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Orbán Viktors Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Mandiner”

Dániel Kacsóh, István Pócza

Das Interview ist die redigierte und erweiterte Fassung des in der vergangenen Woche mit Ministerpräsident Viktor Orbán angefertigten Podcasts.

Die Brüsseler Zeitung Politico hat Viktor Orbán zum Spielverderber des Jahres ausgerufen. Was meinen Sie dazu?

Nun, wenn die Party schlecht ist, ist ein Spielverderber sehr wohl nützlich. Man sollte wissen, dass diese Zeitung nicht von Europa aus redigiert wird, sondern die Ansichten eines großen außereuropäischen politischen Akteurs über die europäische Politik wiedergibt. So sollte man sie auch betrachten.

Das bedeutet, dass es unter anderem auf Anregung der USA geschrieben worden sein könnte, dass der ungarische Ministerpräsident Brüssel als Geisel hielt, indem er in fachpolitischen Fragen sein Veto einlegt, um an Geld zu kommen. Können Sie mir helfen, diesen Satz zu interpretieren?

Ich kann mich nicht an einen solchen Fall erinnern. Es ist noch nie vorgekommen, dass unsere Position in einer politischen Frage davon abhing, ob wir finanzielle Unterstützung erhalten oder nicht. Ich bin stolz darauf, dass die ungarische Diplomatie diese beiden Fragen voneinander trennen kann. Es gibt immer finanzielle Vereinbarungen und tiefere Fragen von fachpolitischer Bedeutung. Diese beiden Bereiche sollten nicht miteinander verwechselt werden. Ich habe schon viele Politiker scheitern sehen, die nicht zwischen Strategie und Taktik unterscheiden konnten.

Apropos, es sieht so aus, als ob die Aussetzung eines Teils der EU-Mittel, auf die wir Anspruch haben, aufgehoben worden ist.

Das werden wir glauben, wenn wir dies sehen. Jeder weiß, dass Ungarn über alle Fragen ausgiebig verhandelt hat und allen Forderungen nachgekommen ist. Heute gibt es keine substantiellen Einwände gegen die Qualität des Funktionierens des Landes, die zuträfen. Wir haben sogar Lösungen akzeptiert, die keinen Sinn machen, aber keinen Schaden anrichten. Es gibt nichts mehr zu tun für uns, was uns zusteht, das steht uns zu. Es hat sich gezeigt, und die Europäische Kommission hat es bestätigt, dass das ungarische Justizsystem nach europäischen Standards funktioniert. Die Linke kann aufhören, sich zu beschweren. Was das Zurückhalten von Geldern betrifft, so hat sich auch gezeigt, dass die ungarische Wirtschaft auch ohne EU-Gelder funktionieren kann.

Die Ukrainer haben vor Kurzem, praktisch über Nacht, mehrere neue Gesetze durchgesetzt, die auch Minderheiten betreffen. Scheinen diese aus unserer Sicht ausreichend zu sein?

Vor acht Jahren wurden den Ungarn ihre Rechte genommen, und vom ersten Moment an haben wir protestiert und dafür gekämpft, dass sie ihnen diese zurückgeben. Vorerst ist uns das nicht gelungen. Jetzt irgendwie – mit dem Nahen von Weihnachten, wurde, offensichtlich mit Hilfe des Heiligen Geistes – ein Gesetz verabschiedet, das den Ungarn etwas gibt. Wir sind dabei, es zu prüfen, aber wir verknüpfen damit keine großen Hoffnungen. Die Lösung ist einfach: Sie sollen die 2015 weggenommenen Rechte zurückgeben!

Auch auf dem letzten EU-Gipfel in diesem Jahr stand die Angelegenheit der Ukraine im Mittelpunkt. Sie hatten zuvor festgelegt, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Ungarn nicht in Frage kommt. Der Beschluss wurde schließlich gefasst, allerdings ohne die Ungarn. Wie bewerten Sie das Geschehen?

Für den Beitritt und die Verhandlungen gibt es klare Bedingungen, Rahmenbedingungen und Details. Nur auf der Grundlage von substanziellen Leistungen kann über eine Aufnahme entschieden werden. Eine gewisse Qualität sollte schon vor Beginn der Beitrittsverhandlungen gegeben sein. Mit dieser Praxis bricht die EU nun mit der Begründung, dass es sich um eine geostrategische Frage handelt. Die Ukraine ist nicht in dem Zustand, dass man mit ihr die Verhandlungen aufnehmen könnte, aber aus politischen Gründen will man dies dennoch tun. Ich habe acht Stunden damit verbracht, die anderen Teilnehmer der Tagung des Europäischen Rates davon zu überzeugen, dies nicht zu tun, dass die Entscheidung nicht zeitgemäß sei und dass wir später darauf zurückkommen sollten. Denn es ist schlimmer, auf schlechte Weise zu helfen, als wenn wir gar nicht helfen würden. Ich konnte sie nicht überzeugen. So stellte sich also die Frage, ob sie Ungarn ihren Standpunkt aufzwingen könnten. Das konnten sie nicht. Das war das Ende der europäischen Einheit in der Angelegenheit der Ukraine. Sie sagten, es seien sechsundzwanzig, und ich sei allein. Ihr entscheidendes Argument war, dass Ungarn hierdurch nichts verlieren würde, da das letzte Wort über den Beitritt dann von allen nationalen Parlamenten gesprochen werden müsste. Außerdem gibt es in der Zwischenzeit einen Prozess, der mehrere Jahre dauern wird, und in der Zwischenzeit gibt es etwa fünfundsiebzig Möglichkeiten für die ungarische Regierung, ihn zu stoppen. Am Ende wurde im Rahmen einer ungarisch-deutsche Vereinbarung die Lösung getroffen, die besagt, dass Ungarn sich weder an dieser schlechten Entscheidung beteiligen noch die Verantwortung dafür übernehmen wird. Wir haben uns für die Lösung entschieden, die De Gaulle gewählt hat.

Warum hat Ungarn schließlich sein Veto gegen die zusätzlichen Gelder für die Ukraine eingelegt?

Wir sprechen hier von 50 Milliarden Euro. Dazu müsste die Europäische Union für diese zusätzliche Hilfe erneut Kredite aufnehmen. Wir haben in diesem „Genre” ausgesprochen schlechte Erfahrungen gemacht, man denke nur an das Scheitern des Post-Covid-wirtschaftlichen-Wiederherstellungsfonds. Wir dürfen nicht mit den finanziellen und wirtschaftlichen Folgen einer Fehlentscheidung über die Beitrittsverhandlungen belastet werden, sondern diejenigen sollen zahlen, die diese schlechte Entscheidung getroffen haben! Ungarn wird immer die Handbremse anziehen, wenn unsere nationalen Interessen auf dem Spiel stehen. Innerhalb dieses Rahmens sind wir zu Finanzverhandlungen bereit.

Die Vereinigten Staaten scheinen der Ukraine immer weniger Hilfe zukommen zu lassen, und Analysten zufolge würden sie die Finanzierung des Konflikts auf Europa abwälzen wollen, wobei ein Schritt darin bestehen könnte, selbst die Mitgliedschaft in der EU zu erzwingen. Was meinen Sie dazu?

Das ist eine Spekulation, aber sie ist nicht auszuschließen. Die Frage ist, warum solche Spekulationen möglich sind. Weil die Ukraine dabei ist, zu verlieren. So etwas würde nicht einmal aufgeworfen werden können, wenn sie im Übrigen auf der Straße des Triumphes marschieren würde. Die Strategie war, dass Amerika und Europa nachdem die Russen das Land – unter Verletzung aller internationalen Rechtsnormen – angegriffen hatten, genügend Unterstützung leisten würden, um die Ukrainer in die Lage zu versetzen, die Angreifer an vorderster Front zu besiegen. Russland würde dadurch eine innenpolitische Krise erleben, und in Moskau würde eine neue Führung an die Macht kommen, mit der Frieden geschlossen werden könnte. Das war der Plan. Nur hat sich inzwischen herausgestellt, dass er nicht funktioniert, denn immer mehr Stimmen geben zu, dass die Ukraine an der Front nicht gewinnen wird. Das haben wir schon von Anfang an gesagt. Krieg ist kein Wunschkonzert, er ist keine Arena der Wünsche, er ist eine Frage des Kräfteverhältnisses. Und jetzt stehen alle da und schieben sich die Schuld zu. Wer würde in einem US-Präsidentschaftswahlkampf, vor allem nach Afghanistan, darüber reden wollen, dass man auch die Angelegenheit der Ukraine vermasselt hat? Offensichtlich nicht der amtierende Präsident, und der Herausforderer würde nicht die Absicht haben, einen Plan zu finanzieren, der eindeutig gescheitert ist. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem die europäischen Staats- und Regierungschefs ihren Wählern sagen müssen, dass sie sich geirrt haben und weitere Milliarden von Euro zahlen müssen. Es gibt keinen Ausweg aus dieser Falle. Wir haben von Anfang an vorgeschlagen, dass wir uns auf den Waffenstillstand konzentrieren, versuchen sollten, Friedensverhandlungen aufzunehmen und uns keinen Illusionen hingeben sollten. Ich sehe kein überzeugendes Argument dafür, dass die Fortsetzung der derzeitigen Strategie einen militärischen Sieg für die Ukraine bringen wird, aber jeden Tag sterben Hunderte und Tausende von Menschen. Dies ist ein brutaler Konflikt, der mit der Grausamkeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs vergleichbar ist. Ganz zu schweigen davon, dass es Momente gegeben hat, in denen eine nukleare Eskalation nicht auszuschließen war.

Darf man sich mit Wladimir Putin treffen, haben Sie eventuell weitere Gespräche mit ihm?

Der russische Präsident wurde vom König in Saudi-Arabien mit Kanonenschüssen begrüßt und vom Chef der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt in Peking empfangen. Es ist ein völliges Missverständnis der internationalen Politik seitens der westlichen Staats- und Regierungschefs, dass ein Nichttreffen mit Putin irgendeinen moralischen Gehalt hätte. Es ist eine Hybris zu glauben, dass ihm dies schlaflose Nächte bereiten würde. In der Politik geht es um Ergebnisse, um Konsequenzen, um die Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen. Deshalb müssen wir uns immer treffen und verhandeln, wir müssen Kontakt halten, wenn wir Konflikte beenden wollen. Ich habe mich nie darum gekümmert, was die Westler darüber gesagt haben, ob ich den russischen Präsidenten treffe oder nicht. Ich werde entscheiden, was im besten Interesse der ungarischen Nation ist, und ich werde mich nicht von der Meinung Brüssels oder Berlins beeinflussen lassen.

Kürzlich trafen Sie auch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, und obwohl Sie unterschiedliche Ansichten über Europa haben, schien die Begrüßung in guter Stimmung zu geschehen. Gibt es so etwas wie die Achse Orban-Macron?

Nein, denn eine Kutsche, bei der ein großes und ein kleines Rad miteinander verbunden sind, funktioniert nicht. Es ist gut zu wissen, wo man zu welcher Gewichtsklasse gehört. Ungarn ist ein stolzes Land, wir haben unsere Selbstachtung und unser Selbstvertrauen, aber Frankreich ist dennoch eine Atommacht mit sechzig Millionen Einwohnern, mit einer Raumfahrtindustrie und einer fantastischen Stärke, und wir gehören nicht in diese Kategorie. Davon abgesehen besitzen Präsident Macron und ich eine gemeinsame Liebe: Europa. Da er als Präsident nicht tagtäglich um seinen Sitz kämpfen muss, kann man mit ihm über visionäre Themen und Konzepte diskutieren. Das große Ganze ist Teil der Politik, aber ein Mann, der täglich ums Überleben kämpft, hat diesen Luxus nicht. Das ungarische Volk hat mir auch dank der starken Zweidrittelmehrheit die Möglichkeit gegeben, über weitreichende Themen nachzudenken und keine Zeit mit Koalitionsdebatten zu verschwenden. Deshalb sind meine Verhandlungen mit Präsident Macron, die mal erfolgreich, mal nicht erfolgreich sind, immer spannend. Er sieht ein fortschrittlich-liberales, modernes, noch nie dagewesenes Europa vor sich, aber ich denke, die Probleme rühren daher, dass wir den Kontakt zu unseren Wurzeln und Traditionen verloren haben. Ich glaube an die christliche Erneuerung.

Sie haben unsere Gewichtsgruppe erwähnt, aber vorhin sagten Sie, dass es für Ungarn wichtig ist, ein Treffpunkt für die entwickeltesten Unternehmen aus dem Osten und dem Westen zu sein. In der Zwischenzeit sieht es so aus, als ob ein weiterer eiserner Vorhang errichtet werden würde, und zwar in wirtschaftlicher Hinsicht. Träumen wir nicht zu groß, zu ambitioniert?

Das ist keine Frage der Größe, sondern der geographischen Lage. Und Ungarn ist ein idealer Ort für das Rendezvous von Ostlern und Westlern. Ich habe Herrn Balázs Orbán, den politischen Direktor, gebeten, seine auf Ungarn zugeschnittene Theorie der Konnektivität zu entwickeln, und Herrn Minister Szijjártó, sie umzusetzen, das heißt, sie in die Sprache der Handels- und Investitionspolitik zu übersetzen. Beide haben hervorragende Arbeit geleistet. In der Praxis bedeutet das zum Beispiel, dass in einem Industriepark in einer ländlichen Großstadt eine deutsche Autofabrik und eine Batteriefabrik aus dem Osten nebeneinander stehen. Aber die Symbiose zwischen westlichen und östlichen Unternehmen findet auch bei anderen Technologien statt. Wäre das nicht so, wären wir nur eine uninteressante, arme Peripherie von Westeuropa.

Kürzlich wurde ein Gesetz darüber verabschiedet, aber es stellt sich die Frage, gegen wen die ungarische Souveränität verteidigt werden soll: gegen unsere westlichen Verbündeten oder gegen mögliche Herausforderer im Osten?

Je nachdem. Also gegen jeden. Die Souveränität ist ein absoluter Wert. Wir waren auf den Beerdigungen aller Imperien, die uns erobert haben, wir haben sie alle überlebt, wir sind erhalten geblieben, und es ist eine wichtige Aufgabe der ungarischen Politik und Regierung, dafür zu sorgen, dass dies auch in Zukunft der Fall ist. Wir müssen vernünftig bleiben. Der Grund, warum ein neues Gesetz zu diesem Thema notwendig war, ist, dass das Grundgesetz zwar den Schutz der Souveränität offensichtlich macht, aber in letzter Zeit deutlich geworden ist, dass es im Rechtssystem Löcher gibt, wie im Emmentaler Käse, durch die die schlaue Maus schlüpfen kann. Bei den Wahlen im letzten Jahr haben die Linken Schlupflöcher gefunden, durch die sie immer noch Millionen von Dollar hereineinrollen lassen konnten, und so hätten sie den Willen des ungarischen Volkes in eine linke, ausländischen Interessen dienende Richtung lenken können. Die Löcher müssen gestopft werden, der Riegel dieser Hintertür muss vorgeschoben werden. Deshalb mussten wir die Verfassung und die Gesetze modifizieren, die einer Zweidrittelmehrheit bedürfen. Ich hoffe, dass es jetzt keine Lücken mehr im Schutz der Souveränität gibt.

Der Osten und der Westen wurden mehrmals erwähnt. Müssen wir wählen? Und haben wir uns schon entschieden?

Wenn wir in zwanzig Jahren auf diese Zeit zurückblicken, werden wir sagen, dass dies die Jahre waren, in denen der große Kampf zwischen geistigen und materiellen Kräften in der Welt für eine lange Zeit entschieden wurde. Aber jetzt dürfen wir nicht spekulieren, wir müssen kämpfen, und wir dürfen nicht zulassen, dass wir statt der Freiheit und der Verbindung miteinander wieder in die Blockbildung des Kalten Krieges zurückfallen. Ich habe die ersten sechsundzwanzig Jahre meines Lebens in einer solchen Welt verbracht, und ich kann mit Gewissheit sagen, dass dies keine gute Idee ist. Wir müssen in eine andere Richtung gehen.

Wie schätzen Sie die Aussichten für die Europawahlen im nächsten Jahr und die Chancen für einen Vormarsch der Rechten ein?

Ich bin in meinen Erwartungen an die europäische Politik mehrfach enttäuscht worden. Ich hatte gehofft, dass sich eine rechte Gemeinschaft oder Gruppierung herausbilden könnte, die der gemäßigten Rechten – nennen wir sie Europäische Volkspartei – deutlich macht, dass wir nicht immer nach links schauen sollten, dass wir nicht immer die Zusammenarbeit mit der Linken suchen sollten. Eine Mehrheit kann auch dadurch erreicht werden, dass die rechte Mitte mit der Rechten zusammenarbeitet, zum Beispiel in den Bereichen Migration, Gender oder Krieg. Mehr als einmal dachte ich, wir stünden kurz davor – aber so war es nicht. Deshalb bin ich jetzt vorsichtig. Wenn man sich den Mund mit heißer Milch verbrannt hat, trinkt man selbst das kalte Wasser, indem man es durch Blasen weiter kühlt.

War es ein ähnlicher Moment, als Ursula von der Leyen Präsidentin der Europäischen Kommission wurde?

Das wurde eigentlich von Frankreich, das den Süden anführt, und den V4 vereinbart, um erst Herrn Weber und dann Herrn Timmermans aus dem Sattel zu werfen. Es war von allen Möglichkeiten immer noch die beste Option. Diese Ehe ist nicht glücklich, aber wir hätten nur ein schlechteres Paar haben können. Auf jeden Fall sind wir froh, dass diese fünf Jahre bald hinter uns liegen.

Würden Sie die Wiederwahl der Präsidentin unterstützen?

Ich bin doch nicht verrückt! Wir haben nichts Gutes erhalten, was dies begründen würde. Und was die Führung angeht, so waren es schlechte fünf Jahre. Ich würde es lieber sehen, wenn jemand käme und endlich eine neue Richtung einschlagen würde, als eine entschlossene, gute Führungskraft.

Haben Sie einen Kandidaten oder ein Ideal, wer das sein könnte?

Ich habe immer ein Ideal, aber ich habe keinen Kandidaten – das ist wieder nur das Spiel der großen Jungs. Natürlich haben wir eine wichtige Stimme im Europäischen Rat, und ich mache keinen Hehl daraus, dass wir untereinander darüber sprechen, wer besser wäre, da wir mit der derzeitigen Situation nicht zufrieden sind.

Es steht eine weitere Wahl an, bei der natürlich Dinge in einer ganz anderen Dimension auf dem Spiel stehen. Bei den Kommunalwahlen kalkuliert jeder vor allem über Budapest, darüber, ob der Fidesz die Hauptstadt aufgegeben habe. Was steht auf dem Spiel?

Die Fidesz-KDNP ist die größte politische Kraft in Budapest. Es ist für uns moralisch inakzeptabel, die Hauptstadt des Landes nicht ernst zu nehmen. Unterschiedlich gesinnte Parteien verbünden sich gegen uns, um zu verhindern, dass der Fidesz als stärkste Partei den Oberbürgermeister stellt. Das ist Teil des politischen Spiels. Aber es ist eine Tatsache: Unsere Ideen, unsere Gedanken, unser Programm haben die größte Unterstützung. Die meisten Menschen in dieser Stadt wollen stolz auf Budapest sein, nicht nur, weil es ihre Heimat ist, sondern auch, weil es die Hauptstadt ihres Landes ist. Das ist es, was wir als eine rechte, eine bürgerliche Kultur in Budapest bezeichnen können. Wir machen zwar nicht 50 Prozent aus, aber dies ist immer noch die größte Gruppe. Wir müssen ihnen dienen und sie vertreten, also werden wir auch jetzt für Budapest kämpfen.

Können wir vom Fidesz-Vorsitzenden ein mögliches Entscheidungsdatum erfahren, wann der Kandidat für das Bürgermeisteramt bekannt gegeben wird?

Spätestens Anfang März.

Noch eine Frage zur Opposition. Vermissen Sie nach dreizehn Jahren mit zwei Dritteln eventuell eine Herausforderung, die den Fidesz ein wenig in Bedrängnis bringen könnte?

Die Stärke unserer Gegner liegt nicht im eigenen Land, sondern im Ausland. Wir haben da die Ära Gyurcsány, von der wir gerne sagen würden, dass wir sie endlich hinter uns gelassen haben, aber die großen linken Kräfte Westeuropas und Amerikas würden sie gerne zurückholen. Wir haben das nicht nur in Worten oder ermutigenden Gesten gesehen, sondern auch in Millionen von Dollar, die gefloßen sind. Das ist so zusammen eine Menge: das Soros-Imperium, das gesamte westliche linksliberale Mediennetz, Geschäftsleute und ausländische staatliche Gelder von wer weiß woher – das ist viel für ein Land von der Größe Ungarns.

Die ungarische Opposition scheint aber doch nicht die beste Investition zu sein.

Zweifellos, aber für uns ist es das trotzdem eine ernsthafte Herausforderung; Ungarn und die ungarische Rechte werden all ihre Kräfte aufbringen müssen, um diesen internationalen Goliath als David zu besiegen. Auch beim letzten Mal hat es eines großen Bravourstücks bedurft. Der Ausgang des Kampfes ist offen. Ich werde die ungarische Opposition nicht mit einer Handbewegung abtun, nur weil sie im Parlament kein Gewicht hat. Das Wesentliche ist, was dahinter steht. Und das ist eine ernstzunehmende Kraft. Was das Niveau angeht, so ist es gut, wenn man sich nicht selbst betrügt. Von der Tribüne aus gesehen ist es logisch zu sagen, dass es zwei gute Mannschaften braucht, um ein gutes Spiel zu haben. Nur trage ich das Trikot einer der Mannschaften, mit der Kapitänsbinde, also macht es mir nicht so viel aus, wenn wir ihnen sechs Tore schießen. Das ist mir lieber als eine ausgeglichene, nach Unentschieden riechende Auseinandersetzung.

Was sind die Pläne für die EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr?

Europapolitik ist eine dossierbasierte Politik, und es ist die Aufgabe des Ratsvorsitzes, sie zu verwalten und die Dinge voranzubringen. Dies ist eher eine friedensstiftende, ausgleichende Rolle als das übliche nationale Interesse, das kriegerische Ungarn. Es wird eine andere Art von Aufgabe sein. Wir haben das schon einmal gemacht: 2011 hatte Ungarn den rotierenden Ratsvorsitz inne. Es hat sich gezeigt, dass die ungarische Diplomatie und die öffentliche Verwaltung so gut vorbereitet und sachkundig sind wie jedes andere europäische Land. Ich arbeite auch jetzt mit guten Leuten zusammen, wie schon 2011.

Wenn ich mich richtig erinnere, lautete der Slogan “Starkes Europa”.

Leider ist die EU in den letzten zehn Jahren nicht stärker, sondern schwächer geworden.

Wenn ich mir die Signale der ungarischen Opposition und der Kritiker im Ausland ansehe, die sagen, dass Orbán sein Land aus der Gemeinschaft herausführt, dann stellt sich die Frage, ob wir im nächsten Jahr noch drin sein werden.

Nicht raus, sondern rein. Immer weiter rein! Mein Plan ist nicht der Austritt, sondern die Einnahme von Brüssel. Ich schlage nicht vor, dass Ungarn abseits stehen soll, am Rande, außerhalb, sondern dass es hineingeht, seine Ideale, seine Werte, sein Programm vertritt und immer mehr Länder davon überzeugt, dass dies der richtige Weg ist. Auch deshalb ist der Erfolg zu Hause wichtig. Damit, wenn wir etwas sagen, ein erfolgreiches Land spricht. Man kann klug sein, aber wenn man nicht erfolgreich ist, wer wird einem dann zuhören? Wir haben es geschafft, Vollbeschäftigung zu erreichen, wir haben die ungarische Wirtschaft nach der Krise von 2010 wieder aufgebaut, wir haben das Land vor der Migration geschützt, und wir haben ein konservativ-christliches politisches System, das verdient, das Vertrauen der Menschen zu erhalten. All das sind Dinge, die unseren Argumenten in Brüssel mehr Gewicht verleihen. Ich würde mir wünschen, dass Brüssel und Europa insgesamt ernsthaft darüber nachdenken, ob sie nicht lieber auf Ungarn schauen sollten, statt auf den progressiv-liberalen Wahnsinn, den wir heute erleben. Vielleicht finden sie ja etwas, das sie vom ungarischen Modell übernehmen können.

Wie sieht Weihnachten in der Familie Orbán aus? Gibt es irgendeine Tradition?

Im Zeitraum des Anzündens der Adventskerzen herrscht vier Wochen lang Ruhe, aber wenn die Vorbereitungen für das Abendessen an Heiligabend beginnen, ist es, als ob alles durcheinander gerät, die Nerven liegen blank. Es gibt einen Moment, etwa um drei oder vier Uhr nachmittags, in dem es nicht einmal klar ist, ob hieraus wirklich noch Weihnachten wird. In solchen Momenten ist die Ruhe des Familienoberhaupts gefragt, irgendwie muss man die Dinge in die Hand nehmen, damit alles rechtzeitig fertig wird. Und wie durch ein Wunder kommt der Engel herab, alles passt, alles wird ruhig. Meine Aufgabe ist es, den Ofen anzuheizen, ein Männerjob, und auf Anraten meines verstorbenen Freundes William Gelsey mache ich englischen Pudding. Das entspricht meinen Fähigkeiten: Man kann ihn halbfertig kaufen und man muss ihn etwa zwei Stunden lang in Wasser kochen. Meine Aufgabe ist lediglich, dort Wache zu halten, damit er nicht auseinanderfällt. Nach ein paar bangen Stunden ist alles an seinem Platz, und die Stimmung wird zu einem tiefen, ergreifenden, liebevollen Frieden. Wir freuen uns gemeinsam über den kleinen Jesus. Das ist der Moment, in dem wir alle spüren, dass die Familie heilig ist.

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