Interviews / Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth
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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth

Zsolt Törőcsik: Zwei sehr wichtige Wirtschaftsdaten wurden in den vergangenen 10 Tagen bekannt. Es hat sich herausgestellt, dass die Inflation sich weiter verlangsamt hat, auf 17,6 Prozent. Und im Laufe der Woche haben wir auch erfahren, dass die Leistung der Wirtschaft im zweiten Quartal um 2,4 Prozent abgenommen hat im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres. Was kann die Regierung tun, um die Wirtschaft erneut auf eine aufsteigende Bahn zu setzen? Und wie wirken auf die wirtschaftlichen Prozesse die Sanktionen gegen Russland und der russisch-ukrainische Krieg? Auch darüber befrage ich den Gast in unserem Studio, Ministerpräsident Viktor Orbán. Guten Morgen!

Guten Morgen! Ich begrüße die Zuhörer!

Der Minister für Wirtschaftsentwicklung, Márton Nagy, hat ja vier gezielte Maßnahmen aufgezählt, mit denen die Regierung die Stärkung der Wirtschaft und die Senkung der Inflation unterstützt. Werden diese ausreichen, damit sich die ungarische Wirtschaft erneut auf die Bahn des Wachstums stellt und die Inflation weiter abnimmt?

In einer derartigen Situation, in der sich heute die europäische Wirtschaft und innerhalb dieser wir, Ungarn, uns befinden, muss man aufeinander aufbauende Schritte unternehmen, um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten abzuwehren. Die Wurzel des Übels können wir ja auch jetzt nicht beheben. Die Wurzel des Übels, das ist der Krieg. Und solange es keinen Frieden gibt, bleibt die Kriegswirtschaft, bleiben die kriegswirtschaftlichen Umstände. Soweit ich das sehe, wollen die Brüsseler Bürokraten die Sanktionen nicht zurückziehen, obwohl wir darauf drängen. Es bleibt also nicht nur der Krieg, sondern es bleiben auch die Sanktionen, und so bleibt auch die sehr schwierige Umgebung, in der heute die europäische und die ungarische Wirtschaft funktionieren. Wenn also der Krieg zu Ende ginge, sagen wir die beiden Parteien hätten ein Einsehen und würden Frieden schließen, oder sagen wir, nur die Amerikaner würden erklären, sie unterstützten den Krieg weiter nicht mehr, dann würde sich das Umfeld in wenigen Augenblicken verändern, in dem heute die europäische Wirtschaft funktioniert. Das wäre auch eine große Wohltat für die einander gegenüberstehenden Parteien, denn der Krieg ist auf eine immer schrecklichere Weise brutal, immer mehr Menschen sterben, die Intensität nimmt zu, es werden immer weitere und weitere Waffen, die moderner als modern sind, eingesetzt. Ein plötzlicher Frieden würde also auch ihnen guttun, denn es würden nicht täglich Hunderte, es würden nicht täglich Hunderte und Tausende ihr Leben verlieren, doch das würde auch der europäischen Wirtschaft guttun, denn in einem Umfeld ohne Krieg, ohne Sanktionen, sondern in einem normalen Umfeld könnte sowohl die europäische Wirtschaft und auch die ungarische ihr schöneres Gesicht zeigen. Doch damit können wir vorerst nichts anfangen. Aber natürlich würde ich auch nicht das geringschätzen, was wir tun können, wenn auch der Schlüssel für die Lösung nicht in unseren Händen liegt, sondern in denen der großen Jungs. Doch ist der Standpunkt, dass man sich nicht auf den Krieg, sondern auf den Frieden konzentrieren und man Frieden schaffen, man dafür Anstrengungen unternehmen muss, das ist der richtige politische und moralische Standpunkt. Dieser muss am Leben erhalten werden, denn außer uns und außer dem Vatikan vertritt niemand diesen Standpunkt mit überzeugender Kraft. Das ist also auch wichtig, selbst wenn wir den Gang des Krieges nicht ändern können bzw. wir nicht aus dem Krieg in den Frieden umschalten können. Wenn jetzt dies die Lage ist, dann ist die Frage, was man tun kann, denn das, was man nicht tun kann, löst unsere Probleme nicht. Man kann, man darf also in solchen Situationen nicht die Verantwortung auf andere schieben und unsere Hände in den Schoß legen, sondern man muss handeln. Drei Dinge gibt es in solchen Situationen zu tun. Das erste ist, die Arbeitsplätze zu schützen. Damit stehen wir nicht schlecht, ja ich sehe vielmehr auch weiterhin, dass es 10 tausende unbesetzte Arbeitsstellen in Ungarn gibt. Wir haben ja etwa 70-80 tausend unbesetzte Arbeitsstellen, die auch der Wirtschaft fehlen, diese Arbeit muss auch jemand verrichten. Doch ist das Wesentliche, dass vorerst die ungarische Wirtschaft in erster Linie den ungarischen Menschen Arbeit gibt und wir in der Lage sind, den Standpunkt aufrechtzuerhalten, dass wer arbeiten will, der auch arbeiten können soll. Die zweite Aufgabe ist die Senkung der Inflation. Das war eine härtere Nuss, doch habe ich das Gefühl, dass wir die Sache am Schopf gepackt haben, denn wir haben zu einem radikaleren Standpunkt gewechselt, wir haben versucht, die Inflation zu kontrollieren und sie herunterzudrücken, sie weiter nach unten zu trampeln, auch mit unseren ausgefeilteren Methoden. Doch hat sich im Laufe von ein-zwei Monaten herausgestellt, dass das nicht reichen wird. Und dann mussten wir kraftvollere Instrumente anwenden und wir mussten deutlich jene Politik verkünden, dass die mit den Preisen Spekulation treibenden Multis gezwungen werden mussten, mit den unbegründeten Preiserhöhungen aufzuhören. Denn aus dem Krieg und den Sanktionen folgen bestimmte Preiserhöhungen, doch sehen wir, ein jeder sieht es eben, was für Zustände in den Geschäften und unseren Kaufhäusern und den Einkaufszentren herrschen. Wir haben also gesehen, dass das Maß der Preiserhöhungen höher ist als das, was im Übrigen die wirtschaftliche Lage begründen würde. Das nenne ich unbegründete Preiserhöhungen und Preisspekulation. Die Multis gehen hierbei voran. Und man musste Stärke zeigen, man muss sagen: „So geht das nicht!“ Niemand hat meiner Ansicht nach, auch die Regierung nicht, niemand hat in diesem Land etwas gegen den anständigen Profit der Händler und Multis. Das ist ein erwachsenes Land, das ist ein gebildetes, ein wirtschaftlich ausgefeiltes Land. Ein jeder versteht, wie die Dinge funktionieren. Man weiß, dass man im Geschäft bezahlen muss, die Dinge einen Preis haben, Herstellungskosten besitzen. Und auch die Händler müssen von etwas leben. Und der anständige Profit, der anständige Gewinn ist ein unvermeidlicher Teil der Wirtschaft. Doch was zu viel ist, das ist zu viel. Und das musste man klarstellen. Und da musste der Preisdeckel kommen, wir mussten mit dem Preiswettbewerb kommen, wir mussten das Kartellamt einschalten. Also so, wie es sein musste. Und das Ziel, dass die Inflation bis zum Ende des Jahres einstellig sein soll, werden wir auch erreichen. Sie ist tief gefallen, wir haben sie beträchtlich gesenkt oder sie stark niedergedrückt in den Monaten, die wir hinter uns haben, doch wird sich meiner Ansicht nach das wirklich schöne Ergebnis im August zeigen. Und dann wird jene langsam allgemein werdende öffentliche Annahme, dass es gelingen wird, dass die Regierung es schaffen wird, dass die Inflation bis zum Jahresende einstellig sein soll, das wird dann meiner Ansicht nach Ende August eine allgemeine Meinung, durch Tatsachen gestützte, berechtigte Hoffnung sein. Nun das zweite wird hiernach, wenn der erfolgreiche Kampf gegen die Inflation geführt worden sein wird, der Kampf um das Wachstum sein. Und das Wachstum, das hört sich wahrscheinlich auch für die Zuhörer abstrakt an, aber das Wachstum müssen wir in unserem Denken mit den Lohnerhöhungen verbinden. Wenn es kein Wachstum gibt, dann kann man keine Löhne erhöhen. Und man kann sich gegen die hohen Preise auf zweierlei Weise verteidigen, wir senken die Inflation und heben die Löhne an. Denn wir kämpfen ja nicht einen abstrakten makrowirtschaftlichen Kampf, sondern wollen die Familien schützen. Die Frage ist also, wie die Familien die höheren Preise ertragen können. Zum Teil, indem wir die unanständige Preisspekulation zurückdrängen, zum anderen Teil indem die Löhne steigen. Und dazu ist Wachstum nötig. Wenn es kein Wachstum gibt, dann gibt es auch keine Lohnerhöhung. Deshalb ist es wichtig, dass die ungarische Wirtschaft möglichst schnell aus dem durch den Krieg verursachten Schock auf die Bahn des Wachstums zurückkehren kann, so wie wir in den vergangenen 10 Jahren hieran gewöhnt waren. Die Menschen haben sich daran gewöhnt, dass es steigende Löhne, wohlhabender werdende Familien und ein sich schön entwickelndes Land gibt. Der Krieg hat uns von dieser Bahn abgebracht und wir müssen hierhin zurückklettern. Und jetzt ist das Wachstum die wirkliche Frage. Auch der von ihnen zitierte Herr Wirtschaftsminister sagte dies gestern und vorgestern. Die Zahl, die wir sehen, ist nicht gut. Also das Wirtschaftswachstum hat im zweiten Quartal auf eine ziemlich hässliche Weise abgenommen. Doch darin steckt auch eine gute Nachricht, dass nämlich wir die Zahl für das zweite Quartal bereits hinter uns haben, das ist bereits geschehen, da sind wir bereits darüber hinweg, das haben wir bereits überlebt. Und das dritte Quartal, in dem wir jetzt sind, ist schon spürbar besser als es das zweite Quartal war. Wenn also die Zusammenfassung und die Analyse über das dritte Quartal herauskommen wird, da werden wir sehen können, dass wir uns wieder auf der Wachstumsbahn befinden werden, aus der uns der Krieg geworfen hatte. Im Interesse dessen hat die Regierung zahlreiche Maßnahmen getroffen. Sie sehen, auch im Sommer bleibt das Leben und die Arbeit nicht stehen. In einer derart schwierigen wirtschaftlichen Situation ist der Urlaub für einige Schlüsselminister nicht zulässig. Also arbeiten wir und ich bin mir sicher, dass wir in der Frage der Inflation bis zum Jahresende Erfolg haben werden und auch hinsichtlich des Wirtschaftswachstums. In dem dritten und dem vierten Quartal wird es endlich um die Daten der Rückkehr auf die entsprechende Bahn gehen.

Wenn Sie schon die Löhne erwähnt haben, so ist ja neben der Erhaltung der Arbeitsplätze auch tatsächlich wichtig, wie viel die Menschen verdienen, und es gab doch in den vergangenen Monaten, zum Teil ja auch wegen der hohen Inflation, eine Abnahme des Reallohnes. Kann sich das drehen, wann kann sich das drehen? Und im Zusammenhang mit der Inflation ist es auch eine interessante Frage, womit die Regierung längerfristig rechnet? Jetzt ist ja die Einstelligkeit das Ziel, aber wie sieht das langfristig aus?

Das erste Quartal war für einen jeden schwierig. Im Übrigen stand die ungarische Wirtschaft ihren Mann und ich muss sagen, auch die Menschen haben gut gekämpft. Also dass die Arbeitslosenzahlen nicht gestiegen sind, dass die Menschen arbeiten wollen, dass sie das Gefühl haben, sie müssen ihren Arbeitsplatz behalten, dass der Kampf, den sie führen, kein Kampf mit den Windmühlen ist, sondern wir über diese schwierige Phase hinwegkommen können – also diese Fähigkeit, diese Stimmung, diese Entschlossenheit, sie steckt in der Wirtschaft. Und ich spreche nicht nur mit vielen Menschen, sondern unterhalte mich auch regelmäßig mit den bedeutenderen Akteuren der Wirtschaft, und ich sehe, dass sie nicht aufgegeben haben, dass sie also nicht die Flucht antreten, nicht abbauen, nicht schließen, sondern sich auf die Zukunft vorbereiten, selbst wenn die Lage schwierig ist. Deshalb muss ich Ihnen sagen, dass hinsichtlich des Wachstums und der Reallöhne bis zum Jahresende – nun, das Weissagen ist dem Ministerpräsidenten untersagt, deshalb bin ich vorsichtig – möchte ich doch eine positive Null erreichen. Also im ersten Halbjahr war der Preisanstieg so brutal, wir haben das ja in den Geschäften gesehen, das konnte ein jeder nachrechnen, damit konnten die Löhne nicht Schritt halten. Jetzt, da wir die Inflation weiter runtergedrückt oder gesenkt haben, und die Erhöhung der Löhne erfolgt kontinuierlich in der Wirtschaft, deshalb können die in der zweiten Jahreshälfte erfolgenden Lohnerhöhungen ein Gegengewicht zu all dem Schlimmen darstellen, was im ersten Halbjahr geschehen ist. Darüber diskutieren wir auch selbst innerhalb der Regierung, ob dies sich ausgleicht oder ob eher die negative Null bleibt, also bleibt alles etwas unter Null oder wird es ein bisschen über Null sein. Darüber gibt es keinen Konsens, doch meiner Ansicht nach ist das Weissagen weniger wichtig. Interessant ist, dass wir dafür kämpfen müssen, damit die Löhne steigen und wir die Inflation senken können. Denn wenn sich diese Tatsache verwirklicht und ein jeder sehen kann, dass sich die Inflation auf ein einstelliges Maß reduziert hat, irgendwann zwischen Oktober und Dezember, dann bedeutet dies nicht, dass man sich zurücklehnen darf, weil das immer noch sehr hoch ist. Das Haushaltsjahr 2024, das das Parlament bereits angenommen hat, also das Budget, das sich auf das Jahr 2024 bezieht, rechnet mit einer Inflation von 6 Prozent. Das ist hoch, aber ist das Minimum, das wir erreichen müssen, also ein schlechteres Ergebnis als das darf man nicht präsentieren. Doch hoffe ich, dass wenn wir den Kampf gegen die Inflation fortsetzen und die Preisspekulanten auch weiterhin unter Kontrolle halten können, wenn das Kartellamt gut arbeitet, wenn die Regierung klarstellt, dass sie gegenüber unbegründeten Preiserhöhungen nicht nachgibt, dann können aus diesen 6 auch 5 werden, wir können also im kommenden Jahr weiter runter gehen. Eine Inflation von 5 Prozent, die eine aushaltbare Inflation ist, besonders dann, wenn im Übrigen parallel dazu auch die für die Arbeit der Wirtschaft notwendigen Kredite abnehmen. Dann bestehen die für das Wachstum der Wirtschaft notwendigen Bedingungen, dann können wir beginnen, nach oben zu steigen und dann kommen auch die Lohnerhöhungen und wir werden auf die Bahn zurückfinden, auf der wir so schön ganz bis zum Auftreten von Covid vorangeschritten sind.

Nach Meinung von Experten können dem Wirtschaftswachstum auch solche Events Impulse geben wie z.B. die morgen beginnende Leichtathletikweltmeisterschaft, die im Übrigen das bisher größte Sportereignis ist, das Ungarn veranstaltet. Welche Bedeutung besitzt der Umstand, dass Ungarn selbst in einem derart unsicheren, krisenbelasteten Zeitraum dieses Ereignis veranstalten kann?

Nun sicherlich gibt es hier einen wirtschaftlichen Zusammenhang. Das werden dann die Ökonomen ausrechnen, wie viele Gäste gekommen sind, ob es Hotelreservierungen gibt und was sie konsumieren und was das in Forint Ungarn gebracht hat. Das ist wichtig. Man muss als ein Land wie Ungarn natürlich jeden Forint aufheben. 10 Millionen Einwohner, man darf keine einzige geschäftliche Möglichkeit verschmähen. Doch geht es hier um eine größere Sache als über eine einfache wirtschaftliche Kalkulation. Wir besaßen ja einen großen Plan, als 2010 die Wähler uns ein in einem ziemlich heruntergekommenen Zustand befindliches Land bzw. solch eine Hauptstadt anvertraut haben. Und damals sagten wir über Budapest, dass Budapest natürlich in erster Linie das Zuhause der Budapester ist. Na, aber Budapest ist ein jeder, denn Budapest ist auch die Hauptstadt der Nation. Und die Hauptstadt der Nation müsste ein Ort sein, dass ein jeder in der Welt, der irgendwann von Ungarn gehört hat, das Gefühl hat, in dieses Land, das eine so fantastische Hauptstadt hat, muss er unbedingt hinfahren. Doch dann hat sich herausgestellt, dass man aus zahlreichen Gründen nicht hierherkommen kann. Weil es keine Hotels gibt, weil es keinen Grund, keinen Anlass, kein Ereignis gibt, es gibt nichts, um dessentwillen man hierherkäme, abgesehen von den sich für die Geschichte Interessierenden, die gerne eine aus der Zeit der Monarchie hiergebliebene fantastische Hauptstadt sehen wollten. Und da haben wir uns das Ziel gesetzt, der Hauptstadt all das zu geben, was nötig ist, damit sie jedwedes weltweite Event veranstalten kann. Wir haben mit der Wirtschaft begonnen. Die erste große Erneuerung, Investitionsleistung dieser Art war die Erneuerung der Hungexpo. Damit die Messestadt, also das Business, die Ausstellungen, damit Ungarn auf deren Landkarte hinaufgelangt. Die letzte Jagdweltausstellung zeigt ja sehr gut, auf welch fantastische Weise es gelang, die Hungexpo in Ordnung zu bringen. Das ist heute eine der modernsten und niveauvollsten Messestädte Europas, ich spreche von der gemeinsam mit den Franzosen betriebenen Hungexpo. Danach kamen die kulturellen Einrichtungen, denn in einer heruntergekommenen, verdreckten Stadt ist es doch schwer, Gäste zu empfangen. Und dann kam der Burgbasar, dann die Redoute. Also diese klassischen Geschichten kennt sicherlich ein jeder. Und dann konnten wir schon auf die Weise zur Heimstatt der kulturellen Events werden, dass wir mit Stolz die ganze Welt empfangen konnten. Und der dritte Schritt, das war die Welt der Sportevents. Die Sportevents sind natürlich auch wirtschaftlich sehr wichtig und bringen Geld, doch sie fokussieren oder steuern die Aufmerksamkeit der Welt. Und dann haben wir mit den Schwimmweltmeisterschaften, danach kam die Fußballeuropameisterschaft, jetzt ist die Leichtathletikweltmeisterschaft hier, hier war das Endspiel der Europa League. Wenn ich die Erklärungen der UEFA und des Ungarischen Fußball-Bundes richtig verstehe, dann sind wir nur eine Armlänge von der Ausrichtung eines Champions League Finales entfernt. Diese bringen alle die Menschen hierher und richten auch die Aufmerksamkeit hierher. Wir können heute also über Budapest sagen, dass unsere Hauptstadt die Hauptstadt einer Nation ist, in die man kommen muss. Die Welt kann das Gefühl haben, dass wer hier noch nicht war, der hat etwas ausgelassen. Und die Leichtathletikweltmeisterschaften fügen sich in diese Reihe ein. Die Ausrichtung eines derart großen Weltereignisses ist eine große Arbeit. Ich möchte den Organisatoren auch Dank sagen, besonders den Freiwilligen. Über sie wird offensichtlich weniger gesprochen, denn alle sehen auf die Show und die Bühne, doch dort im Hintergrund arbeiten viele tausend ungarische Jugendliche als freiwillige, denen wir Dank schulden.

Und an den Tagen der Eröffnungsfeier und der Wettbewerbe achtet die Welt doch auf das Austragungsland. Kann die Regierung diese Aufmerksamkeit, vielleicht auch über den Sport hinaus, ausnutzen?

Das pflegt so zu geschehen, ich selber pflege daran Anteil zu haben, dass wenn es ein großes Weltereignis gibt, dann lädt ein gegebenes Land seine Freunde ein oder empfängt gerne alle Interessenten. Die Leichtathletik ist ja die Königin des Sports, doch ich stehe in einer engeren Beziehung zum König des Sports, zum Fußball. Also ein Champions League Finale oder eine Weltmeisterschaft, das bedeutet zugleich verdeckt, auf mehr oder weniger verdeckte Weise auch eine Reihe von diplomatischen Treffen. Jetzt kommt zu der Leichtathletik-WM unter anderem der Emir von Katar, der den Besuch erwidert, den ich im Namen Ungarns machen durfte, als es die Fußball-WM gab, und dort haben wir begonnen, über Fragen zu verhandeln, die dann im Laufe der folgenden ein-zwei Tage Ankündigungen zur Folge haben werden, aufgrund der hier in Budapest geführten Gespräche. Der türkische Präsident wird hier sein, der serbische Präsident wird kommen, der unser großer Freund ist und wir sind dankbar, dass er uns beehrt, der Emir von Katar wird hier sein, also werden wir auch einen König haben, und es kommen unsere Freunde, unsere politischen Freunde aus der mittelasiatischen Region, Aserbaidschan, Usbekistan hat jetzt große Investitionen in Ungarn. Die Kirgisen, die Turkmenen werden hier sein, und es werden auch sehr viele Geschäftsleute kommen, denn in der Zwischenzeit werden auch geschäftliche Gespräche geführt. Sie kommen aus allen Teilen der Welt, doch in erster Linie werden sie aus Westeuropa und aus China kommen. Wir führen also sowohl politische als auch geschäftliche Verhandlungen. Ich werde mehr als ein Dutzend offizielle bilaterale Treffen aus Anlass des 20. August und der WM haben.

Ja. Und auch der 20. August, das Fest der Staatsgründung wird am Wochenende sein. Und das ist sicherlich ein Apropos im Allgemeinen, um darüber nachzudenken, dass wir in einem mehr als tausend Jahre alten christlichen Staat leben. Worin besteht das Erbe des Heiligen Stephan, das auch heute noch aktuell sein könnte, was man selbst den hierherkommenden Gästen aus Anlass der Feier zeigen könnte?

Schauen Sie, die ungarische Geschichte ist eine spannende Geschichte, mit vielen Schlängelwegen und auch Stürmen. Und da es in ihr um uns geht, ist sie uns auch lieb. Und ich empfehle auch gar nicht, die historischen Zusammenhänge immer zu vereinfachen. Doch wenn wir auf die Geschichte einer Nation aus der entsprechenden Perspektive blicken und die Geburtstage sind schließlich dazu da, und das ist ja der Geburtstag des christlichen ungarischen Staates, der 20. August. Nicht der des ungarischen Staates, denn es gab auch vor dem Christentum einen ungarischen Staat, das war ein durch Stämme geprägter Staat. Das ist der Jahrestag der Geburt des christlichen ungarischen Staates. Wenn wir also aus solch einer mehr als tausendjährigen Perspektive auf die ungarische Geschichte blicken, dann erscheint diese ungarische Geschichte nicht als so kompliziert. Jedoch auferlegt sie allen, die als Ungarn geboren worden sind, eine Pflicht auf. Wir sehen ja, dass wir vor 1.100 Jahren im Rahmen einer großen militärischen Unternehmung losgegangen sind, wir haben uns zusammengefunden, es ist umstritten, wie viele es waren, doch waren es viele, wir sprechen von 10 bzw. 100 tausend Menschen, die sich auf den Weg gemacht haben. Wir sind hierhergekommen, haben uns diesen Ort gewählt, als dieser gerade verlassen war, zumindest nach der Meinung des Großteils der Historiker. Und so haben wir uns eingerichtet. Als Fremde. Wir sind aus der Ferne gekommen, hier besitzen wir keine Verwandten, hier spricht niemand unsere Sprache, unsere Kultur ist nur für uns so fantastisch, für andere ist sie höchstens eine interessante Sache. Wir sind also hierhergekommen und leben hier seitdem inselartig, wir leben seit 1.100 Jahren inselartig zwischen Deutschen und Slawen, und das, was wir vor 1.100 Jahren erobert haben, wo wir uns eingerichtet haben, das halten wir seitdem. Unsere Sprache, unsere Kultur, unser Gebiet. Das ist manchmal größer, manchmal ist es kleiner. Das ändert nichts am Wesentlichen, dass wir diese ungarische Welt im Karpatenbecken seit mehr als 1.100 Jahren in unserer Hand halten. Und dabei, dass wir dazu die Möglichkeit haben, und wir etwas haben, um es in unserer Hand zu halten, und es eine Tradition der ungarischen Geschichte gibt, die auch heute noch hilft, um zu überleben, um am Leben zu bleiben und unseren Kindern ein sich schön entwickelndes Land zulässt, dabei spielt der Heilige Stephan eine Schlüsselrolle. Jene Entscheidungen, grundlegende Entscheidungen der Staatsorganisation, deren Teil auch die Aufnahme des Christentums war, doch ging es da um mehr als dies. Also Fragen der Staatsorganisation, mit denen er diese ungarische Welt hier organisierte. Auf diesen Grundlagen stehen wir auch heute noch. Natürlich hat sich die Technik gewandelt, auch die Menschen sind klüger geworden, auch die Wissenschaft ist vorangeschritten, doch hinsichtlich des Wesentlichen, wie man dieses Land einrichten, wie man es organisieren muss, wie seine öffentliche Verwaltung sein soll, wie man über die Lenkung des Landes denken soll, wie die Menschen sich in die Arbeit des Landes einschalten können, wie uns die Tradition der Heiligen Krone vereint. Diese Dinge stammen alle von unserem ersten großen christlichen König. Und dieser Geburtstag ist dazu geeignet, ihm zum Teil zu danken, um unser Haupt vor ihm zu verneigen, zum Teil um die Lehren zu beherzigen und zu verstehen, was in etwa in den kommenden einigen 100 oder 1.000 Jahren getan werden muss, damit diese ungarische Welt hier im Karpatenbecken erhalten bleibt. Deshalb sage ich, dass wenn du Ungar bist, dann bist du mit einer Sendung geboren worden, du besitzt eine Mission. Deine Aufgabe ist, dass diese Insel, diese wunderbare Sprach- und kulturelle Insel, dieses Ungarn und die ungarische Kultur nicht vom Antlitz der Erde verschwindet, denn außer uns kann dies niemand anders erhalten. Das ist die Aufgabe der Ungarn. Und wenn wir als Ungarn geboren worden sind, dann ist das kein Glück oder Unglück, dann ist das kein Los, das man gezogen hat, sondern dass du so auf die Welt gekommen bist, dass du eine Mission besitzt. Wenn das die Ungarn verstehen, manche nehmen das ernster, andere lockerer, wiederum andere mit Witz und manche pathetischer. Doch wenn alle Ungarn spüren, dass sie Teil eines großen Prozesses sind, der ein mehr als tausendjähriger großer historischer Prozess ist und auch seine Kinder sowie Enkel werden Teil dieses Prozesses sein, dann ist das schön, wenn das die Ungarn verspüren, dann haben sie einen guten Geburtstag gehabt.

Nun, die praktische Umwandlung dieser Aufgabe kann auch zum Teil das sein, was heute noch geschieht, denn Sie fahren von hier zur Einweihung der Fabrik der verteidigungsindustriellen Firma Rheinmetall in Zalaegerszeg. Welche Bedeutung besitzt diese Fabrik und unsere Kooperation mit Rheinmetall in einer derart unsicheren Lage, wie sie uns umgibt?

Wenn wir in den vergangenen Minuten schon über die tausendjährige ungarische Geschichte gesprochen haben, dann ist die Lehre daraus, dass du ohne Kraft nicht erhalten bleiben kannst. Also sowohl zum Frieden als auch zum Erhaltenbleiben ist Stärke notwendig, seelische Kraft ist nötig, Wirtschaftskraft ist nötig und auch militärische Kraft. Die Wahrheit ist, dass die ungarische Verteidigungsindustrie in diesen verworrenen zwanzig Jahren, wenn wir sie ab 1990 zählen, praktisch abgebaut worden ist. Ich portioniere jetzt nicht die Verantwortung unter den verschiedenen Regierungen. Ich könnte das tun. Es ist eindeutig, wann die schlimmsten Übel geschehen sind, doch das haben wir jetzt schon hinter uns. Jetzt müssen wir schon darüber reden, wie wir die ungarischen Streitkräfte wieder errichten. Und das Wesen der ungarischen Armee ist der Soldat, der Kämpfer. Es ist sehr wichtig, dass wir keine uniformierten Arbeitnehmer, sondern Kämpfer haben. Das sind zwei verschiedene Welten. Und der gegenwärtige Verteidigungsminister und der Stabschef führen, soweit ich das sehe, die Armee in die Richtung, damit wir Kämpfer haben und keine uniformierten Arbeitnehmer. Wir haben natürlich Frieden und wir wollen Frieden, und auch unsere Armee ist eine Friedensarmee, doch soll sie bereit zum Kampf sein, sie soll einsetzbar sein, sie soll über Schlagkraft verfügen usw. Am wichtigsten ist also der Soldat. Deshalb legen wir jetzt den Akzent auf die Ausbildung der Soldaten, auf die Militärschulen, auf die Löhne. Doch die Armee besteht so nicht von alleine, nur auf diesem einen Bein, wenn wir sie nicht durch die Verteidigungsindustrie unterstützen. Soviel Geld, um immer die modernste Militärtechnik kaufen zu können, werden wir nie haben. Wir werden natürlich immer irgendetwas kaufen, was wir dann weiterentwickeln, kopieren, anwenden. Doch ohne eine eigene Produktion können wir keine funktionierende Armee schaffen, die in der Lage ist, das Land zu verteidigen. Wir benötigen also eine eigene Rüstungsindustrie. Diese Erkenntnis hat uns im Laufe der vergangenen Jahre geleitet, als wir sehr wichtige Entscheidungen getroffen haben. Wir sind Mitglied der NATO, in der NATO gibt es auch Verpflichtungen, man muss mindestens 2 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf die Armee verwenden. Dies umfasst auch die Entwicklung der Bewaffnungen. Es besteht ein passendes Verhältnis zwischen den Löhnen, der für die Soldaten aufgewendeten Ausgaben und den für die Ausrüstung aufgewendeten Summen. Diese haben wir eingestellt, dieses Verhältnis haben wir im Großen und Ganzen eingestellt, und jetzt ist unsere Rüstungsindustrie im Begriff, sich zu entwickeln. Und Zalaegerszeg kann darauf stolz sein, dass es eines der größten verteidigungsindustriellen Zentren ist. Eines der modernsten Kampffahrzeuge, der gepanzerten Kampffahrzeuge, stammt vom Fließband ihrer Fabrik. Jetzt beginnt man mit der Probeproduktion. Heute übergeben wir die Fabrik. Von Null aus kann man ja keine Technologie von Weltniveau errichten. Wir müssen also mit jemandem zusammenarbeiten, für uns funktioniert das am besten mit den Deutschen. In der Zusammenarbeit mit der deutschen Industrie sind wir stark. Und auch jetzt errichten wir eine Fabrik, an der es zu 49 Prozent ungarischen staatlichen Besitz gibt, und wir verwenden die modernste Technologie der Welt, im Übrigen deutsche Technologie. Und in den kommenden Wochen werden wir noch weitere Betriebe einweihen. Der ukrainisch-russische Krieg hat meiner Ansicht nach allen, die mit offenen Augen in der Welt herumgehen, beigebracht, dass es nicht nur die Frage ist, wie viele Waffen du hast, sondern die Frage ist, wie viele du herstellen kannst und ob du diese auf dem Gebiet deines eigenen Landes herstellen kannst. Wenn du Waffen herstellen kannst, dann bist du stark. Und für den Frieden ist Stärke notwendig. Wir wollen im Frieden leben. Wir haben das auch schon immer gewollt. Der Ungar ist friedlich, doch er weiß, dass ohne Soldaten und die Fähigkeit, den Frieden zu schützen, es niemals Frieden geben wird.

Über die Schritte der Regierung zur Senkung der Inflation, über die morgen beginnende Leichtathletik-WM und auch die Entwicklung der ungarischen Streitkräfte befragte ich in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsident Viktor Orbán.

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