Zsolt Bayer: Wir begrüßen unsere sehr geehrten Zuschauer herzlich, hier sind Ambrózy, Bayer und Pik. Da ich aber ehrlich gesagt keine Spiele mit französischen Karten mag, aber ein großer Ultispieler bin, und dafür drei Leute nötig sind, haben wir den Ministerpräsidenten eingeladen. Guten Tag, Herr Ministerpräsident!
Die beste Wahl. Guten Tag!
Zsolt Bayer: Ultispielen ist eine ernste Angelegenheit, das muss man zugeben!
Es gehört zu den Grundkenntnissen des Berufs. Man macht sich über mich lustig oder verspottet mich, wenn ich sage, dass jemand, der nicht Ultispielen kann, nicht Ministerpräsident werden kann, aber das ist eine todernste Aussage, wenn man bedenkt, dass es in Europa keine andere Politik gibt, die mit der ungarischen vergleichbar wäre – aufgrund der Geschichte, aus vielen Gründen – und es gibt auch kein Spiel, das mit Ulti vergleichbar wäre, weil überall Paarspiele gespielt werden. Dass es ungerade ist, ist eine ungarische Besonderheit. Wenn ich also etwas erreichen will, verbünden sich zwei gegen mich, und ich muss sie besiegen. Oder wenn man selbst nichts Gutes tun kann, muss man sofort demjenigen das Spiel verderben, der es könnte. Das ist das Wesentliche der ungarischen Politik.
Zsolt Bayer: Gut! Daraus ergibt sich auch gleich meine erste Frage. Lassen Sie uns gleich in die Innenpolitik einsteigen. Dein Herausforderer ist ein Mann, der, wenn er nicht Dein Herausforderer wäre, von der linken und liberalen Presse den ganzen Tag als notorischer Lügner und Frauenverprügler angeprangert würde. Aber da er Dein Herausforderer ist, tragen sie ihn auf Händen. Lass‘ mich Dich fragen, wie Du das siehst. Ist das das Ende der Politik oder ist das heute Politik?
Wir kennen die Antwort auf diese Frage nicht. In ein paar Jahren können wir vielleicht antworten, ob die Zeit der alten Schule, sagen wir mal, Politiker wie wir, die von Fakten, Programmen, Arbeit, Ergebnissen und Verantwortung ausgehen, wirklich vorbei ist oder nicht, und ob eine neue Art von Politikern gekommen ist. Ich sehe das so wie der alte Sekler es mit der Giraffe hält: schön, schön, aber nicht für zu Hause…
Áron Ambrózy: Wenn schon Fakten und Realität. Jetzt am Wochenende war der Kongress der Tisza-Partei, auf dem es fast gelungen wäre, Kandidaten vorzustellen, aber dann hieß es, dass dies doch nicht geschehen würde, sondern dass sie nun ihr Programm vorstellen würden, um ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. In diesem Zusammenhang habe ich folgende Frage: Als Sie sich 2009 und 2010 auf die Regierungsübernahme vorbereiteten, welche Kongresse haben Sie abgehalten? War es so, dass Mihály Varga und Tamás Deutsch sich an einen Tisch setzten und besprachen, dass die Menschen im Mittelpunkt Ihrer Regierungsarbeit stehen würden?
Großartig…
Áron Ambrózy: Oder war es etwas komplizierter?
Ich würde eher sagen – und damit kommen wir dem Kern der Sache näher –, dass wir immer eine organisierte politische Gemeinschaft hatten, die man Partei nannte. Das bedeutet, dass es Mitglieder gibt, dass es Gruppen gibt, dass es lokale Führungskräfte gibt, dass es Verantwortung gibt, dass man Rechenschaft ablegen muss, dass wir also wie eine Organisation funktionieren. Was wir hier vor uns haben, ist etwas anderes. Was Sie ansprechen, ist eine digitale politische Bewegung namens Tisza. Die haben keine Partei. Zumindest nicht im Sinne, wie wir das verstehen, also mit Kandidaten, Mitgliedern, Verantwortung, Zuständigkeiten und einem Programm. Dies ist eine digitale politische Bewegung. Wir sprechen hier von einer sehr ernsten Angelegenheit, denn es ist gut möglich, dass solche digitalen Bewegungen die traditionellen politischen Parteien ablösen werden. Wir wissen auch nicht, ob das so kommen wird oder nicht. Was ich weiß, ist, dass wir eine nach europäischen Maßstäben beispiellos erfolgreiche und große politische Gemeinschaft, unsere Partei und ihre Unterstützer haben. Auf der anderen Seite gibt es eine digitale politische Bewegung, aber keine Partei. Wir hatten lange Zeit keine digitale politische Bewegung. Vor einem Jahr habe ich zum „Fight Club” aufgerufen, in Tusnádfürdő, dass wir junge Menschen brauchen, die bereit sind, sich zu engagieren und zu kämpfen, und irgendwann vor einigen Monaten haben wir mit dem Aufbau begonnen. Damit haben wir nun auch schon eine halbe digitale politische Bewegung. Meine Hypothese, die ich überhaupt nicht belegen kann, die auch die Wissenschaft nicht belegen kann, weil wir uns gerade in einer solchen Übergangsphase befinden, lautet, dass wir in dieser modernen Welt eine politische Partei brauchen, eine traditionelle, gut organisierte, traditionelle politische Partei, und dass wir eine digitale politische Bewegung brauchen. Wir haben von diesen beiden eineinhalb. Der Gegner hat eine. So sieht die Lage derzeit aus.
Zsolt Bayer: Ich verspreche Dir jetzt, dass wir bald Fragen haben werden, auf die es konkrete Antworten gibt.
Ich könnte mir zum Beispiel selbst dazu eine Nebenfrage stellen, auf die ich antworten könnte. Zum Beispiel, worüber konnten die beiden künftigen Minister auf dem Kongress der Fidesz-Partei, die sich auf die Regierungsbildung vorbereitet, gesprochen haben, nicht wahr? Wahrscheinlich haben sie darüber gesprochen, wie wir es früher gemacht haben. Denn wir hatten zwischen 1998 und 2002 ein Vorleben. Wir konnten sagen, dass wir dies und das und jenes getan haben, dass Gyurcsány und seine Leute dies und das zerstört haben, dass wir das, was gut war, aus dieser Zeit übernehmen, was schlecht war, dort lassen, und Gyurcsány und seine Leute sollten wir vergessen, und tschüss! Wahrscheinlich hätten wir darüber gesprochen. Und wenn jetzt ein solcher Kongress stattfinden würde, auf dem wir diskutieren würden, würde ich wahrscheinlich darüber sprechen, dass wir 2022 einige Dinge versprochen haben. Die haben wir umgesetzt, ich glaube zu über 90 Prozent. Wir halten uns aus dem Krieg raus, auch wenn die Brüsseler sich auf den Kopf stellen. Migranten kommen nicht in Frage, auch wenn Brüssel den Migrationspakt, den es verabschiedet hat, annimmt. Zeitgleich mit den Wahlen 2022 gab es eine Abstimmung über Gender. Ein Referendum. Was auch immer dabei herauskommt, wir werden ein Gesetz zur Verbannung des Gender in Ungarn verabschieden. Wir werden die Steuervergünstigungen für Kinder verdoppeln. Wir werden das größte Steuererleichterungsprogramm Europas durchführen. Wir werden die Einführung der 13. Monatsrente durchziehen. All das haben wir uns vorgenommen. Ich sitze jetzt auch deshalb so ruhig hier, egal, ob es eine digitale politische Bewegung gibt oder Tisza dies und das sagt, denn wir haben 2022 Dinge versprochen, und wenn ich mich hinstellen muss, und früher oder später kommt dann der Wahlkampf und ich muss mich hinstellen, dann kann ich sagen: Seht her, wir haben mehr als 90 Prozent davon umgesetzt. Warum sollte das Wahlergebnis 2026 anders ausfallen als 2022? Deshalb gehe ich ganz gelassen in diese Wahl. Das einzig Beunruhigende und Neue ist, dass man die Opposition, die alte Opposition hat verschwinden lassen und an ihrer Stelle hat man eine digitale politische Bewegung geschaffen, die neu ist und deren Auswirkungen wir noch nicht kennen. Aber ich glaube nicht, dass irgendeine digitale Bewegung die Leistung übertrumpfen kann.
Áron Ambrózy: Aber überschreibt Charisma nicht die Leistung? Denn meiner Erfahrung nach erwarten die breiten Massen heutzutage nicht, dass ein Politiker oder ein angehender Politiker sein Handwerk versteht oder gar Ahnung von dem Fachgebiet hat, in das ihn die jeweilige politische Gemeinschaft entsenden wird, sondern dass er ein guter Mensch ist. Es hat sich so eine aus dem 19. Jahrhundert stammende puritanische Vorstellung der Welt bemächtigt, dass gute Menschen Gutes tun und schlechte Menschen Böses, und dass es daher nur die Aufgabe der Menschen sei, gute Menschen zu wählen.
Ja, das ist ein echtes Problem, ein echtes Problem der europäischen oder westlichen Politik, das ich als Jurist als „Absichtsverantwortung” bezeichnen würde. Die westlichen Liberalen wollen also wirklich wissen, was du vorhast. Wenn du ein guter Mensch bist, sind deine Absichten gut. Das mag für eine Wahl reichen, aber für die nächste sicher nicht. Denn nach vier Jahren, wenn du regierst, sagen sie: Na gut, interessant, was deine Absichten waren, mein lieber Freund, aber was ist das Ergebnis? Das nennt man Ergebnisverantwortung. Deshalb lautet meine Antwort auf die Frage, die mir gerade gestellt wurde: Auch der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Aber das ist kein Grund, in die Hölle zu fahren.
Zsolt Bayer: Ich sehe die Situation noch schlimmer. Ich finde, Kollege Ambrózy hat es idealistisch formuliert: Sei ein guter Mensch, dann wirst du Gutes tun. Digitale politische Bewegung oder digitaler Bluff, nicht wahr: Daraus folgt für mich, obwohl ich schon ein Boomer bin, dass jemand, der heute in die Politik geht und beispielsweise direkt den Anspruch erhebt, dieses Land zu regieren, im digitalen Raum gewinnen will. Aber um im digitalen Raum zu siegen, was auch immer das bedeuten mag, braucht man meiner Meinung nach ganz andere Fähigkeiten als die, die man braucht, um ein Land zu regieren. Um in diesem virtuellen Raum großartig zu sein und möglichst viele Likes zu bekommen, braucht man meiner Meinung nach auf jeden Fall eine Grundvoraussetzung: völlige Hemmungslosigkeit. Man muss auch seinen Intellekt ausschalten. Um ein Land zu regieren, muss man beispielsweise fünf, zehn, ja sogar zwanzig Jahre im Voraus denken können, man muss Visionen haben, man braucht etwas, man braucht doch eine gewisse Hemmschwelle im positiven Sinne.
Man muss einen Weg finden, ernsthaft mit den Menschen zu sprechen, denn wenn man nur im digitalen Raum surft, verschwinden die Fakten tatsächlich irgendwann.
Zsolt Bayer: Das ist meine Befürchtung.
Aber Politik und das wirkliche Leben basieren nun einmal auf Fakten, und gerade bei einer Regierungspartei wie der unseren ist das stärkste Argument doch, was wir auf den Tisch gelegt haben. Und wenn wir es gut machen, ist das nicht zu übertreffen, das ist unschlagbar. Ich nenne ein paar Beispiele. Nehmen wir 2010 und 2025, wo wir jetzt stehen, das sind fünfzehn Jahre. Damals gab es 13 Prozent Arbeitslosigkeit, eine Million Arbeitsplätze weniger als heute. Das ist nicht von selbst gekommen, das ist nicht aus dem Boden gewachsen, das haben die Menschen geschafft, die lokalen Führungskräfte, die Unternehmen, die Regierung, die jeweilige Wirtschaft, wir haben das gemeinsam geschafft. Es gibt immerhin eine Million Arbeitsplätze mehr. Die Menschen haben 1,1 bis 1,2 Millionen mehr Autos als früher. Ich nenne etwas Primitives. Manchmal sind die primitiven Dinge am aussagekräftigsten. Ich erinnere mich, dass ein Ungar im Jahr 2010 54 Kilogramm Fleisch pro Jahr gegessen hat. Jetzt sind es 68! Und dann…
Zsolt Bayer: Das sieht man uns an…
Ja, wir haben mehr davon übernommen. Wir alle drei haben das getan. Ich glaube, wir haben sogar etwas mehr übernommen, als uns zusteht… Außerdem war es damals so, glaube ich, dass der Durchschnitt bei 53 lag, die Armen, die ganz unten waren, hatten 44. Jetzt liegt der Durchschnitt bei 68 und der Verbrauch der Menschen, die darunter liegen, bei 64. Wenn wir uns also normal hinsetzen und reden können, dasselbe gilt für die Häuser, also die Wohnungen, oder dasselbe gilt für die finanziellen Ersparnisse, wenn wir also ruhig und gelassen darüber reden können, was in diesem Land los ist, wo wir herkommen, wo wir hingekommen sind, wo wir von hier aus hinkommen können und auf welchem Weg wir dorthin gelangen können, dann können wir diese Wahl nicht verlieren.
Zsolt Bayer: Du hast Recht, entschuldige, Du hast Recht, aber ich muss hier etwas einwerfen, und danach werde ich mich aus diesem Thema zurückziehen, so wie es ist. Das ist so. Darum sollte es in der Politik gehen, denn das ist Politik nach unserem Verständnis. Im Gegensatz dazu habe ich heute Morgen wie üblich im Net die Nachrichten gelesen, und in allen Medien, die sich als seriöse politische Portale bezeichnen, war die Schlagzeile, die einem sofort ins Auge sprang, in großen Buchstaben zu lesen: Viktor Orbán und – ich weiß nicht, welche – Pornodarstellerin haben ein gemeinsames Foto gemacht.
Ihr erstes gemeinsames Foto.
Zsolt Bayer: Ihr erstes gemeinsames Foto. Verstehst du? Und das ist heute Politik. Und in solchen Momenten sage ich mir, dass ich mit dem Ganzen Schluss mache und setze mich in die Bibliothek.
Aber sind wir wirklich im Recht? Ich erinnere mich an die Diskussionen vor zwanzig Jahren, als die Boulevardpresse in Ungarn aufkam – die Briten nennen sie aus irgendeinem mysteriösen Grund „Tabloid“ –, und wir haben damals viel darüber nachgedacht, was es bedeutet, dass mehr Menschen die Blikk lesen als eine seriöse Tageszeitung. Weil auf der Titelseite von Blikk immer auffällige Fotos waren. Und was das für eine Sache war, und dass dort auch über Politik in einem boulevardesken Ton berichtet wurde. Die Klage, die ich jetzt von Dir höre, ist mir also nicht unbekannt.
Zsolt Bayer: Stimmt.
Das gab es schon einmal. Ich denke, es liegt an uns, wie wir damit umgehen.
Áron Ambrózy: Eine Generation zuvor haben sich die Leute darüber beschwert, dass die Leute keine seriösen Zeitungen lesen, sondern die Nemzeti Sport.
Das ist schon sehr…
Zsolt Bayer: Die seriöseste Zeitung…
Áron Ambrózy: Aber im Zusammenhang mit der Boulevardpresse.
…konservative Welt.
Áron Ambrózy: Ich teile Zsocas Pessimismus ein wenig. Stellt euch einmal das Spiel vor, Hegel würde auf Facebook schreiben, wie wir von der These zur Synthese gelangen, und ich würde mich auf Facebook mit ihm darüber streiten. Zuerst würde ich ein lachendes Smiley-Gesicht einfügen, dann würde ich schreiben: „No comment“, und wenn er mich fragen würde, was ich damit sagen wollte, würde ich ihm erklären, dass Königsberg heute nicht zufällig Kaliningrad heißt, weil du solchen Unsinn von dir gibst. Wer hat diese Diskussion gewonnen? Nun, nicht Hegel …
Zsolt Bayer: Ja.
Das wissen wir noch nicht, es liegt noch ein langer Weg vor den Menschen in Europa und Königsberg, wir werden sehen. Aber seit es Demokratie gibt, gibt es auch das Problem der Bildung in der Politik. Solange die Virilisten gewählt haben, also diejenigen, die die höchsten Steuern gezahlt haben, oder das Wahlrecht an einen Bildungszensus geknüpft war, was übrigens von Mi Hazánk (Unsere Heimat) gelegentlich thematisiert wurde, war der Ton der Politik und das Auftreten der Politiker anders. Jetzt gibt es das allgemeine Wahlrecht. Man kann darüber klagen, ob das gut ist oder nicht, aber so ist es nun einmal. Die Entscheidungsbefugnisse eines Landes, sagen wir die Machtverteilung, werden auf der Grundlage der Entscheidung der gesamten Gemeinschaft festgelegt. Man kann meiner Meinung nach sagen, was wir gerade von Hegel gehört haben, dass nur wenige die entsprechenden Werke gelesen haben und dass dies ein Problem ist, aber man kann es auch so sehen, dass es unsere Aufgabe als Politiker ist, Hegel so zu erklären, dass die Menschen das Problem der These, Antithese und Synthese verstehen können.
Zsolt Bayer: Klar.
Das ist eine fachliche Aufgabe. Eine komplizierte Haushaltsfrage, Staatsverschuldung und ähnliches kann man auch wissenschaftlich erklären, aber in einer Demokratie kommt man damit nicht weit. Man kann das Problem aber auch beim Schopf packen und in zwei Sätzen erklären. Wer dafür Talent hat, soll in die Politik gehen, wer nicht, lieber nicht. Unernsthaftigkeit und Verständlichkeit sind also keine Synonyme. Zweifellos geht durch die Vereinfachung etwas vom Inhalt verloren, aber wenn man ein guter Politiker ist, kann man auch den am wenigsten gebildeten Menschen das Wesentliche vermitteln. Man muss nur alles mit ihrem Verstand durchdenken, es in ihre Sprache übersetzen und so sagen, dass es für sie wichtig ist und sie es verstehen. In der Politik soll es nicht darum gehen, wie klug man ist und einen Zusammenhang in seiner eigenen Sprache erklärt, das kann jeder, das kann sogar ein Akademiker, Politik ist doch viel mehr als das. Man muss es so sagen, dass es jeder versteht. Das ist eine große Aufgabe, eine große Herausforderung, und mit dem Vormarsch des virtuellen Raums wird diese Herausforderung immer größer. Vielleicht kommt ein Moment, in dem auch ich den Faden verliere. Im Moment habe ich noch das Gefühl, dass ich mithalten kann und Antworten auf diese Phänomene habe, aber wir werden sehen, wie sich das entwickelt, wir sollten die Politik deswegen noch nicht begraben.
Zsolt Bayer: Wir haben noch eine Minute aus dem ersten Teil, und ich verspreche jetzt, dass wir nach der Pause zu den konkreten Themen kommen werden. Um diese eher philosophische Unterhaltung abzurunden, möchte ich noch sagen, dass Winston Churchill einmal gesagt haben soll, das beste Argument gegen die Demokratie sei ein 15-minütiges Gespräch mit einem Wähler. Aber aus dem, was Du gerade gesagt hast, folgt doch, dass man das auch umdrehen kann. Das beste Argument für die Demokratie ist, dass man mit jedem Wähler so spricht, dass er das Gefühl hat, verstanden zu haben, was man ihm sagen wollte.
Und man muss ihm auch den Kern der Sache sagen. Er soll es nicht nur fühlen, sondern auch verstehen. Das wäre die Aufgabe.
Zsolt Bayer: Das wäre es, und nach der Pause werden wir einige Fragen besprechen, auf die es konkrete Antworten gibt, und wir werden versuchen, all dies so zu erklären, dass es jeder versteht. Wir machen eine kurze Pause und kommen dann zurück.
Lassen Sie mich mit einer traurigen Angelegenheit beginnen, die meiner Meinung nach jeden anständigen Ungarn zutiefst erschüttert. In der Ukraine wurde während der Zwangsrekrutierung – wir wissen natürlich nicht genau, was passiert ist, aber höchstwahrscheinlich ist es ganz einfach so, dass ein Mensch zu Tode geprügelt wurde. Er wurde so schwer verprügelt, dass er später an seinen Verletzungen starb. Hinzu kommt, dass dieser Mann konkret ungarischer Abstammung und sogar ungarischer Staatsbürger war, was natürlich bedeutet, dass er als Mitglied unserer Nation und unserer politischen Gemeinschaft als Land und als Staatsbürger in unserer Verantwortung stand. Meine Frage an Dich lautet: Wir sind Mitglieder einer großen europäischen politischen Gemeinschaft, die sich Europäische Union nennt. Diese politische Gemeinschaft ist heute an einem Punkt angelangt, an dem bald sogar vorgeschlagen werden wird, uns aus dieser politischen Gemeinschaft auszuschließen, weil wir beispielsweise nicht zulassen wollen, dass bärtige Männer in Frauenkleidern in Kindergärten den Kindern abartige Geschichten vorlesen. Gleichzeitig drängen sie auf die sofortige Aufnahme eines Landes, in dem so etwas überhaupt passieren kann. Und von diesem Punkt an schaut man wieder nur noch vor sich hin, zumindest ich, und versucht zu begreifen: Erstens, wie ist so etwas möglich? Zweitens, was suchen wir eigentlich hier?
Was den konkreten und tragischen Fall angeht, so geschehen in einem Land, das sich im Krieg befindet, schreckliche Dinge. Vor allem an der Front. Und die Einberufung ist natürlich auch schwierig, auch dafür gibt es Gesetze. Bis hierhin kann man das alles verstehen. Aber selbst in einem Land, das sich im Krieg befindet, ist es nicht akzeptabel, Menschen zu Tode zu prügeln, weil man glaubt, dass sie nicht wollten, nicht konnten oder unter falschen Vorwänden nicht wollten, wir wissen es nicht genau, sie standen nicht zur Verfügung, als sie einrücken sollten. Man kann sie verurteilen, man kann sie einziehen, aber man kann sie nicht zu Tode prügeln! Das geht also in keinem Land, das sich im Krieg befindet. Wenn der Mensch, der erschlagen wird, sogar Bürger eines anderen Landes ist, steht er unter dessen Schutz, außerdem gehört er einer Gemeinschaft an, der Europäischen Union, der das Land, das sich im Krieg befindet, gerade beitreten will, dann ist das erst recht nicht zulässig. Und hier kommt der Punkt, an dem die Europäische Union auf keinen Fall schweigen darf. So etwas geht nicht! Man kann nicht an einem Tag Reden über die Eignung der Ukraine für die EU-Mitgliedschaft halten und am nächsten Tag die Menschen begraben, die bei Zwangsrekrutierungen zu Tode geprügelt wurden. Was Ungarn auf nationaler Ebene tun kann, ist übrigens, die Familie zu unterstützen. Wir verfolgen also, was passiert, wir sehen die Familien, aus denen Ungarn im Rahmen von Zwangsrekrutierungen oder regulären Einberufungen verschleppt wurden, wir wissen, wie viele gestorben sind, wir wissen, wie viele Waisenkinder zurückgeblieben sind, wie die Familien aussehen, und wir helfen ihnen. Da es sich um Bürger Ungarns handelt, das zur EU gehört, klopfen wir auch in Brüssel an die Tür und fordern, dass Brüssel gegen die Praxis der Zwangsrekrutierungen in der Ukraine vorgeht.
Áron Ambrózy: Und wird die ungarische Regierung eine internationale Untersuchung fordern oder jemanden entsenden?
Wir haben jetzt zwei Fäden in die Hand genommen, am Ende werden wir hier ankommen. Das muss natürlich untersucht werden.
Zsolt Bayer: Bleiben wir bei dieser Europäischen Union und ihrem aktuellen Zustand. An meinen schlechten Tagen denke ich, dass hier etwas passiert, für das es nur einen einzigen möglichen Grund gibt, nämlich dass die Europäische Union heute von völlig unfähigen Menschen geführt wird, um nicht zu sagen: von Idioten.
Das ist das optimistische Szenario.
Zsolt Bayer: Ja. Und ja, vielleicht ist das das optimistische Szenario, denn wenn hinter all dem, sagen wir mal, hinter der erzwungenen Aufnahme der Ukraine, ein Masterplan steckt, den ich nicht kenne, aber wenn es einen gibt, dann ist es vielleicht noch schlimmer. Gibt es einen Masterplan?
Es gibt einen, und die Lage ist noch schlimmer, als die Frage vermuten lässt. Wie es dazu gekommen ist, würde eine lange Diskussion erfordern, aber ich kann vielleicht den Punkt benennen, an dem die Wende stattfand, an dem die Welt der normalen Debatten in eine mehrheitliche europäische Regierungsführung kippte, die als Wahnsinn erscheint. Das war, als die Briten aus der Europäischen Union austraten. Bis dahin herrschte nämlich weitgehend ein Gleichgewicht zwischen zwei Konzepten, die lange historische Wurzeln haben, die bis zum Römischen Reich zurückreichen. In Europa gab es schon immer eine Idee, eine Vision, eine Liebe zu einem großen und einheitlichen Reich nach dem Vorbild des Römischen Reiches, wie es Karl der Große geschaffen hatte…
Zsolt Bayer: Ein Reich…
…ein großes europäisches, einheitliches Reich. Und nachdem Rom nicht von einem anderen Reich zerstört wurde, sondern zerfiel und so Nationen entstanden, gab es immer auch einen anderen Traum, dass Europa endlich aus Nationen bestehen sollte. Hier sind wir als Nation angekommen. Und wie schön ist es, wenn Nationen ihre Unterschiede bewahren, entsprechend ihren unterschiedlichen Interessen Politik machen und dort, wo sie können, zusammenarbeiten. Das ist das Europa der Nationen. Diese beiden Strömungen, diese beiden Ideen standen in etwa im Gleichgewicht. Wenn ich das in Ländergruppen aufschlüssele, dann würde ich sagen, dass auf der einen Seite die Briten und die V4, also die Mitteleuropäer, die zu den Ländern des ehemaligen Sowjetblocks gehören und am empfindlichsten auf ihre Unabhängigkeit und Souveränität achten, und auf der anderen Seite die französisch-deutsche Achse stehen. Und das war, wenn auch nicht ganz ausgeglichen, aber die Briten und die V4 konnten gemeinsam alle Schritte verhindern, die zu den Vereinigten Staaten von Europa geführt hätten. So heißt also der Masterplan: Vereinigte Staaten von Europa. Die Briten sind ausgetreten, die V4 blieb allein, die Polen wurden gestürzt, die konservative polnische Regierung wurde aus Brüssel verdrängt, die Tschechen wurden herausgedrängt, wir blieben zu zweit übrig, und das ganze Gleichgewicht geriet ins Wanken. Und was wie Wahnsinn erscheint, ist in Wirklichkeit das imperiale Konzept des Aufbaus der Vereinigten Staaten von Europa, gegen das wir kämpfen.
Áron Ambrózy: Und wir kämpfen erfolgreich, denn ich sehe, dass ich vor fünfzehn Jahren beispielsweise keine Ahnung hatte, wer sagen wir mal der Chefunterhändler der Europäischen Union für Außenpolitik ist, und jetzt verhält sich Kaja Kallas, als wäre sie die rechte Hand der Kaiserin von Europa, und manchmal beruft sie die Minister ein und verteilt ihnen die Aufgaben, die sie als Nationalstaaten zu vertreten haben.
Ja, sie hätte das gerne, wenn es so wäre, aber ein Teil der Außenminister widersetzt sich dem vehement. Péter Szijjártó zeichnet sich in diesem Widerstand aus. Es gibt einen Kampf. Meiner Meinung nach besitzt die imperiale Seite die Übermacht, aber auf der Seite der Nationalstaaten entstehen wachsende Energien. Deshalb glaube ich, dass wir, wenn wir gut kämpfen, also wenn die Ungarn durchhalten, dann können wir unsere nationale Souveränität in den wichtigsten Punkten bewahren und die Stimmung sowie die politische Meinung innerhalb der gesamten Europäischen Union wird sich von der Seite der Vereinigten Staaten von Europa zu uns verschieben bzw. sie ist bereits dabei, sich zu verschieben. Die Migration ist zum Beispiel eine solche bittere Erfahrung. Es gibt eine imperiale Lösung für die Migration, sie wird Migrationspakt genannt, und auch in Ungarn gibt es eine Partei, die ihn unterstützt: von Dobrev und Konsorten, der Tisza-Partei usw., und dann gibt es uns, die wir dagegen sind. Die Mehrheit der europäischen Menschen lehnt den Migrationspakt ab, sie widersetzen sich einer nach dem anderen, immer mehr Länder erklären, dass sie ihn auch nicht umsetzen werden. Ähnliche Erfahrungen habe ich auch in der Gender-Frage gemacht, und dasselbe wird auch im Fall des Krieges in der Ukraine passieren. Ich behaupte also, dass wir, wenn wir noch etwas durchhalten, noch etwas Zeit brauchen, wenn wir durchhalten, die V4 wieder ins Leben rufen können, dass wir im nächsten Jahr eine ernsthafte Chance dazu haben, dass wir dann, indem wir die Veränderung der Stimmung in Europa nutzen, wieder ein Gleichgewicht zwischen dem imperialen Denken und dem Europa der Nationen herstellen können.
Áron Ambrózy: Und lohnt es sich, die Rolle des Rammbocks zu übernehmen?
Wir haben keine andere Wahl. Die Frage ist also berechtigt, wenn wir nachrechnen, ob es dann aufgeht. Meiner Meinung nach geben wir unsere nationale Souveränität auf und zerstören die Errungenschaften, die das ungarische Volk in den letzten fünfzehn Jahren erreicht hat, wenn wir irgendetwas von dem akzeptieren, was man uns heute aufzwingen will. Denn sie wollen nicht wenig. Wir haben über Krieg, Gender und Migration gesprochen. Nun, die Migration war der Fehler mit den schlimmsten Folgen in Europa in den letzten zehn Jahren. Aber wir müssen auch die staatlich subventionierten und geschützten Nebenkosten abschaffen, weil Marktpreise gelten müssen. Wir müssen in das Rentensystem eingreifen, auch das wird gefordert. Die Zinsen und die Preise bremsenden staatlichen Preisregulierungen müssten abgeschafft werden, weil die Logik des Marktes dies vorschreibt. Wenn wir akzeptieren, was Brüssel will, werden innerhalb kürzester Zeit Hunderttausende, vielleicht sogar zwei bis drei Millionen Familien ruiniert sein. Wenn es also um die Frage geht, ob es sich lohnt, das zu tun, was wir tun, dann lautet meine Antwort: Wenn wir nicht ruiniert werden wollen, dann lohnt es sich nur, das zu tun.
Zsolt Bayer: Erlaube mir, Deinen Satz, dass der Masterplan die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa ist, in kleine Münzen umzuwandeln. Das verstehe ich. Was meine ich damit, dass ich das in kleine Münzen umwandeln möchte? Meine Behauptung lautet: Wenn die derzeitige Brüsseler Führung, die die Vereinigten Staaten von Europa schaffen will, und übrigens auch die nationalen Regierungen vieler Länder, die Ukraine außer der Reihe aufnehmen, wird ein Land von der Größe der Ukraine automatisch siebzig und ein paar Abgeordnete ins Europäische Parlament entsenden. Meiner Meinung nach würde das bedeuten, dass trotz der veränderten Stimmung in ganz Europa und auch im Westen dort ein Europäisches Parlament sitzen würde, das mit diesen siebzig oder so ukrainischen Abgeordneten weiterhin machen würde, was es will.
Ja sogar wenn die Nationen abstimmen, nicht im Parlament, sondern im Rat, wo die Regierungen vertreten sind, gibt es eine gewichtete, kombinierte Abstimmung, bei der beispielsweise die Bevölkerungszahl zählt. Um also diese halbe Frage, die Du mir gerade gestellt hast, in meine eigene Sprache zu übersetzen: Ich denke auch, dass, wenn die Ukraine aufgenommen wird, der Prozess der Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa höchstwahrscheinlich abgeschlossen sein wird. Denn die Ukraine wird immer auf der Seite der Vereinigten Staaten von Europa, des Imperiums stehen, da sie anders nicht überleben kann, weil sie als Nation nicht existieren kann, sondern nur vom Brüsseler Imperium aus am Leben erhalten wird. Auch jetzt halten wir sie mit westlichem Geld am Leben. Die Aufnahme der Ukraine würde also – abgesehen von all den schrecklichen Folgen, die dies für Ungarn hätte, abgesehen von dem Krieg, den sie in die Europäische Union mit sich hereinbringen würde oder mitbringen würde – auch die Debatte über die Zukunft der Souveränität der Nationen entscheiden.
Zsolt Bayer: Meine zweite Umwandlung in kleine Münzen…
Und das erklärt übrigens auch, warum so viele darauf bestehen, sie aufzunehmen.
Zsolt Bayer: Klar.
Ambrózy Áron: Nur eine kurze Anmerkung, dass es noch ein schrecklicheres Szenario gibt, denn Ursula von der Leyen träumt bereits davon, wie gut die ukrainische Armee aussieht, und dass sie, wenn wir sie ohnehin schon bezahlen, auch eine Armee der Europäischen Union sein könnte. Nun, ich möchte nicht in einem Europa leben, in dem es eine 800.000 Mann starke Armee gibt, die von einer deutschen Frau kommandiert wird.
Ich saß in der Ratssitzung, in der Präsident Selenskyj verkündete, dass eine Armee von einer Million Mann aufrechterhalten werden müsse. Die Ukraine ist bereit, so viele Soldaten zu stellen, und diese eine Million Soldaten der ukrainischen Armee muss die Europäische Union mit Haut und Haaren unterhalten.
Zsolt Bayer: Wir geben das Geld, sie stellen die Leute.
Alles. Mittel, alles.
Ambrózy Áron: Ich möchte jetzt schnell irgendwohin fliehen.
Ich möchte auch nicht Nachbar eines Landes sein, das Ukraine heißt, eine Armee von einer Million Soldaten hat und nur Gott weiß, wann und wohin sich diese Armee wenden wird.
Zsolt Bayer: Lass mich noch einen Umtausch in kleine Münzen vornehmen. Wir sagen ja seit Jahren, und es ist auch so, dass in der ukrainischen Landwirtschaft sehr viel amerikanisches Kapital steckt. Was wir aber nicht sagen, und ich weiß nicht, ob ich das überhaupt richtig weiß, ich werde mal nachfragen, ist, dass neben dem amerikanischen auch sehr viel deutsches, französisches und italienisches Kapital in der ukrainischen Landwirtschaft steckt, als Eigentümer. Was ist mein Gedankengang? Wenn das so ist und die Ukraine aufgenommen wird, dann fließen fast 90 % oder sogar mehr der EU-Agrarsubventionen in die Ukraine, was wir auch immer sagen. Ja, aber wenn diese großen Länder dabei sind, dann fließt der Großteil dieser EU-Subventionen wieder zurück nach Frankreich und Deutschland. Ich behaupte nicht, dass sie an die französischen und deutschen Landwirte zurückfließen, aber an große Agrarunternehmen, ja.
An internationale Unternehmen.
Zsolt Bayer: Ja. Daraus folgt aber, dass sie wieder ruhig sein können, weil nicht ihre Landwirtschaft ruiniert wird, und Mittel- und Osteuropa, wir, die Polen und Rumänen, werden wieder wie Kolonien hingeworfen. Wen interessiert es schon, dass der ungarische Landwirt ruiniert wird?
Ambrózy Áron: Darf ich eine ergänzende Frage stellen? Diese großen multinationalen Kapitalgesellschaften, die einen bedeutenden Teil der ukrainischen Ländereien besitzen, haben ihre Lobbyisten in Brüssel sitzen.
Natürlich! Wenn wir jetzt einen breiteren Blick auf die Landwirtschaft werfen, dann wurde die zuverlässigste Studie, die ich in den letzten zwanzig Jahren gelesen habe, von den Polen verfasst, unter Berufung auf deutsche Quellen, wonach 80 Prozent der uns von der Union überwiesenen Gelder über verschiedene Wege aber wieder an die Geberländer, vor allem an Deutschland, zurückflossen.
Zsolt Bayer: So ist es.
Das ist eine verlässliche Schätzung, eine große Studie, die damals eine ernsthafte Debatte ausgelöst hat. Ich glaube nicht, dass sich dieses Verhältnis im Falle der Aufnahme der Ukraine ändern würde. Oder wenn es sich ändert, dann nicht nach unten, sondern nach oben, angesichts der Begrenztheit und des Umfangs des lokalen Kapitals in der Ukraine. Ich glaube also, dass die Annahme, die heute in Brüssel von vielen vertreten wird, dass die Aufnahme der Ukraine zwar finanzielle Opfer mit sich bringt, diese Gelder aber früher oder später zu uns, also zu ihren internationalen Unternehmen zurückfließen, wie es auch bei der Aufnahme Mitteleuropas der Fall war, ist nicht unbegründet, und das gilt insbesondere für die Landwirtschaft. Und es ist auch keine unbegründete Annahme, dass es sie überhaupt nicht interessiert, was mit den mitteleuropäischen Ländern geschieht. Aber uns interessiert es, und das ist ein gutes Argument dafür, dass die Polen, Slowaken, Ungarn, Tschechen und vielleicht auch die Rumänen zur Vernunft kommen und eine mitteleuropäische Zusammenarbeit gegen die Aufnahme der Ukraine bilden. Das ist nicht nah, aber auch nicht sehr weit entfernt. In immer mehr Ländern, sogar in Polen, dreht sich die öffentliche Meinung und sagt: Leute, haltet inne, hier will man die Ukraine bis 2030 mit einem Schlag in die Union aufnehmen, das sollten wir stoppen, uns beruhigen, rechnen, abwägen und die Mitgliedschaft der Ukraine nicht unterstützen. In Mitteleuropa ist diese Stimmung also sehr nah daran, sich zu einer durchschlagenden öffentlichen Meinung zu entwickeln. So wie es in Ungarn bereits der Fall ist, abgesehen von den Wählern der Tisza, die abgestimmt haben und gesagt haben, dass etwa 50 % von ihnen sich sehr-sehr darüber freuen würden, wenn auch die Ukraine Mitglied der Europäischen Union wäre.
Zsolt Bayer: Das stimmt, aber wir müssen gleich hinzufügen, dass etwa 50 Prozent das gesagt haben, während etwa 40 Prozent genauso abgestimmt haben wie die mehr als 2 Millionen, die bei Voks2025 gesagt haben, dass das nicht in Frage kommt.
Das ist die optimistische Welt.
Zsolt Bayer: Das ist die optimistische Welt.
Ambrózy Áron: Was ist unser positives Bild von der Ukraine? Denn natürlich sollte die Ukraine kurz- und mittelfristig nicht beitreten, aber langfristig sollte man ihnen meiner Meinung nach eine kleine Möglichkeit eröffnen, dass sie außer dem Zugrundegehen an diesem endlosen Krieg auch eine andere Zukunft haben.
Meiner Meinung nach ist dies nicht nur moralisch, sondern auch aus unseren nationalen Interessen heraus eine logische Forderung an die jeweilige europäische Politik: Wenn nicht die Mitgliedschaft, was dann? Aber wir müssen den Krieg ganz oben auf die Liste der zu lösenden Probleme setzen, denn solange Krieg herrscht, kann keine andere Frage gelöst werden, und solange kann man auch nicht sinnvoll über die Situation nach dem Krieg nachdenken. Deshalb müssen wir als Erstes erreichen, dass so schnell wie möglich ein Waffenstillstand und Frieden herrschen und danach eine Sicherheitsgarantie, die die Ukraine überhaupt erst definiert. Denn heute wissen wir nicht, was die Ukraine ist. Wir wissen nicht, wo ihre Grenzen verlaufen, wir wissen nicht, wie viele Bürger sie hat. Wir wissen nur wenig über sie, denn wir sprechen von einem Land, das immer stärker in einen immer schwereren Krieg hineingezogen wird, in dem es zerfällt und vernichtet wird. Das ist das Wichtigste. Wenn das erreicht ist, muss sofort eine Einigung mit den Russen erzielt werden. Es muss also nicht nur eine Einigung mit den Ukrainern erzielt werden, sondern auch sofort mit den Russen, nach dem Friedensschluss oder Waffenstillstand, darüber, ob Russland an der europäischen Wirtschaft teilnimmt, ob beispielsweise Energie und Rohstoffe aus Russland kommen, ob wir an ihrer Wirtschaft teilhaben, ob wir dort Produkte verkaufen können, und wir müssen auch eine Rüstungsbegrenzung vereinbaren, denn wenn es so weitergeht, wie wir es jetzt sehen, müssten wir 5 % des Bruttoinlandsprodukts für Waffen ausgeben, daran würden wir krepieren. Das ist unmöglich! Es ist jedoch auf die Weise möglich, Obergrenzen für Rüstungs- und Militärausgaben festzulegen, indem die Konfliktparteien Rüstungsbegrenzungsabkommen schließen und die Rüstungsausgaben so weit senken, dass genügend Geld und Ressourcen auch für andere Bereiche übrigbleiben. Das muss also dann mit den Russen vereinbart werden. Wenn das erreicht ist, muss Europa ein strategisches Bündnis mit der Ukraine schließen, in dem geregelt wird, wie die Ukraine mit der Europäischen Union zusammenarbeitet, ohne dass die Ukraine im Übrigen Mitglied der Europäischen Union ist, d. h. wir behalten unsere Unabhängigkeit, und wenn etwas nicht gut funktioniert, ändern wir die Vereinbarungen mit der Ukraine entsprechend. Wenn man sie aufnimmt und kann man nichts mehr ändern, dann kommt es zu Problemen, die man nicht mehr beheben kann. Deshalb würde ich im Fall der Ukraine diesen mehrstufigen Ansatz verfolgen, wenn wir den Präsidenten der Kommission stellen würden, aber das kann noch warten.
Zsolt Bayer: Herr Ministerpräsident, wir verabschieden uns jetzt von den Fernsehzuschauern, aber Du bleibst noch ein paar Minuten bei uns, denn wir können unser Gespräch im Internet fortsetzen, und ich habe noch zu einigen wichtigen Angelegenheiten Fragen an Dich. Bleiben wir noch ein wenig bei der Union, für eine letzte und sicherlich persönliche Frage. Ich möchte jetzt ohnehin auf einige persönliche Themen zu sprechen kommen. Du hattest ein sehr gutes Verhältnis zu Helmut Kohl, der meiner Meinung nach der letzte echte Staatsmann unter den deutschen Politikern war, und ich weiß, dass Ihr – wie soll ich es sagen? – eine engere, tiefere Beziehung zueinander hattet als einfach nur zwei Staatschefs von EU-Mitgliedstaaten oder europäischen Ländern.
Darf ich dazu etwas sagen?
Zsolt Bayer: Ja.
Das ist richtig, und dafür gibt es einen ganz einfachen Grund. Als das ungarische Volk 1998 beschloss, die Regierung des Landes einer Partei namens Fidesz anzuvertrauen, war ich 35 Jahre alt und ich wurde der Ministerpräsident. Ich bildete eine Regierung, in der ich der jüngste war, denn Erfahrung ist nun einmal wichtig. Bei der ersten sich ergebenden Gelegenheit rief ich Helmut Kohl an, der die Ungarn immer sehr mochte, vor allem, weil er einmal gesagt hatte, dass die Ungarn den ersten Stein aus der Berliner Mauer herausgeschlagen hätten. Er war also immer der Meinung, dass es ohne Ungarn keine deutsche Wiedervereinigung gegeben hätte, und er ist schließlich der neue Staatsgründer Deutschlands. Das ist keine Übertreibung. Er hat Ungarn also immer geliebt. Ich habe ihn angerufen und gesagt: Herr Bundeskanzler, ich bin der neue ungarische Ministerpräsident, gäbe es eine Möglichkeit, dass wir uns über einige Grundprinzipien dieser Regieren genannten Arbeit oder dieses Amtes oder dieser Herausforderung austauschen? Ich möchte also nicht mit Ihnen verhandeln, sondern mich mit Ihnen unterhalten. Er sagte: „Mein lieber junger Freund, steigen Sie ins Flugzeug, kommen Sie her, ich stehe Ihnen zur Verfügung.“ Ich bin nach Bonn geflogen, damals war die deutsche Regierung noch dort, und wir hatten ein sehr langes Gespräch, zwei, drei Stunden, in dem ich ihn über Politik befragt habe. Was rät mir der deutsche Bundeskanzler, einem 35-jährigen jungen Mann, worauf soll ich achten? Was muss ich über die Amerikaner wissen? Was denken Sie über die Russen? Wie wird sich die europäische Wirtschaft entwickeln? Ungarn war damals ja noch nicht Mitglied der Union, wie sollte ich die Verhandlungen ausrichten, damit sie erfolgreich sind? Ich habe also versucht, ihm ein paar handwerkliche Geheimnisse oder Fachsachen zu entlocken, und er hat mir alles bereitwillig, stundenlang, schön und ruhig erklärt. Unsere Beziehung blieb bestehen, und als er 1998 die Wahl verlor, wurde eine sehr heftige Verleumdungskampagne gegen ihn gestartet, alle verrieten ihn, alle wandten sich von ihm ab, Angela Merkel war die Erste, und die anderen folgten, und er geriet in eine unwürdige Lage, und dann wurde auch noch seine Krankheit immer schlimmer. Und vom ersten Moment an, nach dem er das politische Leben verlassen hatte bis zu seinem Tod habe ich ihn jedes Jahr besucht, mit ihm gesprochen, mich um ihn gekümmert, wenn man das so sagen kann, ich habe ihn nach Ungarn eingeladen, solange er noch mobil war, und als er es nicht mehr war, bin ich immer zu ihm gefahren. Und diese Geste der Freundschaft, die er mir nach sechzehn Jahren Kanzlerschaft entgegenbrachte, habe ich ihm gedankt und bis zu seinem Lebensende diese besondere Beziehung zu ihm aufrechterhalten. So sehr, dass bei seiner Beerdigung nach der Trauerfeier in der Kirche nur einige Familienmitglieder und ich an der Spitze der kleinen ungarischen Delegation am Grab stehen durften, so nah standen und stehen wir der Familie Kohl, was übrigens keine einfache Sache ist, denn auch diese Familie ist kompliziert und in mehrere Teile zerfallen.
Zsolt Bayer: Aber gerade deshalb wage ich es, diese Frage zu stellen, weil Du ihn so gut kanntest und viel mit ihm gesprochen hast. Wenn Helmut Kohl jetzt durch Gottes Gnade zu uns zurückkehren würde, wenn auch nur für eine Woche, und er würde das heutige Europa und die Europäische Union sehen und dann sagen würde: „Viktor, komm, lass uns ein bisschen reden“, was würde er deiner Meinung nach heute über die Union sagen?
Ich erinnere mich an den Moment, als er zum Wahlkampf kam, vielleicht waren es die Europawahlen 2004, jetzt vermischen sich in meinem Kopf die halben Regierungen à la Tamás Cseh, aber ich habe ihn eingeladen, und wir haben eine große Versammlung in Győr abgehalten. Hauptplatz, jede Menge Leute. Fahnen, ein fantastisches Durcheinander von ungarischen Fahnen, Nationalflaggen, Lieder wie „Du bist schön, du bist wunderschön, Ungarn…“ Es war einfach beflügelnd. Und wir standen da auf der Bühne, und der Alte sagte zu mir: „Mein lieber Freund, bei uns in Deutschland wäre so eine Versammlung heute nicht mehr möglich.“ Daran erinnere ich mich noch gut. Und das war erst 2004! Nun, ich finde, wenn ein Ungar sagt, dass wir, also wir Ungarn, ein Land sein wollen wie Deutschland vor fünfzehn oder zehn Jahren, dann ist das ein richtiger Satz. Denn tatsächlich war Deutschland auch in den letzten Jahren vor der Migrationskrise der stärkste Staat Europas. Die Migration hat sie ruiniert. Man sagt zwar, dass die Wettbewerbsfähigkeit bzw. deren Rückgang nicht durch die Migration verursacht wurde, aber ich glaube, dass die Dinge miteinander zusammenhängen. Und die deutsche Identität wurde erschüttert, als man diese vielen Migranten aufgenommen hat und die Waffen niedergelegt hat und gesagt hat, dass der Islam Teil der deutschen Kultur ist, als man dann die Gender-Ideologie eingeführt hat… Es begann also jene beschleunigte Umgestaltung Deutschlands, die irgendwie Mitte der 2010er Jahre anfing und bis heute andauert, und ich weiß nicht, was die Deutschen damit anfangen werden, denn irgendwann wird wieder Deutschland daraus werden, aber wie das mit einer solchen Last auf dem Rücken aussehen wird, ist schwer zu sagen. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass Helmut Kohl das Deutschland, das wir heute kennen, nicht wiedererkennen würde.
Áron Ambrózy: Ich denke, wenn die Deutschen versuchen, dieses Problem zu lösen, das die Migration für sie bedeutet, sollten wir nicht einmal zwischen unseren Fingern, die wir uns vor unsere Augen halten, ansehen, was sie tun werden.
Sie können es nicht lösen. Es gibt also ein Problem, das wir unterschätzen. Das ist ein Fehler, denn wir sollten daraus lernen. Wenn man sie hereinlässt und ihren Aufenthalt legalisiert, dann sind sie von diesem Moment an Teil von dir, Teil von Deutschland. Natürlich gipfelt dieser Prozess in der Staatsbürgerschaft, aber sobald man sie hereingelassen und ihnen erlaubt hat zu bleiben, und von diesem Moment an, wenn du ein freiheitsliebender Mensch bist, der die Menschenwürde achtet, musst du sagen: Er ist zwar völlig anders als du, schon auf den ersten Blick, wenn du ihm zuhörst, wenn du zu ihm gehst, wenn er spricht, siehst du, dass er aus einer anderen Welt kommt, aber jetzt ist er hier, ich habe ihn hierher gelassen, er ist hier, er ist Teil Deutschlands. Und dann gibt es keine Lösung, von der Sie sprechen, dann ist es vorbei. Dann ist das Deutschland, das es war, bevor sie sie hereingelassen haben, schon vorbei. Denn von jetzt an ist es auch ihr Deutschland. Deshalb bin ich für Ungarn, und darin bin ich am entschlossensten, ich bin normalerweise ein sanftmütiger Mensch, sogar fromm, ich versuche, mit allen auszukommen, aber in dieser Frage bin ich entschlossen, dass man keine Migranten hier hereinlassen darf und sie niemals akzeptieren darf, ihnen darf man keinen Rechtsstatus geben, denn sonst ist es aus mit uns, dann gibt es kein Zurück mehr. Ich sehe, wie die anderen untergegangen sind, und ich will nicht, dass mein Land so endet. Deshalb muss man bis zum letzten Atemzug Widerstand leisten.
Áron Ambrózy: Und was die Ursachen der Migration angeht, denke ich daran, dass dies für die Deutschen keine Tragödie aus heiterem Himmel war, dass jedes Jahr so viele Menschen wie die Gesamtbevölkerung Sloweniens zu ihnen kamen, sondern dass sie jahrzehntelang darauf gebaut haben, dass ein Deutscher nicht arbeiten muss. Einem Deutschen reicht es, wenn der Vater noch gearbeitet hat, aber seine Söhne und Töchter werden Soziologen, Künstler, vielleicht Klimaforscher oder Aktivisten. Die körperliche Arbeit übernehmen dann Leute aus dem dritten Teil der Welt. Und das hat natürlich zur Folge, dass, wenn die Bevölkerung eines Landes nicht bereit ist, die Arbeiten zu verrichten, die für den Erhalt eines Landes notwendig sind, jemand kommt und sie an ihrer Stelle erledigt. Und dann sagen wir zu denen nicht: Hallo, ihr seid keine Staatsbürger…
Ich denke, diese Frage, die innere Umgestaltung Deutschlands, ist eine Messe wert. Deshalb ist es sehr wichtig, dass beispielsweise ausländische Arbeitnehmer in Ungarn nur für eine begrenzte Zeit bleiben dürfen. Ihr Aufenthalt muss unterbrochen werden, damit sie nach EU-Recht keinen Anspruch auf einen weiteren Aufenthalt haben. Danach kann der Aufenthalt einmal verlängert werden, aber er muss einmal unterbrochen werden. Damit möchte ich sagen, dass das Gesetz über Gastarbeiter in Ungarn, das im Wesentlichen eine europäische Adaption des katarischen Gesetzes ist, die strengsten Vorschriften enthält und der Regierung möglichst viele Rechte vorbehält. Es erlaubt sogar nicht, dass mehr Menschen einreisen, als es freie Arbeitsplätze gibt, denn Ungarn gehört den Ungarn, und die ungarischen Arbeitsplätze sind in erster Linie für Ungarn reserviert. Man kann sich also davor schützen, und wir schützen uns auch. Deutschland hat sich in der Tat nicht gut verteidigt, aber der entscheidende Schlag oder der entscheidende Dolchstoß war die Aufnahme im Jahr 2015, und zwar nicht, weil damals so viele gekommen sind, obwohl es tatsächlich Millionen waren, sondern weil eine Debatte darüber entbrannt ist, wie man mit dieser Sache umgehen soll, und die Deutschen sich in dieser Debatte selbst aufgegeben und sie derart abgeschlossen haben. Sie sagten, das sei gut so. Als also die deutsche Regierung sagte, wir werden das schaffen, und es ist gut, was geschieht, es ist nicht schlecht, es ist kein Problem, das es zu beseitigen gilt, sondern ein Phänomen, das geschickt zu handhaben ist, und dann werden wir es zu unserem Vorteil nutzen, hier war es auch schon vorbei. Und das ist der Soros-Plan. Also der Masterplan, denn es gibt auch hier einen Masterplan, dessen Existenz zwar von den Liberalen bestritten wird, der aber schriftlich veröffentlicht wurde, und kein vernünftiger Mensch würde behaupten, dass es ihn nicht gibt, denn jeder kann mit eigenen Augen lesen, dass George Soros den Soros-Plan selbst verfasst und veröffentlicht hat, übrigens im Gegensatz zum ungarischen Plan, falls sich noch jemand daran erinnert, in dem steht, dass jedes Jahr eine Million Migranten aufgenommen werden müssen. Das steht schwarz auf weiß, das ist der Masterplan. Und als die Deutschen damit konfrontiert wurden, haben sie nicht ablehnend reagiert, sondern dies begrüßt. Und ich glaube, das war der Wendepunkt, von dem es fast unmöglich ist, zurückzukommen. Ich sage nicht, dass es mit Sicherheit unmöglich ist, denn wir sollten nicht aufgeben, Wunder können geschehen, die Deutschen sind schließlich Deutsche, vielleicht finden sie eine Lösung, aber heute sehe ich keinen Weg, wie wir zu dem zurückkehren könnten, wo wir vor zehn Jahren gestartet sind.
Áron Ambrózy: Darf ich noch eine Frage stellen? Eine kurze. Was ist unterhaltsamer, hier mit Zsolt zu sprechen oder auf einer internationalen Pressekonferenz die Frage eines Journalisten zu beantworten, wann Sie sich zurückziehen werden?
Das ist ein harter Wettbewerb. Über den Rückzug werde ich vielleicht noch ein paar Worte sagen, wenn es noch geht. Zweifellos ist der Fidesz eine besondere politische Formation, denn er entstand 1988 am Vorabend eines historischen Kataklysmus’, dem Systemwechsel, und wurde danach zur erfolgreichsten politischen Gemeinschaft Europas. Und ich war von Anfang an dabei, daher hat sich die Vorstellung, dass dies ohne mich kaum vorstellbar ist, so verankert. Aber das ist nicht der Fall. Zsolt war ebenfalls Gründungsmitglied des Fidesz und kann genau sagen, dass der Fidesz mit einem anderen Vorsitzenden sicherlich anders wäre. Auch das bürgerliche, nationale und christliche Lager würde anders aussehen. Aber dies gäbe es, und es würde auch anders gut aussehen. Deshalb möchte ich Ihnen, Euch allen sagen, dass es eine Legende ist, dass die Zukunft der ungarischen Rechten von einer Person abhängt. Ich tue natürlich, was ich tun muss, sogar mehr als das, was ich kann, sogar mehr als hundert Prozent, wenn es menschlich möglich ist, aber wir müssen wissen, dass dies eine politische Gemeinschaft ist, deren Stärke, deren Wurzeln, ihre Kampfkraft und ihre Energie in Wirklichkeit aus der Tatsache sich ernähren, dass die Mehrheit dieses Landes ihr Land liebt, ihre Familie liebt und auf mysteriöse Weise sogar noch eine Verbindung zum lieben Gott bewahrt. Der Gedanke, die Kultur, die Lebensauffassung „Gott, Heimat, Familie” ist also in Ungarn in der überwiegenden Mehrheit. Die Frage ist nur, wie man dies in der Politik formulieren kann und muss. Deshalb ist die Nachfolge keine so heikle Frage, wie es die Linke darstellt, als wäre es eine Frage von Leben und Tod. Auch dafür wird die Zeit kommen. Und wenn die Zeit gekommen ist, werden wir das regeln.
Zsolt Bayer: Und weißt Du, ich danke Dir für diese Stunde heute und denke, dass unsere Gegner oder manchmal sogar Feinde niemals verstehen und fühlen werden, dass es hier eine politische Gemeinschaft gibt, die über ein Team verfügt, das jederzeit bereit ist, mit Dir in den Krieg zu ziehen, und Du mit mir. Und wir trauen uns, einander den Rücken zuzukehren, weil wir wissen, dass es keinen Verrat geben wird. Das ist unsere Stärke, glaube ich.
Es gab zwei große Ereignisse, die diese rechte politische Gemeinschaft in der Moderne verbunden haben. Auch die Vorgeschichte ist nicht unbedeutend, denn die Vorläufer dieser politischen, bürgerlichen, nationalen, christlichen und konservativen Gemeinschaft reichen bis ins Jahr 1956 und bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs, als die Partei der Kleinen Landwirte versuchte, das Land vor der Sowjetisierung zu schützen. Es handelt sich also um einen starken Stamm. Aber danach gab es zwei große Ereignisse, man konnte 1988 ja doch noch nicht wissen, wie sich die Lage entwickeln würde. Und dann erhob sich diese Gemeinschaft. Und wer damals dabei war, wir alle erinnern uns an alle, wir wissen also, wer dabei war und wer nicht, wer sich versteckt hat und wer sich gezeigt hat und wer wo war.
Áron Ambrózy: Ich war nicht dabei.
Offensichtlich entstand dort ein sehr starkes Band. Und dann bekam interessanterweise auch die junge Generation eine Erfahrung, vielleicht nicht so erschütternd, aber wichtig: 2006, als die Gedenkfeiern von Gyurcsány zum 50. Jahrestag der Ereignisse von 1956 zerschlagen wurden. Und die junge Generation sah, was dort geschah. Das war natürlich nicht so brutal wie zwischen dem 23. Oktober und dem 4. November 1956, aber dennoch brutal, es zeigte etwas von der anderen Seite, wie weit sie bereit sind zu gehen, wozu sie fähig sind, um an der Macht zu bleiben. Deshalb hat die Generation, die heute um die 40 bis 45 Jahre alt ist, eine Erfahrung mit dieser Linken. Und das hat sie sehr stark an diese 1988 wiedererstarkte bürgerliche, nationale, christliche Kultur und Gemeinschaft gebunden. Deshalb sage ich, dass Personen wichtig sind, selbst die Person des Ministerpräsidenten ist nicht unbedeutend, aber eigentlich ist der Stamm des Baumes das Wichtigste, und der ist sehr dick.
Zsolt Bayer: Danke, dass Du hier warst! Danke für das Gespräch! Wir danken Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Wir sehen uns irgendwann mal, bis dann alles Gute! Auf Wiedersehen!