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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen, Ungarn“ von Radio Kossuth

Zsolt Törőcsik: In den letzten Tagen wurde ein weiteres Tabu in Bezug auf den Krieg zwischen Russland und der Ukraine gebrochen, nachdem der scheidende US-Präsident Joe Biden den Ukrainern erlaubt hatte, US-Waffen auf russisches Gebiet einzusetzen. Daraufhin hat Russland als Antwort seine Nukleardoktrin geändert und Hyperschallraketen auf die Ukraine abgefeuert. Ich begrüße Ministerpräsident Viktor Orbán im Studio. Guten Morgen!

Guten Morgen!

Es sind fast auf den Tag genau zwei Monate bis zum Amtsantritt von Donald Trump, der versprochen hat, den Konflikt zu beenden, aber es scheint, dass beide Seiten sich jetzt bis dahin in die bestmögliche Position bringen wollen. Wie gefährlich ist die Situation jetzt? Wie können wir in den nächsten zwei Monaten weiteren größeren Ärger vermeiden?

Das weiß jeder, aber es kann nicht schaden, uns daran zu erinnern, dass die Ukraine Ungarns Nachbar ist. Wir sprechen also nicht über die weitere Eskalation und Ausweitung eines Konflikts in einem weit entfernten Teil der Welt, sondern über einen Krieg in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie schnell, unerwartet und unmittelbar die Entwicklung eines Krieges in der Nachbarschaft eines Landes Auswirkungen auf ein Nachbarland haben kann. Nimmt man noch die Tatsache hinzu, dass in Transkarpatien alteingesessene, einheimische Ungarn leben, so wird deutlich, dass die Bedrohung unmittelbar ist. Jetzt geht es also nicht mehr darum, dass auf den beiden Seiten der Frontlinie eines traditionellen Krieges, mehr als tausend Kilometer von der ungarisch-ukrainischen Grenze entfernt die kriegsführenden Parteien miteinander ringen, sondern um den Einsatz von Mitteln, die leicht Länder außerhalb der Ukraine erreichen können, in erster Linie natürlich die Nachbarländer. Diese Nachrichten betreffen also uns. Es geht nicht mehr um Konflikte in der internationalen Diplomatie, sondern um direkte ungarische Interessen und die Kriegsgefahr für Ungarn. Was die Situation betrifft, die Sie hier beschrieben haben, so stimmt es, dass wir am 20. Januar, so Gott will und wir noch leben, sehen werden, wenn Donald Trump, der nächste Präsident der Vereinigten Staaten, sein Amt antritt. Aber bis dahin sind es noch zwei Monate. Ich weiß es nicht, waren Sie beim Militär?

Nein, ich war nicht mehr betroffen.

Also jeder, der Soldat war und Wache geschoben hat, weiß und sieht, wie ein Tag beginnt, weiß genau, dass die Nacht immer kurz vor der Morgendämmerung am dunkelsten ist. Und so ist es auch jetzt. Dies ist die dunkelste Stunde, in der wir uns befinden. In nur zwei Monaten wird die Morgendämmerung plötzlich anbrechen, aber bis dahin werden wir in einer noch größeren Dunkelheit leben als zuvor, oder im Klartext formuliert: in den zwei gefährlichsten Monaten des Krieges. Mit dem Sieg von Herrn Präsident Trump ist der Frieden in greifbare Nähe gerückt, aber die scheidenden US-Demokraten scheinen ein noch schwerwiegenderes Erbe hinterlassen zu wollen als das, das zum Zeitpunkt seines Sieges bestand. In Situationen wie diesen muss man vernünftig sein. Vorläufig sollten wir nicht mehr sagen, als dass Ungarn weiterhin eine Politik der nüchternen Stimme verfolgen wird. Da unser Schicksal in diesem Kriegskonflikt unmittelbar auf dem Spiel steht, werden wir maßvoll, vorhersehbar, berechenbar und ruhig handeln. Ich habe vorgestern den Verteidigungsrat auch auf die ersten Nachrichten hin einberufen, und wir haben den militärischen Kontext des Krieges überblickt. Wir haben uns auch angeschaut, ob Europa in der Lage ist, den Krieg fortzusetzen, wenn sich die Amerikaner aus dem Krieg zurückziehen, und ob es die Ukraine in eine militärische Lage versetzen kann, in der es sinnvoll ist, den Krieg fortzusetzen. Soweit wir sehen, nein, also ist die Situation im militärischen Sinn ganz klar: Wenn die Amerikaner sich von den Ukrainern zurückziehen, dann ist Europa nicht in der Lage, die Ukraine militärisch auch nur mit der geringsten Aussicht auf Erfolg zu unterstützen, ganz zu schweigen von den finanziellen und wirtschaftlichen Folgen, die die Unterstützung eines verlorenen Krieges mit sich bringt. Das führt uns auch zu dem Gedanken, dass wir diese zwei Monate mit einer klugen, kühlen Politik überstehen müssen.

Apropos Europa: Wir haben in der Vergangenheit doch immer wieder gesehen, dass, wenn in Washington ein tabubrechender Schritt getan wird, dort eine tabubrechende Entscheidung getroffen wird, diesem man in Europa bald folgen wird. Wir haben das auch bei den zur Auslöschung menschlichen Lebens geeigneten Waffen, bei den schweren Panzern gesehen. Wie groß ist die Gefahr, dass sich das auch jetzt wiederholt?

Das Risiko dessen ist erheblich. Ich möchte einen jeden daran erinnern, dass die deutsche Regierung innerhalb von 24 Stunden nach Bekanntwerden des Ergebnisses der US-Präsidentschaftswahlen gestürzt ist. Das zeigt deutlich, dass es hier eine starke Korrelation gibt. Wir, Ungarn, sind davon entwöhnt. Ungarn ist ein Land mit einer souveränen Außenpolitik, und die Welt mag wegen uns knarren und knacksen, aber wir werden immer noch Entscheidungen auf der Grundlage unserer eigenen nationalen Interessen treffen, und wir werden unser Schicksal nicht an das anderer Regierungen binden. Aber ganz offensichtlich ist nicht jedem diese Souveränität gegeben, oder nicht jeder beschreitet diesen Pfad. Nehmen Sie den Zusammenbruch der deutschen Regierung. Ich muss also sagen, dass das Auftauchen und die Spiegelung dessen, was in den USA passiert, im Verhalten einiger nicht unbedeutender westeuropäischer Regierungen und Länder fast unmittelbar ist. Gehen wir also nicht von der ungarischen Situation aus, wo es keine solche Korrelation gibt, denn was auch immer in der Welt passiert, wir werden eine Sitzung des Verteidigungsrates einberufen, wir werden uns zusammensetzen, wir werden, wenn nötig, eine Sitzung des Parlaments einberufen, und dann werden wir eine souveräne ungarische Entscheidung treffen. Nicht jeder ist in dieser Position. In einigen Ländern sind die Verbindungen zum amerikanischen politischen Geschehen viel direkter als in Ungarn. Und wenn die Amerikaner bestimmte Schritte unternehmen, werden es einige europäische Länder als ihre Pflicht ansehen, oder sie ist es vielleicht auch für sie, der amerikanischen Linie zu folgen. Die Debatte in Deutschland – ich weiß nicht, inwieweit die ungarische Öffentlichkeit die Debatte in Deutschland darüber verfolgen kann, ob Deutschland Langstreckenraketen – sie nennen sie Taurus – an die Ukraine liefern sollte, dies ist also eine Debatte, die stark von der Entscheidung der Amerikaner beeinflusst wird. Aber vielleicht wissen weniger Menschen, dass es sich bei diesen Geräten, die die Amerikaner den Ukrainern jetzt genehmigt haben, um extrem hochentwickelte Geräte handelt, die also das höchste technologische Wissen und die höchste Qualität der Welt repräsentieren. Nach den uns vorliegenden Informationen sind die Ukrainer nicht in der Lage, diese Geräte gezielt einzusetzen. Es handelt sich um Raketen, die abgeschossen und dann über ein elektronisches System ins Ziel gelenkt werden, was ebenfalls die fortschrittlichste Technologie der Welt, Kommunikations-, Telekommunikations- und Satellitenfähigkeiten erfordert. Es ist eine starke Vermutung, und ich denke, sie ist berechtigt, dass diese Raketen nicht ohne die Beteiligung von US-Personal ins Ziel befördert werden können. Aus diesem Grund haben die Russen, was mich nicht überrascht, auch plötzlich und heftig reagiert. Generell gibt es hier das Phänomen, das ich vielleicht noch erwähnen möchte, dass das Gewicht und die Bedeutung des gesprochenen Wortes für das politische Geschehen heute in Westeuropa ein anderes ist als in Russland. Und das wird von uns, den Entscheidungsträgern in Westeuropa, manchmal nicht mit genügend Gewicht bedacht. In Westeuropa ist die Politik seit langem im Wesentlichen eine Sache der Rede, vor allem seit dem Aufkommen der modernen Kommunikationsmittel. Ich kann also nicht plötzlich Prozentzahlen angeben, aber Politik besteht in der westlichen Welt heute vielleicht zu 80 Prozent aus Reden und zu 20 Prozent aus Handeln. Daher das viele Geschwätz und leere Gerede, das wir in den europäischen politischen Nachrichten hören. Daraus folgt auch, dass ein Teil des Geredes und der Dinge, die gesagt werden, keine direkten Folgen haben. Hier lassen sich die europäischen Politiker, die auch in geopolitischen und militärischen Fragen wichtige Positionen einnehmen, leicht zu Tiraden hinreißen. Sie denken, dass dies keine großen Konsequenzen hat, dass es sich nur um eine Kommunikation, einen innenpolitischen Kampf handelt. Das russische Kommunikationssystem weicht davon in bedeutendem Maß ab. Wenn der Präsident dort etwas sagt, dann ist das nicht nur ein Geschwätz, sondern hat Gewicht und Konsequenzen. Wenn wir uns an den Ausbruch des Krieges zurückerinnern, erinnere ich mich auch daran, dass die Russen es zu einem Thema der internationalen Diplomatie machten, ob die Ukraine nun Mitglied der NATO wird oder nicht. Und ob die Aufrüstung der Ukraine, die schon vor Ausbruch des Krieges in vollem Gange war, nicht zu einer militärischen Integration, wenn auch nicht rechtlich deklariert, so doch faktisch, d.h. zu einer Integration der Ukraine in die NATO führen wird, auch wenn sie nicht NATO-Mitglied wird. Und der russische Präsident hat diese Frage offen angesprochen und um eine internationale Debatte darüber bzw. um eine Regelung dieser Frage gebeten. Und ich erinnere mich an die Reaktionen, die, wie es im Westen üblich ist, dies als Kommunikationsproblem angesehen haben, und dann reagierte man in einem ziemlich harschen „So-oder-so-oder-anderswie“-Ton. Damals wurde die Doktrin aufgestellt, dass der Beitritt zur NATO oder der Vorschlag, der NATO beizutreten, das Recht eines jeden Landes sei und dass die NATO nach eigenem Gutdünken entscheiden würde. Dies ging dem Krieg unmittelbar voraus. Ich möchte also nur sagen, dass, wenn die Russen, sagen wir, die Regeln für den Einsatz ihrer Nuklearmacht, das, was sie Doktrin nennen, ändern, dies kein Kommunikationstrick ist, es ist kein Trick, sie ist geändert worden, und das wird Konsequenzen haben. Gestern Abend oder spät in der Nacht, wenn ich es richtig gesehen habe, hat der russische Präsident auch eine Fernsehansprache an die Bürger Russlands gesendet, in der er die Situation klar beschrieb und sagte, dass sie sich ermächtigt fühlen, dass sie sich selbst ermächtigt sehen, jene Länder zu Zielen zu erklären, welche Länder auch immer der Ukraine solche Mittel geben. Das ist kein Kommunikationstrick, man muss also vernünftig sein. Wenn man also ein Land wie Russland hat, das sich von uns unterscheidet, das seine Politik, seinen Platz in der Welt im Allgemeinen, seine Zukunftsvision im Wesentlichen auf seine militärische Stärke gründet, dann ist es entscheidend, dass es eines der mächtigsten Militärs der Welt ist, das über die modernsten und meisten Massenvernichtungswaffen verfügt, und wenn es etwas in dieser Angelegenheit sagt, dann sollte man es so nehmen, wie es gesagt worden ist. Deshalb glaube ich, dass wir, Europäer, in den nächsten zwei Monaten nicht von den Gesetzen der westeuropäischen Politik, die auf Kommunikation beruht, ausgehen dürfen, sondern gemäß einer Kriegslogik handeln müssen, indem wir jedes Wort und jeden Satz sorgfältig und nach den Regeln des gesunden Menschenverstandes abwägen. Sonst wird es Ärger geben.

Es gibt einen weiteren heißen Konflikt in der Welt, im Nahen Osten, wo in den letzten Tagen ebenfalls eine Entscheidung getroffen wurde. Der Internationale Strafgerichtshof hat einen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu erlassen. Wie könnte sich dies auf den Konflikt auswirken? Welche Botschaft geht Ihrer Meinung nach von dieser Entscheidung aus?

Ungarn vertritt in der Weltpolitik im Allgemeinen eine friedensfreundliche Position: Der Frieden ist besser als der Krieg, das Streben nach Glück ist besser als das Leiden. Das sind keine sehr komplizierten Zusammenhänge, aber in der internationalen Politik scheinen sie manchmal vom Horizont zu verschwinden, der Horizont scheint sie nicht hervorzubringen. Ich bin also dafür, die Zahl, die Größe und das Ausmaß der Konflikte in der Welt mit allen Mitteln zu verringern. Tatsache ist jedoch, dass die internationalen Institutionen bei ihren Entscheidungen manchmal nicht mit Bedacht vorgehen. Nun ist es eine Sache, dass die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, in einen laufenden Konflikt einzugreifen, weil er im Nahen Osten noch nicht abgeschlossen ist, in einen laufenden Konflikt, der in ein juristisches Gewand gekleidet ist, aber in Wirklichkeit politischen Zwecken dient, eine unverschämt dreiste, ich würde sagen zynische Entscheidung ist. Das ist an sich schon falsch, es ist eine völlige Diskreditierung des Völkerrechts, aber es kann auch Öl ins Feuer gießen. Es gibt hier also keine andere Möglichkeit, als sich dieser Entscheidung zu widersetzen. Ich werde daher den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu im Laufe des heutigen Tages zu einem Besuch nach Ungarn einladen, und ich werde ihm in der Einladung garantieren, dass, wenn er kommt, das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs in Ungarn keine Auswirkungen haben wird, und wir werden uns nicht an die Bestimmungen des Urteils halten, sondern ausschließlich auf der Grundlage der Qualität und des Zustands der israelisch-ungarischen Beziehungen vorgehen, damit der israelische Ministerpräsident hier in Ungarn in ausreichender Sicherheit sinnvolle Verhandlungen führen kann, wenn er die Einladung annimmt.

Inzwischen haben die konservativen und friedensfreundlichen Kräfte nach der Europäischen Parlamentariergruppe auch die Parteienfamilie der Patrioten gegründet, zu der auch der Fidesz gehört. Inwieweit können die Patrioten ein Gegengewicht zum Mainstream in Brüssel bilden, sei es in Bezug auf den russisch-ukrainischen Krieg, die Situation im Nahen Osten oder andere Themen, bei denen die politischen Bruchlinien in Brüssel jetzt sichtbar werden?

Wenn ich Ihre Frage richtig verstehe, und es darum geht, wie wir gemeinsame europäische Entscheidungen beeinflussen können, lautet die Antwort, dass du so viel Einfluss hast, wie du Macht hast. So ist das nun einmal in der internationalen Politik. Die Frage ist also, wie stark wir, Patrioten, sind. Wir haben nicht schlecht angefangen, und als wir sozusagen die Tür des europäischen politischen Saloons eingetreten und gesagt haben, was ist hier los, hier kommen die Vertreter der Vernunft, Leute, lasst uns die Kurve kriegen, hat das Gewicht dieser Geste gereicht, um die drittgrößte Fraktion im Europäischen Parlament zu schaffen, die sich wirklich vom europäischen Mainstream, von der Mitte, von der ehemaligen Mitte unterscheidet und die manchmal eine unverblümte, aber klare Position zu Themen wie Migration oder auch zur Frage des Familien- und Kinderschutzes bezieht. Vor kurzem haben wir auch schon eine Konferenz über Migration abgehalten und eine neue europäische Politik zum Schutz vor Migration formuliert, die darin besteht, diejenigen, die wir nicht wollen, nicht hereinzulassen und diejenigen, die gegen unseren Willen gekommen sind, nach Hause zurückzubringen. Und unsere Vision und unser Programm bestehen aus der praktischen Entfaltung dessen. Wir haben also gut angefangen, wir haben an dritter Stelle angefangen, und jetzt sind wir über die Zeit der Einrichtung der Europäischen Kommission hinaus, die alle Arten von Verhandlungen hinter den Kulissen erforderte, so dass wir zu einem Zeitraum der offenen, direkten Gespräche zurückkehren können. Und hier müssen wir klar sagen, dass wir stärker werden wollen. Wir suchen die Zusammenarbeit mit anderen rechten Gruppierungen im Europäischen Parlament, von denen es auch mehrere gibt, und wir wollen bis zum Ende der Legislaturperiode, also in 4,5 bis 5 Jahren, erreichen, dass unsere Fraktion, die Patriotische Fraktion, die einflussreichste Fraktion im Europäischen Parlament ist. Um dies zu erreichen, müssen wir jetzt Allianzen bilden und durch innerparlamentarische Politik an Stärke gewinnen. Das ist möglich, und wir arbeiten daran. Ich glaube, dass es in der nächsten Periode im Europäischen Parlament Absprachen und Bündnisse geben wird, das heißt neue Bündnisse, die das Kräfteverhältnis verändern werden und, um Ihre Frage zu beantworten, den Einfluss, den die Patrioten auf europäische Entscheidungen auszuüben in der Lage sein werden, deutlich erhöhen werden.

Eine neue Dimension der europäischen Debatte ist ebenfalls in die öffentliche Debatte eingetreten, und zwar über die Wirtschaft, die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Gestern sprachen Sie auf einer Konferenz über die eurasische Zusammenarbeit. Diese Idee tauchte bereits in der Arbeit eines Geographen namens Mackinder nach dem Ersten Weltkrieg auf, aber wie realistisch ist die eurasische Zusammenarbeit und die daraus resultierende ungarische Strategie der wirtschaftlichen Neutralität in der aktuellen geopolitischen Situation?

Wenn wir über Eurasien sprechen, wissen wir nicht immer genau, wovon wir sprechen, und ich glaube nicht, dass die ungarische Öffentlichkeit darüber auf dem Laufenden ist, vor allem, wenn man bedenkt, dass sogar meine eigene Generation, ich glaube nicht, dass sich daran etwas geändert hat, im Geographie- und Geschichtsunterricht immer viel weniger Wert darauf gelegt hat als auf die Zusammengehörigkeit der Vereinigten Staaten von Amerika und Europa. Wenn man sich also anschaut, wie viel uns darüber beigebracht wurde, wie die Vereinigten Staaten entstanden sind, dass es sich dabei um eine Zivilisation handelt, die aus den kulturellen Wurzeln Europas hervorgegangen ist, und so weiter, und wie viel uns beigebracht wurde, dass Europa geografisch gesehen nur eine Halbinsel ist, eine geografische Formation von nicht sehr großer Größe, am westlichen Ende eines großen asiatischen Kontinents, und dass seine organischste Verbindung in Wirklichkeit nicht mit den Vereinigten Staaten auf der anderen Seite des Ozeans besteht, sondern mit den Gebieten östlich von uns, zu denen nicht nur Russland gehört, sondern auch der Kaukasus, der einst Teil des Sowjetimperiums war, aber nicht mehr ist, China, Indien, Korea und sogar Japan. Es ist deutlich zu sehen, dass es der Denkweise der ungarischen Öffentlichkeit schwerfällt, die geographische Ausrichtung ihrer Vorstellungen von der Welt, wie wir über sie zu denken pflegen, zu ändern. Auf dieser Konferenz habe ich auch gesagt, dass ich drei Karten an meiner Bürowand habe. Es gibt ungarische Karten, aber es gibt auch drei große Weltkarten, die alle dieselbe Welt zeigen, in der wir leben, aber nur eine davon ist mit Europa in der Mitte der Karte gezeichnet, das ist es, was unsere Kinder auch in der Schule lernen und sehen. Man kann die Welt aber auch so zeichnen, dass die Vereinigten Staaten in ihrem Mittelpunkt liegen, und ich benutze diese Karte, um zu sehen, wie die Amerikaner denken, denn wenn sie über die Welt nachdenken, sehen sie eine Karte mit ihnen in der Mitte, und aus dieser Sicht sieht die Welt anders aus als aus der europäischen Sicht. Und ich habe auch eine Karte mit Asien im Zentrum, wie sich die Asiaten die Welt vorstellen. Und das sind unterschiedliche Perspektiven, und die ganze Welt sieht anders aus. Und wir, Ungarn, sind es nicht gewohnt, die Welt auf diese Weise zu betrachten, wir sind an einen einzigen Blickwinkel gewöhnt. Ich denke, es ist an der Zeit, mehr über die Tatsache zu sprechen, dass Europa eine organische geografische Einheit mit Asien hat, in der Bildung, im öffentlichen Denken und vielleicht in Interviews wie diesem. Durch die Beziehungen zu China haben wir uns daran gewöhnt, darüber zu sprechen, dass die Seidenstraßen – denn es gibt mehrere davon – jetzt wieder aufgebaut werden können und müssen, ja diese Arbeit hat sogar schon begonnen. Die Neuausrichtung Europas und die Neuausrichtung Ungarns ist also auch eine aktuelle Aufgabe, die wir nicht nur in der Wirtschaftspolitik und in der Handelspolitik und in der Investitionspolitik wahrnehmen sollten, sondern auch in der Eröffnung neuer Dimensionen in unserem eigenen Denken.

Apropos Wirtschaftspolitik, eines der Ziele der neuen Wirtschaftspolitik ist die Erhöhung der Kaufkraft der Löhne, und gestern wurde die Lohnvereinbarung getroffen, die den Mindestlohn im nächsten Jahr um 9 Prozent und in den folgenden Jahren um 13 und 14 Prozent erhöhen wird. Wie wirkt sich diese Vereinbarung auf die Erreichung der Regierungsziele aus?

Das hängt mit dem vorangegangenen Teil unseres Gesprächs zusammen, denn wir haben darüber gesprochen, dass es einen Krieg gibt und dass die Europäer und die Amerikaner diesen Krieg unbedingt gewinnen wollen, bis der neue Präsident sein Amt antritt. Nun ist Ungarn ein anderes Land. Wir wollen nicht den Krieg gewinnen, wir wollen den Frieden gewinnen. Dieser Krieg ist nicht unser Krieg, es ist ein Bruderkrieg zwischen zwei slawischen Völkern, von dem wir uns so weit wie möglich isolieren müssen. Damit Ungarn also seinen eigenen Weg gehen kann, muss es sich aus dem Krieg heraushalten, trotz der unheilvollen Nachrichten, die Sie zitiert haben, und trotz der Tatsache, dass die ungarische Opposition im Übrigen in ukrainischen T-Shirts kriegsbefürwortende Demonstrationen abhält und an solchen im Europäischen Parlament teilnimmt. Das ist ihre Verantwortung, genauer gesagt, ihre Unverantwortlichkeit, und die ungarische Regierung und Ungarn sollten sich davon vollständig distanzieren. Aber wenn sie sich distanziert haben, dann stellt sich die Frage: Gut, wir wollen den Frieden gewinnen, aber wie wollen wir ihn gewinnen? Und hier brauchen wir eine völlig neue Wirtschaftspolitik, denn in den Kriegsjahren mussten wir etwas anderes tun als das, was die ungarische Wirtschaft in der Friedensperiode, die sich langsam vor unseren Augen entfaltet, wird tun müssen. Und deshalb haben wir auch eine neue Wirtschaftspolitik geschaffen, deren tiefes philosophisches Fundament auf der wirtschaftlichen Neutralität beruht, oder mit anderen Worten, dass Ungarn die bestmöglichen Beziehungen zu allen unterhalten muss, ausgehend von den ungarischen Interessen. Dies ist die philosophische Grundlage für eine neue Wirtschaftspolitik, die darauf abzielt, das Wachstum auf ein Niveau zu heben, das weit über dem europäischen Durchschnitt liegt. Und der Ausdruck dieser Wirtschaftspolitik ist ein wirtschaftlicher Aktionsplan, ein neuer wirtschaftlicher Aktionsplan, dessen drittes wichtiges Element neben dem Wohnungsbau und der Unterstützung der Kleinunternehmen darin besteht, die Kaufkraft der Löhne zu erhöhen, um den Menschen zu helfen, sich gegen die Inflation, gegen die kriegsbedingte Inflation zu schützen. Denn wenn die Preise hoch sind, besteht die einzige Möglichkeit, sich zu schützen, darin, dass die Menschen versuchen, so viel wie möglich zu verdienen, und wir wollen ihnen helfen, mehr zu verdienen. Um das zu erreichen, braucht man Tarifvereinbarungen. Der Mindestlohn in Ungarn wird zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern vereinbart, aber die Regierung drückt der Vereinbarung ihren Stempel auf. Wenn die Vereinbarung nicht zustande kommen will, weil die Positionen weit auseinander liegen, wie es hier der Fall war, dann muss die Regierung helfend mitwirken. Das haben wir auch getan, und als Ergebnis ist eine dreijährige Lohnvereinbarung entstanden, die bald ratifiziert werden wird. Das bedeutet, dass die Ungarn sicher sein können, dass der Mindestlohn in den Jahren 2025, 2026 und 2027 über der Inflationsrate liegen wird. Die Kaufkraft, also die Kaufkraft des Geldes der ungarischen Bevölkerung wird nicht sinken, sondern steigen. Selbst jetzt, in diesem Jahr, erwarten wir eine Inflation von 3 bis 4 Prozent, aber gleichzeitig gab es ein Lohnwachstum von über 10 Prozent, und wir wollen mit dieser Vereinbarung die Dynamik dieses starken Lohnwachstums beibehalten. Ich halte das für eine sehr gute Nachricht, die das Leben für Familien berechenbarer und vorhersehbarer macht.

Die Regierung hat auch eine Nationale Konsultation über die neue Wirtschaftspolitik eingeleitet. Es gibt jedoch Oppositionspolitiker, die sie angreifen und sie als Geldverschwendung oder sogar als volksverdummende Propaganda bezeichnen. Was könnte der Grund für diese Äußerungen sein?

Es gibt etwas Neues in der ungarischen Politik. Ich bin schon seit langem auf den Brettern des ungarischen öffentlichen Lebens unterwegs und habe so etwas noch nie erlebt. Jetzt ist es also in Mode, Menschen offen zu beleidigen und auf sie herabzusehen. Das gilt auch für die Meinungen zur Nationalen Konsultation. Diejenigen, die gegen die nationale Konsultation sind, sind nicht wirklich an der Meinung der Menschen interessiert und wollen nicht wirklich, dass es einen direkten Einfluss zwischen politischen Entscheidungen und dem Willen des Volkes gibt. Darin liegt eine Verachtung, und verbal, in Worten, hat sich diese zunehmende Derbheit gezeigt, diese „Wir Politiker wissen es besser“-Haltung ist weit verbreitet. Ihre Münder stinken, die Menschen stinken, einige ihrer Kollegen sind hirntot, Journalisten sollten in die Donau geworfen werden, so ist in der ungarischen Politik ein negativer, bedrohlicher Ton erschienen, der aus der Verachtung erwächst. Das war bisher nicht der Fall. Wenn jemandem versehentlich etwas Schlechtes von sich gegeben hat, wenn ihm etwas herausgerutscht ist, hat er sich sofort entschuldigt, hat sich zurückgezogen und hat gesagt, natürlich gibt es die Politik, aber wir sind ja im Grunde genommen doch Menschen, eine Gemeinschaft, wir sollten zusammenleben, wir wollen sicher nicht so reden, auch wenn es einmal passiert ist. Aber dass dies die Essenz des politischen Verhaltens ist und dass es einfach so herauskommt, ist im öffentlichen Leben Ungarns beispiellos, und natürlich führt verbale Derbheit früher oder später auch zur Aggression. Es wäre gut, wenn wir uns das ersparen könnten. Wir müssen uns also nicht nur von einem Krieg an der Front fernhalten, sondern wir brauchen auch keinen Krieg in der Öffentlichkeit. Wir sind eine Gemeinschaft, wir müssen anständig miteinander umgehen, und wenn wir eine neue Wirtschaftspolitik ankündigen, wie es die Regierung tut, ist es sehr richtig, eine Nationale Konsultation durchzuführen und nicht auf die Menschen herabzusehen, sondern sie nach ihrer Meinung zu fragen. Wir sagen nicht, dass sie es sowieso nicht verstehen, sondern wir sind neugierig darauf, welche Erwartungen sie haben, und wir orientieren uns an diesen Erwartungen. Ich glaube nicht, dass es sich um eine politische Frage handelt, sondern eher um eine menschliche Frage.

Ich habe Ministerpräsident Viktor Orbán unter anderem zum russisch-ukrainischen Krieg und zu den wirtschaftlichen Zielen für das nächste Jahr befragt.

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