Máté Kulifai: Ich begrüße die Zuschauer recht herzlich! Mein Name ist Máté Kulifai, und wir sitzen hier im Studio von „Hetek”. Es wird ein außergewöhnliches Interview stattfinden, aber bevor wir damit beginnen, bitte ich Sie, sich, falls Sie es noch nicht getan haben, für den YouTube-Kanal „Hetek” anzumelden. Und hier, im Studio von „Hetek”, begrüße ich den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán.
Guten Tag!
Ich möchte mit einer persönlichen Frage beginnen. Ich habe drei großartige, coole Kinder, eine wundervolle, schöne Frau, ich bin ein Familienmensch, und als 2022 der Krieg in der Ukraine ausbrach und Russland die Ukraine angriff, der Krieg, schon eine Weile andauerte, kam mir doch der Gedanke, was ich hier in Ungarn tun würde, wenn eine ähnliche Situation eintreten würde. Und was können Sie als Ministerpräsident dazu sagen, wie Sie garantieren können, dass es beispielsweise in fünf Jahren hier in Ungarn nicht zu einer ähnlichen Kriegssituation oder in Europa zu einem Weltkrieg kommen wird?
Was Sie tun müssten, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich weiß aber, was ich tun würde, unabhängig davon, ob ich Ministerpräsident bin oder nicht: Wenn unser Land angegriffen wird, müssen wir es verteidigen. Ich habe selbst Kinder – fünf – und Enkelkinder – sechs –, also muss ich sie verteidigen, keine Frage. Wenn wir unser Land verteidigen, verteidigen wir auch unsere Familie, und wir dürfen nicht weglaufen, denn dann bleiben unser Land, unser Zuhause und unsere Familie schutzlos, also müssen wir standhaft bleiben. Aber das ist nicht das Wesentliche. Es schadet nicht, über solche Dinge nachzudenken, aber die Aufgabe des Ministerpräsidenten ist es nicht, darüber nachzudenken, was er persönlich in einer solchen Situation tun würde, sondern darüber, was zu tun ist, damit es nie zu einer solchen Situation kommt. Und ich kann sagen, dass die wichtigste Garantie dafür, dass wir uns nicht in solch angespannten Situationen wiederfinden, das ist, was man nationale Regierungsführung nennt. Ich spreche jetzt nicht von der Regierung und nicht von den Regierungsparteien, sondern davon, dass das Land eine Regierung und Führung haben sollte, die ausschließlich die Interessen Ungarns im Blick hat. Das oberste Interesse Ungarns ist der Frieden. Zusammenarbeit mit den Nachbarn, Konnektivität, Einbindung aller in die Zusammenarbeit, eine Politik, die Freunde und keine Feinde macht, wo es Spannungen gibt, muss man diese lösen, bevor sie zu Feindseligkeiten werden. Wir brauchen also eine nationale Regierung, egal wie sie zusammengesetzt ist, die weiß, dass das oberste Interesse der Nation der Frieden ist. Meiner Meinung nach ist dies die größte Garantie, abgesehen natürlich vom lieben Gott.
Sie waren jetzt gerade zwei Tage auf dem EU-Gipfel in Kopenhagen, und dort gab es mehrere Stimmen, die darauf hindeuteten, dass Europa sich auf einen Krieg mit Russland vorbereitet. Und da stellt sich mir die Frage, wie Ungarn da herauskommen kann, wenn fast alle europäischen Länder außer uns in diesen Krieg hineinmarschieren. Gibt es ein Szenario, in dem Ungarn mittendrin in der ganzen Situation diesem Krieg fernbleibt?
Ich kann nur sagen, dass man sich heraushalten muss, so wie ich es tue, entschuldigen Sie bitte, denn bisher haben wir uns herausgehalten. Sie drücken sich höflich aus, wenn Sie über den Gipfel in Kopenhagen und die dortigen europäischen Staats- und Regierungschefs und ihre Beratungen sprechen, wenn Sie sagen, dass es solche Stimmen gab. Es gab nicht solche Stimmen, sondern es gab nur solche Stimmen. Europa hat also einen Kriegsplan. Dieser Kriegsplan, diese Kriegsstrategie wurde in Kopenhagen unverhüllt vorgestellt, so wie ich jetzt mit Ihnen spreche. Sie sagten, ja, wir haben einen Kriegsplan, und diesen Krieg werden wir gewinnen. Und sie haben erklärt, was der Kriegsplan ist und wie sie den Krieg gewinnen werden, worauf ich sagen musste, dass das alles sehr spannend ist, aber Ungarn befindet sich mit niemandem im Krieg. Wir haben keinen Kriegsplan, wir haben einen Friedensplan, der davon handelt, wie wir uns heraushalten können, und wir wollen mit Ihnen überhaupt nicht gegen irgendjemanden Krieg führen. Wir sind nicht der Europäischen Union beigetreten, um Krieg zu führen, sondern um Frieden zu schaffen, denn dies ist ein Friedensprojekt. Wenn ihr euch also dafür entscheidet, kann euch ein zehn Millionen Einwohner zählendes Ungarn natürlich nicht davon abhalten, aber wir werden uns daran nicht beteiligen. Wir müssen also außen vor bleiben können. Was Sie in Ihrer Frage ansprechen, ist die Fähigkeit, sich herauszuhalten. Wenn also Europa beschließt, in den Krieg zu ziehen, oder wenn die meisten Länder in Europa beschließen, in den Krieg zu ziehen, hat Ungarn dann die Fähigkeit, das Talent, die Kraft und das Wissen, sich aus einem solchen sich ausweitenden Krieg herauszuhalten? Ich halte das für möglich, daran arbeite ich.
Ist diese 26-gegen-1-Konstellation noch lange aufrechtzuerhalten? Wie lange kann man beispielsweise innerhalb einer Gemeinschaft, in der 26 Mitgliedstaaten, die, wie Sie selbst gesagt haben, etwas anderes wollen, sein Veto einlegen, wie lange ist diese Art der Sonderstellung aufrechtzuerhalten?
Zunächst einmal so lange, wie man die Kraft dazu hat, denn ich leiste ja keinen Widerstand, sondern übe unsere Rechte aus, also die Rechte der Ungarn. Ich leiste keinen Widerstand, sondern wir bestehen auf unseren Rechten. Das ist nicht dasselbe! Denn wenn es die Situation wäre, dass wir eine Situation ändern wollen, in der wir uns jetzt befinden, die anderen aber nicht, dann müsste ich das akzeptieren. Es geht nicht darum, dass ich etwas will, ich will die derzeitige Situation nicht ändern. Bisher gab es keinen Krieg, bisher sind wir nicht in den Krieg gezogen. Sie wollen die Situation ändern, sie wollen die Ukraine aufnehmen, sie wollen Geld in die Ukraine schicken, sie wollen Waffen in die Ukraine schicken, und dafür wollen sie die Union nutzen. Ich kann nicht verhindern, dass die Franzosen oder die Deutschen Waffen in die Ukraine schicken, aber ich kann verhindern, dass die Europäische Union Waffen schickt und Ungarn in eine solche Waffenlieferaktion hineinzieht, denn wir haben Rechte. Ich will also nichts kaputt machen und keine guten Dinge ändern, sondern ich will den Frieden schützen. Dazu habe ich das Recht. Tatsächlich, sagen wir, da ist die Frage des Beitritts der Ukraine. Die grundlegende Frage ist jedoch, ob wir dazu das Recht haben. Etwa 21 Länder wollen, zumindest sagen sie das, die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union. Die Frage lautet letztendlich, nach Abschluss der Debatten, ob die Ungarn das Recht haben, nicht mit den Ukrainern in einer Europäischen Union sein zu wollen. Und meiner Meinung nach haben wir dieses Recht, denn wir sind Mitglieder, sie nicht. Und aus verschiedenen Gründen, die wir auch benennen können, welche diese konkret es sind, wollen wir nicht mit den Ukrainern in einer Union sein, weder militärisch, in der NATO, noch wirtschaftlich, in der Europäischen Union, und wir haben das Recht, nicht mit ihnen in einer Union sein zu wollen. Das heißt, wir haben das Recht zu sagen, dass diese Union nicht in Richtung Ukraine erweitert wird.
Sie haben erwähnt, dass wir das Recht dazu haben, aber dieses Recht muss auch durchgesetzt werden können, wofür man auch Stärke braucht. Wenn ich nun auf die internationale Ebene blicke, stellt sich die große Frage, ob wenn die massive Macht von 26 Mitgliedstaaten den Beitritt der Ukraine erzwingen will, dann haben wir bereits Beispiele dafür gesehen, dass es keine Rolle spielt, was rechtmäßig ist und was nicht, da sie dies ebenfalls revidieren können. Deshalb frage ich mich, wie lange es möglich ist, sich gegen 26 zu stellen. Es wurde überlegt, das Vetorecht zu streichen oder die Regeln zu ändern. Man kann sich zwar eine Zeit lang auf das Recht berufen, aber die Frage ist, ob der Druck so stark wird, dass dies nicht mehr berücksichtigt wird.
Das sind verfassungsmäßige Rechte. Natürlich kann jedes Recht verletzt werden, also können 26 Mitgliedstaaten unsere verfassungsmäßigen Rechte, die verfassungsmäßigen Rechte Ungarns, die verfassungsmäßigen Rechte der Europäischen Union verletzen, aber dann werden wir uns verteidigen, vor Gericht gehen und so weiter und so fort. Sie können uns nicht in den Krieg hineinziehen, höchstens umgehen. Das ist ein großer Unterschied. Denken Sie an den Ersten oder Zweiten Weltkrieg, da ging es nicht darum, dass sie uns umgangen haben, sondern dass sie uns hineingezogen haben. Im Ersten Weltkrieg konnte István Tisza Ungarn nicht heraushalten, sie haben auch Ungarn hineingezogen. Und im Zweiten Weltkrieg konnte Horthy Ungarn nicht heraushalten, eine Zeit lang schon, aber dann haben sie uns doch in den Krieg hineingezogen. Die Frage ist hier also, ob wir uns heraushalten können. Vielleicht können wir einige schlechte Dinge nicht verhindern, zu deren Verhinderung wir übrigens berechtigt wären, aber das ist nicht gleichbedeutend damit, dass wir hineingezogen wurden, denn Ungarn hat mehrere Verteidigungslinien. Was sie jetzt in Brüssel versuchen, ist weniger ein offensichtlicher Verstoß gegen die Verfassungsregeln – denn das würde zu einem Verfahren vor Gericht führen, und dort würden sie verlieren –, sondern sie wollen die ungarische Regierung absetzen. Das heißt, bei allen Wahlen in Europa, nicht nur in Ungarn, sondern heute und morgen auch in Tschechien, geht es darum, ob es den Brüsseler Bürokraten gelingt, dafür zu sorgen, dass an der Spitze der Nationalstaaten Regierungen stehen, die den Anweisungen Brüssels folgen. Und wo es keine solchen Regierungen gibt, wollen sie diese ablösen. Und dort, wo patriotische, also national orientierte Regierungen auf dem Weg zum Sieg sind, wollen sie diesen Sieg verhindern, das ist ihr Plan. So haben sie die polnische Regierung abgelöst, deshalb gibt es jetzt in Polen eine Brüssel-freundliche Regierung. Das wollen sie auch in Ungarn. Die Tisza-Partei ist ein Brüsseler Projekt oder eine Schöpfung, um es höflich auszudrücken. Sie gründen also diese Parteien, unterstützen sie mit ihren NROs, den Brüssel-freundlichen Medien, geben ihnen viel Geld aus Brüssel und schützen sie als europäische Abgeordnete durch ihre Immunität, weil sie wollen, dass sie die derzeitige Regierung ablösen und das umsetzen, was Brüssel verlangt. Das ist der Plan. Sie wollen also nicht die Gesetze ändern, sondern die Regierungen austauschen. Und das tun sie ziemlich schamlos. Früher waren sie schüchterner, sie haben diese Absicht besser verborgen, aber heute sind sie nicht mehr schüchtern, sie sagen es offen. Was ich jetzt sage, ist also keine Entschlüsselung einer geheimen Verschwörung, sondern eine offene Sache. Man hat mir in Brüssel gesagt, als ich im Europäischen Parlament stand, dass ich der Vergangenheit angehöre, dass ich beiseitetreten und den Leuten von der Tisza Platz machen soll. So läuft das.
Um ein wenig auf die ungarisch-ukrainischen Beziehungen einzugehen: Sie haben erwähnt, dass die Stärke des Nicht-Eingreifens in den Krieg auch darin besteht, dass dies es nicht zulässt, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten, der ungarischen Führung und den ungarisch-ukrainischen Beziehungen, bis zur Feindseligkeit verschlechtern, und die ungarisch-ukrainischen Beziehungen sind ja ziemlich angespannt geworden, vor allem in der letzten Zeit. Es gab gegenseitige Ausweisungen, es gibt Botschaften, die man sich gegenseitig gesandt hat, es gibt Zensur von Medien, die Infrastruktur der Barátság-Ölpipeline wurde beschossen, es gab einen Spionagekrieg, zumindest wurde das so in der Presse dargestellt, einen Drohnenstreit, also wurde im Laufe der Weltgeschichte schon wegen geringerer Dinge ein Krieg ausgelöst.
Man muss vernünftig sein. Sie sagen es richtig: Man muss vernünftig sein.
Es besteht eine realistische Chance…
Ich bin vernünftig….
dass es in Zukunft zu einem militärischen Konflikt zwischen der Ukraine und Ungarn kommt?
Schauen Sie, diese Gefahr besteht immer, aber die Führungskräfte müssen vernünftig sein, in diesem Fall zum Beispiel ich, aber auch die parlamentarische Mehrheit, die Regierung und der Verteidigungsminister. Man muss also wirklich vernünftig sein, ruhig bleiben, wir sagen: strategische Gelassenheit. Die ukrainischen Geheimdienste sind ständig auf dem Gebiet Ungarns aktiv. Die Dienste sagen dazu, dass sie dies detektieren, davon wissen und uns dagegen verteidigen. Und tatsächlich wird die ungarische Innenpolitik nicht nur von Brüssel aus beeinflusst, sondern auch von Kiew, da sie dies gemeinsam machen. Das Ziel Brüssels ist es nun, eine Ukraine-freundliche Regierung in Ungarn zu haben, woran auch die Ukraine interessiert ist. Die Ukrainer unterstützen die ungarische Opposition mit allen möglichen Mitteln. Manchmal weiß man mehr darüber, manchmal weniger, aber wir verfolgen das natürlich.
Wenn Kiew und Brüssel die Politik in Ungarn oder den Verlauf der Wahlen beeinflussen wollen, warum dann nicht auch Russland?
Möglicherweise möchten die Russen das auch, aber Ungarn ist eine souveräne Regierung. Mich stört also nicht nur, dass man uns von Brüssel oder gerade von Kiew aus beeinflussen will, sondern jede Einflussnahme stört mich, denn Ungarn ist so groß, wie es eben ist, und wir müssen sehr auf unsere Souveränität achten. Ich sage also nicht, dass es wie Jungfräulichkeit ist, darum geht es nicht, denn man muss sie auch nutzen, aber die Souveränität ist der wertvollste Schatz eines Landes. Deshalb dürfen wir uns nicht beeinflussen lassen, selbst wenn dies auf freundschaftlicher Basis geschehen sollte. Wir arbeiten gerne mit allen zusammen, wehren Angriffe ab, aber selbst unsere Freunde dürfen uns nicht vorschreiben, was wir zu tun haben. Sie können uns nicht vorschreiben, wie wir leben sollen, wie unsere Außenpolitik aussehen soll, wie die ungarische Position in einzelnen Fragen sein soll, das ist nicht möglich, denn Ungarn ist ein souveränes Land. Man kann mit uns Vereinbarungen treffen, aber man kann uns nichts aufzwingen oder unsere Souveränität umgehen, zumindest nicht, wenn es eine nationale Regierung gibt. Es gab nicht immer eine nationale Regierung in Ungarn, daher kann man die ungarische Geschichte auch danach unterteilen, welche Art von Regierungen es zu welcher Zeit gab: internationalistisch, imperialistisch, Statthalter, dies und das, aber es gab auch Epochen, in denen wir nationale Regierungen hatten. Jetzt befinden wir uns gerade in einer solchen Epoche.
Sie haben mehrfach erklärt, dass Ungarn nicht gerne Nachbar Russlands wäre. Ich würde gerne fragen, warum genau das nicht der Fall ist, und ob daraus folgt, dass diejenigen, die derzeit Nachbarn Russlands sind, die baltischen Staaten oder alle, die Russland nahestehen, ein realistisches Gefühl der Gefahr haben, wenn sie sagen, dass Russland sie im Falle eines Falles angreifen könnte? Oder warum wollen wir nicht Russlands Nachbar sein?
Es gibt drei Länder, deren Nachbarn wir meiner Meinung nach auf keinen Fall sein wollen. Wir wollen nicht die Nachbarn der Deutschen sein, denn das waren wir schon einmal, und es gab Probleme: den Anschluss. Es ist gut, wenn dort Österreich und Tschechien sind. Wir wollen keine Nachbarn der Russen sein. Das hatten wir auch schon, denn die Grenze der Sowjetunion verlief hier, an der Ostgrenze Ungarns. Und wir wollen auch keine Nachbarn der Türken sein, denn das hatten wir auch schon. Worüber wir hier sprechen, ist keine Fantasmagorie, keine Philosophie, kein Spekulieren, sondern Erfahrung, historische Erfahrung. Es ist gut, wenn wir von den großen Reichen, die Einfluss auf uns haben, durch verschiedene geografische Einheiten oder Gebilde getrennt sind. Das ist ein hoher Wert. Es ist also gut, wenn wir nicht mit diesen Ländern benachbart sind. Es ist also gut, dass zwischen Ungarn und Russland ein Gebiet liegt, das heute Ukraine heißt. Es liegt im strategischen Interesse Ungarns, dass die Ukraine existiert. Das ist also nicht nur eine geopolitische Frage, man könnte auch mit Blick auf den Weltfrieden und die Sicherheit in Europa dafür argumentieren, aber ich sage jetzt aus der Sicht des ungarischen Nationalinteresses: Die Existenz der Ukraine liegt im Interesse Ungarns.
Sie sagten jedoch über die Existenz der Ukraine, dass der Staat nur deshalb funktioniert, weil Europa Geld, Waffen oder sonstige Beiträge leistet, damit der Staat und die Armee funktionieren können. Nun will Ungarn die Ukraine jedoch weder finanziell noch militärisch unterstützen. Wie kann ich also diesen Widerspruch auflösen, wie kann die Ukraine bestehen bleiben, wenn wir es nicht so sehr unterstützen, dass Europa Geld und Waffen in sie investiert?
Wir unterstützen den Abschluss eines strategischen Abkommens mit der Ukraine, also ein strategisches Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, keine Mitgliedschaft, sondern einen Vertrag. Darin legen wir fest, wer was leistet. Wie lassen die Ukrainer die Europäer auf ihren Markt, wie handeln wir miteinander? Können die Ukrainer auch Arbeit annehmen, und wenn ja, wie in Europa? Welche Sicherheitsgarantien geben wir? Wollen wir den Ukrainern überhaupt welche geben? Was wird mit den dort lebenden Minderheiten, zum Beispiel den Ungarn? Es bedarf eines umfassenden strategischen Abkommens, das der Ukraine im Übrigen garantiert, dass sie bei Einhaltung des Vertrags ihre staatliche Existenz bewahren kann. Heute hat die Ukraine keine unabhängige staatliche Existenz, heute wird sie in Wirklichkeit von uns alimentiert. Aber der größte Teil des Geldes fließt nicht in den Betrieb der Ukraine, natürlich zahlen wir auch die Renten und die Gehälter, aber der größte Teil des Geldes fließt in den Krieg. Wenn Frieden herrschen würde, müsste dieses Geld nicht für den Krieg ausgegeben werden, wir könnten einen Teil davon behalten und mit einem anderen Teil sogar die Wirtschaft in der Ukraine entwickeln. Aber heute ist das nicht der Fall, stattdessen verbrennen wir Milliarden von Dollar und Euro an der Front. Nach unseren Berechnungen hat Europa bisher eine Summe von 175 Milliarden Euro verbrannt.
Sie haben auch einmal gesagt, dass Russland diesen Krieg in der Ukraine im Grunde genommen bereits gewonnen hatund dass nun nichts anderes mehr geschieht als die Aufteilung der Ukraine, an der auch die europäischen Großmächte beteiligt sind. Hier stellte sich mir die Frage in Bezug auf die Ungarn jenseits der Grenze, wie die ungarische Regierung es aufnehmen würde, wenn beispielsweise Transkarpatien zur französischen, deutschen oder britischen Einflusssphäre gehören würde.
Lassen Sie uns darüber sprechen, aber vorerst geschieht dies nicht offen, und im Allgemeinen ist für Ungarn nichts gut, was heimlich oder hinter verschlossenen Türen geschieht. Ein Land von der Größe Ungarns ist am sichersten, wenn alle Angelegenheiten, die es betreffen, öffentlich sind. Daher führt meiner Meinung nach geheime Diplomatie hier von vornherein zu keinem Ergebnis, sodass man offen sprechen muss. Es ist doch so, dass die Russen etwa 20 Prozent des ukrainischen Territoriums besetzt haben und etwa 200 Kilometer von der ehemaligen russisch-ukrainischen Grenze aus in das Gebiet der Ukraine vorgedrungen sind. Das ist jetzt eine russische Zone. Die Russen wollen dieses Gebiet behalten. Die Russen fordern außerdem, dass östlich dieser Frontlinie eine nichtmilitärische Zone, also eine neutrale Zone, eine waffenfreie Zone eingerichtet wird, weil sie gesagt haben, dass sie nicht noch einmal in die Situation geraten wollen, dass es in der Ukraine Waffen gibt, mit denen man direkt und effektiv Russland beschießen kann. Ich möchte mich jetzt nicht damit befassen, welche Lösungspläne erfolgreich sein werden und welche nicht, ich möchte nur sagen, dass derzeit ein Fünftel der Ukraine unter ausländischer Besatzung steht und die anderen drei Fünftel oder vier Fünftel nicht auf eigenen Beinen stehen können, sondern von uns alimentiert werden. Es ist offensichtlich, dass dies auf lange Sicht nicht aufrechtzuerhalten ist. Die Frage ist, wie man aus dieser Situation herauskommen kann. Aus dieser Situation kann man mit Diplomatie herauskommen. Deshalb schlägt Ungarn vor, dass die Europäische Union und Russland miteinander über das künftige Sicherheitssystem Europas verhandeln, zu dem auch die Ukraine gehört. Es geht nicht darum, über die Ukraine zu verhandeln, das ist zwar eine wichtige Frage, aber nicht die wichtigste. Die wichtigste Frage ist, wie man nicht in der Ukraine, sondern in Europa ein sicheres, terrorismus- und kriegsfreies Leben erreichen kann, das den europäischen Bürgern auch wirtschaftlichen Wohlstand bietet. Das ist die entscheidende Frage. Solange Krieg herrscht, werden wir kein solches Leben haben, also muss es statt Krieg etwas anderes geben. Und der Krieg sollte nicht nur mit einem Waffenstillstand beendet werden, sondern es sollte eine allgemeine Regelung geschaffen werden, die langfristig die Sicherheit aller garantiert. Meiner Meinung nach ist das das Ziel, aber das kann nur mit Diplomatie erreicht werden, an der Front kann dieses Ziel meiner Meinung nach nicht erreicht werden. Die Europäer sind der Meinung, dass der Krieg gewonnen werden muss, um diese Ziele zu erreichen, aber ich glaube, dass dies nicht funktionieren wird. Daher wäre es besser, wie es in Europa üblich ist, diplomatische Verhandlungen auf einer bestimmten Ebene zu initiieren und schließlich durch eine Vereinbarung auf höchster Ebene ein Sicherheitsabkommen zwischen dem westlichen und dem östlichen Teil Europas zu schaffen.
Ja, aber in der Welt der Diplomatie stellen sich Fragen, denn im Vergleich zum Gipfeltreffen in Alaska gab es beispielsweise dort Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, doch die Verhandlungen und die Bemühungen von Donald Trump haben nicht wirklich zu Ergebnissen geführt. Ich weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist. Eine weitere, damit zusammenhängende Frage ist, wie Sie es bewerten, dass der amerikanische Präsident, der bisher eine harte Rhetorik gegenüber der Ukraine verwendet hat, nun eine 180-Grad-Wende vollzogen hat und sagt, dass Russland ein Papiertiger ist und die Ukraine die Möglichkeit habe, die besetzten russischen Gebiete noch zurückzugewinnen und sogar noch weiterzugehen. Das ist doch eine große Veränderung. Beeinflusst jemand Donald Trumps Standpunkt?
Sehen Sie, ich verstehe, dass ein wichtiger Teil Ihres Berufs darin besteht, die Welt zu interpretieren, aber dabei kann ich Ihnen nicht helfen, denn was ich sage, hat diplomatische Konsequenzen, daher möchte ich mich nicht an solchen Überlegungen beteiligen, da ich Verantwortung für mein Land trage und mir das keine Möglichkeit dazu gibt, aber ich kann Ihnen dennoch ein paar Dinge sagen. Erstens: Auch wenn diplomatische Kontakte nicht zum Erfolg führen, müssen sie dennoch fortgesetzt werden. Die Frage lautet: Kann ein Krieg ohne diplomatische Kontakte durch einen Waffenstillstand oder Friedensverhandlungen beendet werden? Antwort: Nein, das ist nicht möglich! Deshalb muss man, unabhängig davon, dass die Verhandlungen zwischen den gegnerischen Parteien zehnmal in zehn Fällen erfolglos sind, auch beim elften Mal verhandeln. Kriege, in denen gekämpft wird und die Parteien nicht miteinander verhandeln, dienen immer der gegenseitigen Auslöschung und endgültigen Vernichtung, wie dies beispielsweise im Zweiten Weltkrieg die Eroberung Berlins war. Wenn das Ziel jedoch nicht darin besteht, eine der Kriegsparteien endgültig zu vernichten, sondern zu akzeptieren, dass sie auch nach dem Krieg weiterbestehen wird, dann muss man auch während des Krieges ständig verhandeln. Das war in der europäischen Kultur schon immer so. Derzeit ist das nicht der Fall, es ist eine Ausnahmesituation, dass die Europäische Union nicht mit den Russen verhandelt, während sie sagt, dass dies unser Krieg ist. Ungarn ist damit natürlich nicht einverstanden, dies ist nicht unser Krieg, aber dennoch müsste tatsächlich verhandelt werden. Dass dies nicht der Fall ist, ist das Besondere, und nicht, wenn Verhandlungen stattfinden. Wir befinden uns also heute in einer abnormalen Situation. Ich möchte die Wende der USA nicht bewerten, ich kann nur sagen, dass die Europäische Union als Ergebnis dieser Wende heute amerikanische Waffen im Wert von mehreren hundert Milliarden Dollar kaufen wird, die wir dann an die Ukrainer weitergeben werden. Der Präsident der USA ist ein Geschäftsmann.
Kommen wir zu einem anderen außenpolitischen Thema. „Hetek” befasst sich auch intensiv mit dem Nahen Osten, wo vor allem in den letzten Jahren viele interessante Dinge geschehen sind. Ungarn steht oft als einziges Land in Europa bei UN-Abstimmungen und EU-Erklärungen auf der Seite des Staates Israel. Hier stellt sich mir die Frage, ob dies ausschließlich die Vertretung ungarischer Interessen ist, oder das Ergebnis guter politischer Beziehungen, oder etwas Höheres, etwas Erhabeneres, das beispielsweise Ungarn und Israel verbindet oder Ihren Standpunkt beeinflusst?
Da gibt es viele Faktoren, die zusammenkommen, also wird es lang… Lassen Sie uns eine Liste erstellen – wie wäre das? Ich schlage vor, da Sie diese Frage aufgeworfen haben, dass wir versuchen, aufzuzählen, welche Gründe wir haben, eng mit Israel zusammenzuarbeiten. Beginnen wir mit dem Einfachsten. In Israel leben viele ungarische Staatsbürger. Die ungarische Staatsbürgerschaft wird durch Abstammung verliehen, das heißt, wenn jemand ungarische Vorfahren hat, wird er mit seiner Geburt ungarischer Staatsbürger. Der ungarische Staat schafft die Staatsbürgerschaft nicht, sondern erkennt sie nur an, da sie durch Abstammung, also durch Blut, begründet ist. Wenn Sie also nach Israel reisen, werden Sie dort – wir haben dazu Schätzungen, aber keine genauen Zahlen – sehr viele Menschen finden, die…
Immer.
… die ungarische Vorfahren haben, die im Grunde genommen ungarische Staatsbürger sind, aber noch nicht beantragt haben, dass der ungarische Staat ihre Staatsbürgerschaft feststellt und registriert. Dann leben also sehr viele ungarische Staatsbürger jüdischer Herkunft in Ungarn. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, daher ist es schwierig, dies zu schätzen. Ich frage MAZSIHISZ oft, wie viele es sein könnten, aber auch sie nennen keine Zahlen, aber ich schätze, es sind über hunderttausend. Das ist eine große Gemeinschaft, und Israel ist für sie wichtig. Und da sie zur Gemeinschaft der ungarischen Nation gehören, also auch die ungarischen Bürger jüdischer Herkunft, dürfen ihre Standpunkte nicht außer Acht gelassen werden. Ich glaube also, dass es eine historische Tatsache gibt, eine große jüdische Gemeinschaft lebt in Ungarn, es gibt eine große ungarisch-jüdische Gemeinschaft in Israel, und es besteht hier eine gewisse Verantwortung der ungarischen Regierung, denn auch diese Menschen sind alle vollwertige Bürger Ungarns. Deshalb kann ich das nicht außer Acht lassen, wenn ich darüber spreche, was Ungarn in seinen außenpolitischen Beziehungen zu Israel zu tun hat. Dann können wir vielleicht den ersten Punkt abhaken. Schauen wir uns den zweiten an! Die Stabilität der Region, in der Israel liegt, ist für Ungarn eine Schlüsselfrage. Wenn diese Region instabil wird, kommt es zu Flüchtlingswellen in Richtung Europa, darunter – wie wir bereits gesehen haben – auch in Richtung Ungarn. Meiner Meinung nach hängt die Stabilität der Region von zwei Ländern ab. Es gibt zwei Länder, ohne deren Stabilität die Region nicht stabil sein kann: das eine ist Ägypten, das andere ist Israel. Die ungarische Außenpolitik unterhält zu beiden Ländern besondere Beziehungen. Wir haben sehr gute Beziehungen sowohl zu Ägypten als auch zu Israel. Wir sind an der Stabilität beider Länder interessiert. Wir sind keine Weltmacht, aber wenn wir können und wo wir können, helfen wir beiden Ländern. Das ist der zweite Punkt. Der dritte Punkt ist meiner Meinung nach kultureller und historischer Natur, denn die jüdische Kultur ist Teil der ungarischen Kultur. Ich selbst bin Calvinist, also das Alte Testament ist doch aus dem Heiligen Land…
Ja, und sogar ein bedeutender Teil des Neuen Testaments…
… ja, vielleicht sogar das, obwohl das eine kompliziertere Sache ist, aber das Alte Testament kommt sicherlich von dort, also aus dem Osten, wenn man so formulieren darf. Deshalb hat Ungarn durch die christliche Kultur eine besondere Verbindung zur jüdischen Gemeinschaft durch das Alte Testament. Das ist eine kulturelle, historische Tatsache, die ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden darf, wenn das Land eine seriöse Regierung hat. Dann gehen wir weiter! Wir haben geschäftliche Interessen. Israel hat ja bedeutende Investitionen in Ungarn, wir betreiben gemeinsame Forschung, auch in sehr sensiblen Bereichen wie der Rüstungsindustrie und der Cybersicherheit, und da zwischen den beiden Ländern Vertrauen herrscht, entwickeln sich diese Beziehungen gut, von denen wir beide profitieren: sie und wir. Und dann gibt es noch den persönlichen Aspekt, den Sie ansprechen, nämlich dass wir mit Netanjahu, wenn er in Israel an der Regierung ist, einen persönlichen Freund in Israel haben. Ungarn hat also nicht sehr viele Freunde, ich kann auch nicht sagen, dass alle israelischen Staatschefs Freunde Ungarns waren und sein werden. Wir müssen unsere Freunde schätzen. Und aus verschiedenen Gründen ist Ministerpräsident Netanjahu ein aufrichtiger Freund Ungarns, und deshalb haben wir ihm immer geholfen, und er hat uns auch immer geholfen. Die Freundschaft hat also zweifellos auch eine Dimension, die mit Parteien und Personen verbunden ist. So sieht es im Großen und Ganzen aus. Das ist ein großer Korb.
Eine weitere damit zusammenhängende Frage betrifft die Tatsache, dass mehrere europäische Staaten, aber auch mehrere andere Staaten in den letzten Wochen den palästinensischen Staat in der UNO einseitig anerkannt haben, was eine große Debatte ausgelöst hat. Wie sehen Sie derzeit die Frage der Zwei-Staaten-Lösung bzw. die Frage eines palästinensischen Staates? Ich weiß, dass Ungarn den palästinensischen Staat bereits unter dem Kommunismus anerkannt hat.
Das ist alles sehr verworren, ich weiß selbst nicht genau, wie wir stehen, also würde ich auch als Jurist, wenn Sie mich fragen würden, mich am Kopf kratzen, denn tatsächlich ist es so, als hätten wir die Palästinenser während der kommunistischen Zeit anerkannt, aber das ist nicht so offensichtlich…
Ja.
… ob dies inzwischen in das ungarische Rechtssystem übernommen wurde, also befinden wir uns irgendwie im Niemandsland, deshalb behelligt uns auch niemand im Übrigen. Aber die Angelegenheit ist ernst, also lohnt es sich, sich ernsthaft damit zu befassen. Die Frage ist nicht, ob wir Palästina anerkennen oder nicht, sondern ob dies die Lösung für die dortige Situation ist. Dazu muss ich zunächst einmal sagen, dass ich es nie mag, von außen Ratschläge zu geben, wie jemand sein Problem lösen soll. Die Tatsache, dass die Welt aufgeregt ist und den Menschen dort ständig Ratschläge geben will, wie sie ihre Probleme lösen sollen, trägt meiner Meinung nach oft nicht dazu bei, dass dort eine Lösung gefunden wird. Auch heute sehe ich in den italienischen Nachrichten, dass die italienische Linke Massenkundgebungen gegen die italienische Regierung und die israelische Regierung wegen der Palästina-Frage abhält. Ist das gut? Oder für wen? Ich würde also zur Vorsicht raten. Zweitens sieht die Sache jetzt etwas einfacher aus, ich meine die Debatte über die Zwei-Staaten-Lösung, denn der amerikanische Präsident hat einen 20-Punkte-Friedensplan vorgelegt, der dies durchkreuzt und die Zwei-Staaten-Lösung nicht einmal erwähnt. Ich habe diesen 20-Punkte-Friedensplan gelesen, darin ist von einer Zwei-Staaten-Lösung keine Rede, es werden alle möglichen anderen Lösungen und Modelle vorgeschlagen, und heute sprechen alle davon, dass sie diesen 20-Punkte-Plan unterstützen.
Sie auch?
Natürlich, auch Ungarn unterstützt ihn. Meiner Meinung nach können wir also über die Zwei-Staaten-Lösung philosophieren, aber der Weg, der derzeit als Lösung erscheint, ist der von US-Präsident Trump vorgestellte 20-Punkte-Plan. Den unterstützen wir. Zur Zwei-Staaten-Lösung habe ich nur eine philosophische Anmerkung, wenn ich darf: Politik ist ja schließlich doch die Kunst des Möglichen, und ich sehe das so, als ob dies außerhalb des Möglichen liegen würde, es klingt zwar gut, aber es liegt außerhalb. Denn es gibt einen Staat, der existiert und der die Zwei-Staaten-Lösung nicht will, und der Staat, der sie will, existiert nicht. Daraus lässt sich nur schwer eine Zwei-Staaten-Lösung entwickeln…
Sie haben die Massenproteste in Italien erwähnt, und ich würde das damit in Verbindung bringen, dass es in vielen großen europäischen Städten Proteste gibt, die als pro-palästinensisch bezeichnet werden. Ich bezweifle jedoch, dass diese wirklich ihre Partei vertreten, und parallel dazu hat in Europa eine ziemlich ernsthafte Welle antisemitischer Hassausbrüche eingesetzt, wie man sie vielleicht nur vor dem Zweiten Weltkrieg gesehen hat. Um nur das jüngste Ereignis zu nennen: In Manchester hat ein britischer Staatsbürger mit Migrationshintergrund gerade am Jom-Kippur-Feiertag vor einer Synagoge mehrere Juden niedergestochen, zwei von ihnen starben. Dies ist ein ziemlich schwerwiegendes Ereignis in einer Reihe blutiger Vorfälle, die oft unter dem Deckmantel der Palästinenserfreundlichkeit begangen werden. Wie sehen Sie diese Welle, diese Vorfälle?
Ich sehe diese Situation als sehr schwierig an. Ich danke Gott, dass dies nicht in Ungarn geschieht. Diejenigen, die darunter leiden, tragen sehr tiefe Wunden davon und stehen auch in Manchester vor sehr ernsten Fragen. Man wusste also, dass es auch in Europa eine Tradition des Antisemitismus gibt, aber es ist eine schwindende und immer schwächer werdende Tradition. Wir wussten auch, dass es auch in Europa Homophobie gibt. Auch diese Tradition schwächt sich meiner Meinung nach ab, aber sie existiert. Aber dann kam die Migration, und Millionen von Menschen strömten herein. Und in dieser Millionenmenge, die hereingeströmt ist, sind sowohl Antisemitismus als auch Homophobie viel stärker verbreitet und finden viel mehr Unterstützung als in Europa, wo wir diese Phänomene zurückgedrängt haben. Als also Millionen von Migranten nach Westeuropa gelassen wurden, ließ man auch eine Menge antisemitischer, menschenverachtender und homophober Aggressionen herein. Das alles ist jetzt bei ihnen vorhanden. Damit müssten wir etwas anfangen. Deshalb sage ich, dass ich dem lieben Gott dankbar bin, dass er uns genug Kraft gegeben hat, sie nicht hierher hereinzulassen, denn dann hätten wir auch mit diesem Problem zu kämpfen. Die Demokratie ist ein äußerst empfindliches Instrument. Die Demokratie hängt von den Stimmen ab. Und damit eine politische Kraft, beispielsweise eine Partei, eine Regierungsvollmacht erhält, muss sie Stimmen sammeln. Und wenn man Millionen von Menschen in ein Land lässt, die beispielsweise antisemitisch oder homophob sind oder statt der christlichen Kultur die islamische Kultur bevorzugen oder statt christlicher Gesetze die Scharia wollen, dann werden diese Menschen, die man hereingelassen hat, zu Wählern, und jemand wird sie in der Politik vertreten. Es ist also etwas sehr Schwerwiegendes in Westeuropa passiert. Wir sehen jetzt den Terrorismus, den von Ihnen erwähnten Anschlag in Manchester, wir sehen also die täglichen Auswirkungen davon, aber langfristig ist dies eine äußerst schwerwiegende Herausforderung für die Demokratie. Die Juden, die jüdischen Gemeinschaften verlassen Westeuropa in großer Zahl, weil sie weniger zahlreich sind als die Muslime und die Zahl der muslimischen Wähler höher ist, weshalb sich in diesen Ländern die Politik, die den muslimischen Ansichten, den positiven und negativen Ansichten, dient, verstärkt hat. Und das bedeutet, dass sich die Angehörigen der jüdischen Gemeinschaft dort immer weniger wohlfühlen. Sie kommen von dort weg. Ich möchte nicht, dass sie weggehen müssen, aber ich sehe an den Zahlen, dass dies geschieht. Ich möchte also sagen, dass es weitreichende Folgen hat, wenn man in einer Demokratie die kulturelle Zusammensetzung, das Fundament des ursprünglichen Volkes verändert, und dass es viele Folgen gibt, die man gar nicht alle überblicken kann, wenn man diese riesigen Menschenmassen hereinlässt. Und Westeuropa hat den Fehler begangen, sie hereinzulassen, und zwar ohne die Sache vorher zu Ende zu denken, und jetzt sieht es sich mit den Folgen konfrontiert, und eines der Opfer dieser Unüberlegtheit ist gerade die jüdische Gemeinschaft Westeuropas.
Nicht direkt, aber indirekt hängt damit auch das Thema Demografie bzw. Bevölkerungsrückgang zusammen, und hier möchte ich ein wenig zum Thema Innenpolitik überleiten. Die Regierung hat viele Entscheidungen zur Familienförderung getroffen, Programme, finanzielle Unterstützung, Politik, doch die neuesten Bevölkerungsrückgangs- oder Geburtenraten zeigen, dass immer weniger Kinder geboren werden und sich der Bevölkerungsrückgang hier in Ungarn vielleicht sogar noch verstärken wird. Dies ist teilweise auf die Erfolglosigkeit der Regierungspolitik zurückzuführen, sollte etwas geändert werden, oder liegt der Grund dafür woanders?
Wir sprechen jetzt über die wichtigste Frage, die die Ungarn betrifft, denn die wichtigste Frage ist doch, ob es uns geben wird und wenn ja, wie lange. Und da wir keine Nation mit mehreren zehn Millionen Einwohnern sind, sondern nur etwas mehr als zehn Millionen, ist dies mathematisch viel leichter zu berechnen als in Deutschland mit 86 Millionen Einwohnern, der Türkei mit 90 Millionen Einwohnern, Russland mit 150 Millionen Einwohnern oder den Vereinigten Staaten mit 350 Millionen Einwohnern, wo es solche Zweifel nicht gibt. Solche Zweifel haben sehr schwerwiegende seelische und kulturelle Folgen. Es ist schwer, in einem Land fröhlich zu sein, in dem man, wenn man ein wenig über die Situation nachdenkt, mit der Möglichkeit konfrontiert wird, dass wir schrumpfen und am Ende verschwinden, oder dass jemand hierherkommt und uns das Land wegnimmt, oder dass wir in etwas aufgehen. Das ist schrecklich, zumindest für mein Herz sind das schreckliche Aussichten, die man da erblickt. Und wenn wir nicht vor all diesen Diskussionen zu einer offenen Flasche Rotwein flüchten wollen, müssen wir eine Lösung dafür finden. Und ich finde, die Regierung macht das Richtige. Wenn es also nicht die Familienpolitik gegeben hätte, die wir 2010 ins Leben gerufen haben, gäbe es heute 200.000 Kinder weniger in Ungarn. Und es stimmt, dass diese 200.000 Kinder mehr nicht ausreichen, um den Trend umzukehren, aber wir sprechen immerhin von 200.000 ungarischen Kindern, die nicht geboren worden wären, wenn die Wirtschaft- und Familienpolitik der Linken 2010 fortgesetzt worden wäre. Ich denke, wir sollten festhalten, dass 200.000 Menschen, Kinder, ungarische Kinder geboren wurden. Das ist also der wichtigste Maßstab für unsere Familienpolitik. Die Frage ist eher, ob das ausreicht. Und ich denke, wenn Ungarn über nutzbare Gelder verfügt, die von der Wirtschaft erwirtschaftet werden und über die wir entscheiden können, dann sollten wir so viel wie möglich für die Unterstützung von Familien ausgeben.
Aber reicht das aus…
Das können wir nicht sagen, denn…
… für die Trendwende?
Denn wie ist die Situation hier? Der Staat kann niemanden dazu zwingen, Kinder zu bekommen – zum Glück. Es geht hier darum, dass jeder selbst persönliche seelische oder Karriere-Entscheidungen über sein Leben trifft, und der Staat darf sich da nicht einmischen, denn die Menschen leben – innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen – so, wie sie es möchten. Wenn jemand überhaupt keine Kinder will, dann will er eben keine. Was die Regierung tun kann, ist, dass sie zwar die Entscheidung, ob jemand Kinder haben möchte oder nicht, als Privatsache betrachtet, aber gleichzeitig auch zugibt oder bekennt, dass es für die Gemeinschaft nicht egal ist, ob jemand Kinder hat oder nicht. Und wenn jemand, sagen wir eine Frau, zwei Kinder bekommt, bedeutet das, dass wir wegen ihr nicht mehr weniger werden, dass sie also sich selbst und ihren Mann reproduziert hat und damit der Gemeinschaft in ihrem Problem geholfen hat, dass sie schrumpft und sogar verschwinden könnte. Und solche Entscheidungen müssen ermutigt werden. Man darf sich nicht einmischen, aber man muss sie ermutigen. Man muss sagen: Ja, die Familie ist wertvoll – das ist sie ohnehin, auch aus spirituellen Gründen, aber jetzt sprechen wir über Demografie –, sie ist auch aus demografischer Sicht wertvoll. Du, der du Kinder bekommst, hast eine private Entscheidung getroffen, aber es ist eine sehr wichtige Entscheidung für die Gemeinschaft. Vielen Dank, wir sind dir dafür dankbar. Wir wissen, dass dies mit einer Belastung verbunden ist, und wir wissen, dass diejenigen, die keine Kinder bekommen, finanziell besser gestellt sind als du, die sich dafür entschieden hat. Das ist nicht gerecht. Wir helfen dir, wir gewähren dir Steuervergünstigungen, alles, CSOK, alles, die Schaffung deines Zuhauses. Wir helfen dir, damit die Entscheidung für ein Kind letztendlich nicht von finanziellen, also materiellen Aspekten beeinflusst wird, sondern eine persönliche Entscheidung aus deinem Herzen ist. So weit können wir gehen. Und von hier an gehen die Wege auseinander, denn es gibt Menschen, die glauben, dass die Ungarn, wenn sie die Möglichkeit haben, sich nicht aus finanziellen Gründen für oder gegen Kinder zu entscheiden, dann viele Kinder bekommen werden. Ich glaube daran, ich gehöre zu dieser Welt, wir sind so, und andere sagen, dass auch das nicht ausreichen wird, weil die Frauen trotzdem nicht genug Kinder bekommen werden. Und vielleicht wird es das auch dadurch nicht geschehen, denn ohne den Einfluss Gottes, ohne den Heiligen Geist wird es wahrscheinlich nicht funktionieren, da bin ich mir sicher, aber ein Hindernis, nämlich die finanziellen Schwierigkeiten, gelingt es, aus dem Weg zu räumen. Und wenn die Regierung das tun kann, wird es meiner Meinung nach zu Ergebnissen führen. Jetzt hat es zu 200.000 Seelen geführt, das werden auch noch mehr werden.
Vor zwei Jahren sprachen Sie in Tusványos über Nationalstaaten, und Sie sagten einen sehr interessanten Satz darüber, dass Nationalstaaten eine biblische Grundlage haben, dass sie zur Schöpfungsordnung gehören, denn wir lesen in der Schrift, dass nicht nur Menschen, sondern auch Nationen am Jüngsten Tag gerichtet werden. Das ist zwar eher schon ein theologisches Thema, aber ich bin dennoch neugierig, wie Ungarn Ihrer Meinung nach als Nation auftreten sollte, um ein günstiges Urteil zu erhalten? Und welche Verantwortung haben Sie persönlich als derzeitiger Führer der ungarischen Nation dafür, dass das Land in diesem Urteil in die richtige Richtung geht?
Meine Freunde necken mich manchmal damit, dass ich manchmal das Genre verwechsle, weil ich politische Predigten statt politischer Reden halte, und das mag stimmen, aber ich weiß nicht, ob das ein Problem ist. Auf jeden Fall sollte man sich vorsichtig aus seinem eigenen Bereich herauswagen. Aus zwei Gründen. Erstens, weil es besser ist, wenn wir bei dem bleiben, was wir können, denn darin sind wir gut, und zweitens, weil auch andere gibt, die sich besser auskennen, die dieses Gebiet besser verstehen und sich darin auskennen und den Menschen mehr helfen können als ein Politiker. Man muss also vorsichtig sein, aber ich habe immer gedacht, da die Existenz der ungarischen Nation nicht nur eine biologische und wirtschaftliche Frage ist, sondern auch eine spirituelle, dass wir also eine Qualität repräsentieren, eine kulturelle und spirituelle Qualität, auch wenn sie meiner Meinung nach sehr speziell ist, etwas, das vielleicht außer uns niemand hat. Deshalb sollte derjenige, der die Verantwortung für die Führung des Landes übernimmt, den Wählern manchmal signalisieren, dass es etwas Besonderes ist, Ungar zu sein, und dass man darüber sprechen muss, und wer sollte dieses Gespräch beginnen, wenn nicht der Ministerpräsident Ungarns? Ich schweife also manchmal ab, ich kenne meine Grenzen, aber manchmal halte ich es für notwendig, in diesen Bereich abzuschweifen. Und ich bin mir sicher, dass Ungarn dann vom lieben Gott das Recht auf Existenz erhält, gewinnt und behalten kann, wenn es ihm hilft, wenn es dem lieben Gott hilft, sein Reich aufzubauen. Das ist der Kern der Sache. Und ich glaube, dass Ungarn in dieser Hinsicht in den letzten tausend Jahren sehr viel geholfen hat. Ich sage nicht, dass unsere Leistungsbilanz makellos ist, aber ich glaube, dass wir dem lieben Gott sehr viel dabei geholfen haben, dass sein Reich hier auf dieser Erde, wenn schon nicht kommt, so doch näher rückt. Und das sollte jede Generation bedenken. Jede Generation in Ungarn sollte also auch unter diesem Gesichtspunkt prüfen, ob sie die Mission ihrer eigenen Generation erfüllt hat. Auch in dieser Hinsicht bewerte ich die Arbeit der Regierung und versuche, mich hier zu behaupten.
Und Sie fühlen sich auch persönlich dafür verantwortlich, das zu tun, was Gott Ihnen aufgetragen hat…
Das ist meine Aufgabe, die mir zugeteilt wurde.
Damit verbunden ist eine Frage, und als Kritik entsteht in mir doch die Frage, dass es sehr oft vorkommt, dass jene Politiker, politische Parteien oder Regierungen, die sich in ihrer Rhetorik, Kommunikation oder sogar in ihren Werten zum Christentum bekennen, innerhalb einer politischen Gemeinschaft in moralische Skandale verwickelt sind und damit auch das Christentum selbst diskreditieren, wenn sie es in ihrer Rhetorik vertreten, aber gleichzeitig in ihrem Privatleben oder in moralischen Fragen daran scheitern.
Das ist leider so.
Sollte die Politik nicht mehr Abstand halten…
Doch, doch, das sollte sie.
…auf kirchlicher Ebene oder auf konfessioneller Ebene oder sogar auf der Ebene der Vertretung des Christentums?
Das ist eine andere Frage, lassen Sie uns auch darüber sprechen. Die Distanz zwischen Kirche und Staat. Aber bevor wir darüber sprechen, über die Distanz zwischen Kirche und Staat, lassen Sie uns über die andere, wichtigere Dimension sprechen, die Sie ansprechen. Ja, die Situation ist so, dass wir Menschen sind und daher auch fehlbar, und deshalb sind Dinge passiert, die nicht hätten passieren dürfen. Wenn dies nun die Eignung für eine Führungsposition in Frage stellt, sei es in moralischer Hinsicht, dann muss man sofort aus dem öffentlichen Leben ausscheiden. Wenn das Vergehen nicht so schwerwiegend ist, gibt es eine Lösung, was man unternehmen muss. Zunächst muss man das Vergehen bekennen, es bereuen, die Strafe akzeptieren und Wiedergutmachung leisten. Ich kenne niemanden, der perfekt ist und nie einen Grund hatte, diese vier Schritte zu durchlaufen, sei es wegen kleinerer oder größerer Vergehen oder Sünden. Aber die Politik ist eine grausame Welt, und wenn man hier etwas von dem Gewicht begeht, das in die Kategorie der Fehlbarkeit fällt, muss man gehen, weil man die Strafe akzeptieren muss. Und die Strafe besteht oft darin, dass man gehen muss. Nun ist es aber sehr wichtig, dass wir den Liberalen nicht nachgeben. Das ist sehr wichtig, denn wofür nutzen die Liberalen, die Kommunisten und die Christenfeinde diese menschliche Schwäche, gegen die man auch meiner Meinung nach kämpfen muss? Sie nutzen sie, um zu sagen, dass diese ganze moralische Messlatte keinen Sinn hat. Wir müssen also zwar die Tatsache der Fehlbarkeit anerkennen, aber das darf nicht dazu führen, dass wir zynisch werden. Die Liberalen, die Linken und die Kommunisten bieten stattdessen Zynismus an. Sie sagen, du hast es nicht über die Latte geschafft, diese Messlatte hat auch gar keinen Sinn. Der Christ sagt, dass ich die Messlatte unterschritten habe, aber die Messlatte hat einen Sinn, und wir senken die Messlatte nicht. Das ist meiner Meinung nach ein wichtiger Punkt, ein großer Unterschied zwischen der Rechten und der Linken. Ich stimme also dem zu, was Sie sagen, der Christ…
Nur die Problematik der christlichen Heuchelei…
Aber natürlich!…
…in dieser Hinsicht gibt es das auf der sogenannten liberalen Seite nicht, aber auf der anderen Seite schon…
Ja. Aber natürlich!
…wenn man dies vertritt, aber dennoch nicht danach lebt.
Ja, natürlich. Aber Heuchelei ist ein Vergehen, oder?
Absolut!
Das muss man ebenfalls bekennen, bereuen, bestrafen und so weiter. Nun muss man aber auch sehen, dass diejenigen, die heute in der Politik Werte vertreten, ständig angegriffen werden. Das beste Beispiel dafür ist die aktuelle Onkel-Zsolti-Affäre, bei der jeder bekommen wird, was er verdient. Darüber möchte ich jetzt nicht sprechen, aber da Sie diese Frage gestellt haben, warum wurde gerade Zsolt Semjén ins Visier genommen? Wir alle wissen, dass Zsolt Semjén, ich sage nicht, ein Heiliger ist, aber fast. Er ist meiner Meinung nach nicht nur weit entfernt von schlimmen Sünden, sondern auch von den Sünden der Schwäche, er ist ein unschuldiger Mensch. In dieser Angelegenheit ganz sicher. Aber warum wurde gerade er ins Visier genommen? Warum wollte man ihn mit dem Vorwurf der Pädophilie in Verruf bringen? Weil er eine Partei führt, die die einzige ideologische Partei in der heutigen ungarischen Politik ist. Ich führe den Fidesz. Das ist eine Volkspartei. Sie wurde gegründet, um bestimmte Werte zu vertreten, ein Programm umzusetzen und dafür Stimmen zu sammeln und eine politische Kraft zu schaffen. Die KDNP ist nicht so. Die KDNP sagt, dass sie ein sehr starkes christliches Wertesystem hat, und unabhängig davon, ob dies in der Politik zum Erfolg führt oder nicht, ist es ihre Pflicht, dieses christliche Wertesystem immer zu vertreten. Es ist eine ideologische Partei. Und die Schlüsselfigur dabei ist ihr Vorsitzender. Indem man versuchte, ihn zu Fall zu bringen, obwohl er unschuldig ist, wollte man in Wirklichkeit die einzige ideologisch fundierte christliche Partei Ungarns zu Fall bringen. Und christliche Parteien gibt es nicht ohne christliche Kirchen, offensichtlich hätte man durch seine Person auch der Kirche einen Schlag versetzen können. Hier werden also auch schmutzige Spiele gespielt, während Sie Recht haben, dass wir Christen uns gegen Heuchelei, Pharisäertum und Bigotterie und Scheinheiligkeit wehren und versuchen, den höchsten Standards zu entsprechen, während wir darauf achten müssen, dass Christen auf der anderen Seite moralisch verwerflichen, niederträchtigen Verleumdungskampagnen ausgesetzt sind. Wir dürfen also nicht zulassen, dass Selbstkritik uns blind für die Realität macht und wir am Ende vergessen, dass das eigentliche Problem nicht der Mangel an Selbstkritik ist, der natürlich ein Problem sein kann, wenn er besteht, sondern dass christlich orientierte Politiker und Parteien angegriffen werden. Das ist ein viel größeres Problem als dieses. Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht mit dem kleineren Problem befassen müssen, aber wir dürfen unser Gefühl der Gefahr nicht abstumpfen lassen oder uns in die falsche Richtung wenden. Die wahre Gefahr für das Christentum kommt von dort. Auch innerhalb des Christentums gibt es eine Gefahr, die Sie als Heuchelei bezeichnen, und dagegen muss man auch vorgehen, aber die wahre Gefahr kommt von außen, und das sollten wir nicht verwechseln oder durcheinanderbringen.
Lassen Sie uns auch über das andere Thema sprechen, bzw. ich frage Sie, wie groß der wünschenswerte Abstand zwischen einem Staat oder einer Regierung und den Kirchen sein sollte? Es gibt in der Geschichte viele Parallelen, wo beispielsweise die Existenz einer Staatskirche zur Verfolgung anderer christlicher Richtungen und Gemeinschaften geführt hat oder sogar dazu, dass der Klerus eine Machtposition erlangte, die in bestimmten Fällen auf nationaler Ebene – wie soll ich sagen? – dem Land eher geschadet als genutzt hat. Kann man zu allen Kirchen den gleichen Abstand wahren, oder führt eine konfessionell geprägte Regierungspolitik zur Entfremdung der Mehrheitsgesellschaft oder anderer Strömungen?
Das sind mindestens drei oder vier Fragen, die ich versuchen werde…
Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, nur dass…
Aber ich denke, wir sollten das ausführen, das ist spannend, wenn Sie gestatten…
Auf jeden Fall.
…ich bin gerne bereit, das zu tun. Also, das erste Thema sind die Probleme der Verflechtung von Staat und Kirche. Sie haben historische Beispiele angeführt, zu welchen Problemen das geführt hat, und das ist richtig, aber schauen wir uns die Gegenwart an: Die Probleme sind jetzt noch größer. Also dort, wo eine Staatskirche entstanden ist, im Grunde genommen typischerweise in protestantischen Gegenden, und der Staat sich in eine liberale Richtung gewandt hat, zieht er nun auch die Kirchen mit sich. Der liberale Verfall, der heute in der westlichen Welt zu beobachten ist, angefangen beim Zynismus bis hin zur Ablehnung des traditionellen Familienmodells und der Leugnung absoluter Werte, seitdem der Staat diesen Weg eingeschlagen hat, weil er eine liberale Richtung eingeschlagen hat, hat die Kirche mitgerissen, und diese Kirchen sind alle in Schwierigkeiten. Es steht mir nicht zu, diese Länder und Kirchen namentlich zu nennen, aber das ist offensichtlich. Katholiken erinnern mich als Calvinisten manchmal mit ihrer katholischen, jovialen Gutmütigkeit daran, wie es den protestantischen Kirchen ergangen ist, weil sie zu sehr mit dem Staat zusammengearbeitet haben. Aber das, was Sie sagen, ist nicht nur eine Geschichte aus der Vergangenheit, sondern auch ein aktuelles Problem. Gibt es nun einen angemessenen Abstand zwischen Staat und Kirche, oder lässt sich dieser angemessene Abstand überhaupt bemessen? Meiner Meinung nach unternimmt die ungarische Verfassung einen interessanten Versuch, und es ist nun genug Zeit vergangen, um dies vielleicht zu bewerten, denn die ungarische Verfassung besagt, dass die Kirche, die Kirchen und der Staat getrennt voneinander funktionieren, sie wirken getrennt und arbeiten für bestimmte Zwecke zusammen. Und ich denke, das ist die richtige Lösung, man muss es nur gut machen. Das heißt, wir mischen uns nicht in die Angelegenheiten des anderen ein, wir arbeiten getrennt, aber es gibt Bereiche, in denen wir zusammenarbeiten. Warum sollten wir nicht zusammenarbeiten? Ein gutes Bildungssystem ist in unser aller Interesse. Oder die Versorgung echter Flüchtlinge, nicht der Migranten, die wegen des Geldes hierhergebracht wurden, sondern der echten Flüchtlinge, die Versorgung der Notleidenden, warum sollte die Zusammenarbeit dabei ein Problem sein? Ich denke also, dass die ungarische Verfassung das Verhältnis zwischen Staat und Kirche gut definiert. Die Frage ist nun, ob wir, wenn dieses Verhältnis klar definiert ist, auch richtig handeln. Dazu kann ich zwei Dinge sagen. Wenn die Kirchen das Gefühl haben, dass der Staat sie zu sehr unterstützt, dann sollten sie kein Geld verlangen, das ist mein Vorschlag. Wenn sie nicht darum bitten, geben wir auch nichts. Wir geben immer nur das, worum sie bitten. Und ich wäge nie kleinlich ab, ich gehe davon aus, dass sie es brauchen, wenn sie darum bitten, und dass sie auch sagen können, wofür sie es brauchen, für die Kirche, für die Schule, für dies und das. Aber ich habe noch nie einen Forint ihnen nachgeworfen, also ist es immer eine Initiative der Kirche, erstens. Zweitens: Das Konkordat regelt das doch. Zwischen dem Vatikan und Ungarn wurde ein Konkordat geschlossen, das ist ein Vertrag, der die Beziehungen zwischen Staat und Kirche in Bezug auf die Katholiken festlegt. Das haben wir in Bezug auf die Calvinisten kopiert, also haben wir es genauso mit den protestantischen Kirchen abgeschlossen, deshalb gibt es meiner Meinung nach heute ein Grunddokument, das, wenn sich alle daran halten, diese Distanz optimal machen kann. Aber es gibt eine Sache, bei der ich nicht leugnen möchte, dass es von Bedeutung ist, dass das Land eine christlich geprägte Regierung hat oder dass es einen christlichen Ministerpräsidenten hat, ja, ich würde sogar sagen, dass es von Bedeutung ist, dass er gerade Calvinist ist, und zwar aus folgendem Grund: Im Gegensatz zu einem linken oder liberalen Ministerpräsidenten oder einer linken oder liberalen Regierung glaube ich, dass die Existenz religiöser Gemeinschaften an sich schon einen Wert darstellt. Also nicht nur die Dienste und Leistungen, die sie in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen, Kindererziehung und soziale Einrichtungen erbringen, sondern auch die Tatsache, dass es in einem Land spirituelle Gemeinschaften gibt, ist meiner Meinung nach ein Wert. Die Linken werden mir hier wahrscheinlich nicht zustimmen, aber ich halte das für einen Wert. Und diese spirituellen Gemeinschaften existieren durch die Kirchen. Die bloße Existenz der Kirchen ist also gut, nützlich und notwendig für Ungarn. Die Verfassung drückt es hier gut aus, denn sie sagt, dass es ohne das Christentum heute kein Ungarn gäbe. Es ist eine Tatsache, dass das Christentum und die Zukunft der Nation über tausend Jahre lang miteinander verbunden waren, und diese Tatsache darf nicht ignoriert werden. Das ist eine Erfahrung. Das ist eine Leitlinie. Vom jeweiligen ungarischen Ministerpräsidenten kann man zumindest erwarten, dass er sagt, dass die Zahl der religiösen und spirituellen Gemeinschaften für Ungarn umso besser ist, je mehr es davon gibt. Unabhängig davon, dass dies keinen greifbaren Vorteil bringt, sondern nur einen spirituellen, in Anführungszeichen: „nur spirituell”, aber das ist vielleicht das Wichtigste. Insofern bin ich also voreingenommen, ich möchte nicht sagen, dass ich gegenüber den christlichen Kirchen nicht voreingenommen bin, ich vertrete nicht nur eine kühle, verfassungsrechtliche Position, das muss man berücksichtigen, das schränkt mich ein, aber gleichzeitig freue ich mich, wenn neue Kirchen entstehen, wenn neue Gemeinschaften entstehen, wenn die alten Kirchen gestärkt werden, wenn das spirituelle Leben stärker wird, das ist meiner Meinung nach alles gut für unsere nationale Gemeinschaft.
Ich muss mich dazu äußern, denn hier wurde eine Kritik an den protestantisch geprägten Staatskirchen geäußert, die meiner Meinung nach begründet ist.
Eher eine Beschreibung.
Da Sie jedoch erwähnt haben, dass die katholische Kirche, ich weiß nicht, ihre Vertreter dies oft ansprechen, muss auch erwähnt werden, dass es seitens der vatikanischen Führung moralische Fragen gab, in denen sich die Haltung der katholischen Kirche doch geändert hat. Ich habe jedoch eine Frage zur Zukunft Europas, denn hier sind Visionen aufgekommen, dass das Habsburgerreich, ich weiß nicht, eine Renaissance oder Wiederbelebung erleben wird, ob dies wünschenswert ist oder nicht, und in dieser Hinsicht stellt sich für mich das Dilemma, dass die katholische Kirche oder die katholische Weltanschauung eher internationalistisch oder supranationalistisch als beispielsweise nationalstaatlich ist. Ist dies in der Frage der Souveränität von Imperien gegenüber Nationalstaaten von Bedeutung?
Insbesondere im Zusammenhang mit den Habsburgern und Ungarn, wo unsere Freiheitskämpfer größtenteils von den Habsburgern hingerichtet wurden. Wien hat also unsere Leute hingerichtet, daher ist diese Beziehung historisch gesehen noch belastender, als Sie es in Ihrer Beschreibung milde dargestellt haben, es ist eine noch schwierigere Angelegenheit. Gehen wir davon aus, dass Ungarn ein Land ist, in dem 75 Prozent der Menschen als katholisch und 25 Prozent als protestantisch gelten. Und wir, die wir Protestanten sind, sollten das niemals vergessen. Das muss man wissen. So ist dieses Land. Vielleicht können Prediger daran arbeiten, dass sich das ändert, aber das ist auf keinen Fall die Aufgabe des Ministerpräsidenten. In dieser Hinsicht gehöre ich zur Minderheit. Ich habe das große Glück, dass meine Frau katholisch ist, und in dieser Hinsicht kann ich die katholischen Ansichten gut akzeptieren und gut verstehen, und da wir dem traditionellen ungarischen Modell folgen, dass unsere Kinder je nach Geschlecht ihren Eltern folgen, ist mein Sohn protestantisch, aber ich habe vier Töchter, die katholisch sind, zusammen mit meiner Frau sind sie also zu fünft zu Hause, daher kann ich diese Welt nachvollziehen und mit ihrem Kopf denken. Das ist übrigens eine Aufgabe. Unser Herr Bischof Bölcskei, das Haupt der Calvinisten, sagte einmal, als er noch im Amt war, bei der Amtseinführung von Kardinal Péter Erdő in der Basilika von Esztergom in seiner Begrüßungsrede, in Anspielung auf diese Vielfalt, die in Ungarn aus religiöser Sicht besteht, dass Glaubensstreitigkeiten in den Schützengräben selten sind. Damit meinte er, dass heute das gesamte Christentum in der modernen Welt unter Beschuss steht. Die Debatten zwischen Calvinisten und Katholiken sind spannend und können meiner Meinung nach mit der nötigen Zurückhaltung geführt werden, aber wir dürfen bei unseren Debatten untereinander nicht vergessen, dass wir gleichzeitig von einem großen Feind angegriffen werden, ich würde sogar sagen, dass wir alle unter dem Angriff des Antichristen stehen. Wir befinden uns also in Schützengräben, und in solchen Zeiten sind Glaubensdebatten nur insofern gut, soweit sie uns gegenseitig stärken und nicht schwächen. Das ist mein Credo in Bezug auf das Zusammenleben von Calvinisten oder Protestanten und Katholiken. Wie sollen wir dazu stehen? Nun, wenn ich über diese Frage spreche, haben die Katholiken – denn ich habe das Glück, seit zwanzig Jahren Ministerpräsident zu sein, also gibt es meiner Meinung nach nur sehr wenige Menschen in diesem Land, die es sich leisten können, fast jeden zu allem zu befragen, was politische Relevanz hat, das Privatleben ist etwas anderes, und ich nutze das und spreche auch mit meinen katholischen Brüdern über diese Frage – wie stehen wir dazu? Internationalismus, Supranationalismus, Nationalismus? Und wenn diese Gespräche an einem Ruhepunkt ankommen, so lässt sich das in etwa folgendermaßen zusammenfassen, dass die katholische Kirche anerkennt, dass die Nationen einzigartig sind. Die Nationen sind also Schöpfungen Gottes und repräsentieren daher eine Qualität, und es dürfen niemals Systeme aufgebaut werden, die dieses Gesicht Gottes, das jede Nation darstellt, verschwinden lassen. Man kann also auch auf katholischer Grundlage ein Gleichgewicht finden, in dem die universelle Menschheit, die universelle Menschlichkeit und Brüderlichkeit und Nächstenliebe zum Tragen kommen, sagen wir so, eine universelle Brüderlichkeit, während gleichzeitig die nationale Zugehörigkeit auch einen Wert darstellt. Dieses Gleichgewicht muss meiner Meinung nach der ungarische Katholizismus immer finden. Und meiner Meinung nach bekennen sie sich heute dazu und vertreten dies auch. Ich habe in zahlreichen konkreten Debatten gesehen, dass die Katholiken in nationalen Angelegenheiten der Ungarn auf internationaler Ebene ebenso entschlossen gekämpft haben wie die Protestanten, oder mindestens so gut. Daher habe ich heute in nationalen Angelegenheiten keine Kritik an der katholischen Kirche auszusprechen.
Ihre Gegner werfen Ihnen vor, autokratisch zu sein, und hier stellt sich die Frage, welche Gegengewichte nach fünfzehn Jahren Fidesz-Regierung innerhalb der ungarischen Staatsverwaltung noch gegen die Macht des Fidesz oder der Regierung bestehen, da in der Staatsanwaltschaft, im Verfassungsgericht und in der Führung der Richter sich von der Regierung delegierte Führungskräfte finden, der Präsident der Republik ausschließlich mit den Stimmen der Regierungsparteien gewählt wurde, welche Gegengewichte gibt es derzeit noch zur Macht des Fidesz? Und hier stelle ich auch eine Zusatzfrage: Würden Sie sich freuen, wenn Ihre politischen Gegner in einem bestimmten Fall ähnliche Macht hätten?
In der politischen Arena hat man genau so viel Macht und Einfluss, wie einem die Konkurrenten zugestehen. Man sollte sich also nicht beschweren, sondern zuerst kämpfen, das würde ich meinen Gegnern raten. Ich habe sechzehn Jahre lang die Opposition angeführt. Es sind also nicht fünfzehn Jahre Fidesz-Regierung, sondern zwanzig Jahre Fidesz-Regierung, sechzehn Jahre plus vier, also insgesamt zwanzig. Wenn Sie so wollen, ist die Lage aus Ihrer Sicht noch düsterer, aber ich habe sechzehn Jahre lang die Opposition angeführt, daher kenne ich beide Seiten der Medaille. Sie sitzen also nicht einem Ministerpräsidenten gegenüber, der nur die Macht kennt, sondern einem Ministerpräsidenten, der die andere Seite der Medaille besser kennt als jeder andere, entschuldigen Sie meine Unbescheidenheit, aber es gibt in Ungarn niemanden, der sechzehn Jahre lang in der Opposition geschuftet hat, horribile dictu, der die Opposition angeführt hat, außer mir. Das habe ich auch getan. Wenn man mir das vorwirft, was Sie hier gerade angesprochen haben, dann lache ich nur und sage: Ja, und wo ist die andere Führungskraft, die sowohl die Macht als auch das Leben in der Opposition kennt? Und wenn er eine Entscheidung trifft, kann er abwägen, weil er sowohl hier als auch dort Erfahrungen gesammelt hat. Nun, das ungarische System ist ein parlamentarisches System, also kein autokratisches System in dem Sinne, dass es seine Rechte nicht aus der Macht des Ministerpräsidenten oder des Präsidenten ableitet, sondern aus dem Parlament. Und hier muss das Parlament über viele Fragen entscheiden. Natürlich entscheidet im Parlament derjenige, der die Mehrheit hat. Aber nicht die Regierung entscheidet, sondern die Abgeordneten, und das ist nicht dasselbe! Deshalb sind diese Vorwürfe beispielsweise im Fall der Staatsanwaltschaft nicht haltbar, denn die Staatsanwaltschaft untersteht nicht der Regierung, sondern dem Parlament. In Deutschland beispielsweise spielt dies keine Rolle, dort kommt der Vorwurf der Autokratie nicht auf, aber in Deutschland untersteht der Generalstaatsanwalt der Regierung, und die Regierung bzw. der Justizminister kann den Generalstaatsanwalt auch in konkreten Fällen anweisen. Bevor wir also Ungarn dafür kritisieren, wie die Staatsanwaltschaft aufgestellt ist, sollten wir uns vor Augen führen, dass die Staatsanwaltschaft in vielen europäischen Ländern direkt der Regierung untersteht und es sogar Länder gibt, in denen sie auch in Einzelfällen eingreifen kann. In Ungarn ist das unmöglich, da die Staatsanwaltschaft dem Parlament untersteht und nicht der Regierung. Ich kann den Generalstaatsanwalt nicht anweisen, ich wähle ihn auch nicht, ich habe zwar auch eine Stimme, aber ich ernenne ihn nicht, sondern das Parlament wählt ihn. Was die Verteilung der verfassungsmäßigen Befugnisse angeht, ist Ungarn also ein gut geplantes, vorbildliches Land in Europa. Die meisten Regierungen in Europa haben mehr Macht als die ungarische Regierung aufgrund ihrer verfassungsmäßigen Befugnisse besitzt. Die Besonderheit der ungarischen Situation besteht darin, dass wir die Parlamentswahlen mit großem Vorsprung gewinnen und somit die im Parlament konzentrierte Macht auf dem Fidesz oder der von dem Fidesz erhaltenen Vollmacht beruht, die wir von den Wählern erhalten. Aber jemand muss diese Macht erhalten, die Wähler müssen jemanden wählen, und sie wählen nicht die Regierung, sondern die Abgeordneten, und die Abgeordneten wählen die Regierung. Ich halte das für ein gutes System, und ich würde es eher als Kraft bezeichnen, nicht als Autokratie, aber die Handlungsfähigkeit der Regierung hat Ungarn in den letzten fünfzehn Jahren und, als ich regierte, in zwanzig Jahren Vorteile gebracht. Heute ist die Gefahr nicht die Kraft oder die Übermacht, sondern die Schwäche. Schauen wir uns die europäischen Regierungen an, die schwach und zersplittert sind, die von Koalitionsstreitigkeiten zerrissen werden, die keine Entscheidungen treffen können, die keine Reformen durchführen und stattdessen Ausschüsse einrichten. Sie konnten die Migration nicht eindämmen, sondern es kam, wie es kam. Sie sind nicht in der Lage, die für die Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Reformen durchzuführen. Das große Problem Europas ist also heute nicht die Übermacht der Regierungen, sondern gerade die mangelnde Handlungsfähigkeit, die mangelnde Entscheidungsfähigkeit. Wir können froh sein, dass Ungarn davon verschont geblieben ist und wir eine entscheidungs- und handlungsfähige Regierung haben.
Ich nenne eine Hypothese, die vielleicht das Problem beleuchtet, das mir in diesem Zusammenhang in den Sinn kommt: Nehmen wir an, der 12. April – ich weiß nicht, wann die Wahl stattfinden wird – bringt einen knappen Sieg. Wenn die Tisza-Partei unterliegt, dann kann sie, wie es die Verliererseite in solchen Fällen üblicherweise tut, behaupten, dass Wahlbetrug stattgefunden hat, und es kommt zu großen gesellschaftlichen Spannungen. Wenn die Regierung unterliegt, dann kann sie gegebenenfalls auch behaupten, dass die Einflüsse von außen so stark sind, dass sie selbst die Legitimität des Wahlergebnisses in Frage stellen können. Wenn hier eine solche Bürgerkriegsstimmung entsteht, große Spannungen, gibt es dann in Ungarn noch eine Institution oder Position, die das Vertrauen der Öffentlichkeit genießt und für Beruhigung sorgen kann?
Ich habe den Eindruck, dass Sie mir nicht vertrauen, das habe ich aus dieser Frage gefolgert, denn ich habe Wahlen gewonnen und die Macht übernommen, ich habe Wahlen verloren und die Macht abgegeben.
Aber was die gesellschaftlichen Spannungen angeht, bleibt die Frage offen.
Aber auch damit sind wir umgegangen. Jeder Regierungswechsel ist also mit Spannungen verbunden, und nach jeder Wahl ist auch ein Regierungserfolg mit Spannungen verbunden. Sehen Sie mich an! Ich habe all das bewältigt. Warum sollte ich jetzt meine Einsicht und Handlungsfähigkeit verloren haben? Das habe ich nicht. Vertrauen Sie mir! Wenn wir dann an der Brücke angekommen sind, werden wir sie überqueren.
Vielen Dank für das Interview! Ich habe mich in der letzten Stunde mit Viktor Orbán unterhalten. Es gab spannende Fragen, aber Ihre Meinung dazu erwarten wir in der Kommentarspalte. Vielen Dank für das Gespräch, und ich möchte Sie bitten, sich für den YouTube-Kanal von „Hetek” anzumelden, wenn Ihnen dieses Interview oder Gespräch gefallen hat oder Sie neugierig auf weitere Inhalte von „Hetek” sind. Alles Gute!