Zsolt Törőcsik: Wir wollen nicht, dass unsere Kinder an die ukrainische Front kommandiert werden und von dort in Särgen zurückkehren. So reagierte Ministerpräsident Viktor Orbán auf ein Interview, das Wolodymyr Selenskyj einer ungarischen Zeitung gegeben hatte, in dem der ukrainische Präsident die Politik des ungarischen Regierungschefs als antiukrainisch und anti-europäisch bezeichnete. Über den Austausch von mündlichen Botschaften zwischen den beiden führenden Politikern wird es in der nächsten halben Stunde noch mehr zu hören geben, denn zu Gast im Studio ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Guten Morgen!
Guten Morgen!
Sie haben ein sehr starkes Bild verwendet, das ich in der Einleitung bereits erwähnt habe, viele halten es für zu stark, als Sie sagten, dass Sie nicht wollen, dass unsere Kinder in Särgen von der ukrainischen Front zurückkehren. Unterdessen sehen wir, dass Selenskyj von Ländern, die über viel größere Streitkräfte und finanzielle Mittel verfügen als wir, um Unterstützung bittet und diese auch erhält. Warum sollte er ungarische Soldaten an der Front brauchen?
Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist damit verbunden. Wenn wir also die Ukrainer in die Europäische Union aufnehmen, nehmen wir auch den Krieg auf. Stellen Sie sich vor, die Europäische Union würde der Forderung des ukrainischen Präsidenten, der uns tatsächlich bedroht hat, nachkommen und die Ukraine in die Europäische Union aufnehmen, dann hätten wir heute ein Mitglied, an dessen Ostgrenze gerade Krieg herrscht. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis alle EU-Mitgliedstaaten in diesen Krieg verwickelt würden, denn dann wäre es unser Krieg. Und wir wollen nicht, dass der russisch-ukrainische Krieg zu unserem Krieg wird.
In einer Ihrer Reden in dieser Woche haben Sie auch darüber gesprochen, dass Brüssel während der Beitrittsverhandlungen früher die Haltung vertreten hat, dass die östlichen Länder zunächst NATO-Mitglieder werden, ihre verschiedenen Streitigkeiten beilegen und dann der Europäischen Union beitreten sollten. Was ist der Grund dafür, dass sich diese Haltung Brüssels von vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren geändert hat?
Sie wollen Krieg. Reden wir also Klartext. Die Regierungschefs in Westeuropa sind vor drei Jahren in einen Krieg eingetreten. Wir haben auch damals schon gesagt, dass dies nicht unser Krieg ist, sondern der Krieg zweier slawischer Brudervölker. Man müsse ihn befrieden, herunterfahren, isolieren, einen Waffenstillstand erreichen und verhindern, dass er sich weiter ausbreitet oder die europäische Wirtschaft langfristig zerstört. Das war die ungarische Position, sagen wir mal, die einzige sich für den Frieden einsetzende Position. Demgegenüber sagten die Westler, dass dies doch unser Krieg sei, dass Russland eine Bedrohung darstelle, dass man sie besiegen müsse, und zwar besser auf ukrainischem Gebiet als näher an unseren Grenzen oder gar an unseren Grenzen, und dass die Ukraine daher eigentlich auch für die Sicherheit Europas kämpfe. Das war ihr Konzept. Was ich immer für einen Fehler gehalten habe, denn so wurde die Ukraine, die kein Sicherheitsrisiko für Europa war, plötzlich zu einem Sicherheitsrisiko für Europa, und alles, was die Ukrainer jetzt bedroht, bedroht seit Beginn des Krieges auch schon uns, weil wir uns nicht abgegrenzt und isoliert haben, sondern zugelassen haben, dass es sich ausbreitet, wir haben uns sogar selbst in diesen Krieg hineingezogen. Deshalb ist es so, dass wir für die Ukrainer, die übrigens nicht in der Lage sind, ihren eigenen Staat aufrechtzuerhalten, die Renten der ukrainischen Rentner bezahlen, die Gehälter der Staatsbediensteten bezahlen, die ukrainischen öffentlichen Dienste aufrechterhalten und ihre Armee unterhalten. Also ohne uns, ohne den Westen, könnte die Ukraine keinen Tag überleben, sie könnte nicht nur keinen Krieg gegen Russland führen, sondern einfach nicht existieren. Das ist die Situation! Nun, ein solches Land in die Europäische Union aufzunehmen, bedeutet, dass wir uns nur Probleme aufhalsen, die niemand nötig hat.
Sie haben erwähnt, dass die Europäische Union praktisch den ukrainischen Staat finanziert, und wir haben auch schon viel darüber gesprochen, wie viel die Mitgliedschaft der Ukraine die Union kosten würde, aber woher soll Brüssel oder die Mitgliedstaaten das Geld dafür nehmen?
Sehen Sie, natürlich spielt hier auch das Geld eine Rolle, aber ich betone und wiederhole, dass es vor allem wichtig ist, dass Europa sich nicht in diesen Krieg hineinziehen lässt. Auch so sind wir schon viel zu sehr darin verwickelt, als es nötig wäre, zumindest bis zur Hüfte. Wenn wir die Ukraine in die Europäische Union aufnehmen, nehmen wir auch den Krieg auf, und wenn wir den Krieg aufnehmen, führt das zu Militär, zu bewaffneten Auseinandersetzungen, dann müssen Soldaten entsandt werden, die Soldaten gehen an die Front, die Soldaten sterben und werden in Särgen aus einem Krieg zurückkommen, mit dem wir nichts zu tun haben. Es kann vorkommen, dass ein Land militärische Aktionen durchführen muss, die Menschenleben kosten. Aber das muss in einem engen, offensichtlichen, starken, unbestreitbaren und untrennbaren Zusammenhang mit unseren nationalen Interessen stehen. Es liegt nicht in unserem nationalen Interesse, auch nur einen einzigen Ungarn in die Ukraine zu bringen und dort auch nur einen einzigen Ungarn sterben zu lassen. Und dann kommt das Geld, denn das ist bei weitem das Wichtigste. Mit Krediten – das ist die Antwort der Union auf die Frage, wie wir die Ukraine finanzieren wollen, denn wir selbst haben kein Geld, da die gesamte europäische Wirtschaft stagniert, da ein Großteil der europäischen Mitgliedstaaten über ihre jährliche Wirtschaftsleistung hinaus verschuldet ist, von Frankreich bis Italien, auch die deutsche Wirtschaft hustet, ist krank, also gibt es auch in Europa kein Geld, während wir einen anderen Staat aufrechterhalten wollen, ja sogar die Forderung dieses anderen Staates, weil die Ukrainer verlangen, dass wir, die Europäische Union, eine millionenstarke ukrainische Armee finanzieren sollen, und obendrein haben die Amerikaner mehr Verstand, weil sie das nicht mehr machen, seit an der Spitze der Vereinigten Staaten ein Geschäftsmann steht, der dividiert, multipliziert, addiert und subtrahiert und sagt, dass das keinen Sinn macht, dass Amerika dabei nicht gewinnt, sondern verliert, also lässt er den ganzen Ärger auf uns sitzen, die ganze Misere bleibt hier uns am Hals, wir haben kein Geld, und wenn die Politiker dort sein wollen, sich weiter in den Krieg in der Ukraine verwickeln wollen, dann müssen sie Geld geben, und wenn sie das nicht haben, dann müssen sie Kredite aufnehmen. Und wir bewegen uns weiter auf dieser Abwärtsspirale, die übrigens zum finanziellen Zusammenbruch Europas führt, immer größere Gigakredite lasten auf unseren Schultern.
Kommen wir zurück zu Selenskyjs Interview, denn darin gab es auch Äußerungen zu den bilateralen Beziehungen zwischen Ungarn und der Ukraine. Er sagte, dass er niemandem drohen wolle, aber dass wirklich alles in ihrer Hand liege, fügte jedoch hinzu, dass es kein Problem gebe, wenn die Parteien sich gegenseitig respektierten. Wer respektiert Ihrer Meinung nach in dieser Situation wen nicht?
Zunächst einmal würde ich sagen, dass wenn ein Ukrainer Dir sagt, dass er es nicht deshalb sagt, um Dir zu drohen, und dass er nicht drohen will, dann kann man genau verstehen, dass Dir gerade gedroht wurde. Der ukrainische Präsident hat also Ungarn gedroht. Und das noch dazu unter Berufung auf uns unbekannte Fakten und Dokumente. Wir können ihm also sagen, dass er, wenn er etwas über Ungarn zu sagen hat, wenn ihm etwas an unserer Politik nicht gefällt oder wenn er etwas gefunden hat, das ihm missfällt, dann soll er sich dazu bequemen, dies öffentlich zu machen, anstatt uns Dinge ausrichten zu lassen und uns zu bedrohen. Das funktioniert in Ungarn nicht. Damit kann man in westeuropäischen Ländern Ergebnisse erzielen, die angesichts der derzeitigen schwierigen Lage der Ukraine auf die Knie fallen und ihr die ihnen gebührende Anerkennung zollen, aber Ungarn ist kein Land, das vor der Ukraine auf die Knie fällt. Wir erkennen ihre schwierige Lage und ihre heldenhaften Anstrengungen an, aber wir werden uns nicht wie die Westeuropäer verhalten, die wie betäubt darauf achten, was der ukrainische Präsident sagt. Der ukrainische Präsident ist der, der er eben ist, wir wissen genau, wer er ist, wir kennen auch die Ukrainer genau, wir wissen, wer sie sind, also sollen sie uns hier nicht die Moralapostel spielen, denn dazu sind sie nicht berechtigt, und sie können nicht von oben herab mit uns Ungarn reden. Ich sage nicht, dass die Ungarn fehlerfrei sind, aber da muss ein Punkt gemacht werden! Wir haben eine Vergleichsgrundlage zwischen der Ukraine und Ungarn. Wenn man in Not ist und Hilfe bekommt, so wie die Ukraine in Not ist und Hilfe von Ungarn bekommt, denn wir lassen die Menschen aus der Ukraine hierherkommen, wir lassen sie hier arbeiten, wir geben ihnen Arbeit, wir ernähren ihre Kinder, wir bilden ihre Kinder aus, wir bringen sie in Sicherheit, und wir haben nicht ein einziges Mal verlangt, dass sie uns dafür danken. Aber es ist doch übertrieben, dass sie von Respektlosigkeit sprechen. Ich glaube also, dass Herr Präsident Selenskyj verstehen muss, dass Ungarn den Ungarn gehört, dass er hier keine Forderungen stellen und nicht von oben herab reden kann. Wenn er etwas will, kann er anständig und mit der gebotenen Bescheidenheit hierherkommen und sagen, was er möchte. Und wir werden dann darauf antworten. Die ungarische Antwort auf die zwischen uns bestehende Streitfrage ist klar. Die Ukraine kann nicht verlangen, dass Ungarn ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union unterstützt, denn damit würden wir Ungarn ruinieren und das Leben unserer Kinder gefährden, deshalb wollen wir sie nicht aufnehmen. Und sie haben kein Recht, der Europäischen Union beizutreten. Sie haben das Recht, sich um die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu bewerben, so wie wir dieses Recht hatten. Und wir haben das Recht, dazu Ja oder Nein zu sagen. Die Ungarn bilden gerade ihre Meinung darüber und werden sich im Rahmen von Voks2025 dazu äußern. Dass er Freunde in Ungarn hat, wie er sagt, dass es ukrainefreundliche Parteien gibt, in Ungarn wird also eine lebhafte Debatte darüber geführt, wie wir uns gegenüber der Ukraine verhalten sollen, und dass es in Ungarn ukrainefreundliche Parteien gibt. Sowohl die Tisza als auch die DK sind offen ukrainefreundliche Parteien. Aber das berechtigt Herrn Präsident Selenskyj nicht, so mit Ungarn zu sprechen, wie er es tut, auch wenn er hier Freunde hat.
Es ist sehr interessant, dass Sie erwähnt haben, dass die Ungarn derzeit auf Voks2025 ihre Meinung dazu bilden, denn Selenskyj hat in diesem Interview auch gesagt, dass Ihre Position nicht die Haltung Ungarns insgesamt widerspiegelt. Worauf stützt er wohl diese Behauptung?
Er stützte sich darauf, dass er Freunde hat und dass seine Freunde in Ungarn bereits eine parteiinterne Volksabstimmung organisiert haben, die auch stattgefunden hat, denn die Tisza-Partei hat eine Abstimmung darüber durchgeführt, was ihre Anhänger über den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union denken. Und die Anhänger der Tisza-Partei, die Freunde von Selenskyj sind, haben mit etwa 60 Prozent klar gesagt, dass sie ja, dass sie möchten, dass die Ukraine Mitglied der Europäischen Union wird. Sie sehen die Kriegsgefahr, die unseren Kindern droht, anders, sie sehen die finanziellen Folgen anders. Meiner Meinung nach sehen sie das falsch, und ich möchte sie auch davon überzeugen, ihre Meinung zu ändern und noch einmal darüber nachzudenken. Aber gleichzeitig findet auch eine nicht parteipolitische, sondern nationale Abstimmung statt, die Voks2025, die großes Interesse geweckt hat. Ich sehe jeden Tag die Zahlen, die Anzahl der eingegangenen Antworten. Wir sind über zwei Millionen! Das heißt, mehr als zwei Millionen Menschen haben sich zu diesem Thema geäußert, sie fanden es wichtig, dass ihre Stimme, ihre Meinung in die Entscheidung der Regierung einfließt. Das ist ein fantastischer Erfolg, ich kann mich nicht erinnern, wann es das letzte Mal eine solche nationale Konsultation oder Abstimmung, eine referendumähnliche Abstimmung gab, an der so viele Menschen teilgenommen haben. Und es sind noch acht Tage, jetzt beginnt der Countdown. Deshalb ermutige ich alle, die Ernsthaftigkeit der Lage zu begreifen, das Interview mit Selenskyj zu lesen, die damit zusammenhängende innenpolitische Debatte in Ungarn zu sehen, wo es pro-ukrainische und pro-ungarische Kräfte gibt und die Fronten ganz klar gezogen sind. Es ist sehr wichtig, dass auch sie, also jeder einzelne ungarische Staatsbürger, seine Meinung zu dieser Frage äußert.
Etwa eine Woche nach Abschluss der Abstimmung findet ein Gipfeltreffen der NATO- und anschließend der EU-Staats- und Regierungschefs statt. Wie kann das Ergebnis von Voks2025 die Position beeinflussen, die Sie bei diesen Treffen vertreten werden?
Die Situation ist so, dass am Montag eine ernsthafte Schlacht beginnt. Ungarn muss sich zwei Wochen lang an einer internationalen Schlacht beteiligen. Am Montag kommen die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten zusammen und beginnen mit den Beratungen über einen Vorschlag der Europäischen Kommission. Darin geht es darum, allen zu verbieten, Öl, Gas und Kernbrennstoffe aus Russland zu kaufen. Das würde die ungarische Wirtschaft ruinieren, das würde uns zu Fall bringen. Wenn sie dies durchsetzen, müssen wir in Ungarn zwei- bis dreimal, vielleicht sogar viermal so viel für Energie bezahlen wie bisher, und wir haben die Familien in den letzten zwei bis drei Jahren, auch während des Krieges, vor höheren Energiekosten geschützt, aber das ist eine finanzielle Belastung, für die ich einfach keine Möglichkeit sehe, sie abzuwenden. Wir dürfen also nicht darüber nachdenken, wie wir die Folgen einer schlechten Entscheidung abwenden können, sondern wir müssen verhindern, dass diese schlechte Entscheidung überhaupt getroffen wird. Das ist unsere einzige Chance, die Senkung der Nebenkosten zu verteidigen, die Familien zu schützen, das monatliche Budget der Familien und die Familienkassen zu schützen. Herr Minister Szijjártó beginnt also am Montag den Kampf, der die ganze Woche andauern wird, und in der darauffolgenden Woche kommen die Ministerpräsidenten, wo ich die Arbeit beenden muss, die Herr Minister Szijjártó begonnen hat.
Da Sie gestern die Senkung der Nebenkosten angesprochen haben: Diese Woche wurde die Liste der sogenannten länderspezifischen Empfehlungen für Ungarn fertiggestellt, in der die Kommission unter anderem die Abschaffung der Senkung der Nebenkosten von der Regierung fordert, aber auch von Preisstopps, Familienbeihilfen oder sogar Zinsstopps die Rede ist. Wird die Regierung die in dem Dokument festgehaltenen Punkte umsetzen?
Das kommt nicht in Frage! Wenn wir tun würden, was Brüssel von uns verlangt, würde etwa die Hälfte der Familien ruiniert sein. Brüssel verlangt also nicht gerade wenig. Übrigens ist dies nicht die erste Schlacht, die wir schlagen müssen, Brüssel fordert die Abschaffung der Zinsstopps. Die Zinsstopps schützen heute 300.000 ungarische Familien, die Hypothekenkredite haben und deren Zinsen in die Höhe geschossen sind. Würden wir den Zinsstopp abschaffen, würde der Großteil dieser Familien mit Sicherheit in den Ruin getrieben. Sie sagen, wir sollen die Preisreduzierung abschaffen. Ich verstehe, dass dies für die großen Multi-Handelsketten ein Problem ist, weil ihre Gewinne sinken, aber dafür zahlen die Ungarn weniger im Laden. Wir zahlen zwar immer noch viel, ungerechtfertigt viel, aber ohne die Preismargenreduzierung würden wir noch viel mehr zahlen. Die Frage ist also, ob wir auf Brüssel hören oder ob die Regierung die Menschen vor unbezahlbaren Rechnungen schützt. Das Gleiche gilt für die Wohnbauförderung. In Ungarn betreiben wir ein System der Wohnbeihilfen, das Zehntausende Menschen erreicht und das laut Brüssel zu großzügig und nicht zielgerichtet ist und den Wohnungsmarkt verzerrt, d. h. die Menschen können billiger an Wohnungen kommen, als wenn die Regierung all dies nicht tun würde. Sie greifen auch die arbeitsbasierte Wirtschaft an und behaupten, dass es mehr Argumente für eine auf Hilfen basierende Wirtschaft als für eine arbeitsbasierte Wirtschaft gäbe, und sie sagen auch, dass die Senkung der Nebenkosten nicht wirksam genug sei. Sie sagen, dass viel weniger Menschen eine Senkung der Nebenkosten erhalten sollten als derzeit. Der Bericht, den ich jedes Jahr in die Hand nehmen muss, wimmelt von solchen Forderungen. Er wird in Brüssel erstellt, heißt „länderspezifische Empfehlungen” und seine Umsetzung wird dann von den Mitgliedstaaten erwartet. Ich liege nicht deshalb mit Brüssel im Clinch, weil ich nichts Besseres zu tun hätte oder weil ich ein Querulant wäre. Wer nicht mit mir zusammenarbeiten kann, kann mit niemandem zusammenarbeiten. Wir sind schon fast bis zur Grenze der Friedfertigkeit kooperativ. Ich muss ganz einfach die Interessen der ungarischen Menschen verteidigen. Wenn ich solche Dokumente lese, kann ich nur eine Antwort geben: Ich schließe sie, sage „vielen Dank“ und das geht alles die Ungarn an, Brüssel hat damit nichts zu tun, Brüssel hat keine Befugnis, sich da einzumischen, ich sehe das nur als eine Meinung, und Ungarn inzwischen geht seinen eigenen Weg und versucht, die Arbeitsplätze und die Familienbudgets zu schützen.
Aber was könnte Brüssel mit diesen Maßnahmen oder Forderungen bezwecken?
Wenn ich das alles zusammenzähle, bedeutet das, dass die in Ungarn tätigen Unternehmen der Europäischen Union mehr Geld aus dem Land herausschaffen können. Darum geht es bei alldem hier! Lasst uns die Steuern für multinationale Unternehmen und Banken abschaffen. Es geht darum, dass sie nicht so viel Geld aus Ungarn herausholen können, wie sie möchten. Nun gut, aber so ist das Leben, es gibt auch Einheimische, es ist doch schließlich unser Land.
Lassen Sie uns noch über ein EU-Thema sprechen. Am Montag dieser Woche fand in Frankreich eine Großkundgebung der Patrioten statt. Das Ziel dieser Parteienfamilie ist, kurz gesagt, eine Änderung der Politik in Brüssel. Was ist eigentlich das Grundproblem der Europäischen Union? Was müsste Ihrer Meinung nach geändert werden?
Das grundlegende Problem ist, dass die Bürokratie in der Europäischen Union außer Kontrolle geraten ist. Deshalb spreche ich auch nicht von der Europäischen Union, sondern von den Brüsseler Bürokraten. Dort arbeiten mehr als 30.000 Menschen, und nachdem die politischen Führungen der bedeutenden europäischen Staaten geschwächt sind, befindet sich Frankreich in einer unsicheren Lage, in Deutschland hat sich nach einer unklaren Parlamentswahl und unklaren Vorgängen eine Koalition gebildet, deren Stabilität ungewiss ist, und die Briten sind ausgetreten. Unter diesen Umständen sind die europäischen Staats- und Regierungschefs ganz einfach so sehr mit ihren eigenen Problemen in ihren Ländern beschäftigt, dass ihnen nicht genügend Zeit, Aufmerksamkeit und Energie für europaweite Angelegenheiten bleibt und sie keine strategischen Weichen stellen können. Und in solchen Zeiten erwacht die Brüsseler Bürokratie zu neuem Leben, denn schließlich handelt es sich um ein Imperium, um ein imperiales Zentrum. Wir haben so etwas schon in der ungarischen Geschichte gesehen, also das, wovon ich jetzt spreche, spielt sich im Brüsseler Gewand ab, aber wir haben das schon unter den Namen anderer königlicher Höfe gesehen, also haben wir so etwas auch in Wien gesehen, um nicht darum herumzureden, vor 150 Jahren, also in solchen Zeiten entfesselt sich die Bürokratie. Und sie handelt nach eigenem Gutdünken. Und sie hat nur ein einziges Ziel, nämlich den Mitgliedstaaten so viele Befugnisse wie möglich zu entziehen und, wie jede Bürokratie, so viele Befugnisse wie möglich an sich zu reißen. Und deshalb gibt es einen ständigen Kampf, die Brüsseler Bürokraten wollen den Mitgliedstaaten Befugnisse wegnehmen, die sie nichts angehen. Zum Beispiel haben sie nichts mit der Senkung der Nebenkosten zu tun. LMBTQ, die Erziehung der Kinder oder Schulangelegenheiten – das geht sie nichts an. Ob wir Arbeitslosengeld zahlen oder Steuererleichterungen für Kinder gewähren – das geht sie nichts an. Ob es eine dreizehnte Monatsrente gibt – das geht sie nichts an. Aber sie mischen sich ständig ein, reden hinein und ziehen den Mitgliedstaaten Befugnisse aus der Tasche, aus der Hand, aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten, und die Zahl der Angelegenheiten, über die sie in Brüssel entscheiden wollen, nimmt ständig zu, was am Ende dazu führt, dass sie uns vorschreiben, wie wir in den Mitgliedstaaten, zum Beispiel in Ungarn, zu leben haben, wie wir, die Ungarn, in Ungarn zu leben haben. Dafür haben wir sie nicht geschaffen, sondern damit sie die Arbeit der Mitgliedstaaten koordinieren und aufeinander abstimmen, und nicht, damit sie sich auf unseren Kopf oder unsere Schultern setzen und uns von oben herab sagen, dass wir die Migranten hereinlassen sollen. Das ist eines ihrer größten Probleme mit Ungarn. Sie haben gesagt, dass sie hereingelassen werden müssen, aber wir lassen sie nicht herein. Außerdem haben sie damit überhaupt nichts zu tun. Das ist also das größte Problem, das in ganz Europa zu spüren ist, und deshalb wurden die Patrioten gegründet: die Untergrabung der nationalen Rechte. Und wir alle, Franzosen, Italiener, Ungarn, Polen, wollen gemeinsam, dass sie uns die Rechte zurückgeben, die sie uns in der letzten Zeit verfassungswidrig genommen haben, dass sie sich nicht in Angelegenheiten einmischen, die wir hier in Ungarn auf Mitgliedstaatenebene lösen müssen. Dies ist eine gesamteuropäische Bewegung: Die Kompetenzen müssen an die Nationalstaaten zurückgegeben werden!
Aber wie können Sie das erreichen? Denn wir sehen ja, dass diese Parteien in vielen Ländern nicht an der Macht sind oder keine Regierung stellen, selbst in Ländern, in denen sie beispielsweise Wahlen gewinnen.
In der Politik müssen Ziele durch Kraft erreicht werden, und Kraft entsteht durch die Überzeugung der Menschen. Politiker haben also nichts. Politiker sind nur ein Skelett, ein nackter Körper. Die Menschen kleiden die Politiker, sie geben die Muskeln. Die Aufgabe der Politiker besteht also darin, die Menschen von bestimmten Themen zu überzeugen, sie zu konsultieren und dann den erarbeiteten gemeinsamen Standpunkt zu vertreten. Und wenn genügend Menschen eine Gruppe von Politikern unterstützen, die eine bestimmte Idee vertreten, zum Beispiel die Patrioten, dann werden diese in Brüssel Ergebnisse erzielen. Der erste Schritt war erfolgreich, denn früher gab es uns nicht, jetzt gibt es uns schon. Die Geburt eines Menschen ist der erste große Erfolg. Das gilt auch in der Politik: Die Patrioten sind geboren. Wir sind aus dem Geburtskanal herausgekommen und jetzt sind wir hier an der frischen Luft, wir atmen, wir zeigen Lebenszeichen, und wir wurden mit großem Gewicht geboren, denn wir sind sofort zur drittgrößten Parteienfamilie Europas geworden. Und es gibt noch andere Schwesterparteien, ich würde nicht sagen Zwillinge, aber vielleicht wäre auch das nicht übertrieben. Die italienische Ministerpräsidentin beispielsweise führt eine solche Bewegung an, der Spitzenmann der Partei, die die Wahlen in den Niederlanden gewonnen hat, führt eine solche Bewegung an. Auch in Deutschland hat diese Organisation begonnen. Ich sehe also, dass die nächsten zwei bis drei Jahre so beschrieben werden können, dass es in ganz Europa patriotische, – das Wort „nationalistisch” ist derzeit verboten, weil es aus irgendeinem Grund als ein hässliches Wort gilt –, aber es patriotische, nationalistische Regierungen geben wird und dass sich dann in zwei bis drei Jahren in allen bedeutenden Ländern Europas eine solche Mehrheit herausbilden wird. Das ist nicht schlecht, das ist gut, das wird nicht passieren, das wollen wir, das tun wir, und das wird gut sein.
Jetzt bringen wir den Patriotismus von der europäischen Ebene auf die lokale Ebene, denn diese Woche hat das Parlament das Gesetz über die lokale Identität verabschiedet. Eine der Verpflichtungen der Regierung für dieses Jahr ist ja die Stärkung des ländlichen Raums und der kleinen Gemeinden. Wie passt dieses Gesetz zu diesem Ziel? Was ist sein Zweck?
Tatsächlich müssen wir unsere Dörfer schützen. Es gibt Regionen im Land, in denen die Dörfer veröden. Ich werde jetzt keine Komitate nennen, aber es gibt mehrere solcher Komitate. Das sind ernsthafte Probleme. Wir müssen den Menschen helfen, damit diejenigen, die dort ihr ganzes Leben verbringen wollen, wo sie geboren sind, dies auch tun können. Niemand sollte das Gefühl haben, dass er sein Dorf verlassen muss. Natürlich kann jeder gehen, wer will, es ist eine gute Sache, die Welt zu sehen, und es gibt ja auch ein Leben außerhalb des Dorfes, aber das sollte nicht geschehen, weil man das Gefühl hat, dass man hier nicht leben kann, dass hier das Ende der Welt ist, dass es hier keine öffentlichen Dienstleistungen gibt, dass es hier keine Arbeit gibt, dass man hier kein Geld verdienen kann. Wir müssen also die ungarischen Dörfer erhalten. Das ungarische Dorf ist ein ganz besonderes ungarisches Phänomen, nur in sehr wenigen Ländern gibt es ein solches Netzwerk kleiner Siedlungen wie in Ungarn. Das ist ein großer Wert, damit besiedeln wir unser Land. Es darf nicht sein, dass irgendein Winkel des Landes entvölkert wird. Deshalb helfen wir ihnen auch mit ganz einfachen Dingen. Wir unterstützen kleine Läden, wir unterstützen Kneipen, wir renovieren Friedhöfe, wir renovieren Kirchen, wir versuchen, Schulen am Leben zu erhalten, und so weiter. Jetzt hat die ungarische Regierung zusammen mit den Kommunalverwaltungen ein interessantes Experiment gestartet, und wir sind dem Parlament dankbar, dass es das unterstützt hat, denn es gibt das Phänomen, dass Dörfer auf die Weise zu Städten werden, dass die Leute, die dort leben, das eigentlich gar nicht wollen. Das ist das Problem der Wegziehenden und Zuziehenden, die wir in unserem Dorf „Dahergelaufene” nennen. Es gibt also das Phänomen, dass – insbesondere in der Umgebung größerer Städte – Menschen und Familien auftauchen, die zuvor nicht dort gelebt haben, und zwar in so großer Zahl, dass sie das Leben der dort lebenden Menschen völlig verändern. Ich habe viele Dörfer besucht, in denen man uns ausdrücklich darum gebeten hat, ihnen Mittel an die Hand zu geben, um sich dagegen zu wehren. Wir wollen uns da nicht einmischen, jede kommunale Selbstverwaltung muss selbst entscheiden, ob sie sich schützen will, wie sie sein will, wie groß sie sein will, aber es war ein berechtigtes Anliegen, ihnen Mittel an die Hand zu geben, damit sie ihr Leben selbst bestimmen können, damit sie selbst entscheiden können, wie groß sie sein wollen. Und dafür hat das Parlament nun die Rechte gewährt, und die kleinen Gemeinden und ihre gewählten Vertreter haben nun die Möglichkeit, den ursprünglichen Charakter ihrer Gemeinde zu schützen, wenn sie dies wollen.
Ich habe Ministerpräsident Viktor Orbán auch zu den Debatten über die EU-Mitgliedschaft der Ukraine, den wirtschaftlichen Empfehlungen der Europäischen Kommission und den Zielen der Patrioten befragt.
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