Dániel Bohár: In der Unsicherheit ist die Stabilität am wichtigsten. Und wenn wir unsere vergangenen dreizehn Jahre überblicken, dann können wir sehen, dass Ungarn mit ziemlich vielen Herausforderungen zu kämpfen hatte, und die gegenwärtige Situation zeigt, dass dies auch heute nicht anders ist. Doch wie kann man in diesem Situationen bestehen? In der kommenden Stunde werden wir uns darüber unterhalten. Ich begrüße alle Anwesenden recht herzlich hier auf dem Tranzit-Festival, die Zuschauer vor den Fernsehgeräten bzw. jene, die unsere Sendung online verfolgen. Ich bin Dániel Bohár, der Influencer von Megafon, und jetzt möchte ich Viktor Orbán, den Ministerpräsidenten Ungarns auf die Bühne bitten. Zunächst einmal bedanken wir uns recht herzlich, dass Sie unsere Einladung angenommen haben und Sie hier bei Tranzit dabei sind, nach 11 Jahren, wenn ich richtig zähle. Sie waren zuletzt 2012 in Kőszeg bei Tranzit dabei und jetzt werde ich Sie sofort zitieren, damals formulierten Sie unter ähnlichen wirtschaftlichen Bedingungen dahingehend, dass „die Zweidrittelmehrheit steht wie eine Eins”. Steht sie immer noch wie eine Eins?
Nun, das ist eine Sache, dass sie seitdem ständig steht, was wirklich wichtig ist, ist, dass von hier aus das Ende noch gar nicht zu sehen ist.
Na, aber Spaß beiseite, sind die Zweidrittel im Übrigen die Garantie für die Einheit der ungarischen Nation?
Wir können das so sagen, es gibt große Diskussionen darüber. Wenn also jemand hinter die politischen Geschehnisse blickt und jene Debatten verfolgt, die häufig ziemlich niveauvolle Debatten sind, diese kreuzen die traditionellen thematischen Trennlinien der rechten und der Linken, dann können Sie die Diskussion sehen, ob dies unnatürlich sei, also sagen wir, ob es eine der auf Wahlen, auf die freie Entscheidung basierenden Demokratie gegenüberstehende, widernatürliche Sache ist, wenn eine politische Kraftgruppe, eine Partei über einen langen Zeitraum an der Macht ist – oder hat dies nichts mit der Qualität der Demokratie zu tun. Das ist eine existierende Debatte. Hier ist auch ein Buch erschienen, ich versuche jetzt mich an den Titel zu erinnern, das wird – wir haben schon Abend – nicht gehen, es gab seriöse analysierende Bücher, die nachgewiesen haben, und ich teile diesen Standpunkt, dass wahrscheinlich das der ungarischen Geographie, der Geschichte und der Größe Ungarns entspringt, die historische Erscheinung eine Konstante ist, dass früher oder später in jeder Epoche eine große nationale Regierungspartei entsteht. Wenn wir also einen Blick auf die Welt nach dem Ausgleich werfen, nach 1867, da gibt es einen problematischen Zeitraum, ’71-72, und ’75 kommt Kálmán Tisza und von da an ist er für 15 Jahre der Parteivorsitzende der Regierungspartei. Und dann wiederholt sich vor dem I. Weltkrieg dasselbe mit der Arbeitspartei seines Sohnes, István Tisza. Und wenn wir uns die Zeiten zwischen den beiden Weltkriegen ansehen, da ist die verworrene Epoche nach dem Weltkrieg zu Ende, Bethlen kommt, er vollführt die Konsolidierung, erneut regiert zehn und einige Jahre die gleiche Kraft. Und meiner Ansicht nach wäre das gleiche auch nach dem II. Weltkrieg geschehen, als die Partei der Kleinen Landwirte die Wahlen mit großer Mehrheit gewonnen hatte und wenn die Sowjetunion und die Kommunisten nicht gemeinsam die parlamentarische Demokratie in Ungarn liquidiert hätten, dann hätte sich meiner Ansicht nach die Partei der Kleinen Landwirte genauso für eine lange Zeit eingerichtet. Ich sehe eine Verwandtschaft – Csizmadia ist der Name des Verfassers, jetzt ist er mir eingefallen – ich sehe eine Verwandtschaft zwischen den damaligen Ereignissen, den damaligen Gesetzmäßigkeiten und der gegenwärtigen Situation. Ungarn muss gegen sehr große Kräfte bestehen, wir kämpfen gegen riesige Kräfte und in der Zeit des Kampfes gegen derart große äußere Kräfte ordnen sich die Menschen instinktiv in die Richtung der Eintracht. Sie suchen jene Partei, die sich nicht auf ideologischer Grundlage, sondern eher aufgrund der Treue zur Nation, des Dienstes für die Nation, entlang der nationalen Interessen organisiert und den Menschen die meisten Chancen dafür gibt, all das zu verteidigen, was ihnen wichtig ist. Im zweiten Akt dieser Debatte geht es ja darum, dass, nehmen wir an, dies ist in der ungarischen Geschichte keine beispiellose Erscheinung, doch besitzt sie international ein Pendant? Und dann sehen wir, dass das nicht der Fall ist. Also es gab über einen sehr langen Zeitraum im Amt verbleibende, nacheinander mehrere Wahlen gewinnen könnende politische Kräfte auch mehrere in der europäischen Politik. Es gibt eine, die immer noch existiert, sie ist bereits bei vierzig, ich weiß gar nicht bei dem wievielten Jahr angekommen, das ist die CSU in Bayern. Die Ungarn müssen sich also deshalb überhaupt nicht schämen oder müssen sich nicht erklären, dass sich in Ungarn die Politik so ordnet, dass zeitweise große nationale Parteien entstehen, die über einen längeren Zeitraum bei den Wahlen den Wählerauftrag erhalten. Das kann man ruhig eine europäische Erscheinung nennen.
Früher hatten Sie bereits erwähnt, vielleicht vor vier-fünf Jahren, dass dies ein Kampf zwischen David und Goliath sei. Ich treffe nun relativ häufig Politiker der Linken, wie das auch Sie im Parlament häufig erleben. Nun, wie soll ich formulieren, also „Goliath“ auf sie zu beziehen, also zumindest, wenn wir die politische Garnitur, die heimatliche politische Garnitur betrachten, so ist es nicht sicher, dass dies das erste Wort wäre, das mir einfiele, wenn ich deren geistige oder sonst welche Fähigkeiten betrachte. Wenn wir also von Goliath sprechen und über die ungarische Linke, wie passen dann diese beiden zusammen?
Nun, nicht alles ist das, was es zu sein scheint. Also ich weiß jetzt nicht, wollen wir über die Opposition reden? An diesem schönen Sommerabend? Also… Gut, wenn wir über sie sprechen wollen, dann ohne dass ich ihnen mehr zusetzen werde, als es unvermeidlich ist…
… So sehr wie es nötig ist …
Ja. Also dort ist tatsächlich diese Erscheinung und ich stimme dem Bild zu, das wir jetzt hier gebrauchen, dass sagen wir im Fußball, da ist es so, dass die Amateure von den Profis eine deutliche Linie trennt. Es gibt ja die Amateure, die Kinder, nicht wahr, du wirfst einen Ball zwischen sie, dann laufen alle in einem Haufen dorthin, wo der Ball ist, nicht wahr, und dann treten sie sich gegenseitig hin und her, so treffen sie manchmal, sagen wir, den Ball, doch im Wesentlichen versuchen sie dort in einem großen Haufen, dort auf unüberschaubare Weise dieses Spiel zu spielen. Es gibt Profis, die man daran erkennt, dass sie dorthin laufen, sich dorthin bewegen, wo dann der Ball sein wird. Wenn ich also den Unterschied zwischen der gegenwärtigen Regierungspartei und der Opposition auf eine verständliche Weise formulieren möchte, dann ist das der Unterschied. Das könnte ich vielleicht so formulieren, dass es einen Perspektivenunterschied gibt. Sie stürzen sich auf eine Angelegenheit wie eine Ente, und dann machen sie plötzlich einen Zirkus, irgendetwas geschieht da…
Sie treten sich gegenseitig zusammen.
Soviel. Und die Regierungspartei, die große nationale Regierungspartei besitzt eine Perspektive, kurz-mittel-langfristig, Taktik, Strategie, Geschichte und ihre Bewegung ist geordnet. Wissen Sie, diese Frage gehört hierher, hierauf sucht man so die Antwort, das hängt so mit der anderen Frage zusammen, so verbinde ich sie, also so, wie man eine Aufstellung in jedwedem Mannschaftssport planen muss, denn die Politik ist ja schließlich ein Mannschaftssport. Insofern ist diese Beschreibung nicht unbegründet, wer hier der David und wer hier der Goliath ist. Doch jede Mannschaft, auch die auf kindische Weise fußballspielenden haben einen Besitzer, sie finanzierende Personen. Man muss also nicht nur darauf schauen, in welchem Zustand heute die ungarische Linke ist, sondern wer hinter ihr steht. Und die Linke vertritt Welttrends in geistigem, ideologischem Sinn und vertritt Kräfte der Großen Welt im soziologischen, finanziellen Sinn. Na, und das sind große Jungs, na, die pflegen nicht in ein Knäuel zusammenzulaufen. Also Onkel Gyuri pflegt nicht mit Facebook auf einen Haufen zusammenzulaufen, da gibt es keine solchen Unfälle. Es gibt also jene großen Finanzgruppen, die klare Absichten besitzen hinsichtlich der Welt und auch Europas, darin hinsichtlich Ungarns, und die ihre Agenten suchen und diese in der ungarischen Linken finden, deren Bindung an die nationalen Interessen und den nationalen Gedanken auch historisch nicht allzu stark ist. Sie denkt in einer anderen Dimension über Politik. Sie denkt vielmehr so darüber, wie Ungarn Teil der Großen Weltkraft werden könnte, welche Weltkräfte sich bewegen, was für Weltmoden, welche geistigen Strömungen existieren und wie kann sich – sie nennen dies Fortschritt – wie kann sich Ungarn da eingliedern. Demgegenüber denken wir ja nicht hierüber nach. Das sind spannende Fragen. Wir sagen, hier ist eine Gemeinschaft, zehn und einige Millionen Menschen, sie hat klare Interessen, sie hat Fähigkeiten, sie hat Ziele, und wie wir im Verhältnis dazu die Politik und im Vergleich dazu unsere Beziehungen organisieren sollen. Und uns finden natürlich keine internationalen Kräfte, weil wir deren Feinde sind, denn genau das, was sie mit Ungarn tun wollen, in einem bestimmten Sinn Ungarn benutzen, das wollen wir nicht, deshalb wenden sie sich an die Linke. Das ist keine ungarische Erscheinung, das gibt es auch anderswo, also ist das kein ungarischer Fluch, kein Verrat in diesem Sinn oder nationale Selbstaufgabe, das ist keine ausschließlich ungarische Erscheinung. Ich kann auch in anderen Ländern solche Parteien benennen, und in diesem Sinn, wenn ich in diesem internationalen Raum die Kräfteverhältnisse vergleiche, dann sind sie der Goliath und wir sind der David, und wir haben sie im vergangenen Zeitraum vier Mal mit der Schleuder richtig am Schädel getroffen, und diese unsere Angewohnheit möchten wir aufrechterhalten.
Dann ist das also im Wesentlichen doch ein ernsthafter globaler Kampf, über den Sie hier grundlegend gesprochen haben.
Also es sind noch nicht alle Daten veröffentlicht worden, doch ich habe die Teilberichte über die Wahlkampffinanzierung der letzten Wahlen gesehen, diese, das kann ich jetzt noch nicht genau sagen, gegen eine wie große Übermacht wir gekämpft haben, sagen wir finanziell, doch dass es eine mehrfache Übermacht auf der anderen Seite gab, das ist unzweifelhaft. Es gab eine mehrfache medien- und eine mehrfache finanzielle Übermacht auf der anderen Seite. Ganz zu schweigen von der Stimmung jenes Umfeldes, das die hier Sitzenden, denn sicherlich sind Sie informierte Menschen, ich nehme an, Sie sprechen auch Sprachen, verfolgen die Weltpresse, die Weltöffentlichkeit, ich habe jenen Druck noch gar nicht hierher gezählt, durch den sie einen Kontext schaffen, ein Umfeld, einen Deutungsrahmen auch um Ungarn, durch den man versucht, Druck auf uns auszuüben. Also wenn ich auch das noch hierherzähle, dann ist es beinahe unermesslich, nicht abzuschätzen, welch mehrfache Kraftquellen sich bei den letzten Wahlen auf ihrer Seite befanden und nicht auf unserer.
Herr Ministerpräsident, geben Sie uns einen Rat, denn wir kommen hier Jahr für Jahr bei Tranzit zusammen, und wie Sie sehen können, auch jetzt sind wir hier ziemlich viele, doch kann ich Ihnen sagen, dass wir von Jahr zu Jahr mehr sind, also wenn Sie nächstes Jahr kommen, dann werden wir wahrscheinblich noch mehr sein. Das ist die jüngere Generation, das Publikum von Tranzit, was kann die Gemeinschaft der Gemeinschaften in dieser Schlacht tun, was kann sie in diesem Kampf unternehmen, was können wir für unsere Heimat tun?
Nun, die erste Sache ist, dass geklärt werden muss, ob Sie eine Heimat haben. Das ist eine wichtige Sache. Ob Sie meinen, Sie hätten eine Heimat oder ob Sie einfach in den Tag, in den Westen, in Europa, in ich weiß nicht, in die attraktiven Zivilisationsformen hineinleben, und es keine Bedeutung besitzt, dass Sie Ungarn sind. Das ist das Erste, was geklärt werden muss. Ob wir so an uns denken, dass wir aus einem biologischen Zufall Ungarn geworden sind. Nun, das gibt es. Und andere sind Deutsche geworden und ein Dritter Pole, und der Fünfte, was weiß ich, Niederländer. Nun, das gibt es. Oder denken wir so, dass indem wir als etwas geboren worden sind, wir in eine Situation geraten sind, in einen Kontext, in einen Zusammenhang, wie Sie das ausdrücken würden: Wir sind in einen Flow. Und wenn wir in ihm sind, dann muss man verstehen, was das ist. Und wenn wir in ihm sind, dann muss man auch verstehen, ob sich daraus, dass wir die Antwort geben, ob es gut ist, in ihm zu sein, ich zum Beispiel liebe es, im ungarischen Flow zu sein, ob darüber hinaus, dass es gut ist, in ihm zu sein, sich aus dieser Tatsache irgendeine Verpflichtung, irgendeine Aufgabe ergibt. Und wenn man das für sich geklärt hat, dann steht man fest auf dem Boden und dann kann man darüber sprechen, die Gleichgesinnten zu sammeln, damit wir eine große nationale Armee haben, jetzt meine ich das im geistigen, im politischen Sinn, nicht nur militärisch, das ist eine andere Geschichte. Das ist also das Erste, was geklärt werden muss. Und meiner Ansicht nach lohnt es sich für jede Generation darüber für sich ins Klare zu kommen. Und man kann sich auf verschiedene Weise dazu, zu der Antwort stellen, wenn man diese Frage für sich klärt. Manch tut dies pathetischer, er erkennt, er ist Ungar, daraus ergeben sich Verpflichtungen, er schlägt die Hacken zusammen und nimmt Körperhaltung an, doch kann man dies auch auf humorvolle, geistreiche Weise, mit Leichtigkeit machen, man kann auf vielerlei Weise Ungar sein. Die Frage ist, wissen wir übereinander, dass wir jene sind, die wissen, dass wir Ungarn sind? Das ist kein Zufall, sondern eine Aufgabe. Ja, ich würde sagen, es ist eine Mission. Wahrscheinlich eine der schönsten Missionen der Welt, denn schließlich reden wir ja darüber, dass es eine Kultur gibt, deren Grundlage eine Sprache ist, die außer denen, die als Ungarn geboren worden sind, andere nicht verstehen. Sie können sie auch nicht aufrechterhalten. Wenn es nach ihnen ginge, könnte sie auch verschwinden. In einem einzigen Fall verschwindet das nicht, worin wir geboren worden sind, die ungarische Sprache, die ungarische Kultur und mit ihr zusammen die mindestens 1100 Jahre umfassende Geschichte der ungarischen Staatlichkeit, sowie die Möglichkeit, dass unsere Kinder in der Zukunft Ungarn werden können, für viele 1000 Jahre hoffentlich, dies verschwindet nur in einem einzigen Fall nicht, wenn wir sie erhalten. Sie bleibt nicht einfach erhalten, denn wir sind nur zehn und einige Millionen. Ein Angelsachse kann glauben, dass sie erhalten bleibt. Er hat keine solche Mission. Ein Deutscher hat keine solche Mission, denn Deutsche wird es immer geben, sie sind ja sehr viele. Na, aber mit dem Ungarischen sieht es anders aus, das muss also erhalten werden. Damit es die ungarische Sprache gibt, damit es jemanden gibt, der Kosztolányi, Babits, János Arany liest und das, was dort geschrieben steht, den Menschen hilft, in ihrem Leben den entsprechenden Pfad zu finden, dazu muss man Ungarn sein. Und hinzu kommt noch, dass es ein Gebiet gibt, das wir – nun, das ist so wie das Herz, es zieht sich zusammen, manchmal erweitert es sich, diese Frage sollten wir jetzt vielleicht beiseitelegen, jetzt sind wir gerade im Zustand des Zusammenziehens. Es gibt also ein Gebiet des Karpatenbeckens, das wir kultivieren, seit 1100 Jahren kultivieren wir es buchstäblich, wir haben es eingerichtet, und man hat doch gegenüber dem eigenen Boden oder Garten Verpflichtungen, auch dann, wenn man ihn nicht gekauft, sondern geerbt hat, sagen wir von den eigenen Eltern, da gibt es eine Verpflichtung, und man muss es machen. Ganz gleich, ob wir das verstehen oder nicht verstehen. Das ist eine Aufgabe in unserem Leben, das gibt etwas zu unserem Leben hinzu, das hebt das Gewicht unseres Lebens – oder ist das eine schlechte Verpflichtung, von der wir uns befreien wollen? „Lassen sie mich mit diesem vielen Unfug zufrieden“, denn dann sollten wir zu den Liberalen gehen, denn dort gibt es dies. Also muss man das als erstes entscheiden. Und je mehr Menschen in Ungarn geboren werden und aufwachsen, die der Ansicht sind, Ungar zu sein ist erstens gut, zweitens fantastisch, drittens eine Ausnahme, vier es ergibt sich daraus eine Verpflichtung, diese Verpflichtung zu erfüllen, der Heimat zu dienen ist gut, dann werden wir viele sein, und die Eins wird nicht nur 11 Jahre stehen, sondern auch noch länger.
Wir sind viele, die wir das Gefühl haben, dass im Zeitraum des Kommunismus die damalige Macht im Wesentlichen alles dafür getan hat, in Ungarn die Normalität aus den Menschen auszumerzen. Und wenn man mit offenen Augen in der heutigen Welt herumgeht, dann sieht man Beispiele dafür, nur jetzt nennen sich die damaligen Kommunisten als westlicher Mainstream, Elite oder wie auch immer sie sich bezeichnen. Sehen Sie irgendeinen Unterschied zwischen den damaligen Kommunisten und dem heutigen westlichen Mainstream?
Treten wir einen Schritt zurück. Alle Anwesenden haben entweder die Universität besucht oder besuchen die Universität, und um diese komplizierten Fragen zu verstehen, mit welchem früheren Zeitraum das, was jetzt ist, in eine Analogie gesetzt werden kann, und die frische Formwandlung welcher früheren Formationen das ist, was wir jetzt sehen, dazu muss man denken können. Und die erste Sache, die mir zu dieser Frage einfällt, ist, dass mich manchmal meine Kinder und ein anderes Mal andere Menschen fragen, was sie lernen sollen, welche Universität sie besuchen sollen? Ich pflege ihnen zu sagen, dass es beinahe egal ist, du wirst das schon finden, was dich interessiert. Wichtig ist, dass du an einen Ort gehst, wo du den ganzen Tag über unter vielen klugen Menschen sein kannst. Nur das zählt. Und ob dann daraus ein Arztdiplom oder ein Ökonomendiplom oder ein juristisches wird, das ist aber eine sekundäre Sache, das Wesentliche ist, dass du die Möglichkeit deines Lebens ergreifst, unter vielen klugen Menschen zu sein, und dass du so komplizierte Fragen, was das ist, inmitten dessen du lebst, wie man das auffassen muss, ob man es mit irgendeinem früheren Zeitraum vergleichen kann, zu beantworten in der Lage bist. Das hatte ich auch nicht gekonnt. Ich habe dies verstanden, ich hatte auch großes Glück, natürlich, ich hatte verstanden, dass das Wesentliche der Universität ist, ständig unter klugen Menschen zu sein. Und ich hatte Glück, denn damals gab es gerade so etwas, wir befinden uns am Anfang der ’80-er Jahre, es gab auch eine solche große Bewegung in der universitären Welt, und talentierte junge Dozenten traten hervor, die gerne unterrichteten, und uns unterrichten wollten. Und auch die Opposition, jene demokratische Opposition, aus der dann später der SZDSZ entstand, bestimmte Teile dieser erschienen bereits zumindest an den Rändern der Öffentlichkeit oder man konnte dort auf sie treffen, und die nationalen großen Büffel des späteren MDF, um es so zu formulieren, die haben sich gerade von der Literatur in die Richtung der Politik bewegt. Es gab also damals sehr viele kluge Menschen in Ungarn, man musste nur die Vorlesungen besuchen, man musste die Seminare besuchen, man musste die fliegenden Universitäten besuchen. Nun, das ist meiner Ansicht nach das Wesentliche. Und dann wirst du verstehen, was das ist, worin du steckst, wer selbst du im politischen Sinn bist, womit das in den vergangenen Jahrzehnten in Verbindung gestellt werden kann, was du vertrittst, und womit deine Gegner in Verbindung gestellt werden können. Mit den Liberalen und den Kommunisten haben wir es nun deshalb schwer, weil das auf den ersten Blick zwei weit voneinander entfernt liegende Welten zu sein scheinen. Wenn du kommunistische Fachliteratur liest, sagen wir das Kommunistische Manifest, und du liest ein liberales Manifest, dann wirst du spüren, das ist wie Himmel und Erde. Doch dann wirst du überrascht sein, wenn du siehst, dass, sagen wir nach dem Zusammenbruch eines kommunistischen Systems der Großteil der Kommunisten zu Liberalen wird, dabei hättest du gedacht, dies sei unmöglich, die beiden seien so weit voneinander entfernt und doch gibt es da irgendetwas. Es gibt also irgendeinen Zusammenhang, über den es sich nachzudenken lohnt und worüber es sich lohnt, mit klugen Menschen zu sprechen, was denn die Lösung dieser Frage sei? Und dann kommt man dahinter, dass die Trennlinie in Wirklichkeit sich bei dem Verständnis dessen zieht, was der Mensch ist. Also so überraschend das auch sein mag, aber bei der Frage, was das Wesen des Menschen ist, wodurch der Mensch ein Mensch ist. Darin ähneln sich die Kommunisten und die gegenwärtigen Liberalen, also ich würde die freigeistige ungarische Tradition von Lajos Kossuth und von Deák nicht hierher zählen, aber die nach den 1900-er Jahren entstandene linksliberale, progressive politische Philosophie. Da wird man sehen, dass in diesen Fragen – was du über den Menschen selbst denkst – und aus den Antworten, die auf alle hieraus entspringenden politischen Fragen zu geben sind, ergibt sich, dass es dort eine Ähnlichkeit gibt. Und in der heutigen Welt gibt es jene Ähnlichkeit, die es früher vielleicht nicht derart deutlich gab, aber jetzt vorhanden ist, dass die Liberalen und die auf ihrer Seite stehende Linke mit Bestimmtheit sagt, im Leben gebe es eine einzige wichtige Sache, diese bist du selbst. Es gibt auch andere Dinge im Leben, aber am wichtigsten bist du selbst. Und hieraus muss man alles verstehen, deine Freiheit, deinen Wohlstand, deine Zeit, deine Lebensform – diese zählen. Und das besitzt in der westlichen Welt ein großes politisches Lager. Und das beinhaltet die gesamte Linke, von den Kommunisten bis zu den Liberalen. Und es gibt eine andere Auffassung des Menschen als Wesen, das ist das andere Lager, nennen wir es jetzt die Rechten oder die Konservativen oder wie auch immer, das sagt, natürlich sind wir schließlich auf der Welt um glücklich zu sein, aber nach einer Weile kommen wir dahinter, dass es auf der Welt einige Dinge gibt, die für uns wichtiger sind als wir uns selbst. So etwas ist unsere Familie, besonders wenn wir schon ein Kind haben. So etwas ist unsere Heimat. So etwas ist auch Gott und das Verhältnis zu ihm. Diese existierten alle auch schon vor uns. Und wenn diese wichtiger sind als ich, dann muss man bei der Planung des persönlichen Lebens auch auf die Frage eine Antwort finden, wie du der Sache, die wichtiger als du bist, dienen möchtest? Und hieraus entspringt eine ganz andere Politik als aus der vorausgehenden Beschreibung. Und deshalb ist es so, dass die linken vielleicht alle in jenem gleichen Lager sind und wir sind sehr bunt in diesem Lager, doch die Trennlinie besitzt keinen ideologischen, keinen politischen, sondern einen – ich weiß nicht, ob der Begriff korrekt ist – anthropologischen Charakter. Wir sind aufgrund der Ansichten, die wir über den Menschen vertreten, auf der einen und auf der anderen Seite. Und in diesem Sinn können wir sagen, dass nicht zufällig an die gleiche Stelle das kam, was wir für kommunistisch, links, liberal, progressiv halten, und auf die andere Seite die Konservativen. Bei den konservativen ist es das Problem, und das verursacht eine gewisse Verwirrung, dass grundsätzlich – wenn ich die konservativen politischen und geistigen Kräfte betrachte – zwei Schulen existieren, und wenn sie sich auch voneinander unterscheiden, so gehören sie doch dem gleichen Lager an. Es gibt jene, die die Dinge, die wichtiger als du sind, deine Familie, deine Heimat, deine Religion, dein Bekenntnis, dein Verhältnis zu Gott, die Ansichten darüber oder solche Gedanken auf die Weise anordnen, dass dies die vernünftigen Antworten sind. Also wie der Engländer sagt: common sense, ich bin konservativ, weil ich mich vernünftig zu den Dingen stelle. Sagen wir ich respektiere die Würde des Menschen, weil es besser ist, so zu leben, wenn wir den Menschen, den anderen Menschen respektieren, als wenn wir das nicht tun. Das ist eine konservative Ansicht. Und dann sagt der andere Zweig des Konservativismus, dass es in der Welt heilige Dinge gibt, die das Leben oder unsere Feinde ständig profanieren wollen und das muss unter allen Bedingungen verhindert werden. Das ist der christlich-demokratische Zweig des Konservativismus. Auch er unterstützt die Würde des Menschen, aber nicht, weil es vernünftiger ist, so zu leben, sondern er sagt, der Mensch ist nach dem Antlitz Gottes erschaffen, und wenn Gott den Menschen nach seinem Ebenbild erschuf, dann ist er eine heilige Sache, man muss ihm die Würde, man muss ihm den Respekt geben. Er sagt das Gleiche, nur anders. Damit will ich also nur sagen, dass wir sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite der von mir beschriebenen großen, in der Mitte getrennten Landkarte jeweils äußerst bunte Welten finden, doch trotzdem konvergieren die auf die menschlichen Existenzfragen und so auch auf die politischen Fragen gegebenen Antworten sowohl auf der Linken als auch auf der Rechten, weshalb es auch immer noch nicht unzeitgemäß ist, über ein links-rechts, fortschrittliches, progressives, liberales, eventuell konservatives Einander-Gegenüberstehen zu sprechen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit wir noch haben, aber ich würde einen geistesgeschichtlichen Exkurs machen, den ich für interessant halte und der zu der heutigen Politik führt. Wenn ich also zwei Minuten bekomme, dann würde ich das noch ausführen.
Ich gewähre sie Ihnen.
Wenn wir also historische Arbeiten aus der zweiten Hälfte des 19., aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lesen, dann werden wir die Erfahrung machen, dass die spannendsten Debatten, die voneinander am entferntesten liegenden anthropologischen Konzeptionen und Debatten so aussehen: In der grünen und blauen Ecke die Liberalen, in der roten Ecke die Konservativen. Und auf einmal sehen, wir, dass diese Lager anfangen, sich anzunähern, und so wie der Faschismus und der Kommunismus erscheint, knüpfen sie ein Bündnis miteinander. Und diese Trennlinie verschwindet und in Wirklichkeit tritt in die europäische politische Philosophie eine Einteilung ein, nach der die totalitären Systeme auf der einen Seite und die Demokratie, die Freiheit auf der anderen Seite stehen. Das konservativ-liberale Bündnis auf der einen Seite, Faschisten, Kommunisten auf der anderen Seite. Konservativ-liberales Bündnis auf der einen Seite, Faschisten, Kommunisten auf der anderen Seite. Die Faschisten hatte man ja im Zweiten Weltkrieg liquidiert, und 1990 gelang es, die Kommunisten zu besiegen, die Sowjetunion brach zusammen, die Hand, die die Marionetten geführt hatte, verschwand hinter uns und das Ganze brach zusammen. Und die Liberalen, die übrigens im Allgemeinen schneller sind als wir, sind dahintergekommen, dass es mit dieser traditionellen Aufteilung eben bald vorbei ist und jene Welt zurückkehren wird, die es im Übrigen vor dem Erscheinen der totalitären geistigen Strömungen gegeben hat, die spannenden, wirklich ernsthaften Debatten wird es erneut zwischen den Liberalen und den Konservativen geben nach 1990. Und darauf haben sie sich sehr schnell eingerichtet. Sie haben alle Institutionen besetzt, die nötig waren, sie haben den sprachlichen Rahmen ausgearbeitet, wie man all das auf eine für sie günstige Weise beschreiben kann, was nach 1990 geschieht. Hierher kommt der Begriff der liberalen Demokratie. Die Demokratie ist notwendigerweise liberal. So etwas konnte man früher nicht sagen, das hat man sich damals ausgedacht. Früher konnten auch Demokratien anderer Art existieren, heute ist das schon verboten, es gibt nur die liberale Demokratie. Und sie sind im Grunde in eine hegemoniale Position gelangt bei dem Gebrauch der Instrumente zur Formung des öffentlichen Diskurses, der Formung des Denkens und der Gedanken: der Universitäten, der Stiftungen, der Medien. Und die Konservativen waren glücklich, dass der Kommunismus endlich vorbei ist und man endlich frei leben kann. Und bis sie erkannt haben, dass inzwischen die andere Seite, die hinsichtlich der Zukunft des Menschen eine andere Position vertritt als wir, sich international und auch hier Zuhause bereits organisiert hat, da begannen wir uns erst zu kratzen, und auch seitdem gibt es einen Rückstand von gut zehn Jahren, den wir nicht abarbeiten können. Deshalb muss ich sagen, dass die, nennen wir sie so, die liberalen demokratischen Kräfte in der attraktiven, mediatisierten Formulierung der Ausformung der sprachlichen Rahmen auch international noch uns weit voraus sind, und die konservativen demokratischen Kräfte sind im Rückstand. Diese Arbeit müsste nachgeholt werden, nur ist ja das Problem, dass es auf der anderen Seite eine große Übermacht gibt. Eine stabile Mehrheit auf der konservativen Seite gibt es nur in Ungarn. Und dazu ist also ein sehr großer Hintergrund notwendig, sehr viele Menschen, die nachdenken, schreiben, Universitäten, an denen unterrichtet wird, Stiftungen, in denen nachgedacht wird, also wir haben meiner Ansicht nach hinsichtlich der Ausmaße und der Qualität noch immer einen Rückstand, international gesehen. Über Ungarn würde ich das nicht sagen, dort gilt, was ich sagte, dass die ungarische Linke schon dorthin läuft, wo der Ball ist, also viel Verstand ist dazu nicht notwendig, doch international existiert dieser Rückstand der konservativen Weltsicht noch.
Welchem Umstand ist das im Übrigen zu verdanken, was Sie erwähnt haben, dass die tatsächliche rechte Mehrheit und Kraft, die gibt es im Wesentlichen, wie Sie darauf hingewiesen haben, nur in Ungarn.
Weil die Goliathe an den anderen Stellen gewinnen können. Also wenn Sie, sagen wir nach Deutschland gehen und sich die deutsche Presse anschauen, und sagen wir Sie nehmen sich ein Thema vor, das den politischen Raum strukturiert, ihm eine Struktur gibt, und sich anschauen, was die deutsche Presse über den Krieg schreibt, dann schreiben im Wesentlichen alle deutschen Presseorgane das Gleiche über den Krieg. Der Unterschied ist lediglich, dass nach Ansicht der linken Presse die Ukrainer den Krieg bereits gewonnen haben und Putin bereits beerdigt worden ist. Laut der rechten deutschen Presse wird das erst übermorgen so sein. Das ist in etwa der Unterschied. Und es gibt keine andere Stimme, und man lässt es auch gar nicht zu, dass eine entsteht, und wenn sie auch entsteht, so lässt man sie nicht aufkommen. Aber das Gleiche gibt es, um etwas Heftigeres zu nennen – dass so etwas in Deutschland vorkommt, das haben wir aber doch schon gesehen, das haut also einen nicht so sehr um –, aber in Amerika. Nein? Also man kann den Kandidaten für das Amt des Präsidenten mögen oder nicht mögen, nun, aber ihn verfolgen? Einen ehemaligen Präsidenten, der erneut Präsident sein möchte? Und das geschieht. Also die Wahrheit ist, dass es deshalb kein international wettbewerbsfähiges, organisiertes konservatives Kraftfeld gibt, weil der Gegner seine zehn Jahre Vorsprung in den Positionen, in den gelaufenen Runden sehr geschickt ausnutzt, und wir internationale Konservative oder international organisierte Konservative leider nicht talentiert genug sind, nicht in ausreichendem Maß durchhalten, nicht genug Arbeit in die Sache investieren und diesen Rückstand nur sehr langsam abarbeiten können. In Ungarn haben wir in dieser Hinsicht Glück gehabt, das sollten wir nicht leugnen. Also damit sie am Ende des Kampfes deine Arme in die Höhe heben und du gewonnen hast, dazu sind zwei Dinge nötig. Die eine Sache ist, dass du gut sein musst und der andere nicht. Und das hat doch hier gezählt. Also so etwas – und ich sage nicht, wohin sie sich selbst getreten haben –, aber so etwas gibt es in der Weltgeschichte nicht, dass jemand die Möglichkeit zu acht Jahren Regierung erhält und diese so endet, dass praktisch alles auseinanderfällt. Die Wegnahme der Renten, aber alles zerfiel, und dann flüchtet der Hauptdarsteller vom Podium und dann, ich weiß nicht, ob Sie sich daran erinnern, das ist schon lange her, und soweit ich das sehe, sind Sie ziemlich jung, aber sagen wir, wir sind im Jahr 2009 und dann gibt es ein Casting, die Linke entscheidet auf die Weise über die Person des Ministerpräsidenten, dass es ein Casting gibt. Schauen Sie sich das nachträglich an! Chaplin ist gar nichts dagegen! Also dieses ganze Casting ist so, und die Menschen erinnern sich daran. Und dann kommt noch hinzu, da die Linke Sprachtalent besitzt, formuliert sie ihren eigenen Blödsinn auf sehr talentierte Weise. Also der Satz ist ein in der Weltgeschichte für lange Zeit nicht zu übertreffender Weltrekord, laut dem „wir haben am Mittag, am Morgen, am Abend gelogen“ – oder wie muss man das sagen? „Wir haben am Morgen, am Mittag und am Abend gelogen.“, sagt über sich selbst der Ministerpräsident. Die einzige Frage bleibt, was er am Nachmittag gemacht hat? Nicht wahr? Also so etwas hat die Linke im Westen nicht mit sich angestellt. Also wir mussten, darüber hinaus, dass wir uns gut organisiert haben, also wir haben viel Arbeit darin investiert, wir haben unermesslich viel Arbeit verrichtet, wir sollten also unsere eigenen Verdienste nicht schmälern, aber dazu, dass es eine stabile, langfristige und starke Mehrheit gibt, dazu – denn das ist ja ein Kampf – ist eben auch der andere notwendig. Aber auch heute. Jetzt haben wir vorhin an diesem Punkt begonnen, dass David und Goliath, es waren also sicher auch welche von der anderen Seite hier.
Das waren sie.
Das ist also ein Land, damit darf man nicht spaßen. Also ein Land zu führen, die Verantwortung für die Führung eines Landes zu übernehmen, hierin dessen Steuersystem, die wirtschaftlichen Angelegenheit, die öffentliche Verwaltung, die Außenpolitik, wegen des Krieges die Armee mit inbegriffen, also die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass all dies unsere politische Gemeinschaft leiten wird und die aus unseren Reihen entstammenden zehn und einige Menschen werden die Regierung mit dem Menschen an der Spitze sein, der der Ministerpräsident ist, was eine starke Position im ungarischen konstitutionellen System bedeutet – also da geht es doch wirklich nicht um Murmeln. Und wir werfen tatsächlich einen Blick auf die andere Seite und sagen dann: „Ist das wirklich ernst gemeint? Tatsächlich, ist das ernst gemeint?“ Ich will damit also nur sagen, bevor wir uns selbst loben würden, sollten wir bescheiden sein, denn wir hatten Glück mit unseren Rivalen, wir hatten großes Glück. Der liebe Gott hat die vierzig Jahre zurückgezahlt, die er uns genommen hat.
Wenn wir also hier den großen britischen Geist, Churchill, beschworen haben, dann sollten wir doch unseren Hut ziehen oder nicht ohne ein Wort an der angelsächsischen Fähigkeit vorbeigehen, dass es keinen Positionswechsel gibt, den sie moralisch nicht auf eine für sie vorteilhafte Weise deuten könnten.
Das stimmt.
Also jetzt ist der Inhalt des Gedankens an sich schon eine interessante Frage, doch wenn jemand die internationale Politik betrachtet, dann wird er sehen, dass die Angelsachsen die am weitesten entwickelten Exemplare der politischen Annäherung sind, bei der sie nicht einfach eine internationale Position in Zusammenhang mit einem anderen Land ausbilden, sei es Handelspolitik, Krieg oder Frieden, sie geben sich also nicht damit zufrieden, zu formulieren, was ihr Interesse ist, und sie sagen: Das ist unser Interesse und dementsprechend werden wir im Rahmen der christlichen Menschenliebe, des internationalen Rechtes und von was weiß ich noch was verfahren. Das reicht ihnen nicht. Das Wesentliche der angelsächsischen Argumentation ist: „Ich habe moralisch Recht.“ Ach so, dass dies das Entgegengesetzte dessen ist, was ich gestern gesagt habe, das ist nicht interessant.“ Diese Umkehrung machen sie am besten. Und wenn sie auch jetzt die Kanäle der angelsächsischen Öffentlichkeit hinsichtlich internationaler Dinge, der Krieg in der Ukraine, ganz gleich worum es geht, im Falle jedweden internationalen Dilemmas, dann werden Sie sehen, dass ihre erste Sache die moralische Fundierung ist, ihr Standpunkt ist moralisch richtig. Und damit ist das vernünftige Gespräch im Großen und Ganzen auch zu Ende, denn wenn ihr Standpunkt der moralisch richtige ist, dann ist der der anderen moralisch falsch. Das ist also eine wichtige Sache, dass diese Kultur es ist, die die europäische Politik von den Angelsachsen erhalten hat, und diese lebt bis auf den heutigen Tag sehr stark. Sie wird grundlegend von Liberalen angewendet. Die „Gutmenschentum“ genannte Sache baut auf einen natürlichen menschlichen Instinkt auf, denn wir alle möchten gute Menschen sein, doch was der gute Mensch ist und wer ein Gutmensch ist, das bestimmen sie im Voraus, und deine Position, wenn sie nicht mit der ihrigen übereinstimmt, dann kannst du kein guter Mensch mehr sein. Aber du hast nicht nur Unrecht, du hast nicht nur falsch kalkuliert, du verfügst nicht über ausreichend Kenntnisse, nein, du bist ein schlechter Mensch! Das ist heute die Logik des internationalen Diskurses. Also soviel zu Churchill, Verzeihung! Was war die Frage? Ach ja, warum sich alles geändert hat.
Die Rebellion besteht heute darin, rechts zu sein.
Das ist deshalb so, weil ja ’68 – auch hier gibt es ein-zwei interessante Bücher, auf die ich Sie aufmerksam machen möchte – man die Parole ausgegeben hat bzw. die ’68-er haben die Parole ausgegeben, mag sein, dass das einige Jahre später geschah: Der Marsch durch die Institutionen. Und sie haben die Institutionen besetzt. Jene Institutionen, in denen die Gedanken formuliert werden, die Gedanken produziert und formalisiert werden. Hieran ist im Übrigen auch die NATO schuld, denn nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einige Länder, in denen ernsthaft die Gefahr bestand, dass mit der Unterstützung und Finanzierung durch Stalin und Konsorten in Westeuropa kommunistische Parteien an die Macht hätten kommen können. Und die Amerikaner haben überall dort, wo diese Gefahr bestand, eine historische Vereinbarung getroffen, laut der die Armee und die Regierung bei den NATO-freundlichen Konservativen verblieb, die Rechtsprechung, das geistige Leben, das Verlagswesen, die Universitäten gingen an die Linken. Sagen wir Italien ist ein typisches Beispiel hierfür. Doch ist das nicht das einzige Land. Hinzu kommt also noch, dass sie wussten, dorthin müssen sie einmarschieren, und die Konservativen wussten nicht, dass dies im Übrigen später gewaltige Folgen haben würde. Ich habe in dieser Hinsicht Glück beim Verstehen, denn als ich meine Diplomarbeit an der Universität schrieb, die ich übrigens in dem „Politische Bewegung im politischen System“ benannten, vollkommen unbedeutend und langweilig erscheinenden Thema schrieb, habe ich in Wirklichkeit untersucht, welche Veränderungen die antikommunistischen Bewegungen im Politiksystem erreichen können. Und besonders wie die polnische Bewegung mit dem Namen Solidarność ’80-81, die ja nicht zu einer Institution werden konnte, es gab keine Parlamentswahlen, es war eine Bewegung, ein System von Verbindungen unter und eine Aktionsgemeinschaft von Menschen, wie diese das politische System umformte. Und ein junger Dozent namens Tamás Fellegi war mein Tutor, bei dem ich meine Diplomarbeit geschrieben habe, und er sagte, wenn ich mich damit beschäftigen will, dann muss ich unbedingt Gramsci lesen. Nun ist Gramsci bei den Linken die Heilige Schrift. Und so kam er in meine Hände, zwar im Zusammenhang mit der Geschichte der osteuropäischen Widerstandsbewegungen, aber eine echte linke Bibel über die Macht gelangte in meine Hände. Und Gramsci schreibt das, was die Polen im Übrigen in rechter, christlichen Variante ’80-81 gemacht haben: Wenn die politische Macht in den Händen deines Gegners liegt und du kannst sie von dort nicht wegnehmen, so wie zum Beispiel in den kommunistischen Systemen, zum Beispiel in Polen in der Hand der kommunistischen Partei liegt, dann setze dir nicht zum Ziel, das Zepter aus ihrer Hand zu zerren, denn du kannst es ihnen nicht wegnehmen, sondern verändere jenes kulturelle Umfeld, jenen Kontext, in dem die Ausübung der Macht erfolgt. Und wenn du das verändern kannst, wenn du bestimmen kannst, was gut, was schlecht, was das Richtige, was das Falsche, was das Schöne, was das Hässliche, was zielführend, was nicht zielführend ist, wenn diese Fähigkeit bei dir ist, dies festzulegen, dann wirst du auch früher oder später die institutionelle Macht übernehmen. Das ist Gramsci. Ich habe das jetzt sehr primitiv vorgetragen. Er hat ja die meiste Zeit seines Lebens im Gefängnis verbracht, dort schrieb er diese Briefe, dazu hatte er emotional gutes Material, er saß ja in einem rechten Gefängnis, doch er hat die Theorie dessen ausgearbeitet und diese ist in der einen und der anderen Form dann später auch in Mitteleuropa aufgetaucht, bei den Polen um ’88. Ob sie nun Gramsci gelesen haben, das weiß ich nicht, aber die christliche Rechte tat damals in Polen das, was Gramsci in den ’30-er Jahren empfohlen hat. Also die Linken haben das alles gelesen und das kennen sie alle und sie arbeiten aus all dem. Und die Rechte muss lesen. Sie muss die Literatur, die Fachbücher des Gegners lesen, weil wir verstehen müssen, weil wir aus diesen verstehen können, was sie machen, warum sie es machen, und dann können wir Gegenstrategien, oder taktische Gegenzüge ausarbeiten. Wie sind wir hierhergekommen?
Der Konservativismus ist die Rebellion, aber wir verstehen die Aufgabe.
Ach ja. Und nachdem die ’68-er die Institutionen besetzt hatten, Verzeihung, besitzen sie auch noch das Wissen, warum es notwendig ist, diese zu behalten, deshalb sind heute sie an der Macht. Im Fidesz sagte man nach 2002, als wir die Wahlen verloren hatten – ein bisschen hinkt der Vergleich, doch das Wesentliche erfasst er sehr gut – dass wir zwischen 1998 und 2002 an der Regierung gewesen waren, jedoch nicht an der Macht. Nun, das ist hier das Wesentliche. Deshalb sind wir die Rebellen, denn die Macht ist in der Hand der Linken. Und rebellieren muss man gegenüber der Macht, dann, wenn die Macht lauter Dinge mit uns tun will, die wir nicht möchten. Und die Linke will die Macht für lauter Dinge nutzen, angefangen mit der Migration über Gender, nationale Identität und in zahlreichen Angelegenheiten, die wir nicht wollen. Und dagegen muss man rebellieren. Und natürlich wollen wir auch nicht, dass man uns ausplündert, denn nebenbei gesagt am Ende tauchen die linken Geschäftsleute immer auf, die nebenbei das eine oder das andere Land ausplündern, während sie im Gramscischen Sinn auch dessen kulturellen Kontext umgeformt haben, doch sie bücken sich auch um der kleinen klimpernden Forints wegen. Wenn wir nicht wollen, dass man uns ausplündert, dann muss man widerstehen und kämpfen, das heißt rebellieren.
Also dann wird Ungarn und die europäische Rechte im kommenden Jahr die Möglichkeit haben, zu rebellieren: Es werden Wahlen zum europäischen Parlament abgehalten. Ich gebe ganz ehrlich zu, womit ich rechne, ist, dass das keine durchschnittlichen Wahlen zum europäischen Parlament sein werden. Was für Kräfte werden im kommenden Juni zusammenstoßen?
Die Wahrheit ist, dass wir schon so oft falsche Hoffnungen an die europäischen Wahlen geknüpft haben.
Aber ich darf noch begeistert sein.
Ja, ja. Sie sind jünger, Dani, also Sie können noch begeistert sein, ja, ich bin schon ein bisschen verbraucht, aber egal, denn wie der Spruch es ja sagt: „Ein alter Mann ist kein greiser Mann.“ Wir werden also noch einen Anlauf nehmen. Aber es gibt ja, nicht wahr, alle fünf Jahre europäische Wahlen. Und ich hatte immer gehofft oder es so gesehen, dass es eine Chance gibt, diese aus dem ominösen linksliberalen Europa ein Imperium errichten wollende Kraft zu bedrängen. Unser Problem ist, dass jene Gegenkraft, deren Aufgabe es am vordringlichsten wäre, gegenüber dieser europäischen Imperiumerrichtung sich für die Nationalstaaten und die nationale Unabhängigkeit einzusetzen, nennen wir sie das größte europäische rechte Bündnis, die Europäische Volkspartei, sie erfüllt ihre Mission nicht. Sie macht ihre Arbeit nicht, wenn ich so formulieren darf, anstatt diese andere, tatsächlich mit Blut und Schweiß, mit vielen Schwierigkeiten aufbaubare andere Alternative, die andere Möglichkeit zu errichten und diese den europäischen Menschen anzubieten – sie kooperiert ständig, bildet Koalitionen, übernimmt, akzeptiert durch die Linke festgelegte Themen, Beschreibungen, Sprachen, sprachliche Rahmen usw. Und deshalb müssen wir von der rechten Seite des rechten Spielfeldes aus versuchen, zuerst die gemäßigte Rechte dazu zu drängen, nicht die Zusammenarbeit mit der Linken zu suchen, sondern sich endlich für die eigenen Werte einzusetzen und zu erkennen, dass man für deren Verwirklichung nicht mit der Linken kooperieren muss, sondern mit der Rechten. Die Rechte ist nicht ohne Fehler, auch hier gibt es alles, Gras-Bäume-Blumen, und natürlich erreicht nicht jeder das Niveau der Salonfähigkeit. Insgesamt befinden sich aber jene Wahrheiten, um deren Willen wir in der Politik sind, hier auf der rechten Seite. Und deshalb sollte die Rechte zusammenarbeiten. Unsere Tat war ja, wenn man – mit der nötigen Bescheidenheit – das sagen darf, nach 2002 in Ungarn, dass wir diese einheitliche größere Seite aufgebaut haben. Das ist eine sehr heterogene, bunte, spannende, viele innere Diskussionen führende Rechte, verschiedene geistige Strömungen schreiten innerhalb dieser voran. Verschiedene historische Traditionen leben nebeneinander, es gibt Menschen mit unterschiedlichem Habitus, es gab auch vor mir Menschen mit einem anderen Habitus als der meine, nehme ich an, das ist also eine bunte Welt aber dass wir zusammen sein müssen, weil wir ansonsten unsere eigene Überzeugung, unser Programm, unsere Wahrheit, das was wir als Wahrheit ansehen, nicht werden zum Sieg führen können, wenn wir nicht kooperieren, wenn wir ständig auf die andere Hälfte des Spielfelds hinüberzwinkern. Besonders wenn wir auch noch auf die Presse hereinfallen, weil wir glauben, die demokratische Qualität, die Salonfähigkeit unseres Standpunktes hinge davon ab, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung, d.h. die Mainstreampresse schreibt. Wenn wir ständig wollen, dass sie uns loben sollen, was für tolle demokratische Hechte wir doch seien, dann wird daraus nur ein Sieg der Linken. Es ist natürlich unangenehm, auf sich zu nehmen, dass dort nur schlechte Dinge über uns geschrieben werden. Na, aber das ist doch das Richtige! Wir befinden uns dann auf der richtigen Bahn, wenn man dort nur schlechte Dinge über uns schreibt! Wir können vom Gegner nicht erwarten, dass er Gutes über uns schreibt. Das ist aber eine Schlacht. Und ich will sagen, in ihr stehen wir nicht gut da, die europäische Einheit der Rechten existiert heute nicht. Der Fidesz musste auch aus dem Grund die Europäische Volkspartei verlassen, weil die schon derart links war, ich übertreibe jetzt etwas: Da hätten wir mit der gleichen Energie auch der Ungarischen Sozialistischen Partei beitreten können, das hat keinen Sinn mehr gehabt. Doch das Wesentliche und die Frage ist jetzt bei den im kommenden Juni vor uns stehenden Wahlen die gleiche, ob wohl diese Einheit der Rechten zustande kommt und wenn ja, ob sie gegenüber der Linken eine Mehrheit erhält. Das ist die große Frage. Hierfür sind meiner Ansicht nach die Chancen heute besser als vor fünf Jahren und viel besser als vor zehn Jahren. Ich bin also trotz meiner Enttäuschungen, da ich diese Wende früher erwartet hatte, nicht pessimistisch, die Chance dafür besteht, es lohnt sich, dieses Ziel zu verfolgen, ja das müssen wir sogar tun, denn auch die auf unsere eigene Heimat lauernden größten Gefahren kommen aus Brüssel. Und, nicht wahr, auch hier, ich weiß nicht, damit wir nicht durcheinanderkommen, möchte ich einen einminütigen Exkurs machen, wenn das möglich ist, um das in einen Kontext zu stellen, was ich sagen möchte. Als das Römische Reich zusammenbrach… Ich beginne zeitlich etwas weiter zurück.
Und das in einer Minute.
Als das Römische Reich zusammenbrach, wurde es nicht durch ein anderes Imperium gestürzt, sondern durch verschiedene Stämme. Und in seinen unterschiedlichen Teilen richteten sich unterschiedliche Stämme als Europa ein. Deshalb gibt es in Europa notwendigerweise Nationen. Spanien ist deshalb anders als Ungarn, oder ist deshalb anders, als die germanische Welt, die fränkische Erde oder die Welt der Gallier. Europa besteht also notwendigerweise aus Nationen. Europa besteht also notwendigerweise aus Nationen. Doch da war auch immer die Erinnerung an das Römische Reich, wie gut es doch wäre, wenn die vielen, sich voneinander unterscheidenden Nationen irgendwie auf die Weise kooperieren könnten, dass dies für alle von Vorteil ist, dass wir die äußeren Bedrohungen gemeinsam besser abwehren können und eventuell könnten wir auch in der Lage sein, die Welt nach unseren Vorstellungen zu gestalten, da wir gemeinsam sehr stark sind. Also in Europa eingebaut ist wegen der Geschichte die Konzeption der Nationalstaaten und – in roher Form – die imperiale Konzeption der gemeinsamen Organisierung der Nationalstaaten. Und diese Schlacht läuft. Und wir sind Ungarn, und uns weist in dieser Schlacht das ungarische nationale Interesse den Platz zu, dass wir in einem aus souveränen Staaten bestehenden Europa die Chance für ein gutes Leben haben. Für ein ungarisches und gutes Leben. Die zu bleiben, die wir sind, und zugleich erfolgreich zu sein. Dazu ist natürlich die Kooperation wichtig, doch sollte das die Ordnung der Kooperation der Nationalstaaten sein und keine imperiale Ordnung. Die andere Seite, die Linke will notwendigerweise und ständig eine imperiale Ordnung. Das ist kein den europäischen Traditionen entgegengesetzter Gedanke, sondern eine andere europäische Tradition. Und solange das Gleichgewicht zwischen dem Denken des imperialen Typs und dem nationalstaatlichen Denken besteht, arbeitet die europäische Maschinerie recht gut. Wenn dies in die eine oder andere Richtung ausschlägt, gibt es nur Probleme. Und dann bin ich nun hier angekommen. Denn das Problem gibt es heute daraus, dass die Briten ausgetreten sind. Also ganz bis dahin, dass die Briten Teil der Europäischen Union waren, haben die Briten und Mitteleuropa die souveräne Konzeption der Nationalstaaten mehr oder weniger mit dem gleichen Gewicht vertreten wie die französisch-deutsche Achse. Und es gab auch nie ein Problem… Probleme gab es immer, aber – wie soll ich es ausdrücken? – ein Problem der Art, das die Struktur der EU zerbersten würde, hat es nicht gegeben. Jetzt sind im Vergleich dazu die Briten ausgetreten und in dem Augenblick erschien das Rechtstaatlichkeitsverfahren, wie Wirtschaftsregierung. Es erschienen jene auf angelsächsische Weise, klug verpackten, als gut hingestellten Dinge, die in den Mantel der europäischen Einheit gehüllt sind, doch in Wirklichkeit ständig wichtige Elemente der Souveränität der Nationalstaaten in der Wirtschaft, der Migration, im Gesundheitswesen wegnehmen. Das Ganze ist deshalb so, weil die Konstruktion aus dem Gleichgewicht in die imperiale Richtung ausschlägt. Und wir müssen uns dagegen schützen. Und wenn wir uns nicht innerhalb der europäischen Institutionen schützen können, dann wird es Probleme geben, denn wir verteidigen uns jetzt auf nationalstaatlicher Grundlage. Und bei diesen Wahlen geht es darum, dass wir den Schauplatz des Kampfes nach Brüssel verlegen. Wir müssen diese Schlacht im Europäischen Parlament gewinnen, in der Europäischen Kommission gewinnen, im Europäischen Rat gewinnen. Der Schauplatz des Kampfes wird also nach den Wahlen die Welt der europäischen Institutionen sein. Man muss dieses Gleichgewicht wieder herstellen, denn ansonsten kommt ein Imperium der Art einer Vereinigten Staaten von Europa zustande und das wird für die Ungarn nicht gut sein. Dort können wir nur verlieren.
Zugleich ist meiner Ansicht nach eine wichtige Frage der Wahlen im nächsten Jahr auch der Themenkreis des Krieges. Wenn wir also die vergangenen anderthalb Jahre betrachten, dann sehen wir ständig, dass die Europäische Union eine Reihe strategischer Fehler begangen hat. Wird, kann – und da bin ich wieder optimistisch – der Ausgang der Wahlen zum europäischen Parlament eine Wirkung auf den Ausgang des Krieges haben oder werden das eher die amerikanischen Präsidentschaftswahlen haben?
Na, darauf habe ich mich vorbereitet. Ich habe Notizen dabei. Die erste Sache im Zusammenhang mit dem Krieg, die wir feststellen sollten, ist, dass viele Hunderttausende gestorben sind. Also allen politischen klugen Feststellungen vorausgehend sollten wir die Tatsache festhalten, dass von den Söhnen der beiden sich gegenüberstehenden Nationen mehrere hunderttausend gestorben sind. Wir sprechen über mehrere hunderttausend Waisen, Witwen, ihr Kind verlierenden Eltern. Grässliche Dinge geschehen. Das muss unbedingt gestoppt werden! Am wichtigsten ist, dass wir dies stoppen. Man kann ihn so nicht stoppen, wie das die in Wirklichkeit den Krieg fortsetzen wollende internationale Gemeinschaft, die liberale Gemeinschaft empfiehlt, dass es zuerst einen Friedensplan geben soll und dann wird er aufhören. Das ist nicht so. Zuerst ist eine Feuerpause nötig. Wenn es eine Feuerpause gibt, gewinnen wir Zeit, um einen Friedensplan aufzustellen und danach kann man dann mit Hilfe eines Friedensplanes eine neue, stabile Epoche beginnen. Also zuerst ist unbedingt eine Feuerpause nötig: Sofort, ohne Vorbedingungen, so schnell es geht. Jetzt in der Zeit, in der wir hier sitzen, auch jetzt sind ein Dutzend Menschen in den zwei Minuten gestorben, die ich geredet habe. Es gibt verschiedene Schriften, ich will mich jetzt auf keine der Statistiken der beiden Seiten berufen, aber es gibt sie. Die eine Seite besitzt Statistiken, laut denen die Überlebensdauer der in die Frontlinie dirigierten Soldaten vier-sieben Tage beträgt. Sie ziehen dich ein, bilden dich aus, schicken dich raus und nach sieben Tagen stirbst du, es kann aber sein, dass das schon nach vier Tagen geschieht. Und dann kommt der Nächste. Da geschieht also ein Grauen, was wir gar nicht spüren. Zu Beginn haben wir das vielleicht noch verspürt. Aber irgendwie sehe ich, dass hier das zu einem Teil unseres Alltags geworden ist, dass es dort in der Zwischenzeit einen Krieg gibt. Und wir reden hier kluge Dinge über alle möglichen Zusammenhänge des Krieges, während dort, während wir hier drin sitzen und uns unterhalten, Menschen zu Dutzenden sterben. Wir sprechen also über eine grässliche Sache. Das ist das Erste, was ich klarstellen möchte. Jetzt sprechen wir hiernach darüber, welche Fehler wir begangen haben. Der Hauptfehler, jetzt möchte ich schon über unsere eigenen Fehler, die der Europäer sprechen. Der erste Fehler war, dass wir entschieden haben, diesen Krieg zu globalisieren. Wenn ein Konflikt ausbricht, hast du als äußerer Akteur zwei Möglichkeiten, besonders wenn du über Stärke verfügst: Du lokalisierst ihn oder du globalisierst ihn, du limitierst ihn oder du weitest ihn aus. Und das einzige Land, das am Tag nach dem Ausbruch des Krieges – ich sagte dies persönlich in Brüssel – sagte, es sei am wichtigsten, ihn sofort zu lokalisieren, war Ungarn. Worauf die angelsächsischen Gutmenschen sagten: „Nein, denn die Gerechtigkeit muss siegen.“ Und dann sagten sie, was ihre Wahrheit ist. Und sie haben den Krieg globalisiert. Und sie haben sich eine Konstruktion ausgedacht, jene wie der Krieg jetzt geführt wird. Das ist eine sehr sonderbare Konstruktion. Wer das nicht tagtäglich verfolgt, kann das vielleicht gar nicht identifizieren. D.h. seitens des Westens wird der Krieg entsprechend einer Strategie geführt, nach der die Ukrainer kämpfen und sterben, und wir geben dafür Geld, Informationen und Waffen. Und wir denken, dass diese Kombination ohne unsere unmittelbare Teilnahme, indem wir Geld, Informationen und Waffen geben, und die Ukrainer ihr Leben und ihr Blut, Russland besiegen wird. Das ist das Wesen der Strategie. Und es hat sich in dem vergangenen mehr als einem Jahr herausgestellt, dass das nicht so ist. Mit dieser Strategie kann man die Russen nicht besiegen. Vielleicht kann man das mit einer anderen Strategie, ich habe da meine Zweifel, doch sollten wir niemals ausschließen, dass dies ein sinnvolles Verhalten ist. Doch diese Strategie führt uns mit Sicherheit zu keinem Sieg, sondern hat zum Ergebnis, dass das Töten weitergeht, darin können wir uns ganz sicher sein. Man muss entweder sofort Frieden machen oder dann ist eine neue Strategie nötig. Aber es gibt keine neue Strategie! Wahrscheinlich aus dem Grund, da es das zentrale Element jeder neuen Strategie wäre, da die Ukrainer wegen ihrer Verluste an Menschenleben in Nachteil geraten, weshalb Soldaten geschickt werden müssten. Das will niemand oder zumindest in diesem Moment will das niemand; wer es will, der gesteht das nicht ein, dass man es möchte, nur man traut sich nicht. Also heute stehen wir hier und die Zeit vergeht und jeden Tag sterben vierhundert, fünfhundert, sechshundert, achthundert Menschen. Auch heute, auch morgen, übermorgen und so weiter. Meiner Ansicht nach ist das ein strategischer Fehler, ein Planungsfehler, ein militärischer Planungs- und ein politisch-strategischer Fehler seitens der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten, dessen Preis auch wir bezahlen, aber den höchsten Preis zahlen die Ukrainer. Natürlich zahlen wir auch einen Preis dafür, weil wir bisher – ich spreche jetzt nur im Zusammenhang der Europäischen Union – bisher 70 Milliarden Euro an Geld geschickt haben, und gerade jetzt diskutieren wir darüber, ob wir noch weitere 50 Milliarden schicken sollen, und dann weiß nur der liebe Gott, wie viel noch. Während im Übrigen die europäische Wirtschaft mit derart schwerwiegenden Problemen zu kämpfen hat, dass jeder einzelne Eurocent nötig wäre, damit sie ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnt. Ich kann nur das Schlechteste über den Krieg sagen, also über das Beziehungssystem der europäischen Politiker zum Krieg.
In so einer Situation…
Was war die Frage?
Ich danke für die Antwort. Sie war erschöpfend, glaube ich.
Verzeihung, und darüber zu reden, ist verboten. Verzeihung für das, was ich jetzt gesagt habe, wenn ich das gegenüber irgendeiner westeuropäischen Zeitung oder auf irgendeinem europäischen institutionellen Forum sagen würde, pfiffe man mich aus, also die Politiker würden mich auspfeifen, ausbuhen, mich Blödmann nennen oder von Moral insanity sprechen, alles kommt da vor. Also diese Meinung, die ich jetzt hier vertrete, kann in der westeuropäischen Welt nicht einmal erscheinen. Bzw. sie erscheint, wenn Herr Präsident Trump auf X geht und dann ein Interview gibt, dass dann 240 Millionen Zuschauer haben wird. Es gibt also jetzt schon moderne Umwege, na, aber in die Hauptzugangskanäle kann sich dieser Standpunkt nicht hineinkämpfen. Auch deshalb muss man uns Ungarn im Voraus diskreditieren, damit wenn wir mit diesem Standpunkt herausrücken, sie dann sagen können, „ach, der Schwachsinnige redet nur Schwachsinn, das ist uninteressant.” Und wir marschieren hinein ins Unbekannte.
Es ist eine wichtige Sache, die wichtigste Sache, dass Ungarn dem Krieg fernbleibt, so sehr und mit so großer Kraft dies möglich ist, zugleich besitzt das auch wirtschaftliche Dimensionen. Gibt es hinsichtlich der Region oder hinsichtlich Europas einen ungarischen Plan, eine Lösung, einen Ausweg, der aus wirtschaftlicher Perspektive es verhindern kann, dass wir das Schicksal erleiden wie, sagen wir, Europa, das in eine bestimmte Richtung schreitet?
Das ist schwierig, denn wir sind Teil der europäischen Wirtschaft. Es gibt eine große Diskussion darüber, wieviel Eigenbewegung möglich ist, also sagen wir, wenn es in ganz Europa Probleme gibt, ob dann eine lokale Ausnahme möglich ist. Das ist eine ein bisschen komplizierte, philosophisch erscheinende Debatte, aber dabei geht es darum, ob – wenn die EU an ihrer Wettbewerbsfähigkeit verliert – irgendeiner der Mitgliedsstaaten die Möglichkeit besitzt, an der eigenen Wettbewerbsfähigkeit nicht zu verlieren, sondern diese sogar zu erhöhen. Unserer Meinung nach geht das. Doch ich würde mich nicht einmal von hier aus an die Frage annähern, sondern ich beantworte die Frage instinktiv mit ja. Es hört sich dann also natürlich so populistisch, etwas primitiv an, was ich sage, doch ist es dennoch wahr. Was wollen wir letztendlich? Wir wollen, dass Ungarn reich sein soll, zunächst einmal. Danach wollen wir, dass Ungarn stark sei. Und Ungarn seine Kraft auf das Wirken eines sicheren Ungarn verwenden kann. Und wir wollen, dass wenn Ungarn reich, stark, sicher ist, dann jedes Land der Welt uns den Respekt geben soll, der notwendig ist, damit wir uns in der Welt gut fühlen. Das wollen wir, nicht wahr? Soviel ist das Ganze. Dazu muss ein Plan vorhanden sein. Wenn es dafür keinen Plan gibt, wozu haben wir dann die Politiker? Also selbstverständlich gibt es einen Plan, so wie es auch schon 2010 einen Plan gegeben hat. Seit 2010 sind dreizehn Jahre vergangen und Ungarn ist heute reicher, sicherer und stärker als es vor dreizehn Jahren war. Über das Maß kann man streiten, es geschieht ja auch nichts anderes in der ungarischen Politik, als dass über das Maß dessen zeitweilig eine Debatte auf Kindergartenniveau geführt wird, doch kann man das nicht bestreiten, dass das Land in diese Richtung voranschreitet. Und meiner Ansicht nach funktioniert jetzt auch unter den wegen des Krieges veränderten Umständen dieser Plan auch weiterhin. Wir wissen detailliert wie man von der Demografie über die Industriepolitik sowie von der Agrarwirtschaft bis zur Militärpolitik dieses starke, reiche und ehrenwerte Ungarn aufbauen muss. Und dazu sind noch zehn Jahre nötig. Und wenn wir diese erhalten, dann wird das auch verwirklicht werden. Natürlich nicht so, dass wir es machen, und Sie hier sitzen – so wird das nicht gehen.
Teamwork…
Also ein Schlaraffenland gibt es nicht, sondern wir locken Sie oder wir rufen Sie herein, und gemeinsam werden wir es machen. Denn vergessen Sie nicht, Ungarn ist deshalb stark geworden, ist deshalb stärker, als es war, um bescheidener zu sein, weil 2010 etwa 3 Millionen 600 tausend, 3 Millionen 650 tausend Menschen arbeiteten, und jetzt arbeiten etwa 4 Millionen 800 tausend. Und es gibt keine Zwangsarbeitslager. Sondern es ist so, dass die Menschen arbeiten wollten. Es gelang also, die Ungarn in den Plan einzubeziehen, Ungarn stark zu machen, und das wird ohne Arbeit nicht gehen, wir konnten eine Million Menschen einbeziehen. Und inzwischen haben sie uns deshalb bei den Wahlen nicht vertrieben, sondern sie sagten, das sei richtig. Ich denke also, an dem großen Plan, dass es ab 2010 bis 2030-35 ein reiches, starkes, sicheres, ehrenwertes Ungarn geben soll, nimmt heute der größte Teil des Landes teil. Höchstens reden wir seltener auf solch einer abstrakten Ebene, wie wir jetzt darüber reden. Doch im Alltagsleben, sie bringen Kinder auf die Welt, sie erziehen die Kinder, bauen ein Haus, gehen arbeiten und wir schreiten voran. Und wir versuchen das Land nicht schlecht zu führen, um bescheiden zu sein, damit ihre Arbeit möglichst umfangreich und möglichst schnell einen Sinn hat. Das ist gut zusammengesetzt meiner Ansicht nach. Es ist nicht ohne Fehler, ich glaube auch nicht, dass es jemals ohne Fehler sein wird, ich argumentiere nicht dafür. Aber dass es zusammengesetzt ist, dass die Maschinerie funktioniert, die Ausrichtung stimmt, die Wagenstange in die richtige Richtung zeigt und man auf diesem Weg voranschreiten muss, ist gewiss, natürlich gibt es Krieg, man muss ihm fernbleiben, denn wenn wir hineinschliddern, dann können wir das Ganze vergessen. Man muss diesen Plan ständig instand halten. Man darf nicht zulassen, dass man uns, sagen wir, von den östlichen Wirtschaften abtrennt, uns von den russischen Energiequellen, den östlichen Märkten abtrennt. Wir brauchen Konnektivität, und nicht Blockaden und Sanktionen und Abtrennungen. Dafür müssen wir tagtäglich kämpfen, um das zu erhalten, doch all das machen wir im Bewusstsein einer Richtung und eines großen Planes. Das sind keine zufälligen, sporadischen, verstreuten Kämpfe, sondern als Teil eines großen Planes ausgefochtene Kämpfe, in denen meiner Ansicht nach das ganze Land involviert ist. Und meiner Ansicht nach wählt man uns deshalb. Deshalb erhalten wir das Vertrauen erneut, weil man versteht, dass sich hier etwas vorbereitet, etwas formiert sich, etwas gestaltet sich, zusammen mit all seinen Fehlern. Und ich glaube oder ich möchte glauben, das ist der Grund dafür – über die Schwäche des Gegners hinaus, was ein sehr hilfreicher Umstand ist –, pflegen wir deshalb das Vertrauen der Menschen zu bekommen. Es gibt also einen Plan dafür.
Langsam geht uns die Zeit aus, doch eine Frage möchte ich noch unbedingt stellen, wenn Sie mir das erlauben. Es gibt einen Film in den Kinos mit dem Titel „Oppenheimer“. Meiner Ansicht nach haben ihn schon viele gesehen, auch von den hier im Saal Anwesenden. Im Film erscheinen ungarische…, das Zeitalter, das ist ja der Zeitraum des II. Weltkriegs, sehr viele der Wissenschaftler jener Zeit waren in den Vereinigten Staaten Ungarn, waren ungarischer Herkunft. Und aus der Zeit stammt ein Spruch, laut dem „Wenn ein Ungar hinter dir die Drehtür betritt, dann wird er auch vor dir aus ihr herauskommen“. Haben wir diese Fähigkeit heute noch bzw. womit oder worin müssen wir, Ungarn, viel besser sein als, sagen wir, andere, die sich mehr erlauben können?
Diesen Gedanken habe ich heute Früh in einem Radiointerview bereits verkauft.
Ein jeder sollte es sich anschauen…
Ich will damit sagen, dass ich nicht mehr weiß, wie ich auch dort an diesen Punkt ankam, egal.
Doch hier war wenigstens die Frage gut.
Ja, das stimmt. Es hat tatsächlich auch viel geholfen. Wenn man also auf einen Hochsitz klettert und von dort aus die Weltpolitik betrachtet, das ist ja, nicht wahr, die Aufgabe, von hier unten sieht man kaum etwas, nur die Unterleiber und die Waden, man muss also höher rauf. Also damit du einen besseren Blickwinkel hast, aus dem du das Terrain überblicken kannst und siehst, was geschieht und du alles verstehen kannst, nicht wahr, im Prinzip ist es unsere Aufgabe, auf diesen Hochsitz hochzuklettern und wenn wir uns dort umschauen, zu verstehen, welche Möglichkeiten in etwa die Zukunft bietet. In unserem Metier gibt es ja keine Gewissheit. Also für die Politik sind also deshalb ein sehr gutes Nervensystem und eine spezielle seelische Disposition notwendig, weil es ja keine Gewissheit gibt. Du kannst dir also nicht darin sicher sein, dass eine deiner Entscheidungen genau dorthin führen wird, wohin sie nach jedem vernünftigen Argument führen müsste. Wir arbeiten also mit Wahrscheinlichkeiten. Hier ist ein Problem, hier sind die Möglichkeiten, die Lösungsmöglichkeiten, wahrscheinlich ist diese die beste, aber du kannst dir darin nie sicher sein. Deshalb spielt in der Politik z.B. die Ausdauer eine Rolle. Du musst auch dann durchhalten, wenn es im ersten Augenblick so zu sein scheint, dass es nicht zu dem Ergebnis führen wird. Und du musst wissen, wie lange du durchhalten musst, und wann du einsehen musst: „Hoppla, das ist nicht gut, wir sind in die falsche Richtung losgegangen, man muss das aufgeben, etwas Neues muss her.“ Aber damit du diese Operation durchführen kannst, diese intellektuelle Operation, dazu ist ein Blickwinkel nötig. Und du kletterst hoch und schaust dich um. Und dann wirst du sehen, wie die Nationen der Welt, wie sie sich dort herumschubsen und leben und im Gewimmel sind, da sind kleinere, größere, reichere und ärmere und du siehst auch deine eigene. Und du musst eine Antwort darauf finden, wie du, da es dort unten viele gibt, die größer sind als du, die bessere Waffen besitzen und auch mehr Geld haben, trotzdem deine Ziele erreichen wirst. Und wenn du nicht sagen kannst, was der eigentümliche Vorteil deiner nationalen Gemeinschaft ist, die du gewinnbringend einsetzen und in dem jeweils aktuellen Wettbewerb oder Kampf zu deinem Vorteil nutzen, einen Raum eröffnen kannst, damit sie sich durchsetzt, wenn du das nicht sagen kannst, dann bist du verloren und mit dir zusammen auch dein Land. Dann blökst und stolperst du höchstens mit den anderen herum, und dann kommst du irgendwann irgendwo an. Und ein jeder denkt natürlich anders über die eigenen Leute, nicht wahr. Würden wir ein Interview machen, da würden viele Menschen verschiedene Dinge über Ungarn denken. Ich denke, die Ungarn besitzen einige Stärken, die man in einen Sieg umwandeln kann. Meiner Ansicht nach ist das eine unsere eigentümliche kulturelle Identität. Unsere Sprache, unsere Kultur, unsere 1100 Jahre. Es wäre ein langes Thema, ich mache nur einen kleinen Exkurs. Herr Professor Nemeskürty hat es mir einmal erklärt, sicherlich hatte ich etwas Dummes gesagt und er, auf kluge Weise, hatte das Gefühl, man müsse dies richtigstellen. Herr Professor Nemeskürty hat es mir einmal erklärt, dass wenn der Ungar „Heimat“ und „Nation“ sagt, und das ein Deutscher oder ein Slawe sagen, dann bedeutet dies nicht dasselbe. Denn für die anderen ist die Nation eine moderne Formation, für den Ungarn ist sie mehr als tausend Jahre alt, denn er ist hierhergekommen, befindet sich unter Fremden und er besitzt ein inselartiges Selbstbewusstsein. Das ist ein nationales kulturelles Selbstbewusstsein. Bis zum 19. Jahrhundert hatten das die untergliederten Franzosen und Deutschen nicht, sie besaßen ein lokales Identitätsbewusstsein, dort entstand das lokale Bewusstsein, durch das ein Franzose und ein Deutscher auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Doch bei uns war das nie so. Wir sind seit tausend Jahren eine Nation. Das ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil! Von Herrn Professor Granasztói habe ich einmal gelernt, der Ärmste ist verstorben, und hat jene seine Studie nicht publiziert, vielleicht ist sie irgendwo unter seinen Manuskripten noch zu finden, er erklärte mir einmal, dass so wie der Ungar über sein Kind und seine Familie denkt, besitzt das, obwohl wir das gleiche Wort im Westen und in Ungarn gebrauchen, in Ungarn einen anderen kulturellen Inhalt. Und er hat mir das aus den Regeln des Erbrechts und den Regeln der Kindererziehung abgeleitet. Das heißt dass wir die Familie als eine viel stärkere emotionale Gemeinschaft erleben. Das ist ein riesiger Wettbewerbsvorteil! Die Nation ist ein Wettbewerbsvorteil, die Familie ist es auch. Das andere: Unsere Sprache ähnelt vielleicht eher der Mathematik als anderen Sprachen. Wenn wir sprechen, da merkt dies der Ungar nicht, wenn der Ungar spricht, z.B. ich jetzt, ich baue ständig auf. Es gibt keine derart strenge Ordnung des Ausdrucks, die meine Aussage in ein Schema ordnen würde, sondern ich muss die Wortfolge, alles neu erschaffen… Die ungarische Sprache beinhaltet unerhörte Möglichkeiten, sodass ich das, was ich Ihnen jetzt gesagt habe, auf zehn verschiedene andere Weisen auch ausdrücken könnte. Mein Gehirn arbeitet unablässig, und das Ihre genauso, wenn Sie sich miteinander unterhalten. Sie sind kreativ, auch wenn Sie nichts davon wissen, denn die Sprache macht sie notwendigerweise dazu. Sie können also auf eine von den gewöhnlichen Schemata abweichende Weise auf eine Sache, auch eine Angelegenheit blicken. Wenn sie von woanders darauf blicken, dann bemerken sie etwas, was der andere nicht sieht, na, das ist ein Wettbewerbsvorteil! Und dann kann es sein, dass sie dort eine Lösung finden. In diesem Sinn sind wir auch kreativ. Und schließlich sind wir schnell. Der Ungar denkt also schnell, er ist also nicht nur gebildet – das Niveau dessen ist schwankend –, sondern auch gescheit. Wir sind also nicht nur klug, wie viele auch immer von dieser großen nationalen Gemeinschaft, aber jetzt will ich nicht über die Klugheit reden, über die Bildung, sondern darüber, was wir als Schlauheit bezeichnen. Die Schlauheit bedeutet, wie du darauf kommst, dass zwischen miteinander scheinbar nicht in Verbindung stehenden Dingen doch ein Zusammenhang besteht. Und meiner Ansicht nach stehen wir in dieser Hinsicht im internationalen Vergleich gut da. Ich möchte über niemanden Schlechtes sagen, aber das ist eine sehr große Stärke. Wenn du all das ordnest, dann siehst du von dort oben vom Hochsitz aus, wie du von dort hinten vorankommen wirst, welche Route es sein wird, die die anderen nicht auf ihrer Rechnung haben, du siehst sie schon. Und dann gehst du los. Und dann kommt die Politik. Wenn wir keine Zeit haben, dann werde ich auch an diesem Punkt aufhören. Und dann kommt die Politik. Denn was ist die Politik? Das sind ja diese Begabungen, über die wir reden. In der Politik geht es um Macht. Und was die Macht ist, darüber hat man eine ganze Bibliothek von Literatur vollgeschrieben. Und unterschiedliche Politiker nähern sich dieser Frage auf ganz unterschiedliche Weise an. Ich habe eine eigene Interpretation, eine eigene Deutung. Meiner Meinung nach ist die Macht die Fähigkeit des gemeinsamen Handelns. Das mag ich einmal schon irgendwo ausgeführt haben, dass dies auch eine biblische Grundlage besitzt, als er, ich zitiere jetzt ungenau, aber es heißt irgendwie so, dass „er so sprach wie jemand, der Macht besitzt, und nicht wie die Schriftkundigen” – was, wenn ich das richtig verstehe, soviel bedeuten will, dass er die Menschen nicht durch äußeren juristischen Zwang dazu gebracht hat, zu handeln, wie die Schriftkundigen, die Juristen waren, sondern durch Überzeugung, d.h. durch wirkliche Macht. Nun, das ist die Aufgabe der Politik, fähig zu sein, um die Situation zu erklären, die Zukunft und die Vergangenheit, aus der wir kommen, zu verstehen, unsere Probleme, Nachteile und unsere Sünden zuzugeben, auf unsere Vorteile, auf unser Talent hinzuweisen und dass daraus ein gemeinsames Handeln entstehe. Und das Land, natürlich lebt ein jeder in der Zwischenzeit sein eigenes Leben, bewegt sich doch durch das gemeinsame Handeln irgendwie auf einmal in die gleiche Richtung. Und wenn zu den Begabungen, über die ich vorhin gesprochen habe und die zu unseren nationalen Gaben gehören, so eine Politik dazukommt, dann Bingo! Dann ist das Happy Life. Dann werden wir das gewinnen. Wir bringen alles in Ordnung, was man vor uns verpfuscht hat, wir werden alles in Ordnung bringen. Wir werden groß sein, wir werden stark sein und wir werden ehrenwert sein.
Es wäre schwer, ein besseres Schlusswort zu finden. Herr Ministerpräsident, wir danken Ihnen sehr, dass Sie hier waren, und wir danken Ihnen auch sehr für dieses Gespräch.
Vielen Dank!