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Rede von Viktor Orbán bei der Eröffnung des 5. Eurasien-Forums

Good morning to Everybody!

If you allow me, I just would like to continue the way how Governor of the Hungarian National Bank presented his ideas in Hungarian language, because we are now in Hungary.

Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Der wichtigste Vortrag ist bereits gehalten worden. Ich habe das Gefühl, dass es nur noch darum geht, auf die wenigen Gedanken einzugehen, die wir alle gerade gehört haben. Vielen Dank für die Einladung an den Präsidenten der Notenbank. Wir alle wissen, dass dieser Anlass ohne den Präsidenten der Notenbank nicht zustande gekommen wäre. Und ich sage dies nicht nur wegen seiner Arbeit als Präsident der Notenbank, sondern auch wegen der Tatsache, dass er nach dem bedeutenden und wichtigen Regierungswechsel im Jahr 2010, als in Ungarn eine nationale Regierung gebildet wurde, als Wirtschaftsminister die Grundlagen der heutigen modernen ungarischen Wirtschaftspolitik gelegt hat. Wir haben schon damals über die Dimensionen gesprochen, zu denen wir jetzt seinen Vortrag gehört haben. Und als er dann später Präsident der Notenbank wurde, verfolgte er eine aktive Notenbankstrategie anstelle einer Strategie der Isolation, und wir verblieben damals darin, dass die Notenbank der Regierung helfen könnte – neben einem stabilen Forint und einer niedrigen Inflation, was die Hauptaufgabe der Notenbank ist –, ihre internationalen Kontakte und die intellektuelle Kapazität, die in der ungarischen Tradition bei der Zentralbank immer auf hohem Niveau war, zu nutzen, um die Regierung mit neuen Ansätzen, neuen Ideen und neuen Phänomenen am Horizont zu versorgen und ihr zu helfen, eine Wirtschaftsstrategie zu entwickeln. Ich bin dem Präsidenten der Notenbank für diese Arbeit dankbar, und ich glaube, dass die heutige Konferenz ein würdiger Ausdruck dafür ist.

Warum muss sich ein Land mit zehn Millionen Einwohnern mit solchen Fragen beschäftigen? Es hat doch auch so schon genug Probleme. Wir haben genug Probleme mit der Bewältigung des Alltags, mit der Überwindung ererbter historischer Nachteile, mit der finanziellen Anfälligkeit, mit der hohen Staatsverschuldung – Ungarn hat also genug Probleme, über die seine Politiker nachdenken müssen. Warum nehmen sie die zusätzliche Last auf sich, diese Dimensionen zu erschließen, darüber nachzudenken und dann auch noch über die internationalen Konsequenzen dieses Denkens? Es gibt auch einen Gedanken, eine Tradition in der ungarischen Politik, dass es besser ist, sich bedeckt zu halten und sich nicht mit diesen großen Themen zu beschäftigen. Natürlich sollten wir sie im Geheimen verstehen, aber selbst wenn wir eine Meinung haben, sollten wir schweigen und irgendwie – wie man im Sport sagt – die großen Veränderungen in der Welt überstehen, indem wir am Rande spielen. Das war in Ungarn lange Zeit eine erfolgreiche Überlebensstrategie, aber jetzt passiert wirklich etwas, das diese Strategie des Abseitsstehens von großen Ideen nicht mehr möglich macht.

Ich selbst habe 2009 begonnen, mich mit der Idee von Eurasien zu beschäftigen. Vielleicht ist es erlaubt, hier auch über solche persönlichen Erfahrungen zu sprechen, die in Form der Finanzkrise von 2008-2009 stattfanden, und ich gehörte noch lange Zeit der westungarischen Tradition an, die glaubte, dass, wenn in der westeuropäischen Wirtschaft etwas schief läuft, sagen wir, eine Finanzkrise, von der wir wissen, dass sie keine globale Krise war, sondern eher eine europäische oder westliche Finanzkrise, dann haben wir ein europäisches, westliches Finanz- und Wirtschaftssystem, vielleicht auch ein politisches System, das über einen gut entwickelten und getesteten Selbstkorrekturmechanismus verfügt; es gibt solche Zyklen, es wird Probleme geben, aber das westliche politische und wirtschaftliche System hat die Fähigkeit, diese Fehler selbst zu korrigieren. Wir müssen also in Zeiten wie diesen nicht den Kopf nach rechts und links drehen, wir können an das glauben, was wir haben. Diese westliche Welt ist in der Lage, sich selbst zu erneuern, und deshalb müssen wir den Weg beibehalten, den das ungarische politische Denken bisher beschritten hat: Technologien und Modernisierungen, die weiter fortgeschritten sind als bei uns, kommen immer aus dem Westen, und wir müssen sie beachten und in Ungarn mutatis mutandis umsetzen. Ich habe lange Zeit geglaubt, dass dies so ist. Der Systemwechsel selbst – und das sage ich denjenigen unter Ihnen, die aus dem Ausland gekommen sind: Ich bin seit 1988-1989 in die ungarische Politik involviert – und der gesamte große ungarische Systemwechsel nach dem Kommunismus war im Wesentlichen von dieser Idee beherrscht. Dass es sich lohnt, in den Westen zu schauen, nicht nur, weil man dort besser lebt, was zweifellos stimmt, weil man effizienter ist und so weiter, sondern auch, weil im Westen irgendwann ab dem 17. Jahrhundert ein sich selbst korrigierendes politisch-ökonomisches System entdeckt und etabliert wurde, das unsere Sicherheit, unsere strategische Sicherheit, langfristig garantiert. Wir können sicher sein, dass unsere Antworten auf die großen Fragen in die richtige Richtung weisen. Diese meine Überzeugung wurde in den Jahren 2008-2009 erschüttert, als ich den Beginn der Finanzkrise im Westen miterleben musste und an jenen politischen Sitzungen teilnahm, auf denen um das Verständnis dessen gerungen wurde. Wodurch kam es zu ihr? Was ist ihr Charakter? Was folgt aus ihr? Und da wurde mir klar, dass das westliche System nicht in der Lage ist, den Selbstkorrekturmechanismus zu bedienen, den es bis dahin erfolgreich angewendet hatte. Die Schlussfolgerung aus allen Überlegungen, einschließlich der intellektuellen und menschlichen Schwächen, einschließlich der systemischen Schwächen, war, dass es sich tatsächlich um eine normale zyklische Krise des Kapitalismus handelt und dass die Selbstkorrekturmechanismen funktionieren würden. Obwohl es damals schon ganz offensichtlich war, dass es sich um etwas ganz anderes handelte. Was diese Krise ausgelöst hat, was den Verlauf und das Nachleben dieser Krise bestimmt, kann natürlich auch eine Art zyklisches Krisenelement enthalten, aber es ist in der Tat eine logische Folge der tiefgreifenden Transformation der gesamten Weltwirtschaft, die das geopolitische Kräfteverhältnis radikal verändert und neue Zentren in der Welt, insbesondere in Asien, entstehen lässt, die jene neue Situation schaffen, in der die Modernität keine westliche Kategorie mehr ist. Es ist nicht nur möglich, im Westen modern zu sein, nicht nur auf westliche Weise, sondern auch im Osten, auf östliche Weise. Und diese riesigen Kräfte sind im Aufstieg begriffen, die viel wettbewerbsfähiger sind als Europa, teils aufgrund ihrer Größe, teils aus verschiedenen Gründen, und die Europa nicht sieht, nicht wahrhaben will, nicht akzeptiert und es vorzieht, sich in einer veralteten Krisentheorie als Erklärung für seine Krise zu verschließen. Damals wurde mir klar, dass es hier ein großes Problem gab; wenn es diesen legendären Mechanismus zur Selbstkorrektur des westlichen Wirtschaftssystems jemals gab, dann funktionierte er nicht. Und da haben wir beschlossen, dass es an der Zeit ist, nicht nur in den Westen, sondern auch in den Osten zu schauen. Hier geschehen Dinge, die uns für lange Zeit begleiten werden, die das neue Jahrhundert bestimmen werden, und deshalb müssen wir nach Asien schauen.

Die prosaische Umsetzung dessen war, dass wir, nachdem es 2009 eine hohe Wahrscheinlichkeit gab, dass wir die Parlamentswahlen 2010 gewinnen würden, Sándor Demján – Gott hab ihn selig! – zusammen mit György Matolcsy in ein Flugzeug stieg und wir nach China flogen. So fing es an. Und wir begannen die Diskussionen, die uns halfen, das, was Sie hier gerade vom Herrn Präsidenten der Notenbank in seiner ziemlich eloquenten und ausgereifen Form gehört haben, zu verstehen. So hat sich die Aufmerksamkeit der heutigen ungarischen politischen Führung den Entwicklungen in der Welt östlich von uns zugewandt, zusätzlich zu und manchmal anstelle von Westeuropa. Das ist die Geschichte.

Aber sie ist nicht die Antwort auf die Frage, warum wir das alles getan haben. Natürlich denkt man, wenn das traditionelle westliche Verständnis der Veränderungen in der Welt nicht mehr gültig ist, dann gibt es einen intellektuellen Drang, ein anderes zu suchen. Aber es gab und gibt noch einen anderen Grund, warum wir uns trotz der bescheidenen Kapazitäten des Landes mit diesen Fragen befassen müssen, und vielleicht war etwas davon aus den Worten des Präsidenten der Notenbank zu entnehmen, denn der Wandel ist schnell. Das Wesen der Politik ist ein Gefühl für das Tempo. Es gibt viele kluge Menschen auf der Welt. Im Grunde kann eine Regierung alles Wissen der Welt sammeln, es ist verfügbar, es ist erwerbbares Wissen, ein Teil davon kann gekauft werden, ein Teil davon ist für die Entscheidungsträger mit Hilfe von den intellektuell bedeutenden Köpfen der Welt, die ihnen gerne zur Verfügung stehen, zugänglich, es gibt also immer Wissen. Die Politik ist kein Reich des Wissens. Politik ist das Reich der Anwendung, und das Wesentliche der Anwendung ist das Tempo. Man muss nicht nur die richtigen Dinge anwenden, man muss sie auch zum richtigen Zeitpunkt anwenden. Je kleiner das Land ist, desto mehr gilt das. Große Länder können es sich also leisten, den einen oder den anderen wichtigen Moment zu verpassen, weil sie groß genug sind, um ihr Versäumnis später zu korrigieren. Für ein Land von der Größe Ungarns ist es fatal, das Tempo zu verpassen.

Ich möchte die hier Anwesenden, vor allem die Ungarn, nicht langweilen, aber ich möchte auch die Ausländer nicht zu sehr mit den Lektionen der ungarischen Geschichte langweilen, aber wenn jemand auf die letzten 150 Jahre zurückblickt und sich ansieht, warum Ungarn in den vergangenen 150 Jahren ein Verlierer war, dann wird er neben dem unglücklichen Zusammentreffen vieler unglücklicher Umstände, für die wir nicht verantwortlich sind, zumeist auch das Problem des Verpassens des richtigen Zeitpunkts, eines verwirrten Zeitgefühls sehen können. Um nur ein Beispiel zu nennen: der unglückliche Zeitpunkt unseres Versuchs, aus dem Zweiten Weltkrieg auszusteigen, der uns für die nächsten sechzig oder siebzig Jahre in einen unwiederbringlichen Nachteil gegenüber unseren Konkurrenten brachte, die ein besseres Gespür für das Tempo hatten als wir selbst. Und ich könnte viele ähnliche Geschichten aus den Annalen der modernen ungarischen Geschichte anführen.

Das Wesentliche dessen, worauf ich hinauswill, ist, dass ein Land von der Größe Ungarns nicht dumm sein darf. Es darf nicht langsam sein, es darf nicht langweilig sein, es darf nicht ein Mitläufer sein, es darf sich nicht auf das Verständnis anderer und die Interpretation anderer verlassen. Ein Land von der Größe Ungarns muss, wenn es auf dem Niveau leben will, wie wir das wollen, wenn es den historischen Traditionen unserer tausendjährigen Geschichte würdig sein will, scharfsinnig, schnell, klug, weltoffen und ständig denkend sein, um nicht den richtigen Moment zu verpassen, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Auch wenn wir Mitglied der Europäischen Union sind, haben die großen europäischen Länder den Luxus, langsamer, vorsichtiger, bedächtiger und weniger scharfsinnig sein zu können, denn das Gewicht, die Größe, die Bedeutung der Wirtschaft, die Höhe des BIP, die Zahl der Soldaten, die enorme Macht der Militärtechnologie, all das erlaubt ihnen, sich langsamer und vorsichtiger zu bewegen und zu verändern.

Ich denke also nicht, dass es übertrieben ist, dass die ungarische Notenbank unternommen hat, diese internationale Gemeinschaft, die heute hier anwesend ist, einzuladen, gemeinsam über die Zukunft, auch die Zukunft der europäischen Länder nachzudenken. Ich glaube sogar, dass gerade Ungarn der Ort ist, an dem dies am ehesten möglich ist, und vielleicht ist es die ungarische Notenbank, deren vordringlichste Aufgabe es ist, dies zu erkennen und solche Foren zu organisieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Hiernach möchte ich ein paar Worte über Eurasien, dann über Europa und schließlich über Ungarn sagen. In gewisser Weise möchte ich, ohne mich auf die beliebte intellektuelle Methode des Notenbankpräsidenten einzulassen, die darin besteht, in bestimmten Epochen der Geschichte nach stichhaltigen Analogien zu suchen, um zu erklären, was in unserer heutigen Zeit geschieht, all dies vermeiden, obwohl es sicherlich ein faszinierendes Gebiet ist. Ich möchte nur sagen, dass mein Ausgangspunkt, und das ist die wichtigste Behauptung meines heutigen Vortrags, ist, dass die Veränderungen, die wir heute erleben, keine Neuordnung, sondern eine Rückordnung sind. Es geschieht also etwas, was in der Wirtschaftsgeschichte der Menschheit nicht unbekannt ist. Und da wir die Zukunft ohnehin nicht kennen, ist es am besten, wenn wir versuchen, die Vergangenheit zu verstehen und daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. An der Wand in meinem Büro hängen drei Karten der gleichen Welt. Die eine ist eine Karte, die Sie kennen. Sie haben sie in der Schule in Ungarn gesehen, sie ist so konstruiert, dass, wenn man den Globus auf einem flachen Blatt ausbreitet, Europa irgendwie immer in der Mitte ist, und so sieht man die Welt. Meine andere Karte ist eine, bei der die Vereinigten Staaten in der Mitte sind, und wenn ich sie anschaue, kann ich genau sehen, wie die Welt aussieht, wenn man sie in Washington betrachtet. Das ist ein riesiger Unterschied! Und meine dritte Karte ist die mit Asien im Zentrum, auf der ich sehen kann, wie die Asiaten die Welt sehen, was sie unter der Welt verstehen, wie sie positioniert ist, wie sie in Bezug zu was positioniert ist. Und ich denke, dass allein die Tatsache, dass ich aus irgendeinem Grund auf die Idee gekommen bin, dass die traditionelle Europakarte nicht ausreicht, dass wir zwei andere Karten brauchen, zeigt, dass es Veränderungen gibt, europäische Veränderungen, die ohne einen globalen Ansatz nicht zu verstehen sind.

Wenn man sich also von den drei die Karte mit Asien in der Mitte anschaut, und wenn man sieht, dass Europa tatsächlich eine Halbinsel ist, und zwar eine Halbinsel von nicht sehr großer Ausdehnung, dann sieht man, dass Europa und Asien in Wirklichkeit ein organisches Ganzes sind. Das ist von Europa aus, der Spitze dieser Halbinsel, nicht offensichtlich. Aber sobald man den Blickwinkel ändert und die Welt von Asien aus betrachtet, ergibt sich ein anderes Bild, eine organische geografische Einheit, die völlig frei von physischen Barrieren ist, weil es in der Tat keine natürlichen, geografischen Grenzen zwischen Europa und Asien gibt. Dies ist eine Einheit. Man kann politische Debatten darüber führen, was daraus folgt, aber die geografischen Fakten sind es nicht wert, in Frage gestellt zu werden. Diese natürliche geografische Einheit zeigte natürlich, basierend auf den Lehren der Wirtschaftsgeschichte, auch eine natürliche wirtschaftliche Einheit, die sich gegenseitig gut ergänzte. In diesem Gebiet existierten die blühendsten Gebiete der menschlichen Zivilisation, der Kultur und der Wirtschaft nebeneinander. Wenn wir von hier aus, von dieser Karte aus, auf die Geschichte der hinter uns liegenden Jahrhunderte blicken, müssen wir uns die Frage stellen: Wenn dies der Fall war, und es scheint geografisch natürlich zu sein, warum hat diese organische Einheit in den vergangenen Jahrhunderten nicht funktioniert? Meiner Meinung nach haben drei Faktoren verhindert, dass Eurasien als eine natürliche Wirtschaftseinheit existiert. Der erste ist, dass wir in der Schule gelernt haben, dass sich der Schwerpunkt oder das Zentrum des Welthandels auf die Meere verlagert hat, und das hat zu einer völlig unterschiedlichen Ausrichtung in verschiedenen Teilen dieser eurasischen Region geführt. Der zweite Grund, warum die organische Einheit jahrhundertelang nicht funktioniert hat, ist, dass diese Neuausrichtung zur Dominanz der westlichen Zivilisation geführt hat, und das hat das Gleichgewicht zwischen den Zivilisationen in der eurasischen Region tatsächlich gestört und in Richtung Westen verschoben. Das dritte Hindernis, das bereits eine Erscheinung der Neuzeit ist, warum die organische eurasische Region nicht funktioniert, ist, dass die westlichen Eliten nach dem Kalten Krieg beschlossen haben, dass sie nicht diese organische Einheit wiederherstellen, sondern die ganze Welt verwestlichen wollen. Also hatten die westlichen Eliten nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die Vorstellung, dass die Welt verwestlicht werden müsse, dass sie nach ihrem eigenen Bild geformt werden müsse. Das war natürlich die Idee des amerikanischen Exzeptionalismus, und die europäische Arroganz und Überheblichkeit, die zivilisatorische, tatsächliche oder vermeintliche zivilisatorische Überlegenheit, die seit der europäischen Aufklärung bestand, hat dazu beigetragen, und deshalb ging es nach 1990 nicht um die Wiederherstellung Eurasiens, das war nicht die globale Agenda, das war nicht der globale Fahrplan, sondern um die Verwestlichung der Welt nach den Prinzipien, auf denen die bis dahin erfolgreiche westliche Welt beruhte. Das krasseste Beispiel dafür und das offensichtlichste Scheitern, an das wir uns alle erinnern können, war der Arabische Frühling, als der Westen in einem plötzlich zerbrochenen, strategisch fragilen, geografisch bedeutenden Gebiet, in dem sich Handlungsspielräume für äußere Kräfte auftaten, auf die Idee kam, wie toll es wäre, wenn diese arabische, islamische Welt, sagen wir, ihr Leben aufgrund der Trennung der aus dem Christentum erwachsenen Gewaltenteilung, der westlichen Interpretation der Menschenrechte neu ordnen würde. Das Scheitern dieser Idee war so offensichtlich, dass die einzige Möglichkeit, die enormen Probleme, die sich daraus ergaben, abzuwenden, darin bestand, dabei mitzuhelfen, die sehr starken Exekutivregime wiederherzustellen, die dann in der Lage waren, die Region zu stabilisieren. Jeder kennt diese Geschichte. Ich erwähne dies nur als Beispiel, damit Sie alle verstehen, wovon ich spreche: 1990 hätte es die Möglichkeit gegeben, ein organisches eurasisches Gebilde wieder aufzubauen, aber der Westen entschied sich nicht dafür, sondern verfolgte die hier beschriebene Verwestlichungsstrategie.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir sind heute hier, weil diese Ära vorbei ist. Wenn diese Ära nicht zu Ende gegangen wäre, wenn wir nicht über die rund dreißig Jahre von 1990 bis heute in der Vergangenheitsform sprechen müssten, wären wir heute nicht hier. Wir sind hier, weil wir alle das Gefühl haben, dass diese Denkweise, diese westliche Strategie, in ihr auch die europäische Strategie, hinfällig ist, dass sie versagt und dass etwas zu Ende gegangen ist. Es gibt eine große Debatte darüber, wie man formulieren soll, was zu Ende ist. Ich würde am ehesten sagen, dass die liberale, progressive Dominanz innerhalb der westlichen Welt vorbei ist. Die Idee, dass die ganze Welt nach westlichem Vorbild organisiert werden sollte, und dass die Völker, die dazu auserwählt wurden, bereit wären, dies im Austausch für wirtschaftliche Vorteile, finanzielle Vorteile, zu tun, diese Idee ist gescheitert. Die Staaten Asiens sind stärker geworden und haben gezeigt, dass sie in der Lage sind, als unabhängiges wirtschaftliches und politisches Machtzentrum aufzusteigen, zu bestehen und langanhaltend erhalten zu bleiben. Infolgedessen hat sich das Zentrum der Weltwirtschaft nach Osten verlagert, wobei die östlichen Volkswirtschaften viermal so schnell wachsen wie die westlichen, und die Wertschöpfung der westlichen Industrie 40 % der weltweiten Gesamtwertschöpfung ausmacht, während sie bei der östlichen 50 % beträgt. Dies ist die neue Realität.

Die andere neue Entwicklung, die den Raum für gemeinsames Denken eröffnet, ist die Tatsache, dass die westliche Welt nicht nur mit ihrem Konzept und ihrer Strategie zur Neuordnung der Welt gescheitert ist, sondern auch in ihrem eigenen Umfeld, innerhalb der westlichen Welt, versagt hat. Es wurden Themen auf die Tagesordnung gesetzt, auf die die liberale, fortschrittlich geprägte Denkweise keine Antworten geben konnte. So auf die Migration zum Beispiel, die ganze Gender-Ideologie über traditionelle Werte, die ethnischen Gegensätze oder den Krieg, der im Gange ist. Infolgedessen, sagen wir, das europäische politische System, das auf einer liberalen, progressiven Dominanz beruht, ist also zunehmend unfähig, auch sich selbst zu regieren. Durch das Abdriften des Westens sind fünfhundert Jahre westlicher zivilisatorischer Vorherrschaft zu Ende gegangen. Am Ende des Kalten Krieges erwirtschaftete der Westen die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung, heute sind es 30 Prozent und die östlichen Machtzentren geben 34 Prozent. Wer nicht den Ideen glaubt, sollte an die Zahlen glauben.

Wenn das der Fall ist, dann haben wir immer noch keine Antwort auf die Frage: Wenn die Zukunft anders sein wird als die Vergangenheit, warum gehört dann die Zukunft gerade der eurasischen Zusammenarbeit? Schließlich bedeutet die Tatsache, dass etwas gescheitert ist, nicht, dass das, was vorher war, zurückkehren muss. Wenn die ungarische Regierung über diese Frage nachdenkt, pflegen wir, folgende Feststellungen zu treffen. Die Renaissance Eurasiens kehrt deshalb auf die politische Tagesordnung zurück, denn erstens ist es die größte zusammenhängende Landmasse der Erde. Wir sprechen normalerweise nicht so darüber, aber wir haben hier einen 9.000 Kilometer langen gemäßigten Klimagürtel, der sich vom Pazifik bis zum Atlantik erstreckt. Natürlich gibt es Unterschiede, aber im Großen und Ganzen können wir uns über 9.000 Kilometer innerhalb eines Klimagürtels bewegen, und wenn wir uns bewegen, haben wir nicht mit den extremen Wetterbedingungen zu kämpfen, mit denen zum Beispiel die Völker an den Meeresküsten zu kämpfen haben. Das ist ein Vorteil, den wir in der Regel in unserem geopolitischen Denken nicht zu schätzen wissen, dabei wäre er das wert.

Das zweite Argument, das für den Aufstieg Eurasiens spricht, ist die Dauerhaftigkeit. Wie bei jeder allgemeinen Aussage gibt es natürlich auch hier Ausnahmen, aber unterm Strich sind die politischen und wirtschaftlichen Akteure in dieser Region stabil. In Aufzeichnungen von vor tausend Jahren lesen wir von denselben Menschen wie heute. Hier gibt es stabile Gruppen von Völkern, Territorien, Staaten, Stämmen und Kulturen. Wir kennen uns gegenseitig. Gestern besuchte mich der Präsident von Kasachstan, einer der wichtigsten Akteure in Eurasien. Es war, als ob wir uns schon seit tausend Jahren kennen würden. Als wir über die Welt, die neue Situation, die sich verändernden Umstände und die Zukunft sprachen, war es, als ob wir ein Gespräch führten, das vor einigen hundert Jahren aufgehört hatte. Denn diese Beständigkeit, diese Beständigkeit der Welt der Völker, der Staaten, der Stämme, ist ein großer Vorteil, wenn es darum geht, Antworten auf neue Herausforderungen in einer neuen Zeit zu finden.

Der dritte wichtige Vorteil dieser Region ist, dass Eurasien nicht eine einzige Zivilisation war, sondern immer mehrere Zivilisationen umfasst hat. Dazu gehört der Ferne Osten, den wir heute mit China identifizieren, aber doch auch mehr als das ist, denn die indische Zivilisation, die arabische Zivilisation und wir, die westliche Zivilisation, gehören dazu. Die Tatsache, dass wir uns alle in derselben Region befinden, ist ein großer Wettbewerbsvorteil, denn diese Zivilisationen haben sich in den glücklicheren Zeiten der Geschichte gegenseitig befruchtet.

Der vierte Gedanke, den die ungarische Regierung hat, wenn sie an Eurasien denkt, ist, dass in dieser Region 70 Prozent der menschlichen Bevölkerung leben. Größe spielt eine Rolle auf dem Markt, im Handel, in der Wirtschaft. Es ist ein enormer Vorteil, dass eine einzige Region 70 Prozent der gesamten Menschheit umfasst. Wenn ich Eurasien zähle, dann beträgt der Anteil dieser Region an der Weltwirtschaft, also ich zähle nicht den Osten, den Westen, sondern ich betrachte Eurasien, dann beträgt der Anteil dieser Region an der Weltwirtschaft 70 Prozent. Hier befinden sich drei Viertel der weltweit führenden Wissenschaftscluster. Hier befinden sich 15 der 20 größten Finanzzentren der Welt. Und wenn der Präsident der Notenbank Recht hat – und warum sollte er das nicht haben? – stehen wir hier auch am Beginn einer neuen technologischen Ära; diese Region ist auch führend beim Besitz und der Verarbeitung von Mineralien, die für diese Technologie entscheidend sind.

All diese Umstände haben die ungarische Regierung dazu veranlasst, eine Einladung zu einer solchen Konferenz anzunehmen und mit dem wissenschaftlichen Zentrum der Notenbank zusammenzuarbeiten, das versucht, die Zukunft der Ungarn im eurasischen Kontext zu interpretieren, und ich freue mich daher, hier zu sein und zu Ihnen zu sprechen.

Ich kann nicht umhin, ein paar Worte über Europa zu sagen. Zum einen, weil wir uns damit am besten auskennen, und zum anderen, weil es sich für uns um eines der spannendsten Themen handelt. Europa ist ein Kontinent der Aufregungen, mit allen wünschenswerten und unglücklichen Folgen, die dies mit sich bringt. Auch wenn es stimmt, dass die nächste Periode, das nächste Jahrhundert, das Jahrhundert Eurasiens sein wird, müssen wir feststellen, dass Europa noch nicht in der Lage ist, seinen Platz in diesem Denkkontext zu finden. Wenn Sie also heute den europäischen Staats- und Regierungschefs zur Zukunft Europas zuhören, werden Sie feststellen, dass Europa nicht in der Lage ist, sich in den eurasischen Kontext einzuordnen. Vielleicht wird es dazu in der Lage sein, aber in den politischen Debatten, an denen ich heute teilnehme, scheitert es. Ein Teil der westlichen Staats- und Regierungschefs sieht die Bedeutung Eurasiens nicht, der andere Teil sieht sie, mag sie aber nicht. Und deshalb ist Europa trotz der meines Erachtens offensichtlichen Tatsachen, die ich Ihnen hier ebenfalls dargelegt habe, im Moment nicht in der Lage oder nicht willens, sich in diesen Kontext einzuordnen. Das hat wahrscheinlich auch psychologische Gründe. Die Geschichte wird schließlich doch von Menschen gemacht, wenn auch in den Rahmen, die Gott vorgibt, aber wir machen sie, und es fällt den westlichen führenden Politikern schwer, das psychologisch verständliche, fast mit ihnen eins gewordene Gefühl der Überlegenheit in ihrer Weltsicht aufzugeben. Denn, ich weiß nicht genau, wie lange schon, aber seit Hunderten von Jahren sind die Menschen im Westen daran gewöhnt, zu denken, dass wir die Schönsten, die Klügsten, die Fortschrittlichsten und die Reichsten sind. Und wenn man dann auf einmal sieht, dass wir nicht mehr die Schönsten, nicht mehr die Klügsten, nicht mehr die Fortschrittlichsten und nicht mehr die Reichsten sind, ist es nicht leicht, das zu erkennen und zuzugeben – wenn man an das ähnliche Problem alternder Männer in meinem Alter, Anfang sechzig, denkt – von hier aus kann man verstehen, dass das, was im Kleinen wahr ist, auch im Großen wahr ist. Früher oder später muss dieses Problem aber überwunden werden, sonst ist Europa der Verlierer in einer sich verändernden Welt. Heute sind wir das.

Europa ist heute der Verlierer der Veränderungen, die in der Welt stattfinden. Ich pflege ein paar Daten anzuführen. Wenn man es in Kaufkraftparitäten betrachtet und sich die Europäische Union so vorstellt, als wäre sie ein Teil der Vereinigten Staaten, ein Mitgliedstaat, dann wäre sie von den fünfzig, mit uns zusammen einundfünzig Mitgliedstaaten der drittärmste Staat der Vereinigten Staaten. Normalerweise denken wir nicht so, aber ich wiederhole, wenn die Europäische Union als Mitgliedstaat Teil der Vereinigten Staaten wäre, wäre sie der drittärmste der 51 Mitgliedstaaten. Dies zeigt sehr genau, dass Europa verliert, es verliert ständig, und es ist der Verlierer Nummer eins bei dem, was geschieht. Unter den fünf größten Volkswirtschaften der Welt gibt es keine europäische Wirtschaft mehr. Deutschland ist nicht einmal unter den ersten fünf. Nicht jenes von heute, auch das von gestern schon nicht. Und es gibt alle möglichen Vorhersagen über die zehn größten Volkswirtschaften der Zukunft, die verschiedene Länder umfassen, aber zugleich auch einander ähnlich sind. Die erste europäische Volkswirtschaft liegt auf dem zehnten oder elften Platz, wenn man davon ausgeht, dass Russland jetzt nicht zu den europäischen Ländern gezählt wird. Ebenso ist ein Beweis unserer derzeitigen Niederlage, dass Europa im technologischen Wettlauf hinterherhinkt. Unter den 20 führenden Technologiezentren der Welt gibt es keines aus Europa, sondern nur welche in Amerika, Südkorea, Japan und China. Die europäische Innovation, auf die wir so stolz waren, hat sich verflüchtigt. Wenn ich eine Abstraktionsebene tiefer gehe, kann ich sagen, dass Energie, von der es in Europa so wenig gibt, in Europa noch nie so teuer geworden ist wie jetzt, und das in einem so kurzen Zeitraum von wenigen Jahren. Der Gaspreis ist in Europa um das Fünffache und der Ölpreis um das Eineinhalbfache gestiegen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

In der gegenwärtigen Situation ist die europäische Elite, und damit meine ich nicht nur die politischen Entscheidungsträger, sondern auch die Denkfabriken, die Akademien und die Universitäten, eindeutig darauf ausgerichtet, den Status quo der alten Herrlichkeit zu verteidigen. Ich möchte Sie an eine Unterredung erinnern, die wir vor vielen Jahren im Europäischen Rat geführt haben. Es war das erste Mal, dass der Europäische Rat der Ministerpräsidenten die Frage der Beziehungen zu China auf die Tagesordnung setzte, wie Europa strategisch über China denken sollte. Wir haben ein so komplexes, so europäisches, intellektuell komplexes, dreistufiges System von Partner, Konkurrenten aufgestellt, und am Ende sagte Angela Merkel, dass China der wichtigste „systemic rival“ sei. Systemic rival! Also, so etwas wie ein Konkurent auf Systemebene. Und dann habe ich mit bescheidener Intensität, unserer Größe entsprechend, gefragt, ob wir, Ungarn, herausfinden können, wer uns, Ungarn, in diesem Wettbewerb nominiert hat? Denn ich weiß nichts davon, dass China der systemic rival Ungarns wäre, und wir denken überhaupt nicht, dass man sich die Welt so vorstellen müsste, dass wir einen Wettbewerb, eninen Systemwettbewerbs mit einer Zivilisation, die ganz anders ist als die unsere, eingehen wollen würden. Wir können über Kooperation, über Interessenkonvergenz, über Konflikte reden, wir können über das alles, aber wie kommt das hierher, dass wir uns entscheiden, eine aufstrebende Zivilisation als unseren Systemrivalen oder Herausforderer einzustufen? Und wenn manche es auch so denken, und Amerika saß damals nicht einmal mit am Tisch, wenn manche es auch so denken, warum müssten wir, Ungarn, dann an diesem Wettbewerb teilnehmen, denn wir haben uns zu diesem Wettbewerb nicht gemeldet? Dies zeigt, meine Damen und Herren, dass die Denkweise der europäischen Eliten immer noch auf demselben alten Weg ist, nachdem sie den Aufstieg der asiatischen Machtzentren erlebt haben. Währenddessen wächst die europäische Wirtschaft nicht, die europäischen Volkswirtschaften werden in diesem Jahr nicht einmal 1 % erreichen, die Vereinigten Staaten werden um 3 % wachsen, die östlichen Volkswirtschaften um 5-7 %, und wenn ich die Prognosen richtig lese, wird dies auch im Jahr 2025 noch so sein. Und ich bin überzeugt: Wenn Europa nicht aus dieser Status-quo-Schutzlogik ausbrechen kann, die zu einer handelspolitischen, wirtschaftlichen und politischen Blockbildung führen wird, und wenn es nicht von der Blockbildung zu einem Denkmuster und einer Denkrichtung übergehen kann, die auf Konnektivität beruht, dann wird der Prozess, dass Europa bei den heute stattfindenden Veränderungen den Kürzeren zieht, längerfristig anhalten.

Ich bin überzeugt, dass Europa aus dieser Denkblase ausbrechen muss, seinen Platz in den Beziehungen zu Asien finden muss, verstehen muss, dass unsere Halbinsel, die wir Europa nennen, Teil der eurasischen Region ist, und alle Vorteile nutzen muss, die diese Tatsache mit sich bringt. Wenn wir sie nicht nutzen, können wir nicht mit anderen Machtzentren in der Welt konkurrieren. Kurzum, wir brauchen eine gute europäische Strategie. Aber hier endet unsere Kompetenz. Ungarn hat nur die Kraft, die politische Kraft, die Strategie umzusetzen, die es sich selbst ausgedacht hat. Wir können uns an einer europäischen Debatte darüber beteiligen, welche Strategie Europa braucht, aber das ist das Feld der hochkarätigen Akteure, wenn die Entscheidung getroffen werden muss, und wir müssen nicht nur intellektuell zu dieser Debatte beitragen. Und ich muss sagen, dass ich heute in Europa, in der europäischen Elite, keine intellektuelle Kraft sehe, die in der Lage ist, aus der von ihr geschaffenen Blase auszubrechen und ihr Verhältnis zur eurasischen Realität in kurzer Zeit zu definieren.

Dies vorausgeschickt, meine Damen und Herren, muss ich an dieser Stelle ein paar Worte zu Ungarn sagen, denn wenn wir uns in der von mir beschriebenen Situation befinden, stellt sich die Frage: Was sollen wir tun, und wie sollen wir es tun? Auf jeden Fall sollten wir nicht warten, denn, wie ich schon sagte, die Zeitfenster und Gelegenheiten für die richtigen Entscheidungen werden vergehen oder sich schließen. Ungarn darf also nicht darauf warten, dass Europa eine Strategie entwickelt, in der wir dann unseren eigenen Platz finden werden. Denn ich sehe nicht, dass Europa eine solche Strategie entwickelt. Die einzige schwache Initiative geht auf den französischen Präsidenten zurück, der vor kurzem eine Formation mit der Bezeichnung Europäische Politische Gemeinschaft ins Leben gerufen hat, die viel mit dem gemein hat, was wir in den Ausführungen des Herrn Präsidenten der Notenbank gesehen haben, und ich glaube, er hat es mit dem Ausdruck Europäisches Commonwealth beschrieben. Aber dies ist eine rudimentäre, unausgereifte Idee, die noch nicht die Unterstützung der großen Mehrheit der europäischen Länder hat. Bis dies zu einer Strategie wird, werden Sie sicherlich nicht nur dem nächsten Ministerpräsidenten zuhören müssen, sondern dem übernächsten. Also das geschieht sicher nicht morgen. Was muss Ungarn tun? Wir können nicht warten, wir müssen unsere eigene Strategie entwickeln, das heißt, Ungarn muss bereit sein, es muss akzeptieren, dass die vor uns liegende Zeit das Jahrhundert Eurasiens sein wird, und wir müssen unseren Platz darin selbst definieren und ihn nicht von einer europäischen Strategie ableiten. Ich sage das ganz leise: Die gute Nachricht ist, dass wir eine solche Strategie haben, die natürlich für den ahnungslosen Beobachter, der sich nicht mit geopolitischer Analyse beschäftigt, meist nur in Form von Zusammenstößen und Streitigkeiten wahrgenommen wird, aber alle Streitigkeiten, die wir heute mit Brüssel haben, rühren von dieser Tatsache her, dass Ungarn eine eigenständige Strategie hat, die sich an den Realitäten, an den neuen Realitäten orientiert, die die von mir genannten Gegebenheiten zur Kenntnis nimmt und die den Platz Ungarns in dieser Strategie sucht, definiert und findet, unabhängig davon, wie die Doktrin Brüssels aussehen mag. Ungarn bewegt sich also in seinen europäischen Beziehungen nicht auf einem Konflikt- oder Minenfeld, sondern setzt eine sehr bewusste nationale Politik und nationale Wirtschaftsstrategie um, deren bestimmendes Element – nicht das einzige, aber das bestimmende Element – die Tatsache ist, dass Ungarn in Eurasien liegt. Das setzt die Tatsache nicht in Klammern, dass Ungarn Mitglied der NATO ist, dass es die Vereinigten Staaten gibt, dass Ungarns Strategie sich nicht nur in Bezug auf Eurasien und Eurasien definieren muss, sondern auch in Bezug auf die Vereinigten Staaten, und dass es sein Beziehungssystem entwickeln muss, was hoffentlich mit der neuen Regierung einfacher sein wird als mit der alten, was keine große Erwartung ist, denn mit der alten gelang es überhaupt nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die ungarische Strategie geht von der Erkenntnis aus, dass Ungarn eine günstige Position in Eurasien einnimmt. Deshalb treiben wir mit allen Ländern Handel. In den letzten zehn Jahren hat sich der Wert der ungarischen Exporte auf die Weise verdoppelt, dass wir unsere Exporte in den Westen und in den Osten gleichzeitig verdoppelt haben. Diese Strategie funktioniert also. Wenn wir uns nicht nur den Handel, sondern auch die Investitionen ansehen, werden wir feststellen, dass Ungarn bei den Investitionen vielleicht am buntesten ist. Ich werde die Zahlen auswendig zitieren; sollte es eine Ungenauigkeit geben, so entschuldige ich mich dafür, aber sie wird nicht sehr groß sein. So haben die Deutschen heute etwa 25-26 Milliarden Euro an Betriebskapital nach Ungarn transferiert, die Amerikaner 9 Milliarden Euro, die Chinesen 10 Milliarden Euro, und bis zum Ende des Jahres werden es 13 Milliarden sein, und im darauffolgenden Jahr wird es weiter steigen. Und dann kommen die Südkoreaner, und danach kommen alle Europäer, was deutlich zeigt, dass Ungarn eine Strategie hat, die sich auch in seiner Handels- und Investitionspolitik widerspiegelt, d.h. Ungarn diversifiziert erfolgreich seinen Handel, langsamer als es sollte, aber erfolgreich, und hat erfolgreich und schnell seine Investitionspolitik diversifiziert. Da wir ein energiearmes Land sind, ist es ebenfalls ein wichtiger Teil der ungarischen Strategie, unsere Energieversorgung zu diversifizieren, zu der jetzt auch die Kasachen und Aserbaidschaner gehören. Und natürlich muss Ungarn an allen wichtigen internationalen Foren in Eurasien teilnehmen: Wir sind überall dabei und werden auch in Zukunft dabei sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich denke, dass die Tatsache, dass im Jahr 2025 Investitionen in hervorragendem Umfang, sogar auf globaler Ebene, getätigt werden, beweist, dass diese Strategie die richtige ist. Im nächsten Jahr wird der größte Eisenbahnausbau in ganz Europa, vielleicht der größte in ganz Europa, die Eisenbahnlinie Budapest-Belgrad, fertiggestellt – mit chinesischer Finanzierung und teilweise chinesischer Ausführung. Neue Autofabriken werden in Betrieb genommen. BMW eröffnet eine neue Fabrik, das chinesische Unternehmen CATL, ein wichtiger Akteur in der Batterieherstellung, die chinesische Sam Corp. Audi hat seine Kapazität in diesem Jahr bereits erhöht, und BYD wird nächstes Jahr in Szeged die Produktion aufnehmen. Das zeigt, dass wir nicht nur eine Strategie in unseren Köpfen und auf dem Papier haben, sondern auch bei der Umsetzung dieser Strategie gut vorankommen. Wenn ich dazu noch hinzunehme, dass laut dem gerade vorgelegten Text des Haushaltsgesetzes im nächsten Jahr 300 große staatliche Investitionen auf den Weg gebracht werden sollen, dann zeigt das, dass unsere Hoffnungen auf den Erfolg dieser Strategie nicht unbegründet sind.

Abschließend möchte ich fragen, warum wir gerade in Ungarn so offen über die miteinander verknüpften Themen Eurasiens und Europas sprechen können, so auch der Ministerpräsident? Es gibt heute nur wenige Länder in Europa, in denen eine solche Konferenz stattfinden würde, und eine, in der der Ministerpräsident in diesem Zusammenhang über Eurasien sprechen würde, ist sehr unwahrscheinlich. Warum ist das so? Eigentlich wenn wir darüber nachdenken, und die Ungarn denken gerne gründlich darüber nach, dann sind wir die lebendige Idee von Eurasien. Wir sind die Inkarnation, die Reinkarnation dieses Wortes. Wir sind ja doch ein Volk, das aus Asien gekommen ist. Gestern habe ich den kasachischen Präsidenten mit der Bemerkung begrüßt, dass Magna Hungaria, der Zusammenfluss der Flüsse, heute in der Tat ein kasachisches Territorium ist, auf der Ostseite des Urals. Wir sind von dort gekommen und sind im Laufe der Zeit zu einem durch und durch westlichen, europäischen Volk geworden. Wir sind die lebendige Idee von Eurasien. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass sich die Dinge für Ungarn glücklich gestalten werden, denn wenn wir vor einer Ära stehen, deren Ausdruck und Gestaltung wir fast selbst sind, dann können wir davon ausgehen, dass die Weltwirtschaft und die europäische Wirtschaft endlich vor einer glücklichen Zeit stehen, die auch für Ungarn eine historische Entwicklungschance darstellt. Ob dies der Fall sein wird, hängt auch davon ab, ob Konferenzen wie die heutige fortgesetzt werden, ob sie wiederholt werden, ob sie neue Ideen und Vorschläge für die jeweiligen europäischen Regierungen und insbesondere für die ungarische Regierung hervorbringen werden. Ich bin Ihnen dankbar für die heutige Konferenz und wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren Beratungen.

Danke, dass Sie mir zugehört haben!

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