Gergő Kereki und Zoltán Szalai
Attentatsversuch auf Ihren politischen Verbündeten Robert Fico. Was haben Sie gefühlt, als Sie die Nachricht zum ersten Mal hörten?
Ich habe eine besondere Beziehung zu Fico, der von einem anti-ungarischen Politiker zu einem souveränistischen Politiker wurde. Er braucht die Ungarn im Hochland, um die Souveränität der Slowakei zu bewahren, und es ist klar, dass die slowakisch-ungarische Zusammenarbeit im Interesse seines Volkes ist. Wir sind nun Verbündete an der europäischen Front geworden, und mein erster Gedanke war, dass wir einen schweren Verlust erlitten haben.
Auf die Nachricht des Attentats hin konnte man in der in- und ausländischen Presse erschreckende Kommentare lesen. Der harte Kern der Linksliberalen freute sich austobend über das Niederschießen Ficos und machte keinen Hehl daraus, dass es ihnen nichts ausmachen würde, wenn in Ungarn etwas Ähnliches geschähe. Haben Sie keine Angst, dass ein solches Attentat auch in unserem Land passieren könnte?
Zweifellos besteht eine solche Bedrohung. Monatelang wurden die Slowaken gegen Fico aufgehetzt, weil er ein kriegsbegeistertes Land in die Richtung zur Friedensbefürwortung gewendet hat. Ein Kriegsbefürworter könnte sich moralisch in einer solchen Situation ermächtigt fühlen, den Ministerpräsidenten zu töten. Was die Kommentare anbelangt, so müssen wir darüber nachdenken, auch in diesem Bereich klare Grenzen zu ziehen und Regeln aufzustellen. Andernfalls könnte dieser individuelle Angriff zu einer täglichen Praxis werden.
Haben Sie seit dem Attentat mit Fico gesprochen?
Wir haben mit seinen Leuten gesprochen. Fico ist ohnehin nicht einfach am Telefon zu sprechen. Er ist einer der vorsichtigsten Männer in Europa und er hat nicht einmal ein eigenes Telefon, so dass wir ihn nicht einfach anrufen können, selbst wenn er keine fünf Kugeln in sich hat. Jetzt wollte ihn die progressive Linke physisch vernichten, früher hat sie es aber mit politischen und juristischen Mitteln versucht. Vergessen wir nicht, dass Robert zwei Parlamentsstimmen vom Gefängnis entfernt war. Also wird er sich sicher nicht von den russischen Telefoncomedians lächerlich machen lassen.
Planen Sie, ihn zu besuchen?
Wir stehen in Kontakt mit seinen Kollegen und der Familie, ich suche nach einer Gelegenheit, ihn zu besuchen. Ich halte es für wichtig, meinen persönlichen Respekt und meine Kameradschaft sowie die guten Wünsche des ungarischen Volkes zum Ausdruck zu bringen.
„Es ist nicht auszuschließen, dass einige NATO-Mitglieder und andere Verbündete Truppen in die Ukraine entsenden werden“, sagte Emmanuel Macron Ende Februar. Er wiederholte dies in einem Interview im Mai. Ein Eskalationsszenario zeichnet sich vor unseren Augen ab. Gibt es eine Chance, diesen Trend umzukehren?
Die Ukrainer haben das Gefühl, dass sie umso mehr Chancen auf einen Sieg haben, je mehr Länder sie in ihren Krieg gegen die Russen einbeziehen können, und so würden sie die Europäische Union und sogar die ganze Welt einbeziehen. Aus ukrainischer nationaler Sicht ist die Eskalation des Krieges logisch. Die Ungarn hingegen wissen, dass wir uns aus dem Krieg heraushalten müssen, da ein Hineindriften in den Krieg den nationalen Interessen Ungarns entgegengesetzt wäre. Auch der französische Präsident weiß genau, welche historischen Abgründe und geopolitischen Horizonte seine Worte eröffnen. Ich jedoch glaube, dass alles getan werden muss, um eine Ausweitung des Krieges aufzuhalten. Wenn ein großer europäischer Krieg ausbricht, werden wir alle daran zugrunde gehen.
Inzwischen spricht Manfred Weber, der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, dass wir eine europäische Atomwaffe brauchen. Was sagen Sie dazu?
Ich empfehle jedem das Buch „Nationale Interessen” von Klaus von Dohnanyi, dem ehemaligen deutschen Minister, dem Doyen der deutschen Politik, in dem er klar beschreibt, dass es kein großes europäisches Atomwaffenarsenal auf europäischem Territorium gibt, wohl aber ein amerikanisches. Sollte es jemals zu einem Atomkrieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten von Amerika kommen, würden die Amerikaner nur von Europa aus feuern. In einem Atomkrieg würde die eine Seite dorthin zurückfeuern, von wo die andere feuert. Daraus folgt, dass die Amerikaner nicht einmal einen Vergeltungsschlag gegen die Russen von amerikanischem, sondern immer von europäischem Territorium aus führen werden. Anstatt Atomwaffen zu verbreiten, sollte Europa versuchen, sie abzurüsten.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in mehreren anderen europäischen Ländern kam die Idee der Wiedereinführung der Wehrpflicht zur Sprache. Steht dieses Thema auch in Ungarn auf der Tagesordnung?
Da die NATO die kollektive Verteidigung ihrer Mitglieder garantiert, kann sich Ungarn den Luxus leisten, keine allgemeine Wehrpflicht einzuführen, sondern nur eine Berufsarmee zu unterhalten. Die Berufssoldaten sind der beste Teil des Landes, junge Menschen, die bereit sind, sich ausbilden zu lassen und einen Eid abzulegen, um das Land unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen. Wir sind bestrebt, unsere Soldaten immer mehr zu schätzen, denn sie garantieren die Sicherheit, Freiheit und Unabhängigkeit unseres Landes. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht steht in Ungarn nicht auf der Tagesordnung.
Was würden Sie zu einer europäischen Wehrpflicht und einer europäischen Armee sagen?
Das ist ein ernstes Problem, dass Weber von einer europäischen Wehrpflicht spricht, er will eine europäische imperiale Armee. Für ein ungarisches Ohr ist die Vorstellung, dass ungarische Soldaten an einer imperialen Armee teilnehmen, die auf irgendeiner Wehrpflicht basiert, eine markerschütternde Angelegenheit. In den 12 Punkten geht es darum, unsere Söhne nach Hause zu holen und die fremden Soldaten von uns wegzubringen. Anstelle einer europäischen, imperialen Armee brauchen wir eine unabhängige ungarische Armee, über die nur wir die Kontrolle haben, denn es geht schließlich um die Verfügungsgewalt über ungarisches Blut, und die Verantwortung dafür können wir auf keinerlei Reich übertragen.
Sie sprachen früher auch von einer europäischen Armee und einem europäischen Verteidigungskonzept. Wie würde sich dies von Webers Vorschlag unterscheiden?
Eine europäische militärpolitische Zusammenarbeit ist notwendig. Meiner Ansicht nach würde diese mehrere Elemente umfassen. Einerseits ist eine koordinierte Entwicklung der europäischen Verteidigungsindustrie auf nationaler Ebene erforderlich. Andererseits müssen wir den Markt für militärische Ausrüstung in Europa schützen, die Europäer sollen also Waffen von Europäern kaufen. Drittens müssen wir die militärischen Strategien koordinieren. Viertens brauchen wir ein europäisches Verteidigungsbündnis, ähnlich der NATO, das auf nationalen Zusagen und nicht auf Wehrpflicht beruht, bei dem jedes Land entscheidet, wo, wann und wie viele Truppen es zusagt, so würde nicht die Aufgabe des Rechts auf die Kontrolle über die eigene nationale Armee bedeuten. Aber selbst hier muss noch darauf bestanden werden, dass diese zugesagten Einheiten nur zur Verteidigung Europas eingesetzt werden können. Militärische Operationen außerhalb Europas unter europäischer Flagge kommen nicht in Frage. Dieses Konzept unterscheidet sich von Webers Vorschlag. Der Vorschlag des Präsidenten der Europäischen Volkspartei würde bedeuten, dass die Unsrigen in die imperiale Armee eingezogen werden und wir dann von irgendwoher Nachrichten darüber erhalten, was mit den ungarischen Jungs an der Front geschieht. Einen solchen imperialen Vorschlag unterstützen wir nicht.
Was macht der ungarische Ministerpräsident, wenn er dieses imperiale Denken der Deutschen sieht?
Die Freundschaft zwischen Deutschen und Ungarn ist natürlich. Aber es ist wichtig auszusprechen, dass eine gewisse Vorsicht vonseiten Deutschlands in der Frage des Holocausts oder der Entsendung von Panzertruppen in das ehemalige sowjetische Gebiet gerechtfertigt wäre. Aber ich könnte auch die Migration hierzuzählen. Die Deutschen wollen uns die Migration aufzwingen, sie wollen uns sagen, mit wem wir zusammenleben sollen, aber vorher wollten sie uns sagen, mit wem wir nicht leben sollen, und sie haben die Juden genommen. Natürlich hat jeder das Recht, sich am europäischen Diskurs zu beteiligen, aber es wäre mehr Zurückhaltung vonseiten der Deutschen nötig, denn das ist in dieser Weise eine Rückkehr zu deutschem Gerede mit Gewalt, wobei sie die Tatsache ausnutzen, dass sie die Größten in der Europäischen Union sind.
Was könnten die Wahlen zum Europäischen Parlament am 9. Juni und die anschließende institutionelle Umgestaltung für den Krieg bringen?
Das Wahlergebnis ist in drei Dimensionen deutbar. Die erste ist die Frage von Krieg und Frieden. Unabhängig davon, wer in welcher Fraktion sitzt, wird die wichtigste Frage sein, wie viele Abgeordnete für den Krieg und wie viele für den Frieden sind. Mir bricht kein Zacken aus der Krone, wenn man mit den Linken zusammenarbeiten muss, solange sie für den Frieden sind und es um die Vermeidung von Krieg geht. Das ist keine Frage der Parteizugehörigkeit. Äußerungen wie die von Macron bedeuten eine intellektuelle Vorbereitung für eine bewaffnete Intervention außerhalb des NATO-Gebiets. Das Wichtigste ist, sich solchen Bestrebungen zu widersetzen. Die zweite Dimension ist die Frage der Wettbewerbsfähigkeit. Wir brauchen eine Mehrheit im Europäischen Parlament und im europäischen Lager der Ministerpräsidenten, die versteht, dass wir mit einer schwachen europäischen Wirtschaftsleistung keine Zukunft haben, dass Europa leider immer mehr zu einem marginalen Akteur in der Weltwirtschaft wird und dass wir das ändern müssen.Wir müssen den grünen Übergang neu überdenken, Bürokratie abbauen und die Landwirtschaft stärken, und von linken Albträumen, die einer Fata Morgana von sozialer Gerechtigkeit nachjagen, zu einer Politik der Steuersenkungen in ganz Europa zurückkehren. Die Fragen der Macht und der Institutionen stellen nur den dritten wichtigen Knotenpunkt dar. Im Bestfall muss sich die dritte Entscheidung aus den ersten beiden Fragen ergeben, denn wir brauchen Institutionen, die für den Frieden sind und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern wollen, und wir müssen Politiker in die EU-Positionen bringen, die diese Politik umsetzen wollen.
Ursula von der Leyen bereitet sich auf eine zweite Amtszeit vor. Wen würden Sie gerne im Stuhl des Präsidenten sehen?
Als Kommissionspräsidentin hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man muss sagen, ich bin eine der wichtigen Führungspersönlichkeit der Europäischen Union und nehme Konflikte innerhalb der europäischen Institutionen auf mich, oder man überlässt die politischen Debatten den Ministerpräsidenten, und ich werde dann umsetzen, was die Ministerpräsidenten sagen. Von der Leyen hingegen war eingezwängt zwischen den beiden Rollen, sie war eine Politikerin und sie war zugleich auch eine Nicht-Politikerin. Daraus wurde ein Problem. Wir brauchen einen Kommissionspräsidenten, der weiß, dass wir seine Arbeitgeber sind. Von der Leyen ist Angestellte von siebenundzwanzig Ministerpräsidenten. Wie kommt sie dazu, irgendeine politische Meinung zu vertreten? Warum trifft sie an unserer Stelle Entscheidungen, zum Beispiel im Zusammenhang mit der europäischen Außenpolitik? Der Rat der Staats- und Regierungschefs muss die Regierungsgewalt zurücknehmen, die Kommission muss auf ihre Exekutivfunktion zurückgeschoben werden, und das Europäische Parlament muss in seiner jetzigen Form abgeschafft werden und man muss zu dem Punkt zurückkehren, dass die nationalen Parlamente die Abgeordneten delegieren. Das wäre eine funktionsfähige europäische Struktur. Ich würde nicht sagen, dass sie in greifbarer Nähe ist…
Lassen Sie uns zur NATO kommen. Der internationalen Presse zufolge ist unser Land das einzige, das den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte dabei im Weg steht, um Generalsekretär der Organisation zu werden. Warum sollte Ungarn durch die Ernennung von Rutte benachteiligt werden, welche Art von NATO können wir unter seiner Führung erwarten?
Nicht nur Ungarn ist gegen die Kandidatur von Rutte, denn es gibt ein Land, das nicht nur gegen Rutte ist, sondern sogar einen eigenen Kandidaten vorgeschlagen hat, das ist Rumänien. Wir unterstützen Rumänien. Ungarn hat zwei Ansprüche an Premierminister Rutte. Der eine ist eine Frage der Ehre, der andere ist ein militärpolitischer Anspruch. Was die Ehre angeht, so gibt es in Ungarn keinen Menschen unter den westlichen Politikern, der einen schlechteren Ruf hat als Herr Rutte. Er hat zwei Sätze gesagt, die ihm die Ungarn nicht verzeihen werden. Zuerst sagte er, dass die Ungarn aus der Europäischen Union ausgeschlossen werden sollten, und dann sagte er, dass die Ungarn in die Knie gezwungen werden sollten. Das letzte Mal, dass jemand gesagt hat, ganz gleich, was die Ungarn wollen, man muss ihnen irgendeine Entscheidung aufzwingen, und wenn es sein muss, dann mit Gewalt, haben zuletzt die deutschen Besatzer und Stalin und Konsorten gesagt haben. Es ist schwierig, mit diesem Satz unter die von Ungarn unterstützten Kandidaten zu kommen. Mit dieser Situation muss er etwas anfangen, er bittet um das Vertrauen Ungarns für eine solche Position, also wird von ihm erwartet, dass er sich meldet und etwas dazu sagt. Ungarn ist ein gleichrangiges Land, wir erwarten das von ihm. Wie wir das beim NATO-Beitritt Schwedens deutlich gemacht haben, muss Ungarn mehr Respekt entgegengebracht werden.
Was ist unsere militärpolitische Forderung an Rutte?
Wir können keinen NATO-Generalsekretär unterstützen, der den Standpunkt vertritt, dass alle Mitgliedstaaten zur Teilnahme an Militäroperationen außerhalb des Bündnisses verpflichtet werden sollen. Wir möchten mit dem künftigen Generalsekretär eine Vereinbarung darüber treffen, dass wir uns auch dann nicht an ukrainischen Operationen der NATO gegen die Russen beteiligen, wenn wir NATO-Mitglieder sind. Wir werden unsere Mitgliedschaft beibehalten, aber wir wollen uns nicht an militärischen Aktionen außerhalb des NATO-Gebiets beteiligen, und wir müssen die Möglichkeit dazu haben. Rechtlich haben wir sie auch jetzt, aber wir erwarten, dass sie zu einer politisch akzeptierten, salonfähigen Position erklärt wird.
Anfang Mai besuchte der chinesische Präsident Ungarn, und unser Land schloss eine Reihe von Abkommen mit China. Nach welchen Kriterien richtet sich die ungarische Außenpolitik, wenn es darum geht, mit China Freundschaft zu schließen?
Es gibt drei ungarische Überlegungen in Bezug auf China. Die erste ist, dass das Ziel der ungarischen Außenpolitik nicht darin besteht, Mitglied eines der Blöcke zu sein, die nicht miteinander sprechen, oder die Hilfskraft eines anderen Landes zu sein. Das Ziel der ungarischen Außenpolitik ist es, so viele Freunde wie möglich für Ungarn zu gewinnen. Daraus ergibt sich, dass wir gleichzeitig mit den im Übrigen miteinander widerstreitenden Akteuren befreundet sein wollen. Wir wollen gute Beziehungen sowohl zu den Vereinigten Staaten als auch zu China pflegen. Das füge ich nur als interessantes Detail hinzu, dass die Vereinigten Staaten und China das größte Handelsvolumen der Welt aufweisen, während sie offensichtlich zugleich eindeutig Probleme miteinander haben. Ungarn verfolgt in seiner Außenpolitik eigene Interessen und leitet seine Position nicht von den Interessen anderer ab. Der zweite Faktor ist, dass die Chinesen in einigen Bereichen der Wirtschaft weltweit führend sind. Da Ungarn in diesen Bereichen nicht durch eigene Entwicklungen einen technologischen Vorsprung erlangen kann, müssen wir die beste Technologie von irgendwoher importieren. Wenn nötig, importieren wir Technologie aus westlichen Ländern, wenn nötig, aus China. Als zum Beispiel die Südkoreaner bei der Energiespeicherung am besten waren, wurden südkoreanische Fabriken gebaut, aber die Chinesen sind jetzt wettbewerbsfähig, weshalb auch chinesische Fabriken gebaut werden, und wenn die Deutschen über wettbewerbsfähige Industriekapazitäten verfügten, die nach Ungarn ausgelagert werden könnten, würden wir diese auch begrüßen. In Wirklichkeit werden die Chinesen auch für den grünen Übergang gebraucht, denn die besten Technologien zur Speicherung der erzeugten grünen Energie gibt es jetzt in China. Aber auch bei der Entwicklung von IKT und Kernenergie stehen die Chinesen an vorderster Front, so dass es gut ist, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Unsere nationale Ambition besteht nicht darin, so zu bleiben, wie wir sind, sondern jeden Tag besser zu werden und am Ende die Besten zu sein, oder zumindest zu den Besten zu gehören. Dazu brauchen wir aber, dass von allen Technologien die fortschrittlichsten in Ungarn anwesend ist. Der dritte Gesichtspunkt ist, dass China nicht einfach nur sagt, wir geben euch Technologie, sondern lädt Ungarn ein, sich an der Modernisierung Chinas zu beteiligen. Das bedeutet, dass auch wir Zugang zu diesem riesigen Markt haben können, entwickeln, investieren und ihnen Waren verkaufen können. Alle sind bestrebt, auf den chinesischen Markt zu gelangen, und Ungarn darf dabei nicht außen vor bleiben.
Wie ist es möglich, inmitten so intensiver politischer und ideologischer Auseinandersetzungen eine solche ausschließlich interessengeleitete Außenpolitik zu betreiben?
Die ungarische Strategie besteht darin, die Auswirkungen der politischen Differenzen zwischen den Ländern auf die Wirtschaft zu beseitigen oder zu verringern. Wir sagen den Westlern und den Ostlern, sie sollen die Zusammenarbeit zwischen den beiden Technologien in Ungarn verwirklichen. Einerseits ist Ungarn ein östliches Land, weil wir von dort kommen, andererseits ist es ein westliches Land, weil wir dorthin gehören. Warum sollte die chinesische Technologie nicht mit einer westeuropäischen Fabrik in einem ungarischen Industriepark zusammenarbeiten?
Der Bau einer Ölpipeline zwischen Ungarn und Serbien mit der Einbeziehung der Chinesen, die Zusammenarbeit im gesamten Spektrum der Nuklearindustrie – das sind nur einige der Bereiche, die von dem zwischenstaatlichen Abkommen abgedeckt werden, das während des Besuchs von Xi Jinping unterzeichnet wurde. Es ist nicht zu übersehen, dass die Abkommen mit China auch Bereiche umfassen, die früher charakteristisch für die russisch-ungarischen Beziehungen waren. Bedeutet das, dass sich hinsichtlich unserer traditionellen Kooperation eine Verschiebung zugunsten Chinas vollzieht?
Die Chinesen ersetzen nicht die Russen. Es stimmt, dass die von den EU-Sanktionen betroffenen Bereiche von der russisch-ungarischen Wirtschaftskooperation von Vornherein ausgeschlossen sind. Aber ich möchte den Umfang der Zusammenarbeit mit Russland in Bereichen, die nicht von Sanktionen betroffen sind, ausbauen. Wir tun dies nicht heimlich, wie einige westeuropäische Länder, denn wenn die Zusammenarbeit eine Grundlage im nationalen Interesse hat, dann ist sie akzeptabel, und ich stehe dazu auch. Natürlich gibt es westliche Länder, die eine antirussische Rhetorik an den Tag legen, aber sie tricksen, wenn es um die Wirtschaft geht. Die Länder, die im letzten Quartal am meisten russisches Gas gekauft haben, waren Italien und Spanien, erst danach gefolgt nur von uns. Die erste Lieferung von Flüssigerdgas aus Russland kam von einem Tanker in amerikanischem Besitz. Wovon reden wir hier eigentlich? Im Hintergrund läuft das Business weiter.
Haben Sie im März mit Donald Trump über China gesprochen? Denn Sie und Trump scheinen ein gutes Verhältnis zu haben, aber Sie vertreten spürbare abweichende Standpunkte hinsichtlich China.
Es gäbe Meinungsverschiedenheiten, wenn wir in der gleichen Gewichtsklasse wären, aber das sind wir nicht. Wir hören dem amerikanischen Präsidenten zu, wenn er etwas zu dieser Angelegenheit sagen will, und dann macht jeder von uns sein eigenes Ding. Wir haben ein sehr klares Angebot von China. Das Angebot besteht darin, dass wir uns an der Modernisierung der chinesischen Wirtschaft beteiligen sollen, und sie sind gerne bereit, sich an der Modernisierung der ungarischen Wirtschaft zu beteiligen. Die Frage für mich ist, was das amerikanische Angebot ist. Das amerikanische Angebot sollte kein Anti-China-Angebot sein, es sollte kein Angebot sein, das uns sagt, was wir nicht mit China machen sollen, sondern es sollte ein Angebot sein, das uns sagt, was Ungarn mit den Amerikanern machen soll. Wir sind offen für die vernünftigen amerikanischen Angebote.
Hat Donald Trump ein Angebot gemacht?
Er hat gesagt, dass die ungarisch-amerikanischen Beziehungen noch nie so gut waren, wie sie sein werden, wenn er zurückkehrt. Im Moment besteht eine völlig absurde Situation, weil die derzeitige US-Regierung das Doppelbesteuerungsabkommen aufgehoben hat. Dies ist nun das amerikanische Angebot gegenüber dem chinesischen. Das scheint mir ziemlich dünn zu sein.
Es war eine symbolische Geste, Ihre Kampagne in einem Getreidespeicher in Anwesenheit der örtlichen Bauern zu eröffnen. Warum gerade dort?
Ich mache gerne Wahlkampf auf dem Dorf, dort fühle ich mich am wohlsten. Selbstvertrauen ist das Wichtigste zu Beginn einer Kampagne, nicht nur für das Publikum, sondern auch für den Redner. Deshalb beginne ich den Wahlkampf gerne an solchen Orten. Darüber hinaus sind die Wahlen zum Europäischen Parlament für die europäische Agrarpolitik von großer Bedeutung.
Warum sind die Wahlen zum Europäischen Parlament für einen Landwirt aus Nemesgörzsöny wichtig?
Es wird bald eine große Debatte darüber geben, ob das derzeitige System der Agrarsubventionen überhaupt beibehalten werden kann. Wenn wir das Geld im Krieg verbrennen, woher wird es dann Quellen für die Unterstützung der Bauern geben? In den kommenden Jahren werden Hunderte von Milliarden an der Front verbrannt, um den ukrainischen Staat zu erhalten und die Kriegsmittel zu kaufen. Dieses Geld muss von irgendwo weggenommen werden. Sehr viele wollen es der europäischen Landwirtschaft wegnehmen, da sie sagen, das System sei ohnehin kein Anreiz zum Wettbewerb. Das bedeutet, dass die Landwirte in Schwierigkeiten geraten könnten und sich die Situation der gesamten europäischen Landwirtschaft verschlechtern könnte. Fidesz steht auch weiterhin an der Seite der ungarischen Landwirte in diesem Kampf. Wir unterstützen es nicht, dass die Agrarsubventionen unter Berufung auf den Krieg abnehmen sollen.
Es ist gelungen, die Geburtenrate nach 2010 deutlich zu steigern, aber der Trend hat sich bis 2020 verlangsamt. Wie können wir diesem Prozess einen Schub geben?
Ich setze Demografiepolitik nicht mit Familienpolitik gleich. Der Erfolg von Familienpolitik lässt sich nicht an demografischen Indikatoren messen. In der Familienpolitik geht es nicht nur darum, mehr Kinder zu bekommen, sondern denjenigen, die sich für ein Leben als Familie entscheiden, das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Oberstes Ziel der Familienpolitik ist es, dass diejenigen, die Kinder haben, nicht weniger Chancen auf persönlichen finanziellen Wohlstand haben als diejenigen, die keine Kinder haben. Was die finanzielle Belastung im Alltag angeht, ist es heute sicherlich kurzfristig besser, keine Kinder zu haben. Längerfristig ist es natürlich für diejenigen von Vorteil, die Kinder haben, denn das Kinderkriegen hat eine psychologische Dimension, die sich nicht in materiellen Dimensionen messen lässt. Die Bevölkerungspolitik, die eine Frage der nationalen Politik ist, ist unabhängig von der Familienpolitik. Große Länder laufen nicht Gefahr, dass ihnen die Bevölkerung ausgeht, aber für kleinere Länder ist das durchaus nicht undenkbar. Für uns ist es wichtig, dass unsere Gemeinschaft überlebt, und dafür brauchen wir Kinder. Wir haben Fortschritte gemacht, aber jetzt stecken wir fest. Wir haben kein gutes Beispiel in Europa; da, wo sich die demografischen Indikatoren in Europa nicht verschlechtern, liegt das an der Migration, aber wir wollen keine migrationsbasierte Bevölkerungspolitik betreiben, sondern wir wollen diese Frage innerhalb unseres nationalen, christlichen Kulturkreises lösen. Ich sehe, dass der zu erwartende Trend in diesem Bereich nicht die kontinuierliche Verbesserung ist, sondern die impulsartige Verbesserung. Das bedeutet, dass wir gleichzeitig sehr viele Anstrengungen mobilisieren müssen, um irgendeinen Fortschritt zu erzielen. Wir müssen jetzt einen neuen Impuls geben. Viele arbeiten daran, der ungarischen Wirtschaft einen weiteren großen, demografisch motivierten Schub zu geben, von der Steuerpolitik bis zur Schaffung von Wohnraum. Aber das müssen wir unbedingt sehen, was mit dem Krieg passieren wird. Wenn es Krieg gibt, müssen wir drei Prozent des GDP für die Sicherheit ausgeben; wenn es keinen Krieg gibt, werden auch zwei Prozent ausreichen. Ein großer Teil unserer Probleme wäre gelöst, wenn wir die Differenz zwischen diesen beiden Beträgen für die Familien ausgeben könnten.
Der Fidesz hat angekündigt, dass sie den größten und stärksten Wahlkampf aller Zeiten für das Europäische Parlament führen wird. Warum ist eine Wahl nach der Hälfte der Wahlperiode so wichtig? Was steht auf dem Spiel?
Es ist eindeutig, was bei den Wahlen auf dem Spiel steht: Krieg oder Frieden. Das Kräfteverhältnis ist jetzt zweitrangig, denn wir werden diese Wahl gewinnen. Das weiß ich von unseren Gegnern. Eine normale Partei neigt dazu, hart daran zu arbeiten, die andere Partei zu besiegen, aber die einzige Hoffnung für die Linke scheint jetzt zu sein, dass wir jetzt vielleicht keinen Weltrekord schwimmen. Deshalb sagen sie immer wieder, wie viel Prozent für den Fidesz ein Misserfolg wären. Wir sind furchtbar stark, und wir werden die Wahl gewinnen – wenn wir unsere Kräfte mobilisieren.
Die politische Situation in Ungarn ist interessant, weil sich die Opposition mit neuen Akteuren weiter gespalten hat. Es gibt Interpretationen, die besagen, dass dies gut für den Fidesz ist, andere, dass die politische Neuausrichtung auf Seiten der Opposition Anlass zur Sorge gibt. Gibt es für die Regierungspartei etwas zu befürchten?
Im Jahr 2022 hat die Linke versucht, eine vollständige Koalition zu bilden. Jetzt scheint sie das Rezept von 2014 und 2018 zu wiederholen, und so ist das politische Lager, das gegen die Regierung ist, erneut gespalten. Aber wir hatten 2014 und 2018 zwei Drittel, genauso wie wir 2022 zwei Drittel hatten. Über den Krieg hinaus ist unser Gegner im Moment die Routine; Wenn unsere Anhänger glauben, dass auch jetzt, da wir zu gewinnen pflegen, der Sieg sich schon von alleine einstellen wird. Aber es gibt keinen Sieg ohne Kampf. Wahlen sind ein Kampf, eine Schlacht, die gewonnen werden muss, wir müssen auf die Straße gehen, wir müssen unter die Leute gehen, wir müssen die Briefe austragen, wir müssen uns gegenseitig anrufen, wir müssen Leidenschaft in den Kampf bringen, und dann wird sich auch die gesellschaftliche Mehrheit auf der bürgerlichen, nationalen, christlichen Seite im Wahlergebnis durchsetzen.
Kommunalwahlen. 2019 sind Budapest und mehrere Großstädte auf dem Lande in die Hände der Linken gefallen, und der Bürgermeister von Budapest bereitet sich auf eine weitere Amtszeit im Bündnis mit Ferenc Gyurcsány vor. Wie beurteilen Sie die letzten fünf Jahre?
Wie die meisten Budapester so habe auch ich nur Schlechtes über die Leistung des Bürgermeisters zu sagen. Es gibt Fußballer, die einen Elfmeter am Tor vorbeischießen und dann sagen, es lag an den Schuhen oder am Rasen. So ist es auch beim Oberbürgermeister. So kann man es nicht machen, nach fünf Jahren Stadtverwaltung kann man nicht ohne Leistung noch einmal das Amt bekleiden. Budapest hat mehr als das verdient. Wir sind auch in der Hauptstadt die größte politische Kraft, und mit Alexandra Szentkirályi haben wir die langfristige Führungspersönlichkeit für den Fidesz in Budapest gefunden.
Marco Rossi hat den Kader für die Europameisterschaft bekannt gegeben. Von wem erwarten Sie eine herausragende Leistung?
Bei der Europameisterschaft 2016 hatten wir eine sehr gute Mannschaft, und auch ohne hochkarätige Spieler wie Szoboszlai sind wir weitergekommen. Bei der nächsten Europameisterschaft, als Szoboszlai verletzt war, standen wir an der Schwelle des Weiterkommens in München. Unabhängig von der Leistung oder der Abwesenheit einiger unserer Spieler war unsere Nationalmannschaft bereits so weit, dass sie in der Lage ist, würdig zu bestehen. Was die Gruppenphase betrifft, so können wir alle drei Spiele gewinnen, aber wir können sie auch verlieren. Wichtig ist, dass wir von der ersten Minute eines jeden Spiels an spüren, dass die Ungarn hierhergekommen sind, um zu gewinnen. Wie es in dem Lied heißt: Die Ungarn sind da, zieht euch zusammen. Das ist es, was ich auf dem Spielfeld sehen möchte.
Torhüter-Frage. Dibusz oder Gulácsi?
Szappanos. Sie sind alle drei sehr gute Torhüter, und welchen der Trainer auch immer wählt, er wird nicht danebengreifen. Derjenige, der mir am meisten am Herzen liegt, ist Szappanos. Als ich jung war, war jener der gute Torhüter, vor dem man Angst haben musste. Von den dreien hätte ich am meisten Angst vor Szappanos, wenn ich als Mittelstürmer spielen müsste.