den Erwartungen der Analysten zurückbleibt. Inzwischen kommen immer mehr Tatsachen darüber ans Tageslicht, wie hier in Ungarn und im Ausland gleichermaßen der Profithunger der Multis die Inflation in dem vergangenen einen, eineinhalb Jahren gesteigert hat. Ich begrüße Ministerpräsident Viktor Orbán im Studio. Guten Morgen!

Guten Morgen!

Wie sehen Sie im Lichte der Zahlen des Augusts, ob die einstellige Inflation bis zum Ende des Jahres auch weiterhin erreichbar ist oder sind wir diesem Ziel jetzt entfernter als zuvor?

Auch ich bin mindestens so ungeduldig, zeitweilig wütend wie ein jeder wegen der Inflation, denn die Inflation hat uns nicht die Bestimmung wie einen Mantel um die Schultern gelegt, sondern diese hat die europäische Politik zustande gebracht. Zunächst einmal der Krieg. Also wenn jetzt eine gute Fee daherkäme und unseren Wunsch erfüllen würde, nach dem der Krieg sofort beendet sein soll, dann würde sich die wirtschaftliche Situation sofort bessern. Das zeigt aber auch, dass so lange der Krieg andauert, werden auch die wirtschaftlichen Zustände nicht der Art sein, wie wir alle sie gerne haben würden, denn wir leben ja doch in Zeiten des Krieges und in Kriegszeiten erbringen die Wirtschaften andere Leistungen. Es gibt natürlich jene, die profitieren, also die Kriegsspekulanten – diese gibt es – machen ganz schön Gewinn, doch im Allgemeinen die Menschen, die Nationen, die Länder verlieren am Krieg. Das ist unsere erste Sorge. Die zweite ist, dass die Sanktionen die Auswirkungen des Krieges verschlimmern. Die Sanktionen sind die Sanktionen der Europäischen Union, die aus dem Grund besonders schmerzen, da man die gesamte Europäische Union – wie man das in der Sprache der Brüsseler zu sagen pflegt – als Friedensprojekt bezeichnet. Sie ist also entstanden, damit es keinen Krieg gibt, und wenn es Spannungen geben sollte, dann sollten wir diese schnell lösen. Wenn aber dennoch ein Konflikt ausbrechen sollte, dann sollten wir ihn lokalisieren, ihn an einen Ort binden, nicht zulassen, dass er sich weiter ausbreitet. Das ist die grundlegende Mission der Europäischen Union. Jetzt sind im Vergleich dazu die Anhänger des Krieges in der EU in der überwiegenden Mehrheit, die EU steht also nicht auf der Seite des Friedens, sondern auf der des Krieges und deshalb hat sie Sanktionen eingeführt. Und die Sanktionen haben die wirtschaftliche Situation weiter verschlechtert, deshalb ist die Situation, dass natürlich Menschen zu Hunderttausenden sterben, es geschehen schreckliche Dinge an der Front, doch nicht nur die kriegsführenden Parteien leiden, sondern unter diesem Krieg und der auf ihn gegebenen europäischen, Brüsseler Antwort leidet auch ganz Europa. Hinzu kommt noch, dass wir das, was mit uns geschieht, auch aus dem Grund als ungerecht empfinden, da Ungarn von Anfang an gegen den Krieg, so auch gegen die Sanktionen war, wir haben immer nach der Lokalisierung des Konflikts gestrebt; wir haben gesagt, dies ist kein Weltkrieg, das ist kein europäischer Krieg, das ist der Krieg zweier slawischer Brudervölker, und man muss versuchen, seine Ausstrahlung auf das Minimum zu reduzieren. Wir haben also alles getan, damit dieser Krieg und die auf ihn gegebenen europäischen Antworten nicht jenen europäischen Ländern zusetzen, die nicht Teil des Konflikts sind, wie z.B. Ungarn. Doch zugleich können wir uns nicht von dessen Auswirkungen entziehen, auch wenn wir gegen ihn waren. Also ist die ganze Situation aus der Perspektive der Ungarn unfair, nicht anständig, ungerecht, na ja, das Leben ist eben oft so, besonders in der internationalen Politik. Jetzt, da wir nicht erwarten können, dass eine gute Fee mit ihrem Zauberstab den Krieg beendet, wenn nicht der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sich in so eine gute Fee verwandelt, denn in seiner Hand befindet sich so ein Stab, mit dem er morgen Früh diesen Krieg beenden könnte, wenn nicht er der Präsident wäre, dann gäbe es auch keinen Krieg, bzw. wenn ein neuer Präsident käme, dann würde er ihn auch sicher beenden, doch auch der gegenwärtige Präsident könnte, wenn es seine Absicht wäre, diesen Krieg stoppen, doch vorerst sehen wir keine Anzeichen dafür. Dementsprechend müssen wir auch weiterhin gegen die wirtschaftlichen Folgen des Krieges kämpfen, und die Inflation ist eine solche. Hinzu kommt noch, dass es wahr ist, was das Kartellamt, das Wirtschaftskartellamt festgestellt hat, dass so, wie das zu sein pflegt, wenn die normale Weise des Funktionierens der Wirtschaft aus irgendeinem Grund – Krieg, Sanktionen – umgestoßen wird, die Energiepreise in den Himmel steigen, sich ein Grund für Preiserhöhungen ergibt, dann werden jene, die dies tun können, d.h. die Verkäufer, die Händler, am meisten die Multiketten die Möglichkeit sofort ausnutzen, und sie versuchen immer mehr zu erhöhen, als die im Übrigen begründet wäre, denn das erhöht ja ihren Profit. Und auch das spielt eine Rolle. Das ist eine Erscheinung, die wütend macht, doch spielt sie eine bedeutende dabei, in welchem Maß sich die Inflation gestaltet, deshalb müssen wir – während wir gegen den Krieg sprechen, müssen wir gleichzeitig – hier zu Hause unbedingt gegen die mit den Preisen spekulierenden Multis auftreten, so wie das im vergangenen Zeitraum bereits auch schon endlich die verschiedenen Organe der ungarischen Staatsverwaltung getan haben. In anderen Ländern versucht man sich an anderen Instrumenten. Jetzt sehe ich, dass die Preisdeckel für eine Zeit aus der Mode gekommen sind, auch wir haben uns ja umgestellt, auf die vorgeschriebenen Nachlässe und die elektronische, Online-Beobachtung der Preise. Jetzt sehe ich einige Länder, in denen beim Benzin und auch bei den grundlegenden Produkten der Lebensmittelindustrie die Institution der Preisdeckel erneut zurückkommt. Auch wir müssen aufmerksam beobachten, was die Welt macht, und ich glaube daran, dass die derzeitigen Instrumente ausreichen, damit wir die Inflation bis zum Jahresende unter zehn Prozent drücken, also einstellig werden lassen können. Doch sehe ich, dass das Instrumentarium breit gefächert ist, wenn es sein muss, werden wir weitere Schritte unternehmen, wir werden die Ereignisse keinesfalls mit in den Schoß gelegten Händen verfolgen, wir werden handeln und wir werden die Menschen schützen und wir werden die Familien mit allen möglichen Regierungsinstrumenten schützen.

Wenn Sie schon den Preis des Benzins erwähnt haben, so machen doch Analysten auch darauf aufmerksam, dass die Erhöhung der Transitgebühren für Energieträger zum Anstieg des Benzinpreises beiträgt, was die Inflation erhöht. Wie besorgniserregend ist diese Erscheinung? Und was kann man überhaupt mit dieser Situation anfangen, denn wir haben ja weder eine Meeresküste noch besitzen wir Energieträger, also dass irgendwie dieses Öl, aus dem dann das Benzin und Diesel angefertigt wird, hierher transportiert werden muss.

Ich muss ganz ehrlich zugeben, einander entgegengesetzte Gefühle ringen in mir miteinander, denn einerseits – nun, ich fluche nicht, denn der Ministerpräsident soll nicht fluchen, aber – ich denke mir manch Kräftiges, wenn ich sehe, wie die Ukrainer die Transitgebühren angehoben haben, denn das für das Benzin nötige Diesel, das Öl kommt aus Russland über die Ukraine und wir müssen zahlen – das ist internationale Gepflogenheit – für die Benutzung der Pipeline. Wir haben auch schon immer dafür gezahlt. Jetzt geschah, dass die Ukrainer diese Gebühr von einem Tag zum anderen erhöht haben. Wir sind gezwungen, den Treibstoff durch die Rohrleitung zu einem drei und halbfachen Preis zu importieren. Jetzt bedeutet dies für Ungarn laut unseren schnellen Berechnungen zusätzliche 48 Milliarden Forint. Und offensichtlich macht dies nicht der Staat, denn die Einfuhr erledigen Privatunternehmen, im gesamten Benzinhandel ist die Regierung kein Akteur, in Ungarn regelt das die Privatwirtschaft, jedoch integrieren die Akteure der Privatwirtschaft, die um diese 48 Milliarden Forint mehr zahlen, dies sofort in die Preise, das stößt den Preis des Benzins in die Höhe und vergrößert auch die Inflation, im Großen und Ganzen um ein halbes Prozent. Ich sage deshalb, dass entgegengesetzte Gefühle in mir miteinander ringen, weil während ich deshalb sehr wütend bin, sehe ich auch, dass die armen Ukrainer um ihre Leben kämpfen, sie haben auch kein Geld, sie haben kaum Waffen, sie stehen einer Übermacht gegenüber, und trotzdem neigen sie nicht dazu, den Frieden zu wählen, sondern den Krieg fortzusetzen, und sie versuchen offensichtlich von überall her Geld einzusammeln, aber, sagen wir, der ungarische Ministerpräsident soll nicht durch seine Gefühle gesteuert werden und er soll nicht für andere Verständnis haben, sondern in erster Linie soll er auf seine eigenen Bürger achten, also werde ich alles im Interesse dessen unternehmen, um die Ukrainer davon abzubringen, diese Politik fortzusetzen und die für die Pipelinebenutzung zu zahlende Gebühr bis in den Himmel anzuheben, und dadurch die ungarischen Familien und die ungarische Wirtschaft in eine schwierige Situation zu bringen.

Wenn Sie schon den Krieg erwähnt haben, Sie sagten, Hunderttausende sterben an der Front, und tatsächlich scheint sich eine Art Pattsituation herausgebildet zu haben, und auch der amerikanische Generalstabschef sagte diese Woche in seinem Interview, das er der BBC gegeben hat, dass die Ukraine noch etwa 30-45 Tage für die Gegenoffensive Zeit hätte. Hat diese Art von Pattsituation das Friedenslager oder die Stimme des Friedenslagers verstärkt, bzw. worauf wartet Amerika überhaupt, um den Konflikt zu beenden?

Wenn etwas die Größe, die Zahl der Mitglieder des Friedenslagers erhöhen wird, dann wird das nicht die Einsicht der Amerikaner sein, darauf sollten wir keine Politik aufbauen, sondern vielmehr der Druck, den die Bürger in den einzelnen Ländern auf ihre Regierungen ausüben werden, denn es kann sein, dass die Regierungen den Krieg befürworten, im Gegensatz zur ungarischen Regierung, jedoch die Menschen tun das nicht. Der Großteil der Menschen teilt meiner Ansicht nach in ganz Europa eher den Standpunkt Ungarns, nicht nur in Ungarn, hier ist das evident, sondern auch in anderen europäischen Ländern. Also stehen die Menschen immer stärker auf der Seite des Friedens. Und je mehr wirtschaftliche Probleme ihnen der Krieg bereitet und je weniger sie sehen, dass dieser Krieg einen erfolgreichen Ausgang für die westlichen Länder oder die Ukraine haben kann, desto lauter stellen sie die Frage: „Warum machen wir dann das Ganze? Warum muss man dieses Geld für einen Krieg weggeben, anstatt das Geld für unsere eigene Wirtschaft zu verwenden, in dem eine Pattsituation herrscht und über den immer mehr Stimmen behaupten, dass die Situation keine militärische Lösung besitzt? Warum forcieren wir und finanzieren wir die militärische Lösung?“ Auch in Ungarn ist ja dies die Lage, dass die Aufrechterhaltung der Senkung der Nebenkosten unter solchen Bedingungen, unter Kriegsbedingungen unermessliche Ausgaben erfordert. Im Jahr 2022, als die Nebenkosten sehr hoch waren, haben wir mit Hilfe der Senkung der Nebenkosten jeder Familie 181 tausend Forint gegeben, soviel haben sie gespart. Jetzt, im Jahr 2023 sind die Preise schon etwas gesunken, deshalb ist das nach den heutigen Preisen weniger, doch ist noch immer in Ungarn der Strom- und der Gaspreis am niedrigsten. Das kostet Geld. Und die ungarischen Menschen sagen: „Es soll doch endlich etwas geschehen.“ Im Westen, wo es die den Krieg befürwortenden Regierungen gibt, ist das noch umso mehr so. Deshalb denke ich, dass die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der entscheidende Faktor sein wird, der die Regierungen der Staaten der Europäischen Union dazu zwingen wird, dem Friedenslager beizutreten und so schnell wie möglich diesen Krieg zu beenden, denn diesen Krieg könnte die Ukraine nicht führen, wenn nicht wir dazu Waffen und unheimlich viel Geld geben würden. Ich habe dieser Tage zusammengezählt, wie viel Geld wir geben. Wir haben hunderteinundachtzig und einige Milliarden Forint als europäisches Geld seit dem Ausbruch des Krieges gegeben. Das ist eine gewaltige Summe, und währenddessen sind wir – entgegen unseren Hoffnungen – im Gegenzug für dieses Geld dem Frieden keinen einzigen Schritt nähergekommen, ja wir sind eher weiter von ihm entfernt als wir es waren. Aber die entscheidenden Instrumente befinden sich doch in der Hand der Amerikaner, es kommt der amerikanische Wahlkampf, diesen Zusammenhang, was für eine Wirkung dies auf die amerikanische Position hinsichtlich des ukrainischen Krieges haben wird, sehen wir jetzt noch nicht klar, das werden wir dann verstehen müssen. Meiner Ansicht nach gibt es noch keine amerikanische Entscheidung darüber, ob der amtierende Präsident mit dem mit der Unterstützung des Westens geführten ukrainischen Krieg im Gepäck oder mit dem politischen Erfolg von dessen Beendigung im Präsidentschaftswahlkampf, also bei den Wahlen, auftreten möchte.

All das, worüber wir uns bisher unterhalten haben, die hohe Inflation, der Krieg ruft Unsicherheit hervor, was aufgrund der bisherigen Erfahrungen sich negativ auf die Bereitschaft auswirkt, Kinder zu haben. Wie kann die Regierung dies umdrehen? Sind dazu die Maßnahmen zur Unterstützung der Familien ausreichend, denn gestern haben auch Sie auf dem demografischen Forum dahingehend formuliert, dass der Kampf um die Kinder entscheidet sich nicht in der Tasche, sondern im Kopf, im Herzen und im öffentlichen Denken, und als Vater sehe ich es auch so, dass man zuallererst in der Seele und im Kopf in Ordnung sein muss, um Kinder aufzuziehen.

Wir, die wir Väter mit Kindern sind, wissen dies ja ganz genau. Die Wahrheit ist, dass ich die europäische Politik aus der Perspektive der Familien betrachte, wer jene sind, für die die Familie wichtig ist und wer die Familien unterstützen möchten, wer den Jugendlichen dabei helfen möchte, die ersehnten Kinder auch haben zu können. Und wer jene sind, die in den Kategorien von Heimat und Nation denken und wissen, dass die Existenz und Nichtexistenz der Kinder mit der Existenz und Nichtexistenz der Heimat zusammenhängen, also wie sie sich verhalten. Wir, die wir Kinder, ja schon Enkel in schöner Zahl haben, wir denken bereits so, dass wir jetzt 2023 schreiben. Wenn, sagen wir, dieses Jahr ein Enkel von uns auf die Welt kommt, und wenn die durchschnittliche Lebenserwartung, die die Wissenschaft heute beinahe schon, wenn auch nicht garantiert, so aber doch erreichbar macht, achtzig Jahre beträgt, wenn ich so rechne, dann wird unser jetzt auf die Welt kommender Enkel 2103 noch leben. Das heißt, dass wir nicht nur kurzfristige Entscheidungen treffen dürfen, denn die für uns wichtigen und noch persönlich bekannten Menschen, wie zum Beispiel unsere Enkel, werden noch in jener Welt leben. Also wir, wir sind nicht viele in Europa dieser Art, ich selbst denke auch so, dass jene Entscheidungen, die wir jetzt treffen, mag es um Migration, Gender oder den Krieg gehen, die werden natürlich jetzt und auch mittelfristig eine Wirkung haben, aber sie gestalten eine Welt, in der dann unsere Enkel leben werden und das wird irgendwo 2103 sein. Es ist also überhaupt keine weltferne Sache, 2023 darüber nachzudenken, wie die europäische Welt 2103 aussehen wird. Jetzt gibt es natürlich Menschen, die keine Kinder haben und die auch nicht in Zusammenhängen der Familie über die Zukunft denken, und sie interessiert all das nicht. Das ist das erste Problem. Und häufig sind sie in Europa in der Mehrheit. Deshalb gibt es heute in Europa keine gemeinsame demografische Politik, denn wenn alle so denken würden, wie wir, Sie und ich und noch viele andere, die uns zuhören, dann wäre heute in Europa das politische Problem Nummer 1 das demografische Problem, weil die Kinder nicht auf die Welt kommen. Es gibt also irgendein Problem und dieses Problem müsste behoben werden. Jetzt kann es sein, dass das Problem in den Menschen steckt, aber es ist nicht die Aufgabe der Regierung, den Fehler in den Menschen zu suchen, sondern ihnen bei der Behebung dieses Problems zu helfen, unter dem auch sie sicherlich leiden. Doch werden wir, auf diese Weise denkenden Menschen, immer weniger, deshalb gelangt die Frage der Demografie nicht auf die europäische Tagesordnung. Deshalb veranstalten wir solche Foren, wie gestern und heute hier in Budapest, um die Entscheidungsträger zu beeinflussen, sie mögen dies, bitte schön, auf die Tagesordnung setzen. Und es gibt auch ein anderes Problem, dass es Menschen, führende Politiker gibt, die der – nennen wir sie so – liberalen Hauptrichtung oder -strömung angehören, die über die Welt glauben, die wichtigste Sache auf der Welt seien wir selbst, als Individuum, also sie selbst persönlich. Es gibt keine wichtigere Sache als das Individuum. Und so gibt es dann keine Kinder. Denn Kinder bringen jene Menschen auf die Welt, die der Ansicht sind, dass es auf der Welt einige Dinge gibt, die wichtiger sind als ich selbst. Wenn ich mich selbst an die erste Stelle setze, dann wird daraus wohl kaum Verantwortung, Gemeinschaft, Familie, Kind. Und es war sehr wohl die Aufgabe des demografischen Forums, und das wurde gestern auch auf sehr elegante Weise ausgesprochen: Damit Kinder geboren werden, ist ein öffentliches Denken nötig, in dessen Rahmen jene Menschen in großer Zahl, oder wenn es geht, in der Mehrheit sind, die der Ansicht sind, dass es in der Welt Dinge gibt, die wichtiger sind als meine Person. Solche sind meine Familie, mein Kind, meine Heimat, der liebe Gott. Es gibt solche Dinge. Wer dies nicht akzeptieren kann, weil immer nur er selbst an der ersten Stelle steht, da werden keine oder nur sehr wenige Kinder geboren. Deshalb besitzt also das öffentliche Denken wahrscheinlich eine mindestens so große oder noch größere Rolle in der Ausgestaltung eines familienfreundlichen Landes wie die finanziellen Unterstützungen. Doch darf man auch nicht auf die finanziellen Unterstützungen verzichten, denn man muss die Jugendlichen in die Lage versetzen, frei darüber zu entscheiden, ob sie Kinder wollen, und jene, die das wollen, sollen nicht deshalb zurückschrecken, weil sie auf finanziell-wirtschaftliche Schwierigkeiten stoßen. Deshalb ist es das Ziel der Regierung, dass jene, die Kinder erziehen, auch materiell besser leben sollen als jene, die keine Kinder haben. Davon sind wir im Übrigen noch weit entfernt. Die Situation hat sich deutlich verbessert, doch Kinder stellen auch heute noch eine Art finanzielles Opfer dar. Ich arbeite dafür, das ist auch für mich persönlich eine der wichtigsten Ziele, dass wir Ungarn zu einem Land umformen können, wo die Familien, die Kinder erziehen, besser leben als jene, die keine Kinder haben, denn die einen nehmen an der Zukunft teil und die anderen steigen aus der Zukunft aus.

Wir sprechen gleich noch über das öffentliche Denken, aber ein bisschen die bisherigen Ergebnisse bewertend: Wie sehen Sie die bisherigen Ergebnisse der ungarischen Familienpolitik?

Das interessiert niemanden. Wir sind also Ungarn, ich glaube also, Eigenlob stinkt, ich glaube, so sagt man das in einem volkstümlicheren Kontext. Der ungarische Mensch ist so veranlagt, dass wenn wir ein Ergebnis erreicht haben, er dies als selbstverständlich ansieht, darüber will er gar nicht mehr reden. Also den Umstand, dass infolge unserer neuen, 2010 eingeführten Familienpolitik um 160 tausend Kinder mehr geboren worden sind als ohne die familienpolitische Unterstützung auf die Welt gekommen wären, das betrachten die Menschen schon auf die Weise: Natürlich, das ist schon erreicht, das haben wir eingesackt. Das ist eine große Freude, ein großer Erfolg, doch reden wir nicht hierüber, sondern darüber, dass noch einmal so viele Kinder auf die Welt kämen, wenn die Regierung ihre Sache besser machen würde. Oder es ist auch wahr, dass sehr viele, besonders mit Hilfe der dörflichen Unterstützung zur Schaffung von Eigenheimen, aber auch mit Hilfe der städtischen Unterstützung sehr viele Wohnungen renoviert und aus dem Nichts errichtet worden sind, also das heißt dass Menschen zu einer Wohnung gekommen sind, die keine besaßen. Gut, gut, aber reden wir nicht hierüber, sondern darüber, wie wir auch jenen zu einer Wohnung und zu einem Start ins Leben, einem selbständigen Start ins Leben verhelfen können, für die dies heute noch nicht möglich ist.“ Also rede ich nicht gerne über die Erfolge bzw. bin ich natürlich stolz auf sie und freue mich über sie, doch in den ungarischen Köpfen ist das nur wenig wert. Also muss man schon eher darüber reden, und gestern habe ich diesen Diskurs, diese Rede auch eröffnet, wie man mit dem System der Unterstützung der Familien einen weiteren Schritt machen kann, damit noch mehr Kinder auf die Welt kommen können.

Sie sagten gestern ja auch, wenn wir auf das öffentliche Denken zurückkommen, dass das westliche politische Leben, der Deutungsrahmen für das Funktionieren der Welt durch die Liberalen einfach gehackt worden ist. Und sie sagten auch, Ungarn sei der Ort, an dem die konservative Politik der Zukunft entwickelt wird. Was für Ergebnisse kann diese Art von in Ungarn entwickelter konservativer Politik bei den Wahlen zum europäischen Parlament im kommenden Jahr oder auch auf europäischer Ebene erreichen?

Die erste Sache, die wir nicht vergessen sollten, ist, dass als Gast auf der demografischen Konferenz die italienische Ministerpräsidentin anwesend war, deren Programm hinsichtlich der Familien dem unseren sehr stark ähnelt. Vor einem Jahr war dies noch nicht so. Italien hatte so eine Regierung schon seit sehr vielen Jahren nicht. Damit will ich nur sagen, dass diese Art von Denkweise, nennen wir sie konservativ oder familienfreundlich, die in Ungarn existiert, ist keine Seltenheit, das ist kein weißer Elefant, so etwas gibt es auch anderswo, ja selbst so große Länder wie Italien betreten diesen Weg. Wir haben also ernsthafte Chancen, in Brüssel eine Wende zu einer familienfreundlichen Politik zu erreichen, dass es immer mehr Ministerpräsidenten und Regierungen in Europa geben wird, die von den Wählern deshalb gewählt werden, um die Interessen der Familien des jeweiligen Landes in Brüssel zu vertreten. Ihre Zahl kann in Zukunft zunehmen und darauf hoffe ich auch, wir helfen einander, das demografische Forum ist auch dazu da, damit eine Art politisches Bündnis zwischen den familienfreundlichen Regierungen, in den familienfreundlichen Angelegenheiten entsteht, unabhängig davon, ob im Übrigen die Regierungen in anderen Angelegenheiten miteinander übereinstimmen oder nicht. Es ist also in Stille im Hintergrund auch so ein Ausbau einer sich über Parteien und nationale Unterschiede hinweg erstreckenden familienfreundlichen politischen Koalition im Gange. Das ist wichtig. Und die ungarische Präsidentschaft wird es dann ab dem nächsten 1. Juli in Brüssel geben und dort haben wir bereits jetzt angekündigt, dass wir unbedingt unter die europäischen Programme jenes Halbjahres auch die Frage der Demografie und die Möglichkeit der familienfreundlichen Regierung auf europäischer Ebene aufnehmen werden. Die europäischen Wahlen sind deshalb wichtig, es geht um sehr viel bei diesen Wahlen – sie sind im Juni des nächsten Jahres fällig –, eine Wende ist in Brüssel notwendig, also darunter, was die Brüsseler Bürokraten jetzt machen, darunter leidet Europa, wir müssen den Frieden erreichen, nach den Wahlen ist eine Führung in der EU nötig, die den Frieden will, die sich nicht verschließt, sondern mit den anderen Regionen der Welt zusammenarbeiten möchte, die in der Lage ist, die Migration aufzuhalten, denn die derzeitige kann das nicht, die die Genderpropaganda aufgibt und an deren Stelle lieber die Familien und die Geburt der Kinder unterstützt. Und natürlich ist eine solche Brüsseler Führung nötig, eine solche Brüsseler Bürokratie, die endlich auch die Doppelmoral gegenüber Polen und Ungarn hinter sich lässt, diese aufgibt. Das sind also die großen Ziele hinsichtlich der europäischen Wahlen und unter diesen steht die Familienpolitik an einer wichtigen Stelle.

Die Frage ist, ob z.B. die Europäische Volkspartei, die in dieser Hinsicht vielleicht ein Schlüsselakteur ist, in der Lage ist, den Mut oder die Kraft besitzt, sich hinter diese Initiativen zu stellen?

Das wissen wir nicht, das kann man vor den Wahlen nur sehr schwer voraussagen. Ich weiß und sehe, dass immer mehr Länder und immer mehr Parteien, europäische Parteien die Brüsseler Bürokratie dafür kritisieren, weil diese sich nicht für die europäischen Interessen engagiert. Da ist jetzt eine Angelegenheit, heute ist das die spannendste Angelegenheit und dies ist die wichtigste Frage, mit der man sich beschäftigen muss, das ist ja die ukrainische Getreideeinfuhr, in der uns die Brüsseler überzeugt hatten, wir – Polen, Ungarn, die Slowakei, Bulgarien, Rumänien, also jene, die eine Grenze mit der Ukraine besitzen – sollten jenes Getreide auf dem Landweg hereinlassen, das man bisher auf dem Meeresweg aus der Ukraine hinaustransportiert hat, da wenn dieses Getreide nicht aus der Ukraine nach Afrika gelangt, dann wird es dort – am Ziel der Lieferungen – eine Hungersnot geben. Ich war anfänglich misstrauisch, doch wir haben zugestimmt, und dann haben sie uns natürlich ganz schön ausgetrickst. Letztlich geschieht das, dass wir das Getreide aus der Ukraine herausholen, doch es gelangt nicht nach Afrika, sondern die Händler beginnen, anstatt unser Getreide über die gewohnten Verbindungen zu kaufen, schön hier in Europa das ukrainische Getreide, da es billiger als das ungarische, das rumänische und das polnische Getreide ist, aufzukaufen. Davon sehen die armen afrikanischen Kinder kein einziges Kilo an Brot. Hier haben wir es also mit einem Betrug zu tun und deshalb haben wir in Brüssel erreicht, dass man das ukrainische Getreide nicht auf die Weise in die mitteleuropäischen Länder einführen kann, dass es hierbleibt. Es kann also über uns transportiert werden, doch darf es nicht in Europa bleiben. Und die Frist für dieses Verbot läuft heute ab. Und vorerst wollen die Brüsseler Bürokraten das nicht verlängern. Und wenn sie das nicht bis heute um Mitternacht verlängern, dann werden in nationaler Zuständigkeit einige Länder gemeinsam, Rumänen, Polen, Ungarn, Slowaken, dann werden wir auf nationaler Grundlage dieses Verbot, dieses Einfuhrverbot verlängern, woraus sich ein ernsthafter Kampf in Brüssel entwickeln wird. Das habe ich nur deshalb erzählt, es mag für die Zuhörer als eine langweilige Sache erscheinen, aber jeden Tag müssen wir solche Schlachten mit Brüssel ausfechten, denn Brüssel ist ganz einfach nicht bereit, sich auf die Seite der Mitgliedsstaaten und der europäischen Menschen zu stellen, sondern vertritt ganz andere Interessen. Auch in dieser Getreideangelegenheit vertritt es keine europäischen, nicht rumänische, nicht polnische, nicht ungarische, nicht slowakische, sondern eher amerikanische Interessen.

Unter anderem die Inflation…

Verzeihung, schon deshalb amerikanische, weil das, was wir als ukrainisches Getreide bezeichnen, natürlich kein ukrainisches Getreide ist, das ist ein aus einem schon seit langem vermutlich in amerikanischem Besitz befindlichen Gebiet stammendes Handelsprodukt, was eine weitere Dimension der Diskussion über die Ukraine eröffnet: Wer profitiert an diesem Krieg, wer verliert, und sicher ist, dass Amerika profitiert und Europa verliert.

Darüber sprechen wir in der nächsten Sendung dann ausführlicher. Jetzt befragte ich Ministerpräsident Viktor Orbán über die Inflation, den Krieg und die demografische Lage in Ungarn.

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