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Viktor Orbáns Gespräch zur Lage der Nation auf M1

Zoltán Martí: Wir begrüßen recht herzlich die Zuschauer! In der nächsten halben Stunde sehen Sie ein Gespräch zur Lage der Nation mit Ministerpräsident Viktor Orbán. Wir zeichnen das Interview am Samstagnachmittag hier im Karmeliterkloster auf. Vielen Dank für diese Gelegenheit, Herr Ministerpräsident, und ich wünsche einen guten Tag.

Guten Tag!

Ich denke, es ist keine leichte und dankbare Aufgabe, in einer halben Stunde über dieses Jahr zu sprechen, und es sind noch ein paar Tage davon übrig. Wenn Sie eine Sache hervorheben müssten, die am wichtigsten ist, was wäre das?

Wir sind dabei, den Krieg hinter uns zu lassen.

Mit welcher Art von Hilfe kommen wir aus dem Krieg heraus? Wir können hier direkt zu Trump übergehen, denn Trump ist die große Hoffnung, dass wir aus dem Krieg herauskommen werden. Sind wir dem Frieden näher als vor einem Jahr?

Wir sind eine Armlänge vom Frieden entfernt. Die letzten drei Jahre waren bedrückende drei Jahre. Wenn man mit einem Krieg in der Nachbarschaft lebt, in dem jeden Tag Hunderte, manchmal Tausende von Menschen sterben, wenn ein Land vor deinen Augen geleert und niedergebombt wird und einen beträchtlichen Teil seiner Ressourcen verliert, wenn man so an die Ukraine denkt, dass es jeden Tag mindestens ein paar Hundert oder Tausend Witwen und viele Tausend Waisen mehr gibt, wenn man in der Nachbarschaft dessen lebt und das sieht, dann kann man sich auch den Auswirkungen nicht entziehen, denn in der Zwischenzeit gehen die Preise auf dessen Auswirkung hin, wegen des Krieges durch die Decke, der Energiemarkt bricht zusammen, und wofür man früher, wie wir, sagen wir, 7 Milliarden Dollar pro Jahr gezahlt hat, zahlt man jetzt 17 Milliarden Dollar pro Jahr, und man spürt, dass alles langsamer wird, dass es schwierig wird, und man muss das Jahr überleben, also ist die Aufgabe, nicht unterzugehen, dass nicht schlechter werden soll als es war, und das wirkt sich auch auf die Stimmung in den Nachbarländern aus, ganz zu schweigen von den armen Ukrainern. Und darin haben wir drei Jahre lang gelebt. Und dass das jetzt zu Ende gehen kann, ist wie ein Auftauchen aus dem Wasser und ein Aufatmen nach langer Zeit. Das ist so ein großartiges Gefühl, denke ich. Und wir sind wirklich nur noch eine Armlänge davon entfernt.

Sie hatten ja in diesem Jahr zwei Friedensmissionen, zwei solche Reisen, hinter sich, und Sie haben gestern Morgen – Samstagmorgen – in Ihrer Pressekonferenz gesagt, dass diese Friedensmission ein Muss für Ungarn war. Warum war es ein Muss? Warum gerade für Ungarn?

Dies ist ein christliches Land. Wir haben erst kürzlich Vater Imre beerdigt…

Vater Imre Kozma.

Die Rede ist von Imre Kozma. Von ihm haben wir gelernt, dass das Christentum keine Theorie ist, sondern eine Praxis. Wenn man also ein christliches Land ist, muss man denen helfen, die in Not geraten sind. Andererseits wurden uns auch die Mittel dazu gegeben, denn Ungarn hatte in diesem halben Jahr die Präsidentschaft der Europäischen Union inne, so dass wir mehr Mittel als sonst hatten, mehr Einfluss und Macht, als es traditionell Ungarn aufgrund seiner Größe möglich ist. Und diese Mittel muss man in Zeiten wie diesen nutzen, das ist eine Pflicht. Es ist auch kein Zufall, dass ich den Heiligen Vater im Vatikan auch getroffen habe.

Wie beurteilen Sie das? Wie erfolgreich waren diese beiden Friedensmissionen?

Die ganze Situation treibt einem die Tränen in die Augen. Es ist schwierig, hier von Ergebnissen zu sprechen. Eines ist sicher: Als wir Anfang Juli den ungarischen Ratsvorsitz übernahmen, war es inakzeptabel, von Frieden zu sprechen. Das war wie eine Beschwörung des Teufels. Im Juli 2024 von Frieden in Europa zu sprechen, bedeutete, sich selbst zu diskreditieren. Aber wir haben das nicht zugelassen, wir sind das damit verbundene Risiko eingegangen und haben weiter über Frieden gesprochen, und als das Ergebnis von sechs Monaten sind wir an dem Punkt angelangt, an dem heute jeder über Frieden spricht. Also kann über das, was vorher ein verbotenes Thema und eine verbotene politische Zielsetzung war, nun endlich sinnvoll gesprochen werden. So viel haben wir erreicht, aber dadurch ist der Krieg noch nicht vorbei ist. Jetzt kommt dann am 20. Januar der US-Präsident, und dann wird eine neue Welt beginnen. Bis dahin lohnt es sich, realistische Ziele sich im Auge zu behalten. Ich habe einen Weihnachts-Waffenstillstand vorgeschlagen. In der Geschichte der europäischen Kriege ist dies nicht ungewöhnlich, so etwas gab es auch im Ersten Weltkrieg, dass es zu Weihnachten für einige Tage einen Waffenstillstand gab und ein massenhafter Austausch von Gefangenen stattfand. Ich glaube, es ist mir gelungen, den russischen Präsidenten davon zu überzeugen, dies ernsthaft in Erwägung zu ziehen, aber die Ukrainer sind aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen vorerst nicht dazu bereit, aber Weihnachten ist noch nicht da, wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben.

Vor allem die orthodoxe Weihnacht, die später ist.

Wir sprechen von der orthodoxen Weihnacht.

Wenn wir einen Blick in die politische Zauberkugel werfen, sehen wir hier einige sehr interessante Dinge. Für mich bedeutet ja der Friedenshaushalt, dass Ungarn seine wirtschaftliche Stärkung mit dem Frieden verknüpft, was eigentlich mit Trump zusammenhängt, aber ich weiß nicht, ob die Europäische Union auf Trump vorbereitet ist. Jene Europäische Union, die darin die Möglichkeit für den Frieden sieht, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Es handelt sich also um einen sehr interessanten Kreislauf, und ich weiß nicht, ob diese Differenzen, diese Meinungsverschiedenheiten, überhaupt gelöst werden können.

Das wird sich herausstellen, ob sie beigelegt werden können. Sicher ist, dass es diese Meinungsverschiedenheiten, wie Sie sie hier beschrieben haben, im Großen und Ganzen gibt. Es gibt eine neue Realität, zum Teil an der Front, jeder weiß es, jeder hört es, ich verrate Ihnen damit kein Geheimnis, die Russen drängen vor. Sie rücken langsam vor, zermahlend, aufreibend. Schreckliche Verluste an Menschenleben auf beiden Seiten. Und das Kräfteverhältnis ist klar. Dies ist also ein Krieg, den die Europäische Union verloren hat. Jetzt versuchen sie mit allen möglichen Kommunikationstricks zu sagen, ja, aber die Russen haben nicht gewonnen, und was der Sieg ist, weiß man auch nicht genau, also werden wir sehen, wie flügellahme Kommunikationsversuche unternommen werden, um uns zu erklären, warum die Niederlage ein Sieg ist, warum der Sieg eine Niederlage ist. Es mag sich lohnen, Orwells Bücher aus dem Regal zu nehmen und darin zu blättern, damit wir enträtseln können, was sie sagen, Klammer zu, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Es gibt eine Realität auf dem Schlachtfeld, die wir immer gewusst haben, und wir, Ungarn, haben immer gesagt, dass der Konflikt isoliert werden muss. Wenn er sich ausweitet, wenn er sich selbst aufsaugt, wenn die Europäer einspringen und ihn zu ihrem eigenen Krieg machen, dann werden wir eine noch größere Niederlage erleiden, vergleicht man die jeweilige militärische Leistungsfähigkeit. Es ist in unserem Interesse, diesen Konflikt klein zu halten. Das ist das erste Element der neuen Realität. Das zweite ist, dass in Amerika etwas passieren wird, was schon lange nicht mehr geschehen ist. Ein Akteur, der auf einen zivilisatorischen Kampf, einen Kampf um die Seele und die Zukunft des Westens vorbereitet, entschlossen und vorbereitet ist, ist auf der Seite der Patrioten, auf der Seite des Lebens in die Schranken getreten. Und das wird die ganze westliche Welt verändern. In meinen Gedanken lebe ich bereits in dieser Realität. Die ungarische Regierung befindet sich in dieser Realität. Der Haushalt wurde entsprechend dieser Realität erstellt. Wie Sie sagen, die Brüsseler befinden sich immer noch in der alten, sie sind nicht mitgekommen. Sie befinden sich immer noch in jener, die sie vor der großen Veränderung hatten. Und sie sagen, dass alles genau so weitergehen soll wie bisher. Das ist ein völliger Irrtum! Sie werden einen hohen Preis dafür zahlen.

310 Milliarden ist die Schätzung, die Kosten des Krieges bis jetzt für Europa und Amerika. Das ist der Preis, den sie bezahlt haben. Am Freitag haben Sie in Radio Kossuth einige Beispiele dafür genannt, wofür man das hätte ausgeben können, zum Beispiel, um den westlichen Balkan aufschließen zu lassen, für die Regulierung in der Sahelzone, was unter dem Gesichtspunkt der Migration sehr wichtig ist, aber wenn ich das Bild umdrehe, wenn es diese 310 Milliarden Euro nicht gegeben hätte, was glauben Sie, wäre dann aus der Ukraine geworden?

Das werden wir nie mehr erfahren. Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass die Kriegsparteien im April 2022, zwei Monate nach dem Krieg, geheime Gespräche in Istanbul führten, deren Ergebnisse zu Papier gebracht wurden und sie nur noch einige Stunden von einer Einigung entfernt waren. Und dieses Abkommen wurde durch die Einmischung der Westler unmöglich gemacht, die es den Ukrainern praktisch unmöglich machten, das Abkommen zu unterzeichnen.

Sie haben es den Ukrainern nicht erlaubt?

Dies ist eine Tatsache, ja, es gab keine Unterzeichnung, es hätte zwei Parteien geben müssen, eine war da, die andere nicht. Dies ist also eine bekannte Tatsache in der politischen Welt Westeuropas, auch die damit zusammenhängenden Dokumente sind bekannt, wir können also auch die Details der ganzen Geschichte kennen, die besagt, dass es eine Möglichkeit für einen Waffenstillstand und einen dauerhaften Frieden im April 2022 gab. Daraus folgt nur, dass es sich nicht um eine unmögliche Aufgabe handelte. Sie haben es nur vermasselt.

Aber warum? Warum also will der Westen keinen Frieden? Warum wollte er damals dort nicht, dass es keinen Krieg gibt?

Nun, das ist jetzt der Moment, in dem ich nicht mehr der richtige Gesprächspartner für Sie bin, denn ich wollte es.

Wenn man sich Trumps Ankunft und die Europäische Union ansieht, so scheint es, um alles zusammenzufassen, worüber wir bisher gesprochen haben, dass Sie eine Rolle spielen könnten, wenn Sie eine Rolle spielen wollen, um zwischen der Europäischen Union und Trump zu vermitteln. Viele Leute sagen ja, dass eine protektionistische Wirtschaftspolitik aus der Sicht Amerikas kommt, was bedeutet, dass Amerika natürlich in Bezug auf die Europäische Union und auch, sagen wir, in Bezug auf China der Erste ist. Können Sie, wollen Sie dabei helfen, dass Trump dann ein relativ freundliches Verhältnis zur Europäischen Union haben soll?

Ich neige dazu, das zu belächeln. Sehen Sie, die Politik ist eine Welt, die schwer zu durchschauen ist, und wenn Analysten Vorschläge machen, denke ich immer an die Berater, die am Rande des Rings stehen und den Boxer, der in den Ring zurückkehrt, beraten, was er tun soll und wie er es tun soll. Der arme Boxer weiß genau, wie es in den letzten drei Sekunden war, als er ins Gesicht, in den Magen oder in die Rippen geschlagen wurde, und derjenige, der diesen tollen Ratschlag gibt, hat Angst, in den Ring zu steigen, und hat wahrscheinlich noch nie in seinem Leben im Ring gestanden, und doch gibt er seine Ratschläge. Wir sollten uns also vor politischen Analysten in Acht nehmen. Die Welt der Politik ist zumeist ganz anders, als es sich Analysten vorstellen. Zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zum Beispiel besteht kein Bedarf an einer Vermittlung. Diese Amerikaner sind großgewachsene, mächtige, selbstbewusste Cowboys, wie man sie aus Wildwestfilmen kennt. Sie bitten niemanden, in irgendeiner Angelegenheit zu vermitteln. Sie gehen hin und sagen ihnen dann, was sie wollen. Wenn du zu ihnen gehst, sagen sie dir, wenn du etwas willst, was du dann zu tun hast. Es besteht also keine Notwendigkeit für eine Vermittlung. Unter den technologischen Bedingungen der modernen Welt, in der man jeden auf der anderen Seite des Ozeans innerhalb von 5 Sekunden erreichen kann, sind alle Voraussetzungen für einen Kontakt gegeben. Es wird also keine solche Vermittlerrolle geben. Es wird etwas anderes geben. Es wird große Debatten geben. Man muss also nicht vermitteln, sondern man muss sich in diese Debatten sinnvoll einbringen, und es wird eine große Debatte zwischen der neuen US-Regierung und der Europäischen Union geben. Ich habe gestern oder vorgestern gesehen, dass der Präsident eine Botschaft an Europa gerichtet hat. Und er sagte, dass, wenn ihr nicht bereit seid, das heute bestehende Handelsungleichgewicht zwischen der Union und Amerika, das ansonsten zu euren Gunsten ist, zu eurem eigenen Nutzen, dem Nutzen der Europäer, in Ordnung zu bringen, wenn ihr das nicht von selbst tut, dann werden die Zölle kommen, all the way, was auf Ungarisch so viel heißt wie, auf ganzer Linie. Also wird es hier zu ernsthaften Diskussionen kommen. Wir, Ungarn, müssen uns auf die Weise an diesen Debatten beteiligen, damit wir erstens gut abschneiden, damit wir in der großen Auseinandersetzung nicht vom Winde erfasst werden, also müssen wir unsere Positionen geschickt einnehmen. Und wenn wir in dieser Debatte ein Argument, eine Überlegung, einen Aspekt zu einer guten Einigung beisteuern können, dann müssen wir das aufgreifen, und so müssen wir uns an der Debatte beteiligen. Aber das Wichtigste ist, dass die Diskussionen am Ende mit einem Abkommen enden, das für Amerika und für Europa akzeptabel ist.

Womit vergleichen Sie die Europäische Union, wenn sich Amerika in einem Zustand des großleibigen Cowboys befindet?

Wir reiten das Maultier. Schließlich ruht die Europäische Union auf zwei großen Säulen, von denen die eine Deutschland und die andere Frankreich heißt. Die europäischen Institutionen sehen sich selbst gerne als Europa, aber Brüssel hat kein wirkliches Gewicht in wichtigen internationalen Angelegenheiten. Paris hat es, Berlin hat es und natürlich auch Rom hat es, und sie alle haben ihr eigenes Gewicht, aber Brüssel als solches existiert in diesem Zusammenhang nicht. Natürlich gibt es Brüssel, wenn es um die Regulierung des Binnenmarktes und die Schaffung von Migrationsregeln geht, aber in diesem großen internationalen Kräftemessen gibt es nicht Brüssel, sondern Berlin und Paris. Die gescheiterte Regierung in Berlin hat gerade einen Purzelbaum gemacht, und die Regierung in Frankreich ist auseinandergefallen. Das zeigt unsere Stärke sehr deutlich.

Wenn wir davon ausgehen, dass Ungarn eine erfolgreiche Präsidentschaft hatte, dass Bulgarien und Rumänien dem Schengen-Raum beigetreten sind, dass die Erklärung zur Wettbewerbsfähigkeit hier in Budapest angenommen wurde, könnte dies bedeuten, oder bin ich zu naiv, dass die Beziehungen zwischen der Europäischen Kommission und Ungarn in der kommenden Zeit etwas versöhnlicher sein werden? Ist zwischen den beiden Seiten ein Vertrauensverhältnis entstanden, auf dessen Grundlage wir optimistischer sein können, oder nicht? Oder ist das völlige Naivität?

Ja. Ich würde also nicht einmal von Naivität sprechen, denn ich sitze hier nicht, um Sie zu provozieren, sondern ich würde eher sagen, dass es in der Welt anders zugeht. Die politischen Akteure stehen sich nicht im Allgemeinen gut oder schlecht gegenüber. Analysten neigen dazu, so zu denken, weil es im menschlichen Leben so ist: Entweder verstehe ich mich mit jemandem gut, oder nicht, oder mäßig, oder ich kann die Beziehung zwischen uns mit einem Wort beschreiben. Aber das ist in der Politik nie der Fall. In Brüssel gibt es Themen, wo wir mit den Brüsselern völlig harmonieren, und ich unterstütze sie in allem, weil es im Interesse Europas, auch Ungarns, ist, bestimmte Dinge in der Welt zu erreichen, gute Regelungen für uns alle zu schaffen. Und es gibt Themen, bei denen wir unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten haben, zum Beispiel werden wir nicht zulassen, dass – um hier auf die Ereignisse Bezug zu nehmen – Ungarn zu Magdeburg wird, indem sie uns ihre idiotischen Regeln aufzwingen, die bedeuten, dass wir Migranten aufnehmen müssen, die dann unser Leben auf den Kopf stellen. Hier gibt es unüberbrückbare Differenzen. Oder in der Genderfrage. Es gibt einen Grund, warum wir vor Gericht stehen. Wir sind verklagt worden, und sie und einige andere Länder sagen, dass es bei den ungarischen Vorschriften darum geht, dass Eltern ihren Kindern die Regeln sagen wollen, die sie für ihre Entwicklung befolgen sollen, Regeln für den Verkehr, Regeln für den Kontakt, anstatt Gender-Aktivisten in die Schulen zu lassen. Sie halten das für inakzeptabel, und wir finden, dass es sie nichts angeht. In dieser Frage werden wir uns nie einigen können. Oder zum Beispiel die Tatsache, dass die Kommission uns verklagt hat, und zusammen mit ihr übrigens die ungarischen Oppositionsparteien verklagen Ungarn, auch die ungarischen Oppositionsparteien verklagen Ungarn, um das Geld zurückzufordern, das wir Ungarn bereits bekommen haben, das wir bereits erhalten haben. Wir werden uns in dieser Sache niemals mit Brüssel einer Meinung sein. Die Dinge sind also nicht schwarz-weiß. In einigen Fragen gibt es eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Ungarn, in anderen gibt es unversöhnliche Gegensätze. Aus dieser ganzen komplexen Situation ergibt sich im Wesentlichen, dass wir die Opposition von Brüssel sind. Und wir denken, wenn wir Brüssel nicht verändern können, indem wir die Mehrheit dort übernehmen und es auf die Weise, nach einem Muster, in eine Form verwandeln, die unserer Ansicht nach für die Nationalstaaten gut ist, dann werden wir alle darunter leiden. Das ist es, was wir tun müssen. Wir müssen Brüssel einnehmen, wir müssen eine Mehrheit bekommen und wir müssen es umgestalten. Das ist das Ziel der Patrioten.

Ja, denn die Gründung der Patrioten ist auch mit diesem Jahr verbunden. Aber man könnte auch sagen, dass es sich aus Ihrer Sicht gut anhört, Brüssel besetzen zu müssen, aber, sagen wir, die Europäische Volkspartei hat einen derartigen jahrzehntelangen Vorteil, zum Beispiel bei der Infrastruktur, aber ich nehme an, auch bei den Finanzen, im Vergleich zu, sagen wir, den Patrioten, was ein großer Nachteil sein könnte, auch wenn, sagen wir, auf dem politischen Schlachtfeld, die Patrioten, sagen wir, besser werden, indem sie Wahlen gewinnen. Wie kann dieser Nachteil überwunden werden? Ist es überhaupt notwendig, diese Hintergrundarbeit zu leisten, bei der, sagen wir, die Europäische Volkspartei oder vielleicht die Sozialisten, die alten Parteien, offensichtlich – so denke ich – besser stehen als die Patrioten?

Der Fidesz wurde 1988 gegründet und die Kommunisten hatten 45 Jahre Vorsprung. Und heute sitze ich hier und die Kommunisten sind irgendwo im Mülleimer der Geschichte, und das ist vorbei. Ich will damit also nur sagen, dass es einen Positionsvorteil gibt, aber wenn man mutig ist, wenn man stark ist, wenn man Recht hat, wenn man an sein eigenes Recht glaubt, wenn man die Menschen auf seine Seite bringen kann, dann wird man am Ende gewinnen. Das ist es, was jetzt in Brüssel geschehen wird, und es wird genauso geschehen wie bei den Kommunisten, deren Lebensinstinkte abgestumpft waren, deren Reflexe sich verlangsamten, die nicht erkannten, dass sie in eine andere Phase der Welt eingetreten waren, die sich nicht anpassen konnten und die ausstarben wie Dinosaurier. So wird es auch mit der Volkspartei sein. Sie leben immer noch im Gestern. Sie hat gerade ein Abkommen geschlossen, um eine Mehrheit der drei größten oder aus drei Parteien bestehende Mehrheit im Europäischen Parlament zu schaffen, die Europäische Volkspartei, angeführt von Herrn Weber. Sie haben ein Dokument angenommen. Es ist, als ob es aus der Vergangenheit zu uns sprechen würde. In der Zwischenzeit ist eine neue Realität geschaffen worden. Das ist schon vorbei. Deshalb glaube ich, dass in der Politik entscheidend ist, wer lebensfähig ist, wer die Zukunft versteht, wer sich anpasst. Der Rest von uns entwickelt sich zurück zu den Reptilien der Galápagos-Inseln.

Kann man noch Parteien und Abgeordnete aus der Volkspartei abwerben?

Man muss sie nicht abwerben, man muss die Fahne hochhalten, klar sprechen, und dann werden sie sich unter der Fahne versammeln.

Aber gibt es dafür eine Nachfrage, für diese Alternative, die die Patrioten anbieten, auch innerhalb der Europäischen Volkspartei?

Jeden Tag wird die Nachfrage steigen. Wir sind erfolgreich und sie stecken in der Vergangenheit fest.

Der Europäische Rat, der sich ja aus den Staats- und Regierungschefs Europas zusammensetzt, hat sich mit ihnen in Brüssel getroffen und auf der Pressekonferenz wurde gesagt, dass es eine sehr interessante Debatte und Diskussion war, intellektuell gesehen. Wie sehen die gewählten Staats- und Regierungschefs Europas heute – und ich denke, das ist ein wichtiger Unterschied zur Europäischen Kommission – die Zukunft Europas? Was sind jetzt die Bruchstellen zwischen den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union?

Die Frage von Krieg und Frieden ist die tiefste Bruchlinie, denn sie sehen es als ihren Krieg an. Sie sagen mir regelmäßig…

Alle außer Ungarn, nicht wahr?

Ja, im Wesentlichen, und jetzt die Slowaken. Und manche sagen gar nichts. Das ist auch eine Überlebenstaktik. Wir sind zu nah am Krieg, um nichts zu sagen. Aber es macht wirklich einen Unterschied, ob es sich wie der eigene anfühlt oder nicht. Wenn er sich wie der eigene anfühlt, und Radikale reden so, die radikalen Kriegsbefürworter, dann sollten Sie alle Ihre Kräfte mobilisieren. Dann ist das Problem nicht, dass wir 310 Milliarden ausgegeben haben, denn das halte ich für einen großen Fehler, sondern dass wir nur so viel ausgegeben haben. Das ist der Fehler! Denn wenn wir 400 oder 500 ausgegeben hätten, sagen sie, wenn wir mehr Geld, mehr Waffen gegeben hätten, sagt jemand, wenn wir auch Truppen geschickt hätten, hätten wir den Krieg gewonnen. Meine Antwort darauf ist nicht, dass wir nicht gewonnen hätten, sondern dass dies eben doch nicht unser Krieg ist. Und das zeigt sofort die Bruchlinie, die uns trennt. Das ist es, was die Europäische Union heute am meisten spaltet.

Ungarn, das ganze Thema, der ganze Haushalt, fügt sich grundlegend in die europäische Politik ein, daher kann man, denke ich, den ungarischen Haushalt nicht von den Geschehnissen in Europa abkoppeln. Wir sehen, dass das Parlament einen sehr ehrgeizigen Haushalt verabschiedet hat, einschließlich eines Arbeiterkredits, des Sándor-Demján-Programms und der Wohnungsbauförderung. Aber wie steht es jetzt, in diesem Moment, um die ungarische Wirtschaft? Wie sehen Sie das? Von wo aus müssen wir ansetzen?

Die ungarische Wirtschaft hat diese schwierigen drei Kriegsjahre überstanden und hat die Chance auf einen erfolgreichen Neuanfang nicht verspielt. Wir haben also in den letzten drei Jahren unsere Zukunft nicht verspielt, und wir konnten uns die Chance auf eine erfolgreiche Zukunft bewahren. Das ist das Wichtigste. Dass es in den letzten drei Jahren so geblieben ist, dass jeder, der arbeiten wollte, auch arbeiten konnte, dass die Löhne in allen drei Jahren bis auf eines gestiegen sind und dass wir die Senkung der Nebenkosten beibehalten konnten, das halten sich die Leute einfach nicht so vor Augen. Aber jeder, der nach Hause geht und das Licht einschaltet, hat bereits eine staatliche Subvention erhalten, denn in Europa zahlen sie am wenigsten, ich meine, als Ungarn zahlen sie am wenigsten für Strom. Wenn er das Gas aufdreht, ist er in diesem Moment Teil eines staatlichen Schutzprogramms geworden, denn als Ungar zahlt er den wenigsten, niedrigsten Preis für Gas in Europa, und ich könnte noch weitere Dinge aufzählen. Die Tatsache, dass wir all dies beibehalten konnten, dass wir nicht von der dreizehnten Monatsrente zurückkommen mussten, hat zwar dazu geführt, dass das Haushaltsdefizit höher war, als wir es uns gewünscht hätten, aber wir konnten zum Beispiel die dreizehnte Monatsrente schützen. Auch beim Familienschutz mussten wir nichts aufgeben. Die Frage war: Wenn wir durchhalten und das erste Friedensjahr kommt, in welchem Zustand werden wir dann sein? In einem Zustand, in dem wir geheilt werden müssen, in einem Zustand, in dem wir gestärkt werden müssen, wenn diejenigen, die uns anschauen, uns raten, schnell ein paar Vitamine oder Brühe in unseren Körper zu pressen, weil wir so aussehen, als ob wir in einer sehr schlechten Verfassung wären, oder können wir uns an die Startlinie stellen und sagen, dass der Frieden kommt, wir sind bereit: ein fliegender Start. Und heute befindet sich die ungarische Wirtschaft in letzterem Zustand, sie kann durchstarten.

Wie wird es sein? Wo wird die ungarische Wirtschaft Ende 2025 stehen?

Das Wichtigste ist, dass wir es seit 2010 geschafft haben, uns in zahlreichen Angelegenheiten gegenseitig zu überzeugen – ich meine, die Ungarn haben sich gegenseitig überzeugt –, dass wir in der Lage sind, Dinge zu tun, die wir uns nie hätten vorstellen können, zum Beispiel, dass jeder einen Arbeitsplatz hat, dass es eine Million mehr Arbeitsplätze gibt. Vorher hatten 53 von 100 Menschen Arbeit, jetzt sind es 81. Oder dass wir so viele Entwicklungsinvestitionen vornehmen, so viele Brücken über die Donau bauen, die Autobahnen bis an die Grenzen des Landes bringen, dass die Menschen oder die Einwohner jeder Komitatsstadt im Land, außer vielleicht einer Stadt, jetzt an ein Autobahnschnellstraßensystem angeschlossen sind. Oder dass wir Kindersteuergutschriften einführen, die es vor 2010 noch nicht gab. Wir konnten also gemeinsam Dinge tun, die wir vorher nicht für möglich gehalten hätten, wie etwa die Senkung der Nebenkosten. Ich denke, dass es nach dem Krieg genauso sein wird. Auch hier müssen wir uns gegenseitig überzeugen, die Ungarn müssen sich gegenseitig überzeugen, dass wir Dinge tun können, die wir vorher nicht getan haben. Wie Sie sagten: das Demján-Sándor-Programm, zu dem Studentendarlehen auch ein Arbeiterdarlehen, der massenhafte Bau von Wohnheimen, die Verdoppelung der Steuergutschrift für Kinder. Ich glaube, dass das Jahr 2025 ein Jahr sein wird, in dem die Ungarn nicht nur ihre Hoffnung und ihre Lebensfreude zurückgewinnen, sondern auch davon überzeugt werden, dass sie zu Großem fähig sind, und dass sich dies in den Jahren 2026, 2027 und 2028 positiv auswirken wird.

Kann die wirtschaftliche Neutralität hier die Zahlen beispielsweise der deutschen Wirtschaft ersetzen, die in wirklich keiner guten Form ist – um es elegant auszudrücken?

Das ist die Eine-Millionen-Dollar-Frage. Also zu sagen, dass sie sie ersetzen könnte, ist vielleicht eine starke, mutigere Aussage, als sie sein sollte, aber dass wir sie nutzen können, um die Schwierigkeiten zu mindern, weil ja die ungarische Wirtschaft lange Zeit zu einseitig – und es ist verständlich warum, aber zu einseitig – an die westliche Wirtschaft, an den gemeinsamen Markt der Europäischen Union gebunden war und ist. Die Mehrheit unserer Exporte, d.h. die Mehrheit unserer Produkte, etwa 80 Prozent, gehen also auf den westeuropäischen Markt. Wir hatten ja vier schwierige Jahre mit den Amerikanern, in denen ja auch alles zurückgegangen ist. Auch die US-Investitionen sind vom zweiten auf den vierten Platz zurückgefallen. Jetzt, wo wir sehen, dass es in Europa Probleme gibt, besteht die einzige Antwort darin, unsere Beziehungen in alle anderen Richtungen noch schneller auszubauen. Ich setze große Hoffnungen in unsere Beziehungen mit dem amerikanischen Präsidenten. Ich möchte mit ihm ein sehr ernsthaftes wirtschaftliches Kooperationspaket unter Dach und Fach bringen. Es geht gut voran, es wird geschehen. Es ist sehr wichtig, dass wir unsere bestehenden Beziehungen zu Russland nicht aufgeben, vor allem im Energiesektor, aber dort, wo die Sanktionen es nicht verbieten, würde ich ungarischen Unternehmern raten, voranzugehen und sich in der russischen Wirtschaft zu engagieren. Und es ist sehr wichtig, dass wir die günstigen Beziehungen, die wir über viele Jahre hinweg mit den Chinesen aufgebaut haben, in wirtschaftliche Beziehungen umwandeln. Auch das läuft gut. Ich denke also, je größer das Problem in Europa ist, desto energischer müssen wir in allen anderen Wirtschaftsbeziehungen, in allen anderen Märkten vorangehen. Wir haben die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen. Wir sitzen dort im Türkischen Rat, die Türken sind eine der sich am besten entwickelnden Volkswirtschaften. Viele große ungarische Unternehmen haben strategische Investitionen auf dem Balkan getätigt. All dies wird Energie, Strom und Geld für die Entwicklung der ungarischen Wirtschaft liefern. Das Wichtigste bei der wirtschaftlichen Neutralität ist also nicht, sich damit abzufinden, dass auch wir schwächer werden, wenn die westlichen Märkte schwächeln, sondern eine Antwort auf diese Situation zu haben und das auszugleichen, was wir in der europäischen Richtung verlieren. Das wird nicht einfach sein, und es geht auch nicht von einem Jahr auf das andere.

Das politische Leben in Ungarn selbst war 2024 nicht gerade langweilig. Zum Beispiel gab es das Thema Begnadigung in diesem Jahr, viele denken vielleicht, dass es schon lange her ist. Und ich denke, dass es Ihre Parteifamilie auch emotional berührt hat, weil Sie Menschen verloren haben, zum Beispiel Judit Varga oder die Präsidentin der Republik, Katalin Novák, die Sie seit Jahren oder Jahrzehnten aufzubauen versucht haben. Haben die beiden Regierungsparteien sich von diesen Wellen erholt, wie sehen Sie das?

Sie brauchten nicht aufgebaut zu werden, weil sie keine Frauen sind, die überhaupt aufgebaut werden können. Vielleicht waren sie deshalb so erfolgreich. Also, wie soll ich es sagen? In der Politik werden die Dinge auf Leistung aufgebaut. Man kann also niemanden aufbauen, wenn es in diesem Menschen ansonsten kein Material und keine Leistung und keine Zeit und keine Arbeit und keinen Willen gibt. Die Akteure werden also nicht aufgebaut…

Und es ist besonders sensibel.

…sondern es steckt eine Menge Arbeit dahinter. Und so ist unser Verlust nicht der Verlust einer Kommunikationsleistung, sondern der Verlust jahrelanger harter Arbeit. Der Verlust ist größer als es Ihre Worte ausdrücken. Und nicht nur für uns, ich meine nicht nur für die Rechten. Wir sprechen hier von Weltstars. Das mag in Ungarn nicht allgemein bekannt sein, aber wir sprechen hier von zwei Weltstars, den Stars der politischen Welt. Von Peking über Tansania bis New York, Moskau inklusive, überall wurden sie wie Stars empfangen, wenn sie über ihre Themen sprachen – Rechtsstaatlichkeit, europäische Beziehungen, Kinderschutz, Familienpolitik. Star ist jetzt eher so zu verstehen, wie Sterne, die echte Erfolge vorzuweisen haben und aus einem Land kommen, in dem man nicht nur über diese Dinge spricht, sondern sie sie auch getan haben. Aber es ist nicht einfach, so etwas gut zu repräsentieren, dazu braucht man sehr viele Fähigkeiten. Eine gute Leistung in Ungarn zu erbringen und sie im Ausland zu präsentieren und zu verkaufen, erfordert also eine sehr ernsthafte Leistung. Und sie konnten das. Ich habe nur geschaut, was für Wunden wir erlitten hatten, indem wir sie verloren haben, aber da ist eben nichts zu machen, die Politik ist eine unbarmherzige Welt. Du machst irgend einen Unsinn, noch dazu einen, den du nicht einmal erklären kannst, und dein eigenes Publikum versteht das ganze überhaupt nicht, wie eine Regierung, die sich dem Schutz der Familien verschrieben hat, dem Schutz der Kinder in jeder Hinsicht, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch hinsichtlich ihrer körperlichen Sicherheit, ihrer gesunden Entwicklung, sie auch vor ihren Feinden, den Pädophilen schützt, wie kann es sein, dass ein Mann, der irgendwie in einen Pädophilie-Fall verwickelt ist, begnadigt wird? Das versteht niemand, das konnte auch niemand verstehen. Und so ist das in der Politik, wenn man nicht versteht, was man tut, denn wenn man etwas Falsches tut, hat das Konsequenzen, aber wenn man wenigstens versteht, warum der Fehler gemacht worden ist, dann sagen die Leute: Bring es in Ordnung und mach‘ weiter. Aber selbst wenn sie es nicht verstehen, trifft es sie am Herzen. Aus diesem Grund hat die Rechte gleich zu Beginn dieses Jahres, im Februar, einen schweren Schlag am Herzen erlitten.

Aber hat sie sich davon erholt?

Pfff… Nun, ich weiß es nicht.

Oder wie weit ist ihre Rehabilitation gediehen? 

Werden wir jemals davon geheilt werden? Diese Wunden bleiben. Ich denke, vielleicht ist es die richtige Formulierung, wenn wir sagen „erholt”, aber Narben bleiben. Jede einzelne Wunde, die verheilt, bleibt aber doch als Narbe bei dir. Um dieser pessimistischen Interpretation entgegenzuwirken, wurde die Weisheit erfunden, dass das, was man überlebt, einen stärker macht. Also aus dieser Perspektive betrachtet, wie wir das überlebt haben, würde ich sagen, dass wir jetzt, Ende 2024, stärker sind als zu Beginn des Jahres 2024.

Hier, Ende 2024, wird viel über den Zustand des öffentlichen Diskurses, den Zustand des politischen Diskurses in Ungarn gesprochen. Darf ich als Christ fragen, ob es eine Illusion ist, von christlichen Politikern zu erwarten, dass sie in ihrer politischen Arbeit ihre Worte, ihre Handlungen, ihre Gedanken an ihr Glaubenssystem anpassen? Kann man das also trennen, sollte man das trennen, oder nicht?

Zu erwarten, ist es keine Illusion. Es ist richtig, das zu erwarten, was können wir sonst von ihnen erwarten? Ob sie diese Erwartung erfüllen können, und inwieweit sie sie erfüllen, darüber sollten wir uns keine Illusionen machen, auch nicht von der Lehre her. Nach der Lehre sind wir unvollkommen. Wenn wir also von unseren Führern erwarten, was wir von uns selbst nicht erwarten, nämlich perfekt zu sein, wird das nicht funktionieren. Genauer gesagt, man kann und sollte es erwarten, aber dann enttäuscht zu sein, weil man nicht perfekt ist, ist vielleicht doch nicht richtig. Stattdessen sollten wir uns um Fairness bemühen. Große Fehler sollten also sehr bestraft werden, und kleine Fehler sollten weniger bestraft werden, aber in einer christlichen politischen Kultur sollten meiner Meinung nach Anerkennung und Bestrafung auf der Grundlage der Erwartungen erfolgen, und wir pflegen sie auch zu erhalten.

Können wir befürchten oder hoffen, dass sich der Zustand des öffentlichen Diskurses in Ungarn im kommenden Jahr verschlechtern oder verbessern wird, oder ist er jetzt konstant? Wie sehen Sie das?

Ich möchte Ihnen nichts vormachen. Und wir sprechen hier nicht über Ungarn, sondern über die gesamte westliche Welt. Hier geschieht also etwas, das die Art und Weise verändert, wie die Menschen miteinander umgehen, wie sie miteinander reden, und zwar sowohl in technischer als auch in inhaltlicher Hinsicht. Das ist mehr als Politik. Das Gewicht der persönlichen Begegnungen in unserem Leben verändert sich. Wir erreichen einander durch diese elektronischen Geräte in wenigen Augenblicken. Dass wir echte Materie berühren, ist selten geworden, weil alles immer virtueller wird. Natürlich kann man auch mit Textnachrichten miteinander sprechen, aber sich hinzusetzen und dir in die Augen zu schauen, dich zu berühren, dir zu sagen, ich bin da, ist etwas anderes als die Art und Weise, wie die Welt den Menschen heute zunehmend beibringt, miteinander zu sprechen. Wir sprechen also nicht über Politik und wir reden nicht über Ungarn, aber es gibt einen technologischen Wandel im Leben der Menschheit, der die zwischenmenschlichen Beziehungen umformt. Jetzt sind die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Politik besonders zerstörerisch. Außerdem scheint es sich um eine unbegrenzte oder schwer zu begrenzende Welt zu handeln. Hier kann man sich alles erlauben, hier geschehen schreckliche Dinge, sie werden in einem Stil gesagt, für den man nicht persönlich die Verantwortung übernehmen muss, weil man nicht da ist. Sie sagen keine harten Worte zu mir, vielleicht nicht nur, weil Sie, wie Sie sagten, ein Christ sind und es würde Ihnen selber weh tun, sondern auch, weil, nun ja, mir etwas ins Gesicht zu sagen, ein gewisses Maß an überlegtem Verhalten erfordert. Wenn ich Ihnen persönlich etwas Hartes oder Ernstes und Schlechtes sagen will, muss ich es anders sagen, als wenn ich es in die Maschine tippe, ohne dabei zu sein und ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Das sind neue Dinge, scheinbar klein, trivial erscheinende Dinge, aber sie verändern die Politik. Und deshalb sieht man, wenn man sich beispielsweise eine amerikanische Präsidentschaftsdebatte anschaut, dort keinen höheren Standard als bei öffentlichen Debatten in Ungarn. Wir sprechen also über das ganze Problem der westlichen Demokratie, die auf Redefreiheit und freiem öffentlichem Diskurs beruht, und das ist ein Problem, das wir alle haben, nicht nur Ungarn. Natürlich leben wir in Ungarn, also sind wir daran interessiert, was in Ungarn passiert, und nicht daran, was in der Welt passiert, aber es ist gut zu wissen, dass wir nicht über einen Fehler sprechen, der ein spezifisch ungarischer Fehler ist, sondern ein zivilisatorisches Problem. Und wir müssen dies lösen. Ich hoffe, dass uns das gelingen wird.

Ja, und die Frage, was wir als Maßstab ansehen, ist auch eine interessante Frage. Aber in den nächsten Tagen werden sich hoffentlich viele ungarische Familien nicht nur virtuell sehen, sondern auch am Weihnachtstisch sitzen, und hoffentlich gibt es dann einen Waffenstillstand und keine heftige politische Debatte. Was wünschen Sie sich für Ungarn in der Vorweihnachtszeit und im Jahr 2025?

Ich wünsche allen genau das, was ich mir zu Weihnachten für meine eigene Familie wünsche. Frieden, Ruhe, Gesundheit, Ausgeglichenheit, Menschen, die die Ungarn umgeben und sie lieben, damit auch du die Liebe, die du empfängst, erwidern kannst, damit ihr keinesfalls verzweifelt, setzt euch zusammen, redet darüber, findet eine Lösung, es gibt kein Problem, das nicht gelöst werden kann, wenn man ein offenes Herz hat und wirklich nach einer Lösung sucht, nicht nur ständig darauf besteht, selber Recht zu haben. Also mehr Verständnis, mehr Fairness, Offenheit und Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Das ist es, wovon alles abhängt. Damit steht und fällt auch der wirtschaftliche Erfolg, denn man kann zwar besser leben, aber ob man schöner leben kann, ist die eigentliche Frage. Wir werden besser leben, dafür wird der Haushalt sorgen, dafür wird der Arbeitsmarkt sorgen, dafür wird der Tarifvertrag zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern sorgen. Wir werden im Jahr 2025 besser leben als im Jahr 2024, aber die große Frage ist, ob wir schöner leben können.

Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

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