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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth

Zsolt Törőcsik: Viktor Orbán erläuterte letzte Woche in Kötcse die fünf Punkte der wirtschaftlichen Neutralität. Nach Ansicht des Ministerpräsidenten ist die wirtschaftliche Blockbildung nicht gut, und damit die ungarische Wirtschaft erfolgreich ist, muss sie in Bezug auf Finanzierung, Investitionen, Märkte, Technologie und Energie neutral sein. Ich frage Ministerpräsident Viktor Orbán auch darüber, wie dies erreicht werden kann. Guten Morgen!

Ich grüße die Zuhörer und wünsche einen guten Morgen!

Wir sehen, dass die Welt immer mehr Blöcke bildet, sich in die Richtung der Blockbildung vorwärtsbewegt, und in vielen Fällen arbeiten die betroffenen Seiten nicht nur nicht zusammen, sondern halten sich sogar gegenseitig für ein Risiko, bezeichnen sich gegenseitig als ein Risiko für die nationale Sicherheit oder sie halten gerade die aus dem anderen Block kommenden Rohstoffe, die Technologie für ein Risiko. Wie kann man in einem solchen Umfeld wirtschaftlich neutral bleiben?

Es stimmt, dass wir von diesem Begriff entwöhnt sind. Obwohl der Begriff Neutralität in der ungarischen Politik in den letzten hundert Jahren recht häufig verwendet wurde, dachten wir meist dann an Neutralität, wenn wir uns aus etwas Schlechtem heraushalten wollten, aber wir brachten ihn selten mit der Wirtschaft in Verbindung. Es scheint eher ein militärischer oder politischer Begriff zu sein. Aber jetzt geschieht etwas in der Weltwirtschaft, das es rechtfertigt, ihn auf die Wirtschaft anzuwenden, und diese seltsame Wortkombination, die wirtschaftliche Neutralität, ist es wert, dass man sie einführt und sich daran gewöhnt. Um Pläne für die Zukunft machen zu können, muss man verstehen, was passiert, und dann kann man herausfinden, ob man wirtschaftliche Neutralität oder etwas anderes braucht. Das aufregendste internationale Ereignis der vergangenen Woche – auch wenn die internationale Politik im Allgemeinen nicht ereignislos war –, sagen wir, die interessanteste Entwicklung aus intellektueller Sicht, ist die Tatsache, dass der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank und frühere Ministerpräsident Italiens im Auftrag der Europäischen Union eine große Studie erstellt hat. Wir sprechen hier von mehreren Hundert von Seiten. Er wurde gebeten, den Zustand der europäischen Wirtschaft zu bewerten und Vorschläge zu unterbreiten. Und aus diesem Bericht von Ministerpräsident Draghi geht hervor, dass es ein großes Problem gibt. Was wir heute in Europa erleiden, ist ein enormer Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, auf Ungarisch nennt man das Niedergang, und wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir in großen Schwierigkeiten geraten. Er sagt, dass wir Herausforderer haben, dass die Vereinigten Staaten und China in Bezug auf die Wettbewerbsfähigkeit und die Wirtschaftsleistung von uns wegziehen und dass Europa wie eine Kippe zurückbleibt. Ich fasse die Studie kurz auf diese Weise zusammen. Der Wettlauf mit den Vereinigten Staaten ist eine bekannte Tatsache, das ist nicht weiter überraschend, aber das, was wir hier in Ungarn eine Veränderung des Weltsystems nennen, oder die Tatsache, dass die führende westliche Macht zum ersten Mal seit 500 Jahren nicht von innerhalb des Westens, sondern von außen herausgefordert wird, ist etwas, das Draghi ebenfalls für eine unzweifelhafte Realität hält. Dieser Wandel im Weltsystem, der Aufstieg Asiens, die Herausforderung, mit ihm zu konkurrieren, ist also eine reale, gegenwärtige, tägliche Tatsache, der die Politiker Rechnung tragen müssen. Und er beschreibt die Vorteile, die die Asiaten haben und wie sie an uns vorbeiziehen. Es gibt zwei Möglichkeiten, auf eine solche Situation zu reagieren. Und auch er sagt: Entweder man sagt, gut, wir gehen in diesen Wettbewerb, und wenn der Gegner 120 Kilo stemmt, und wir nur 80, dann trainieren wir vielleicht und stemmen die 120. Oder man sagt, wir treten nicht an, wir disqualifizieren den Gegner, indem wir sagen, wir sollen nicht 120 stemmen, sondern nur 80, weil wir mehr nicht können. Und dann bilden wir einen Block, schließen unsere Grenzen und sagen, ihr könnt nicht mit euren billigeren Produkten, mit euren effizienteren Technologien hierherkommen, und wir werden allein zurechtkommen. Wir bilden also ohne Wettbewerb einen Block. Die Frage ist nun, welcher der beiden möglichen Wege in unserem Interesse ist. Die Europäische Union tendiert übrigens zur Blockbildung, denn jeden Tag kommen Nachrichten, dass sie solche Schutzzölle einführt, dass sie bestraft, dass sie sanktioniert und so weiter. Aber in Wahrheit wäre eine Blockbildung für Ungarn eine Tragödie, so wie die sozialistische Wirtschaft eine Tragödie war, als die Weltwirtschaft in eine sowjetische und eine amerikanische Weltwirtschaft zerschnitten wurde. Denn wenn es zu einer solchen Spaltung kommt, sind wir diejenigen, die am meisten Gefahr laufen, an der Peripherie zu sein, an den Rand gedrängt zu werden, wir werden unbedeutende Akteure in der Weltwirtschaft sein, wir werden Chancen verlieren, werden in eine Sackgasse gedrängt. Die Position der Regierung – und das ist auch meine persönliche Überzeugung – ist also, dass Ungarn am Wettbewerb teilnehmen muss und dass es für Ungarn gut ist, wenn die Weltwirtschaft geeint ist, wenn wir die Herausforderer nicht ablehnen, ausgrenzen oder ausschließen, sondern sie verstehen, verstehen, was sie besser macht als uns, und anfangen, mit ihnen zu konkurrieren, und auch wir werden unsere Leistung verbessern. Das ist im Übrigen auch die Aussage des Draghi-Berichts. Es ist ein strenges Dokument. Ich bedaure, dass es in der ungarischen Öffentlichkeit kaum erscheint, aber der intellektuelle Gehalt der ungarischen Politik schrumpft mit der Zeit, weil sich die Dinge irgendwie in Richtung Skandalpolitik bewegen, im Übrigen nicht nur in Ungarn, sondern auch in der internationalen Welt, und solche tiefgreifenden Analysen sind immer weniger in der Lage, die öffentliche politische Fantasie zu fesseln. Schade darum! Dieser Bericht hat es verdient. Nun, ich denke, in dieser Situation brauchen wir Neutralität. Wir dürfen uns nicht in die eine oder andere Hemisphäre, Ost oder West, einsperren lassen, sondern müssen unsere Beziehungen, den Handel, die Offenheit, die Zusammenarbeit und den Wettbewerb sowohl mit Ost als auch mit West aufrechterhalten. Das ist ungewöhnlich, denn in den letzten dreißig Jahren haben wir hauptsächlich darüber gesprochen, wie wir unseren Platz in der westlichen Welt einnehmen können: Mitgliedschaft in der Europäischen Union, Mitgliedschaft in der NATO und so weiter, und die Neutralität wurde im öffentlichen Diskurs in Ungarn ausgeklammert. Aber es ist an der Zeit, sie wiederzubeleben, sie aufzuwärmen, sie einzuführen und sie in wirtschaftlicher Hinsicht zu nutzen und zu sagen, dass Ungarn die Wirtschaft nicht durch die Brille der Politik betrachten kann. Wir müssen die Wirtschaft durch die Logik der Wirtschaft betrachten, und wir müssen nur darauf achten, was im Interesse der ungarischen Menschen ist. Das ist das erste Gebot. Und wirtschaftliche Neutralität ist das, was den Interessen der Menschen heute am besten dient, und deshalb habe ich darüber gesprochen.

Nun, aber wie können wir die politische Brille vermeiden, wenn wir bei der Umsetzung der Konnektivitätsstrategie sehen, welchen politischen Angriffen beispielsweise chinesische Investitionen sowohl von ungarischer als auch von EU-Seite ausgesetzt sind?

Wir müssen Verbündete sammeln und mit gleichgesinnten Ländern zusammenarbeiten. Gestern oder vorgestern war zum Beispiel der spanische Premierminister in China. Er kam nach Hause und sagte deutlich, dass die derzeitige Politik der Europäischen Kommission, der europäischen Wirtschaft mit Schutzzöllen zu helfen, ein Fehler ist. Oder ich habe in den letzten Monaten Gespräche mit den Chefs aller großen europäischen Automobilhersteller geführt. Die ungarische Automobilindustrie, die Automobilherstellung, ist ein Schlüsselthema, denn mehrere hunderttausend Familien verdienen ihren Lebensunterhalt in diesen Fabriken. Es ist wichtig, dass sie erhalten bleiben. Ich habe mit ihren Leitern darüber gesprochen, wie die Zukunft aussehen wird. Und ich habe sie nach ihrer Meinung zu den europäischen Strafzöllen auf chinesische Elektroautos gefragt, die im Prinzip als Strafzölle zum Schutz der heimischen Hersteller gedacht sind. Nun, sie sind die einheimischen Hersteller, die europäischen Hersteller. Und sie sagten, dass sie diejenigen seien, die am entschiedensten dagegen seien. Sie bedanken sich, aber sie wollen nicht geschützt werden, sie wollen konkurrieren. Aber die Kommission hört nicht auf sie, sie denkt immer noch über Schutzzölle nach. Was ich damit sagen wollte, ist, dass es viele wichtige europäische Akteure in der Politik und in der Wirtschaft gibt, die so wie Ungarn denken. Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten und ein Gewicht und eine Kraft schaffen, die die Brüsseler Politik, die sich ändern muss, verändern kann. Ich möchte eine Randbemerkung machen, aber gestern oder vorgestern wurden wir erneut wegen der Kommission vom Europäischen Gerichtshof verurteilt, weil wir die Familien gegen ungerechtfertigte Preiserhöhungen verteidigt haben. Wir haben einen Preisstopp für einige Produkte verhängt, wir sind auf der Seite der Menschen, und jetzt wurden wir verurteilt, weil dies falsch sei, weil man den multinationalen Konzernen die Bildung der Preise überlassen muss, die sie wollen. Das sind falsche Ideen, das sind wirtschaftliche Fehler der Europäischen Kommission. Man kann also nicht davon ausgehen, dass etwas schlauer ist als wir, nur weil es aus Brüssel kommt. Nein, sie irren sich, und wir müssen sie zu einer Änderung bringen.

Um Pläne machen zu können, müssen wir uns auch die aktuelle Lage der ungarischen Wirtschaft ansehen. In den letzten Jahren haben wir viel über die hohe Inflation gesprochen, die dazu führte, dass die Reallöhne eine Zeit lang sanken, und der Konsum kommt immer noch nicht richtig in Schwung. Die Menschen sind vorsichtig, auch wenn die Inflation sinkt und die Reallöhne steigen. Wie sind die Aussichten für die ungarische Wirtschaft in dieser Situation?

Zunächst einmal sehe ich, dass es in Ungarn eine lebhafte Debatte oder einen Meinungsaustausch über den Zustand der Wirtschaft und ihre Aussichten gibt. Wie es in einer Debatte üblich ist: alle möglichen Dinge werden vorgebracht, Gras, Bäume, Blumen, Grillen, Käfer, man hört kluge Meinungen und auch Unsinn. Ich höre auch viel Schlechtes über die ungarische Wirtschaft. Ich denke, das ist zum Teil auf mangelndes Wissen und zum Teil auf politische Verzerrungen zurückzuführen. Denn wenn man sich die Fakten ansieht, hat die ungarische Wirtschaft bereits eine sehr schwierige Phase hinter sich und steht kurz vor einem Aufschwung, oder auf Ungarisch gesagt: einem Aufstreben. Da ist zum Beispiel die Frage des Wachstums, das einer der wichtigsten Indikatoren ist. Das ungarische Wirtschaftswachstum liegt über dem Durchschnitt der Europäischen Union. Wir stehen also in Bezug auf das Wachstum gut da. Die Inflation sinkt jetzt langsam unter 3 Prozent, oder wir drücken sie dorthin zurück, was ebenfalls gut ist. Die Leute neigen auch dazu, negativ über die Investitionen zu sprechen, aber wenn ich mir die Zahlen anschaue, ist die ungarische Investitionsquote besser als der EU-Durchschnitt, was immer das auch heißen mag, der EU-Durchschnitt liegt bei 20 Prozent, unser Durchschnitt bei 23 Prozent. Laut dem heutigen Stand der Mathematik ist 23 mehr als 20. Das Gleiche gilt für den Konsum. Ich höre auch eine Debatte darüber, wie es denn jetzt mit dem Konsum aussieht. Ich bin mir nicht sicher, ob alle die richtige Brille aufhaben, wenn sie darüber sprechen, denn ich denke, dass die Entscheidung, ob die Menschen konsumieren sollen oder nicht, in erster Linie bei ihnen selbst liegen sollte und nicht bei den Ökonomen. Wenn die Menschen Geld haben, können sie zwei Dinge tun: Entweder sparen oder konsumieren. Beides hat seine Vorteile. Es ist nicht unsere Aufgabe, nicht die der Politiker und nicht die der Ökonomen, zu entscheiden, was die Menschen mit ihrem Geld tun sollen. Diejenigen, die vorsichtiger sind, werden sparen, die mutigeren werden konsumieren. Aber wie auch immer, wir haben einen Verbrauch von etwa 4 %, die Menschen geben also mehr aus. Um mehr auszugeben, gibt es zwei Voraussetzungen. Die erste ist, dass man etwas zum Ausgeben hat, man hat Geld. In Ungarn gibt es einen Lohnanstieg von 9-10 % über der Inflation. Ich glaube, das ist eine der höchsten in Europa. Man muss also Geld ausgeben können, und zweitens muss man die Absicht dazu haben. Ich schaue mir die Tourismuszahlen an, wir sind am Ende des Sommers. Wir brechen historische Rekorde. Noch nie waren so viele Ungarn im Urlaub wie in diesem Jahr. Nicht zu Hause, nicht im Ausland. Die Zahl der Ungarn, die im Ausland Urlaub machen konnten, war also noch nie so hoch wie in diesem Jahr. Ich möchte nur sagen, dass dies alles Zahlen sind, die uns Anlass zu Optimismus geben. Und wenn ich mir die Prognosen der Europäischen Union anschaue, und man kann Brüssel nicht vorwerfen, dass sie Ungarn bis zum Gehtnichtmehr loben würden, das kann man nicht über sie sagen, auch sie sagen, dass Ungarn im nächsten Jahr in Bezug auf das Wirtschaftswachstum das drittbeste Land in der Europäischen Union sein wird. Damit bin ich natürlich nicht zufrieden, denn wir wollen die Nummer eins sein, aber der dritte Platz von 27 ist auch nicht so schlecht. Was ich also sagen will, ist, dass wir nach der Analyse aller Daten über die ungarische Wirtschaft, die wir auf der letzten Regierungssitzung vorgenommen haben, sagen können, dass Ungarn am Rande eines wirtschaftlichen Aufschwungs steht, dass es an der Schwelle einer Konjunktur steht und dass das Schlimmste überstanden ist. Die Frage ist: Gibt es eine Bedrohung für diese ermutigenden Aussichten? Haben wir einen Feind? Ja! Es gibt eine Sache, die unsere Pläne und Berechnungen durchkreuzen kann. Das ist der Krieg. Denn wenn sich der Krieg vertieft und ausweitet, wird er alle wirtschaftlichen Berechnungen, die auf der gegenwärtigen Situation beruhen, über den Haufen werfen und uns nicht nach oben, sondern nach unten bringen. Wir haben also einen Feind, und das ist der Krieg.

Wir werden gleich darauf zu sprechen kommen, aber Sie und mehrere Minister haben gesagt, dass wir eine Lohndynamik in der ungarischen Wirtschaft brauchen, damit dieses Wachstum noch höher ausfällt, und es ist bereits die Rede von einer deutlichen Erhöhung des Mindestlohns und des garantierten Mindestlohns. Wie groß ist hierbei der Handlungsspielraum? Denn es hängt natürlich nicht nur von der Regierung ab, sondern auch von den Unternehmen, die das dann bezahlen müssen.

Über Löhne muss also mit Vorsicht gesprochen werden. Natürlich will jeder mehr verdienen. Sie, ich, die Studenten, alle. Im Prinzip ist ein Lohnanwuchs also eine wünschenswerte Sache. Wenn die Lohnerhöhungen jedoch nicht vernünftig durchgeführt werden, kann es leicht passieren, dass auf die guten Nachrichten ein Kater und Kopfschmerzen folgen, weil sich herausstellt, dass die Unternehmer den Lohn nicht erwirtschaften können, und dann werden sie Sie entlassen. Oder sie kürzen die Entwicklungskosten, und im nächsten Jahr erhöhen sie die Löhne überhaupt nicht mehr. Da die Löhne eine so komplizierte wirtschaftliche Angelegenheit sind, ist es am besten, wenn sie von denen festgelegt werden, die sie machen. Und genau das ist die ungarische Praxis. Es gibt eine Reihe von westeuropäischen Ländern, in denen ähnlich gedacht wird. Am besten ist es also, wenn sich die Arbeitnehmer, die verdienen, und die Arbeitgeber, die zahlen, jedes Jahr darauf einigen, wie hoch die Lohnerhöhung sein soll. Manchmal können sie sich einigen, manchmal nicht. Gut ist, wenn sie sich einigen. Und in den letzten Jahren ist es der Regierung gelungen, sie jedes Mal zu einer Einigung zu bringen. Das ist es, worauf wir drängen, und das ist es, worauf ich jetzt dränge, dass sie sich einigen. Am besten ist es, wenn sie sich nicht nur für ein Jahr, sondern für zwei oder drei Jahre im Voraus einigen. Dafür sehe ich jetzt gute Chancen, und ihre Verhandlungen laufen gut. Das Einzige, was die Regierung noch tun muss, ist, die Vereinbarung abzusegnen und sie dann zu verkünden. Es ist die Entscheidung der Regierung, die Lohnerhöhung zu verkünden. Aber aushandeln müssen sie es eher miteinander. Und dann können wir sicher sein, dass jede mögliche Lohnerhöhung gewährt wird, aber es wird keine Lohnerhöhung geben, deren nachteilige Folgen die Arbeitnehmer später schlucken müssen. Das ist also die beste Lösung. Wer eine Lohnerhöhung verspricht, ohne dies zu kennen oder ohne die Betroffenen zu konsultieren, weiß nicht, wovon er spricht. Auch wenn es sich für uns gut anhört, eine 100-prozentige Lohnerhöhung zu haben, es würden sich auch alle darüber freuen, aber jeder weiß, dass das nicht vernünftig und realistisch ist. Deshalb bin ich froh, dass es in diesem Jahr gelungen ist, ernsthafte Lohnerhöhungen zu vereinbaren, und dass die Chance besteht, dass diese Einigung auch für die nächsten zwei oder drei Jahre erzielt wird. Der Spielraum ist nicht klein, und ich erwarte eine ernsthafte Lohnerhöhung. Nach den Verhandlungen gehe ich davon aus, dass wir in Ungarn in den nächsten zwei bis drei Jahren eine deutliche Lohnerhöhung durchsetzen können. Dies ist Teil des Zustandes vor dem Aufschwung, von dem ich spreche.

Und in diesem Zusammenhang haben Sie gesagt, dass viel von der Frage von Krieg und Frieden abhängt. Als sie das letzte Mal hier waren, nach der Friedensmission, sagten sie, wenn es keine Friedensmission gibt, dann wird der Krieg sukzessive weiter eskalieren, sich ausweiten und intensivieren. Diese Vorhersage von ihnen hat sich durch die Nachrichten und die Ereignisse bestätigt, aber in der Zwischenzeit scheint es, dass auch der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz einen Friedensplan hat. Wie viel weiter oder näher sind wir dem Frieden jetzt als noch vor zwei Monaten? Wie sehen Sie die Situation?

Die Welt war noch nie in Schwierigkeiten, weil der normal denkende Teil der Welt immer für den Frieden war. Wenn ich jetzt die westlichen Länder nicht mitzähle und mir die Weltkarte anschaue, sehe ich fast nur Länder, die für den Frieden sind. Und auch die großen Länder von China über Indien bis Brasilien. Es gibt auch Friedenspläne, die auf dem Tisch liegen. Wir mussten unsere Friedensmission starten, um Europa dazu zu bringen, über die Möglichkeit des Friedens nachzudenken. Denn die europäischen Staats- und Regierungschefs haben sich in diesem Krieg auf ukrainischer Seite eingegraben, als ob es ihr Krieg wäre, als ob sie ihn auch führen würden, als ob es darum ginge, ob wir verlieren oder nicht, obwohl wir uns nicht im Krieg mit den Russen befinden, sondern die Ukrainer stehen im Krieg mit den Russen. Und diese festgefahrene, starre Haltung der europäischen Staats- und Regierungschefs hat zu einem Europa geführt, das für den Krieg ist. Da müssen wir herauskommen. Der Ausweg besteht darin, ernsthaft darüber zu reden, wie wir aus den Schützengräben herauskommen und erkennen, dass dies nicht unser Krieg ist. Wir müssen auch den Standpunkt einnehmen, dass ein Waffenstillstand und Friedensverhandlungen im Interesse aller sind, denn auf dem Schlachtfeld gibt es eindeutig keine Lösung für diesen Krieg. Wenn es auf dem Schlachtfeld keine Lösung gibt, dann gibt es keinen Grund, zur Fortsetzung des Krieges aufzurufen, sondern eine Einigung anzustreben, übrigens unabhängig davon, wer welches ursprüngliche Ziel hatte. Das ist jetzt die Situation. Nun hat unsere Friedensmission diesen Gedanken ausgelöst, weil wir eine große Debatte in Europa angestoßen haben, bei der jemand beim ersten Hinhören vielleicht nur die Tatsache der Debatte registriert, aber man sollte bedenken, dass ohne diese Friedensmission eine solche Debatte nicht in Gang gekommen wäre und alle immer noch vom Krieg reden würden. Aber sobald der Dialog, der Diskurs, die Debatte über den Frieden begonnen hat, sagen immer mehr Länder, dass sie sich gerne dem Friedenslager anschließen möchten. Da ist zum Beispiel der deutsche Bundeskanzler, der bereits Dinge gesagt hat, für die er vor drei Wochen in den deutschen Medien noch gehäutet worden wäre. Die Situation ändert sich also. Und ich habe Aktionen von Friedensmissionen noch in petto, wir werden auch in der nächsten Zeit unerwartete Initiativen haben, die uns alle dem Frieden einen Schritt näherbringen werden.

Wenn schon der deutsche Bundeskanzler und seine Hinwendung zum Krieg zur Sprache gekommen ist – in dieser Woche gab es eine weitere wichtige und interessante deutsche Entscheidung: Ab Montag wird Berlin im Rahmen seines Kampfes gegen die Migration für sechs Monate wieder Grenzkontrollen an allen deutschen Grenzen einführen, allerdings mit Einschränkungen der Freizügigkeit für EU-Bürger. Sie haben auf diesen deutschen Schritt mit den Worten „Willkommen im Club!“ reagiert. Welche Auswirkungen könnte dieser Schritt haben? Lassen Sie uns zunächst über den Schengen-Raum sprechen.

Seit 2015, als die Migrantenkrise ihren Höhepunkt erreichte und diese Invasion begann, hat Ungarn immer gesagt, dass die Außengrenzen geschützt werden müssen. Und ich habe nie Politiker unterstützt, die jammern und darüber reden, dass die Außengrenzen nicht geschützt werden können. Anstatt zu jammern und sich selbst zu entschuldigen und zu bemitleiden, hat Ungarn tief durchgeatmet, den Zaun gebaut und die Migranten aufgefangen. Ungarn ist nicht zu einem Einwanderungsland geworden. Diejenigen, die nicht tief Luft geholt haben, die nicht mutig genug waren, die nicht für ihre eigenen Interessen eingetreten sind, sind jetzt Einwanderungsländer. Ob sie das wollten oder ob sie einfach in diese Situation hineingeraten sind, ist nicht meine Sache, aber ich kann Ihnen sagen, dass die Länder Westeuropas zu Einwanderungsländern geworden sind. Gleichzeitig stelle ich aber auch fest, dass wir, Ungarn, auf der anderen Seite, weil wir für unsere eigenen Interessen eingetreten sind, nicht zu einem Einwanderungsland geworden sind, und was auch immer Brüssel macht, wenn es sich auf den Kopf stellt, werden wir trotzdem nicht zu einem Einwanderungsland werden. Ungarn gehört den Ungarn. Punkt. Aber das ist nur möglich, wenn wir unsere Grenzen schützen. Grenzschutz ist in letzter Zeit zu einem negativen Wort geworden. Jetzt endlich, weil alle die Migranten reinlassen mussten und jeder, der sie aufhält, der Böse ist – das ist die europäische Situation. Jetzt wacht man in Deutschland auf, weil Terrorismus, Kriminalität und die soziale und finanzielle Belastung durch Migranten, die nicht arbeiten wollen, die Deutschen wachrütteln. Und auch der Kanzler ist aufgewacht. Deshalb habe ich gesagt: Willkommen im Club, denn er drängt darauf, dass die Grenzen geschützt werden müssen. Es gibt nur noch einen Schritt, den die Führer Westeuropas tun müssen, und der ist intellektuell nicht besonders schwierig: Wenn sie sagen, dass die Grenzen geschützt werden müssen, dann dürfen diejenigen, die sie schützen, nicht bestraft werden. Das scheint ziemlich logisch zu sein. Und Ungarn, das die Grenzen schützt, wird von Brüssel mit hohen Geldstrafen bestraft, weil wir die Grenzen schützen, während andere Staaten uns auffordern, die Grenzen zu schützen, und sogar selbst ihre Grenzen schließen. Das ist also eindeutig nicht richtig. Es ist ein Durcheinander, es ist ein Tohuwabohu, es ist ein politisches Chaos, und die gesamte Europäische Kommission, die gesamte europäische Legislative hat eine solche Situation geschaffen. Das muss geändert werden, und wir müssen uns auf die Seite der Länder stellen, die die Grenzen verteidigt haben und verteidigen. Zum Beispiel müssen den Ungarn die beträchtlichen Summen gezahlt werden, die uns der Grenzschutz bisher gekostet hat. Wir sollten nicht bestraft werden, sondern unsere Leistungen sollten anerkannt werden, und man sollte uns das Geld nicht wegnehmen, sondern es uns geben, damit wir diese Arbeit fortsetzen können.

Welche Chancen sehen Sie, dass die Europäische Kommission das Geld für den Grenzschutz zahlt? Denn es gibt in der Tat eine ungarische Forderung, und auf der anderen Seite gibt es eine Forderung aus Brüssel, die sie als Strafe formuliert haben, das heißt, sie fordern 80 Milliarden Euro von Ungarn für die Verletzung der Migrationsmaßnahmen.

Es sieht nicht so aus, als würden wir das morgen gewinnen, aber wenn wir einmal etwas angefasst haben, werden wir es nicht mehr hergeben. Sie werden also zahlen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Es kann ein Jahr dauern, es kann drei Jahre dauern, es kann fünf Jahre dauern, aber sie schulden uns dieses Geld und sie müssen es bezahlen.

Ist es wahrscheinlich, dass die Kehrtwende des deutschen Bundeskanzlers im Übrigen eine Änderung der Migrationspolitik auf EU-Ebene bewirken könnte?

Alle Achtung vor dem deutschen Bundeskanzler, und auch als Zeichen des Respekts vor seinem Amt, aber der Bundeskanzler ist nicht von sich aus zu diesem Schluss gekommen. Er ist zu diesem Schluss gekommen, weil Migranten einige friedliche deutsche Wähler auf der Straße niedergestochen haben. Und weil die Kriminalität zugenommen hat, weil sie die Kosten für diese schlechte Politik nicht mehr bezahlen können. Und die Menschen sind entrüstet. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht darum, dass der deutsche Bundeskanzler es endlich geschafft hat, ein schwieriges intellektuelles Rätsel richtig zu beantworten, es geht um eine ganz einfache Frage: Lassen wir die Migranten rein oder nicht? Was er bisher falsch beantwortet hat, musste geändert werden, das heißt, seine Position musste geändert werden, auf Druck der Bevölkerung, auf Druck des Volkes. Es ist ein Erfolg für die Demokratie, dass das deutsche Volk endlich erreicht hat, dass seine eigene Regierung sich auf seine Seite stellt. Es gibt in ganz Europa nur ein einziges Land, das damit begonnen hatte, das Volk zu fragen. Überall sonst haben die Eliten, die politischen Führer, entschieden, ob Migration richtig oder falsch ist. Das sind nun eben ideologiegesteuerte Menschen, die nicht auf der Erde leben, sondern in einem Nebel, in einem Kreis von Theorien. Ist Migration gut oder schlecht? Man muss nicht so viel darüber nachdenken, man muss die Menschen fragen. Denn nicht die Politiker, die in eleganten Villen leben, werden unter den Folgen der Migration leiden, sondern die Bürger, die wirklich in den Vororten, in den Wohnsiedlungen, an den Arbeitsplätzen leben und arbeiten. Sie müssen gefragt werden! Und Ungarn war das einzige Land, das gleich zu Beginn sagte, wir sollten ein Referendum darüber abhalten. Lasst uns entscheiden, ob Ungarn ein Einwanderungsland sein soll oder nicht. Akzeptieren wir das Recht Brüssels zu sagen, wer in Ungarn bleiben darf, oder lehnen wir es ab und verteidigen unsere Souveränität. Das ungarische Volk hat deutlich gemacht, dass dies nicht in Frage kommt. Das ist unser Standpunkt. Jetzt merken auch die Westler, die falsch herum auf das Pferd aufgesprungen sind, dass es einfacher ist, das zu tun, was die Menschen sagen, die tatsächlich unter den negativen Folgen der Einwanderung leiden, als all die Eierköpfe, die auf dem Papier die Vorteile einer liberalen Einwanderungspolitik dargestellt haben, während die Menschen die Fäuste geschüttelt haben. Es ist also an der Zeit, dass echte Menschen aus Fleisch und Blut über diese Frage entscheiden, nicht nur in Ungarn, sondern in ganz Europa.

Ich habe Ministerpräsident Viktor Orbán auch zum Zustand und zu den Aussichten der ungarischen Wirtschaft, zur Frage von Krieg und Frieden und zur Migration befragt.

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