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Orbán Viktors Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Mandiner”

Gergő Kereki und Zoltán Szalai

Im Jahr 2025 erwartet Ungarn eine völlig neue außenpolitische Landschaft. Welche direkten, greifbaren Vorteile wird die Präsidentschaft von Donald Trump in den USA für die ungarischen Familien bringen?

Der unmittelbarste Vorteil von Trumps Sieg ist wirtschaftlicher Natur. Amerika war früher der zweitgrößte Investor in die ungarische Wirtschaft, jetzt ist es nur noch der viertgrößte. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass die demokratische Regierung Ungarn ausdrücklich diskriminiert hat. Die USA haben das Doppelbesteuerungsabkommen gekündigt, den US-Wirtschaftsakteuren ständig signalisiert, dass Ungarn ein Problemland ist, und das Reisen durch Visabeschränkungen erschwert. Mit Trumps Sieg ist diese anti-ungarische Politik vorbei. Es wird ein Handelsabkommen geben, es wird ein faires Visumvergabeverfahren geben, und amerikanische Hightech-Investoren werden nach Ungarn kommen.

Welche Auswirkungen könnte Trumps Sieg auf die politischen Strukturen der westlichen Welt haben?

Seit dem Ende des Kalten Krieges wurde die westliche Politik vom Kampf zwischen liberalen und patriotischen Kräften beherrscht. Bis 2010 beherrschten die Liberalen den Raum, aber 2010 kamen die Ungarn, und mit unserer neuen Verfassung haben wir eine ganz andere Vision von der Zukunft formuliert. Dann gewannen patriotische Kräfte wie die unseren an Stärke und gewannen einer nach dem anderen. Zuerst bei den Polen, dann siegte Trump im Jahr 2016, die Briten traten aus der EU au, die Tschechen erstarkten und jetzt zuletzt die Italiener und Slowaken. Über der Hektik des Alltags, am höheren Horizont, findet ein großer zivilisatorischer Kampf innerhalb der westlichen Welt statt. Diese zivilisatorische Debatte nimmt in Fragen des historischen Schicksals Gestalt an. Solche sind die Migration, die Zukunft der Familie, die Genderfrage, die christliche Tradition, die Frage von Krieg und Frieden, sowie die Angelegenheit der wirtschaftlichen und unternehmerischen Freiheit. Wenn die Patrioten in der westlichen Zivilisation in der Mehrheit sind, dann gibt es keine Migration, keinen Genderwahnsinn, keinen Krieg, aber dafür wirtschaftliche und unternehmerische Freiheit und christliche Werte. Die US-Präsidentschaftswahlen haben das Kräfteverhältnis auch in dieser Dimension radikal zugunsten der Patrioten verändert. Das ist gut für jeden Ungarn.

Seit seiner Wahl haben Sie bereits mehrmals mit dem künftigen US-Präsidenten gesprochen und Sie sind letzte Woche nach Florida gereist, um ihn zu treffen. Was war Ihr Eindruck? Wie war die Atmosphäre bei diesen Treffen?

In der internationalen Politik sind wir, Ungarn, die Einzigen, die seit 2010 konsequent das sagen, was Trump sagt, deshalb betrachtet man uns in Amerika so, dass wir Trumps schon vor Trump waren. Wir waren Patrioten, als im Westen noch der Wind die Segel der progressiven Liberalen aufblähte. Aber in der Politik zählt die Größe viel. Amerika ist ein Weltreich mit einem riesigen GDP und einem riesigen Militär. Ungarn darf sich nicht überschätzen, und wir dürfen nicht denken, dass die Welt sich mit der Lösung unserer historischen Probleme beschäftigt. Präsident Trump ist also nicht unser Erlöser, sondern unser Mitstreiter, ein Patriot, der in seiner Welt für die gleichen Werte kämpft, für die wir hier in Ungarn kämpfen.

Hat er Ihnen gesagt, was er vorhat? In was für einer Welt wachen wir am ersten Tag der Ära Trump auf?

Die amerikanischen Republikaner tragen alle positiven Elemente des Erbes des Wilden Westens in sich. Sie wägen nicht mehr als nötig ab, sie handeln lieber, schnell, radikal, entschlossen und kaum Grenzen kennend. Sie haben klare Pläne. Inhaltlich wird in Amerika das Gleiche passieren, was wir in Ungarn seit 2010 versuchen. Ihr Regierungsprogramm wurde von Forschungsinstituten verfasst, mit deren wichtigsten intellektuellen Leitern wir seit langem zusammenarbeiten. Sie sind bestens auf das Regieren vorbereitet.

Wie wird die EU vom Trump-Effekt betroffen sein?

Brüssels Bestreben, statt der Nationalstaaten einen geeinten europäischen Staat aufzubauen, der von europäischen Institutionen geleitet wird, gerät ins Stocken. Länder, die sich der imperialen Idee widersetzen, werden gestärkt und das imperiale Zentrum in Brüssel wird geschwächt. Darüber hinaus steht die neue US-Führung in der Frage des Krieges der kriegsbefürwortenden Elite in Brüssel gegenüber, woraus sie auch keinen Hehl macht. Er ist ein Mann des Friedens, er hasst Blutvergießen, er hat auch während seiner ersten Amtszeit keine Kriege begonnen und die, die er beenden konnte, hat er beendet.

Sie haben auch Elon Musk getroffen. Was war Ihr Eindruck von ihm?

Musk lebt in der technologischen Dimension, die vor der Menschheit steht, und er schickt uns seine Vorschläge aus der Zukunft zurück. Ich bin zuversichtlich, dass wir mit ihm erfolgreich zusammenarbeiten können.

Um welche Art der Zusammenarbeit wird es sich dabei handeln?

Wir würden zum Beispiel gerne mit ihm in der Satellitenbranche zusammenarbeiten. Ungarn hat bisher keine eigenen Satelliten, und wir bauen sie jetzt und bringen sie ins All. Wir suchen nach Partnern sowohl für den Bau als auch für den Start. Das ist die Aufgabe von 4iG.

Was erwarten Sie nach dem heutigen Stand der Dinge vom künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz, der sich zwar als rechts bezeichnet, aber noch kriegsfreundlicher ist als selbst Olaf Scholz?

Der Bundeskanzler, der nach den Wahlen im Februar sein Amt antreten wird, wird mein fünfter deutscher Kollege sein, ich habe mit Helmut Kohl angefangen, dann Gerhard Schröder, Angela Merkel und jetzt Scholz. Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer schweren Lage und steht vor strategischen Problemen. Eines der Probleme ihrer Wirtschaft ist der Handelskrieg mit China, und ein anderes ist, dass sie sich von jener billigen russischen Energie abgeschnitten haben, die ihnen bisher ihre Wettbewerbsfähigkeit garantiert hatte. Diese beiden Faktoren sind wie ein Lungenschuss für die deutsche Wirtschaft, weshalb wir jetzt das Röcheln hören. Das sage nicht ich, sondern Mario Draghi, der mit seiner Studie die Brüsseler Elite schockiert hat. Der Draghi-Bericht ist das wichtigste intellektuelle Ereignis dieses Jahres. Er beschreibt deutlich, dass wir bei so hohen Energiepreisen in Europa alle kaputtgehen werden. Der neue deutsche Regierungschef muss diese Fragen beantworten.

Was erwarten Sie in Syrien? Welche Veränderungen in der Weltpolitik werden die Ereignisse dort mit sich bringen? Werden die Syrer in Europa nach Hause zurückkehren oder wird es eine noch größere Migrationswelle auf den Kontinent geben?

Es hat sich noch nicht entschieden, welchen Weg Syrien einschlagen wird. Wenn terroristische Gruppen die Macht übernehmen und keine Einheitsregierung zur Konsolidierung gebildet wird, werden wieder Millionen versuchen, illegal nach Europa zu gelangen, was die Sicherheitsrisiken erheblich erhöht. Die Lage ist brisant, wer sich also unbedacht in den Syrienkonflikt einmischt, spielt mit dem Feuer. Wer behauptet, dass auch Ungarn in diesen Konflikt verwickelt ist, etwa indem der syrische Präsident hierherkommt, der zerrt unser Land in einen schweren Konflikt hinein. Statt der Sensationslust sollten sowohl die Medien als auch die Politiker mit einer Stimme der Verantwortung sprechen.

Vor zwei Jahren haben Sie das Prinzip der Konnektivität in der Außenpolitik proklamiert. Wie sehen Sie es, wie kann die ungarische Strategie in der nahen Zukunft funktionieren?

Nach dem Amtsantritt des Präsidenten kann Ungarn von sich behaupten, dass es gleichzeitig strategische Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und China unterhält, während es gleichzeitig ein bewährtes System von Beziehungen zu Russland und ein freundschaftliches Verhältnis zur Türkei pflegt. Außerdem ist das patriotische Italien, wie Meloni, ein Verbündeter, und wir haben ein ausgewogenes Verhältnis zu den Franzosen. Nur noch mit den Deutschen haben wir ungelöste Probleme, aber die lassen sich auch lösen. Vielleicht haben die Sterne am Himmel der ungarischen Diplomatie noch nie so gut gestanden.

Wirtschaft. 2024 gehört nicht zu unseren besten Jahren. Über 2025 sagten Sie, „ein phantastisches Jahr kann folgen”. In welchen Bereichen kann die Regierung nach einer Zeit der Inflation eine für den Durchschnittsbürger selbst spürbare positive Veränderung bringen?

Vor einer Woche haben wir uns mit den Gewerkschaften und Arbeitgebern auf einen Mindestlohn geeinigt, der innerhalb von drei Jahren um 40 Prozent angehoben werden soll. Wir werden die Kindersteuergutschrift in zwei Schritten verdoppeln. Wir werden eine neue Wohnungspolitik einführen, die es jungen Menschen viel leichter macht, eine eigene Wohnung zu bekommen oder eine Wohnung zu mieten. Wir werden ein umfangreiches Programm für den Bau von Studentenwohnheimen auflegen, um so auch Studenten von der erdrückenden Last der hohen Mieten zu befreien. Für junge Menschen, die bereits Arbeit haben, wird ein Arbeiterkreditprogramm aufgelegt. Eine kontinuierliche Gehaltserhöhung für Lehrer, Jahr für Jahr, ist ebenfalls eine in diesem Umfang noch nie dagewesene Maßnahme. Es kommt das Sándor-Demján-Programm, das eine Hilfe darstellt, wie es die kleinen und mittleren Unternehmen in Ungarn noch nie erhalten haben.

Woher wird das Geld für all das kommen?

Die ungarische Wirtschaft wird im Jahr 2025 Zugang zu erheblichen Finanzmitteln haben. Die Zinslast für die Staatsverschuldung wird von den gegenwärtigen 4,5 Prozent auf 3,5 Prozent sinken. Das bedeutet, dass 2025 weniger Geld, das in Ungarn erwirtschaftet wird, zur Rückzahlung der Staatsschulden verwendet werden muss. Darüber hinaus kommen die riesigen Industrieinvestitionen, die in der Vergangenheit mit nicht wenig Aufwand getätigt wurden, als neue Kapazitäten in die ungarische Industrie und beginnen mit der Produktion. 2025 wird gleichzeitig BMW in Debrecen, BYD in Szeged, das Batteriewerk in Debrecen in Betrieb gehen, und auch Mercedes steht kurz vor der Fertigstellung seiner neuen Investition in Kecskemét, der Ausbau von Paks nimmt Fahrt auf, und im nächsten Jahr werden wir auch die Eisenbahnlinie Budapest-Belgrad einweihen.

Einige Analysten machen den Ausgang der Wahlen 2026 von der Konjunktur abhängig. Was meinen Sie dazu?

Das ist eine Faustregel. Ungarn wird 2025 nicht nur Wachstum haben, sondern auch finanzielle Stabilität. Seit 2010 haben wir das Kunststück vollbracht, nicht nur Wahlen zu gewinnen, sondern auch das Haushaltsdefizit im Vergleich zum Jahr vor der Wahl zu senken. Das ist eine seltene Leistung, auf die ich stolz bin.

Sehen Sie den schwachen und volatilen Forint-Wechselkurs nicht als innenpolitisches Risiko? Ist es eine Erwartung an Mihály Varga als neuer Notenbankpräsident ihn zu stabilisieren?

In der ungarischen Tradition wird der Notenbankpräsident Gouverneur genannt. Dies ist die stärkste exekutive Bezeichnung, die große Macht und völlige Unabhängigkeit bedeutet. Nicht wir diktieren die Erwartungen. Ich habe sogar Mihály Varga gefragt, ob wir das Duzen auch im Weiteren beibehalten können… Mit György Matolcsy war es mir gelungen, das Duzen hinüberzuretten.

Und was hat er geantwortet? Bleibt das Verhältnis mit dem Duzen bestehen?

Er sagte, er habe sein Amt noch nicht angetreten, wir werden sehen. So sind die Kumanen. Um es ernsthaft zu sagen: Man muss einen Unterschied zwischen dem Forint-Kurs und dem Zustand der ungarischen Wirtschaft machen. Es ist unmöglich, dass der Wert der ungarischen Wirtschaft in einer Woche 390 Forint und eine Woche später 410 Forint rechtfertigt. Die ungarische Wirtschaft kann sich in einer Woche nicht so stark verändern, weder zum Guten noch zum Schlechten. Die Frage ist also, ob der Forint die Stabilität der Fundamente der ungarischen Wirtschaft ausdrückt. Meiner Ansicht nach tut er das nicht. Diese Bewegung zeigt, dass sich nicht die Leistung der Wirtschaft ändert, sondern die Geldmenge, die man durch Spekulationen mit Forint erhalten kann. Der Grund, warum der Forint hin- und hergezerrt wird, ist, dass man Geld verdienen kann, indem man den Wert des Forint verändert. Diese Art der Spekulation ist in einigen Ländern verboten, aber leider ist sie Teil der Finanzkultur in Ungarn. Dies ist die Welt von Falken wie George Soros. Nicht die ungarische Wirtschaft erregt sie, sondern der Gewinn, den sie durch Spekulationen gegen den Forint erzielen können. Die Notenbank wird sich damit auseinandersetzen müssen, und die Regierung kann nur eine stabile und berechenbare Wirtschaftspolitik betreiben.

Wie beurteilen Sie die ungarische EU-Ratspräsidentschaft?

Ungarn ist ein christliches Land, und das bringt auch Verpflichtungen mit sich. Da Europa von Kriegen geplagt wird, war es für den ungarischen Ratsvorsitz eine moralische Frage, alles zu tun, um den Frieden zu fördern. Was Ungarn in den sechs Monaten seines Ratsvorsitzes getan hat, übersteigt bei weitem das, was von ihm erwartet werden konnte. Vor sechs Monaten war es noch mit einem Stigma behaftet, den Friedensgedanken auch nur zu erwähnen, und jetzt spricht jeder über den Frieden. Wir haben auch einen Vorschlag für einen Waffenstillstand und einen Gefangenenaustausch auf den Tisch gelegt. Es ist nicht auszuschließen, dass es zu Weihnachten viele tausend Waisenkinder weniger geben wird, als es ohne den ungarischen Ratsvorsitz der Fall gewesen wäre. Die Erweiterung von Schengen ist ein weiterer großer Erfolg, und wir sind froh, dass wir Rumänien und Bulgarien helfen konnten. Nach fünfzehn Jahren haben die Beitrittsverhandlungen zwischen Albanien und der Europäischen Union endlich begonnen, und auch mit den anderen Balkanländern haben wir wichtige Kapitel abgeschlossen und damit die Erweiterung der Europäischen Union in Richtung Balkan vorangetrieben. Wir haben auch den Pakt für Wettbewerbsfähigkeit, der ein Paket von Vorschlägen zur Förderung des Marktes und des Gleichgewichts ist, unter Dach und Fach gebracht.

Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament ist auch die europäische Parteipolitik lebhafter geworden. Die Fraktion der Patrioten, die von Fidesz und seinen Verbündeten gebildet wurde, ist praktisch die Opposition zu Brüssel. Wann wird daraus eine europäische Mehrheit werden?

Unser erdrutschartiger Sieg hier zu Hause bei den Europawahlen hat uns die Möglichkeit gegeben, die Initiative in der europäischen Parteipolitik zu ergreifen. Die Gründung der Patrioten ist nur die erste Figur auf dem Schachbrett, nur der Eröffnungszug bei der Umgestaltung der europäischen Institutionen. Es ist gelungen, die drittstärkste Fraktion unter Dach und Fach zu bringen und wir sind die organisierte politische Opposition gegen die imperialistische Politik Brüssels. Endlich gibt es eine starke Alternative zu der bürokratischen Elite in Brüssel. Die Zukunft gehört den Patrioten.

Polen wird unser Land in der EU-Präsidentschaft ablösen. Donald Tusk und seine Regierung betrachten die Regierung Ungarns als ihren Feind. Wie sind die polnisch-ungarischen Beziehungen heute und was können wir von der polnischen Ratspräsidentschaft erwarten?

Die polnischen Patrioten wurden aus dem Regierungssattel gestoßen und eine liberale Regenbogenkoalition wurde danach gebildet. Wir sind Patrioten, sie sehen in uns den Feind. Darüber hinaus haben die polnischen Liberalen ein neues Konzept der Rechtsstaatlichkeit erfunden, die Kriegsrechtsstaatlichkeit. Sie nutzen die Rechtsstaatlichkeit und die rechtlichen Instrumente, um mit den politischen Gegnern abzurechnen. Derzeit befinden sich die polnisch-ungarischen Beziehungen auf einem Tiefpunkt, weil die liberale polnische Regenbogenkoalition nicht in der Lage ist, zwischen Partei- und Staatspolitik zu unterscheiden, obwohl Polen und Ungarn strategische Interessen haben, bei denen wir uns gegenseitig eher helfen sollten, anstatt uns zu schwächen.

Wird Ungarn polnische politische Flüchtlinge aufnehmen?

Wir bieten jedem Asyl an, der in seinem Heimatland politisch verfolgt wird.

Lassen Sie uns zur Innenpolitik kommen. Im Januar hätten wir kaum gedacht, dass dieses Jahr so viele Veränderungen in der Innenpolitik bringen würde. Es gab viele Schwierigkeiten für die bürgerliche, politisch rechte Gemeinschaft: der Verlust der Präsidentin der Republik, der Justizministerin, des Synodenpräsidenten der reformierten Kirche, ihres Bischofs, der von vielen immer noch für den Begnadigungsfall verantwortlich gemacht wird. Und die Opposition bekam Péter Magyar. Welche Lehren lassen sich aus den Ereignissen ziehen?

Die wichtigste ist, dass unsere historischen Kirchen stark genug sind, um solche Umwälzungen zu überwinden. Es gab keinen Grund, uns Calvinisten in diesen politischen Skandal hineinzuziehen. Der politische Führer trägt die Verantwortung für jede politische Entscheidung. Ein politischer Führer kann die Verantwortung niemals auf seine Berater abwälzen. Zu den Beratern gehören Katholiken, Calvinisten, Evangelikale und sogar Altgläubige. Es ist nicht richtig, sie in politische Entscheidungen einzubeziehen, auch nicht in solche, die auf der Grundlage ihrer Ratschläge getroffen werden, denn die Verantwortung liegt immer bei der Führungskraft. Ich bin froh, dass auch unsere Kirche dies eingesehen hat.

Kann der politische Verlust kompensiert werden?

Wir haben Weltstars verloren. Wir haben nicht nur ein Staatsoberhaupt und eine Ministerin verloren, sondern zwei fantastische politische Weltstars. Wo immer in der Welt sie unser Land vertraten, zog man den Hut vor ihnen, und sie sprachen von Ungarn nur in den höchsten Tönen des Lobes. Das ist ein großer Verlust für die gesamte nationale Gemeinschaft. So ist die Politik. Es gibt nicht nur Ruhm und Wahlsiege, sondern auch Misserfolge. Unsere Welt ist grausam.

Neben den Verlusten gab es auch Rückkehrer. Was halten Sie von der Rückkehr von József Szájer ins öffentliche Leben? Hat er sich mit Ihnen abgestimmt, bevor er sich entschied, eine Rolle zu übernehmen?

Ich kenne József Szájer seit 1982. Zunächst war ich als Jurastudent nur ein Bewunderer von ihm, da ich im ersten Studienjahr aus dem Lehrbuch lernen musste, das er als Student im zweiten Studienjahr geschrieben hatte. Schon damals war er eine wandelnde Legende, und sein Skript mit dem Titel „Vis maior im römischen Recht“ ist mir bis heute im Kopf geblieben. Später wurden wir Freunde und er war einer der mutigsten Kämpfer für den Fidesz. Trotz der Wendungen in seinem Privatleben habe ich die Freundschaft zu ihm immer aufrechterhalten, er ist nie aus meinem Leben verschwunden. Ich bin froh, dass er wieder in der intellektuellen Welt aktiv ist. Sicher ist, dass seine Rückkehr zu einer qualitativen Verbesserung des öffentlichen Lebens in Ungarn führen und viele Vorteile für Ungarn bringen wird. József Szájer ist ein ungarischer Patriot, auf den sein Land immer zählen kann.

Wie interpretieren Sie die Situation der Opposition und das Auftauchen von Péter Magyar?

Auf der Spielfeldhälfte der Opposition ist das Projekt dasselbe wie bisher, nur der Protagonist hat sich geändert. Die Mission von Péter Magyar ist die gleiche wie die der früheren gescheiterten Kandidaten: die Brüsselisierung Ungarns. Es handelt sich hier in der Tat um Brüsseler Parteien, die nur als Betätigungsfeld Ungarn haben. Das war auch bei der Partei von Klára Dobrev der Fall, und das ist jetzt auch bei der Tisza-Partei nicht anders.

Ist das nicht eine Verschwörungstheorie?

Dies ist die Praxis selbst. Brüssel hat ein ernsthaftes Interesse daran, einen Regierungswechsel in Ungarn herbeizuführen. Die Brüsseler Elite will eine Regierung, die den Menschen Migration und Genderwahn aufzwingt, Ungarn in den Krieg führt und sich nicht gegen wirtschaftliche Entscheidungen stellt, die den ungarischen Menschen schaden. Sie suchen nach einer Regierung, die sie direkt steuern können. Eine solche Regierung hatten sie bereits unter Ferenc Gyurcsány. Sie hofften, mit seiner Frau wieder eine solche Regierung zu bekommen. Aber dieses Szenario ist 2022 gescheitert, und jetzt kommt ein neuer Akteur ins Spiel. Die Projektträger, die Paten, Ursula von der Leyen und Manfred Weber, haben im Europäischen Parlament offen gesagt, wen sie an der Spitze der Marionettenregierung haben wollen. So sieht die Innenpolitik am Ende des Jahres 2024 aus.

Seit Jahren ist eine gängige Kritik am öffentlichen Leben in Ungarn, dass das Niveau des öffentlichen Diskurses aufgrund der Kämpfe zwischen den Parteien sehr niedrig ist. Das Jahr 2024 hat uns vielleicht noch weiter in diese Richtung getrieben: Abhörskandale, Nachtclubskandale, Beschimpfung von Abgeordneten als Hirntote, die Idee, Journalisten in die Donau zu werfen, ein Sprecher und ein Parteivorsitzender, die sich gegenseitig anschreien. Sollten wir uns auf eine solche Kampagne vorbereiten?

Das Ziel, die Regierung in Brüssel zu stürzen, hat sich nicht geändert, aber die Formen sind überraschend. Ich habe nichts Gutes über die Gyurcsány-Dobrev-Linie zu sagen, aber wenigstens blieb ihr Stil innerhalb der Grenzen der Höflichkeit, auch wenn ihr Inhalt gelegentlich beleidigend und heuchlerisch war. Jetzt aber ist auch der Stil brutal geworden. Das ist eine neue Entwicklung, mit der sich ganz Ungarn auseinandersetzen muss. Viele von uns empfinden ein sekundäres Schamgefühl, wenn wir diese rohen, aggressiven Momente sehen, weil wir denken, dass wir, Ungarn, besser als das sind. Aber nein, leider sind wir auch dies. Wir müssen uns eingestehen, dass uns weder gesunder Menschenverstand noch Vernunft oder Einsicht im Angesicht der Hitzköpfe helfen werden. Auch in der Familie und am Arbeitsplatz gibt es einige sehr unangenehme Menschen, mit denen man nur in ihrer eigenen Tonlage sprechen kann. Es ist auch die Aufgabe einer regierenden politischen Kraft, die Dampfwalze der Hitzköpfe zu stoppen. Diese Aufgabe müssen wir auch erfüllen, wir sind die größte politische Gemeinschaft im Lande. Wir werden alle Aufgaben erfüllen, sowohl das, was im Geiste von Mutter Theresa getan werden muss, als auch das, was getan werden muss, um die Hitzköpfe zu stoppen. Der Herausforderer wählt immer die Waffengattung. Wenn du dich in solchen Momenten nicht abwenden und ein Feigling sein willst, musst du den Kampf mit der Waffe der Wahl deines Gegners aufnehmen. Wir sind eine große Partei, wir haben Männer für jede Waffengattung und wir tun unsere Pflicht.

Praktisch seit Beginn des Sommers wirbt der Herausforderer damit, dass in Ungarn nichts mehr funktioniert, dass die öffentlichen Dienstleistungen vernachlässigt werden und von schlechter Qualität sind. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass sich die öffentlichen Dienstleistungen unter Ihrer Regierung nicht oder nur sehr wenig verbessert haben?

In der ungarischen Politik hat es schon mehrere solcher Auftritte gegeben. Die letzte solche Figur war Péter Jakab. Er hat im Plenarsaal des Parlaments mit einem Kartoffelsack vor uns herumgewedelt. Auch dafür gibt es ein Mittel. Drastisches gegen drastische Auftritte. Auch Ungarn ist kein makelloses Land, seine Regierung könnte es besser machen, und natürlich auch der Ministerpräsident – wir können nie zufrieden sein. In meiner Welt ist die Haltung, dass die Kirche immer reformiert werden muss. Man kann es immer besser machen. Aber zu sagen, dass Ungarn nicht vorankommt und dass sich unser Leben nicht sichtbar verändert, vom kleinsten Dorf bis zur Hauptstadt, ist Unsinn. Das ist der Punkt, an dem das Eis unter den Füßen der Unzufriedenen immer einbricht. Die Realität zählt, und Fakten sind unsere Verbündeten. 2010 wurde eine Einheit des Geldes für Bildung ausgegeben, jetzt sind es drei Einheiten, und dasselbe gilt für das Gesundheitswesen. Das heißt natürlich nicht, dass alles in Ordnung ist, aber es ist viel mehr in Ordnung als früher. Bei den öffentlichen Dienstleistungen gibt es nie einen Moment, in dem alle zufrieden sind. Denn wenn man mit der Sanierung von Krankenhäusern, Schulen und sozialen Einrichtungen fertig ist, kann man wieder an den Anfang gehen, weil das, was man zuerst in Ordnung gebracht hat, wieder in Ordnung gebracht werden muss. Das ist ein solches Genre. Man kann daraus Politik machen, aber das ist so viel wert, wie wir es bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni gesehen haben. Die echte Regierungsfähigkeit und die tägliche Arbeit werden bei den Wahlen ihre Früchte tragen.

Einer der schärfsten Anklagen lautet, selbst Rumänien habe Ungarn bereits eingeholt. Was sagt der ungarische Ministerpräsident dazu?

In solchen Momenten fällt mir immer das Lied „Mein Onkel, die Realität” ein. Die Tisza-Partei lügt wie ein endloser Fluss. Die primitive Argumentation, dass die Menschen in Rumänien mehr konsumieren als die in Ungarn und deshalb dort besser leben, ist eine Eselei. Die Ersparnisse der ungarischen Familien gehören zu den stärksten in der Europäischen Union. Am schnellsten werden, wie dies das ungarische Sprichwort sagt, die Lügner und die lahmen Hunde eingeholt.

Sie haben sich seit 2021 jedes Jahr mit Papst Franziskus getroffen. Im Vergleich dazu ist die Dynamik der Beziehung zwischen der ungarischen Rechten und dem Oberhaupt der Kirche interessant. Warum ist es für Sie wichtig, das Oberhaupt der katholischen Kirche persönlich zu treffen?

Es gab Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vatikan und Ungarn in der Frage der Migration. In der Zeit, in der dieses Thema die europäische Politik beherrschte, war es schwierig, sich vorzustellen, wie eine brüderliche Beziehung zwischen Ungarn und dem Vatikan, die auf einem tiefen Glauben beruht, aufgebaut werden könnte. Aber der Heilige Geist ist am Werk. Die Bischöfe unserer Kirche haben auch weise gesagt, dass in den Schützengräben Glaubensstreitigkeiten selten sind. Und jetzt sind Katholiken und Calvinisten in einem Schützengräben und kämpfen gegen die liberale Progression. Friedliebende, gutwillige, lebensbejahende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens haben endlich in ganz Europa zueinander gefunden. Der Heilige Vater ist kein politischer Akteur, er ist das Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft, mit mehr Legitimität als alle politischen Führer zusammen. Aus seiner Persönlichkeit strömt Kraft, die uns hilft, die Steuerräder unserer Länder in die richtige Richtung zu lenken. Dafür sollten wir dankbar sein.

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