Zsolt Törőcsik: Es ist 38 Jahre her, dass sich so etwas wie am Mittwoch das letzte Mal ereignet hat, dass ein Attentat auf einen amtierenden EU-Regierungschef verübt wurde. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico liegt seither in lebensbedrohlichem Zustand auf der Intensivstation des Krankenhauses in Banská Bystrica. Der slowakische Innenminister erklärte gestern, dass der Anschlag unter anderem dadurch motiviert gewesen sein könnte, dass der Täter nicht mit der Einstellung der Militärhilfe für die Ukraine einverstanden war. Ministerpräsident Viktor Orbán ist zu Gast in unserem Studio. Guten Morgen!
Guten Morgen!
Es ist Jahrzehnte her, dass wir solche Bilder in Europa gesehen haben, und gestern sagte der gewählte slowakische Präsident Peter Pellegrini, dass wir eine rote Linie überschritten haben. Wie sehen Sie das, was dazu geführt hat?
Ich erinnere mich, als Zoran Đinđic in Serbien erschossen wurde. Es stimmt, dass Serbien nicht Mitglied der Europäischen Union ist, aber es ist Teil unserer Nachbarschaft und Teil Europas, so dass dieser Teil der Welt, Mitteleuropa, ein viel riskanteres Jagdgebiet oder eine viel riskantere Region ist als Westeuropa. Alle sind erschüttert über das Attentat, alle sind schockiert, alle sind entsetzt, alle sagen, auch ich, dass Europa so weit gekommen ist… Natürlich ist ein Attentat immer überraschend, aber die Tatsache, dass das Ausmaß der Gewalt in Europa zunimmt, überrascht niemanden. Europa leidet unter verschiedenen Arten von Gewalt, aber letztlich besitzt die Gewalt doch die gleichen Wurzeln. Es gab ja in dem vergangenen Jahrzehnt Terroranschläge in Europa. Unschuldige Menschen haben in mehreren EU-Ländern zu Hunderten ihr Leben verloren. Zwar waren nicht Politiker davon betroffen, sondern unschuldige europäische Bürger. Dann kam der Krieg, und die Umwandlung Europas von der Friedens- zur Kriegsbefürwortung begann. Wenn ich also die Meinungen und politischen Entscheidungen, die heute die europäische Politik beherrschen und die sich für den Krieg aussprechen und von einer starken Kriegsvorbereitung sprechen, mit den Worten vergleiche, die wir hörten, als der Krieg im Februar, März und April 2022, also vor zwei Jahren, ausbrach, dann ist das ein himmelweiter Unterschied. Nur da wir unser Leben hier in der Hektik des Alltags leben, merken wir nicht, wie radikal sich der ursprüngliche Standpunkt Europas bis heute verändert hat. Ich erinnere mich, dass die Deutschen noch vor zwei Jahren sagten: Ja, ja, ja, wir schicken Helme, aber wir schicken keine tödlichen Waffen, also keine Schusswaffen und keine Munition. Dann haben sie natürlich Schusswaffen und Munition geschickt, dann Panzer, dann Flugzeuge, und jetzt schon wird die Entsendung von Truppen von den führenden europäischen Politikern und sogar von der NATO selbst untereinander abgestimmt. Also ist das Ausmaß der Gewalt, das Nachdenken über Gewalt, die Vorbereitung auf Gewalt oder die Möglichkeit, dass Gewalt zu einem Teil unseres Alltags wird, ist also ein greifbarer Prozess in Europa. Dies ist ein großes Problem. Und Sie haben Recht, wenn Sie in Ihren Überlegungen zwischen Ländern innerhalb und außerhalb der Europäischen Union unterscheiden, denn auch wir sind deshalb durch dieses Attentat politisch erschüttert, über die menschlichen Aspekte hinaus, denn die Europäische Union wurde ja doch geschaffen, wir haben sie geschaffen, im Interesse des Friedens. Die erste Aufgabe der Europäischen Union ist also der Frieden, und ihre zweite Aufgabe ist der Wohlstand. Diese beiden Dinge sollte sie den Ländern geben, die ihr beigetreten sind. Deshalb sind wir beigetreten, das war der Sinn. Wenn man gesagt hätte, dass die Europäische Union weder Frieden noch Wohlstand bringen würde, wie dies heute der Fall ist, dann wären wahrscheinlich viele Länder der Europäischen Union nicht beigetreten, aber wir glaubten und glauben immer noch, dass Europa gleichbedeutend mit Frieden und Wohlstand ist. Nach einem solchen Attentat braucht es einen starken Glauben, um diese Überzeugung auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Aber unsere Aufgabe ist es, zu versuchen, das Ausmaß der Gewalt im Alltag und die Kriegsgefahr im politischen Leben zu begrenzen. Das ist die Situation. Wir beten für den Ministerpräsidenten, wir drücken ihnen oder ihm und natürlich den Slowaken die Daumen, und wir wünschen ihm, dass er sich so rasch wie möglich erholt und wieder an die Arbeit gehen kann; wenn wir über den menschlichen Aspekt hinausgehen können, denn er kämpft ja doch um sein Leben, Fico befindet sich im Moment zwischen Leben und Tod, wenn wir darüber hinausgehen können und diese Situation aus politischer Sicht betrachten, dann ist es ein großer Verlust für Ungarn, denn selbst wenn der Ministerpräsident sich erholt, ist er für Monaten außer Gefecht gesetzt, und zwar gerade in den wichtigsten Monaten, in denen wir vor einer Wahl in Europa stehen, die nicht einfach nur darüber entscheiden wird, welche konkreten Personen Abgeordnete des Europäischen Parlaments sein werden, sondern, wie ich glaube, zusammen mit der Wahl in den USA die Frage von Krieg und Frieden in Europa entscheidet, entscheiden könnte und auch entscheiden wird. Wir hätten Robert Fico hier wirklich sehr gebraucht, wir hätten hier eine friedensfreundliche Slowakei wirklich sehr gebraucht, denn nach den letzten slowakischen Parlamentswahlen, die vor kurzem stattgefunden und dazu geführt haben, dass Robert Fico Ministerpräsident der Slowakei wurde, hat die Slowakei den Weg zum Frieden eingeschlagen, und das war eine große Hilfe für Ungarn, und diese Unterstützung haben wir jetzt verloren.
Inwiefern ändert dies etwas an der Bedeutung der Wahlen vom 9. Juni oder auch an der Art und Weise, wie die angestrebten Ziele erreicht werden können?
Wir müssen wissen, dass wir auch schon bisher nicht viele waren, die sich für den Frieden ausgesprochen haben, ich kann den Heiligen Vater erwähnen, den Vatikan, aber sie stimmen nicht in der europäischen Politik ab; uns selbst und natürlich die Slowakei, die zu uns in der friedensfreundlichen Richtung aufgeschlossen hat. Nun ist einer von ihnen ausgeschieden, was bedeutet, dass wir mit doppelter Kraft arbeiten müssen. Meine Arbeit wird auch in Brüssel erschwert, wenn ich in Debatten mit kriegsbefürwortenden Politikern kämpfen muss. Das Wichtigste ist, keine Angst zu haben, also sollten die Friedensbefürworter keinen Schreck bekommen. Wir wissen, dass der Täter ein Kriegsbefürworter war, denn die Linke ist kriegsbefürworterisch, also halte ich es nicht für unbegründet zu sagen, dass wir es mit einem linken, progressiven, linksgerichteten, kriegsbefürwortenden Täter zu tun haben. Obwohl die Nachrichtendienste noch daran arbeiten, die vollständigen Umstände zu ermitteln, und es in so einer Situation schwierig ist, mit Sicherheit Aussagen zu treffen, so können wir doch so viel mit Sicherheit sagen: Jene Kombinationen sind nicht unbegründet, die das Attentat mit dem Krieg in Verbindung bringen. Hinter den kriegsbefürwortenden Politikern, hinter der kriegsbefürwortenden Haltung im Allgemeinen, stehen große Kräfte, vom Soros-Imperium bis zur Rüstungsindustrie, den Kreditgebern, mit anderen Worten die großen Chefs und die großen Machtzentren, die ein Interesse daran haben, dass dieser Krieg fortgesetzt und sogar ausgeweitet wird.
Ja, im Übrigen ist es interessant festzustellen, dass innerhalb weniger Tage sowohl Alex Soros als auch US-Außenminister Antony Blinken Kiew besuchten, wobei letzterer die Lieferung neuer Luftabwehrsysteme versprach, während der Rat der Europäischen Union endgültig die Zahlungen des 50-Milliarden-Euro-Pakets für die Ukraine genehmigt hat. Es scheint also, als ob die Unterstützung für die Ukraine nun wieder verstärkt wird bzw. der Wille dazu vorhanden ist. Was könnte der Grund dafür sein?
Es gibt hier in der Tat eine Überschneidung, so fällt die Tatsache, dass ein Attentäter den Friedensprozess der Slowaken durchkreuzt hat, mit einigen anderen Entwicklungen hier zusammen, die auf eine bevorstehende Kriegsvorbereitung hindeuten. Die Kriegsbefürworter verhandeln miteinander, deshalb sind der Chef des Soros-Imperiums und der US-Außenminister nach Kiew gereist, und sie wollen immer mehr Geld geben. Es ist eine Sache, dass das, was wir früher beschlossen haben, das heißt, was worüber wir früher einen Beschluss gefasst haben, jetzt auch rechtlich finalisiert worden ist. Ungarn hat dafür gekämpft, dass das ungarische Geld nicht in die Ukraine fließt. Das ist ein großer Erfolg, wir haben dafür doch die Garantie, aber unabhängig davon schicken wir Geld an die Ukraine im Rahmen einer gemeinsamen Anleihe, was ebenfalls falsch ist, doch haben wir sie noch nicht einmal abgeschlossen, ich meine, die Tinte ist noch nicht einmal trocken auf dem Papier, und das Geld ist noch lange nicht dort angekommen, und wir sprechen bereits über eine weitere Anleihe. In der NATO wird zum Beispiel eine ukrainische Mission organisiert, eine NATO-ukrainische Mission. Man bekommt allein schon eine Gänsehaut, wenn man den Begriff NATO-Mission in der Ukraine hört, denn die NATO ist keine Wohltätigkeitsorganisation oder ein Friedenskorps, und wenn sie anfängt, über eine Mission irgendwo nachzudenken, dann pflegt das in der Regel kein gutes Ende zu nehmen. Sie ist ein Verteidigungsbündnis, sie sollte nicht an Missionen denken. Ein Verteidigungsbündnis ist dafür da, dass diejenigen, die sich zusammengeschlossen haben, um sich selbst und einander zu verteidigen, sich um die Verteidigung kümmern, sich aber nicht den Kopf über militärische Einsätze außerhalb des Hoheitsgebiets der NATO-Länder zerbrechen, ja auch nicht über deren Planung, so wie das gegenwärtig stattfindet. Peter Szijjártó und ich müssen ernsthafte Anstrengungen unternehmen, damit ich nicht zulasse, dass Ungarn in die NATO-Mission in der Ukraine hineingezogen wird. Um auf das zurückzukommen, was ich eingangs sagte: Es gibt einen Vorschlag innerhalb der NATO, dass wir im Rahmen dieser Mission 100 Milliarden Dollar zusammenlegen und den Krieg weiter finanzieren. Das wird uns kaputtmachen. Das Wichtigste sind jetzt natürlich die Menschenleben, und der ungarische Standpunkt ist, dass es keine Lösung für diesen Krieg auf dem Schlachtfeld gibt, denn die Verlängerung des Krieges ist gleichbedeutend mit der Verlängerung des Leidens, und eine Lösung kann nur am Verhandlungstisch und in einem Waffenstillstand gefunden werden, und die Politiker müssen die Steuerung der Ereignisse von den Generälen zurückerlangen. Lassen Sie die Diplomaten an die Stelle der Soldaten treten, das ist unserer Meinung nach die Lösung. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament geht es um die Stimme, das Gewicht und den Einfluss dieser Meinung. Das ist die Situation in diesem Moment. Und über die Menschenleben hinaus leidet auch die Wirtschaft, denn die Menschen in Ungarn wissen, dass der Krieg nicht nur Menschenleben wegnimmt, was natürlich ziemlich schrecklich ist, sondern gegebenenfalls auch den Sinn der Arbeit von Generationen zerstört, weil er auch die Wirtschaft zerstört, in einer solchen Situation reißt das Wasser alles mit sich, aber wir müssen gar nicht über solch dramatische Perspektiven nachdenken. Es genügt, wenn wir in die Geschäfte gehen und uns die Preise ansehen, nun, da sehen wir überall Kriegspreise. Was wir sehen, ist in ganz Europa nicht das Preisniveau, das für Friedenszeiten typisch ist. Im Krieg verteuert sich alles, Kredite werden teurer, die Energiekosten steigen, die Transportkosten steigen, die Unternehmer arbeiten mit höheren Sicherheitsmargen, und den Preis für all das zahlen die Menschen in Europa. Ich denke also, dass wir dem Soros-Imperium entgegentreten müssen, und wenn nötig, müssen wir auch der US-Außenpolitik klarmachen, dass es im Interesse Europas ist, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, anstatt eine Lösung auf dem Schlachtfeld zu erzwingen, was meiner Meinung nach aussichtslos ist.
Sie haben erwähnt, dass sowohl Sie als auch Peter Szijjártó sich ernsthaft darum bemühen müssen, dass die NATO Ungarn nicht in diese Mission, die gerade vorbereitet wird, hineinziehen kann. Wie groß ist im Zusammenhang damit der Druck jetzt auf Ungarn, seine friedensfreundliche Haltung in dieser Frage aufzugeben, oder überhaupt aufzugeben?
Es ist schwierig, in diesem Genre einen Maßstab zu setzen, aber wenn ich sage, dass der NATO-Generalsekretär noch vor den Europawahlen nach Ungarn kommt, dann veranschaulicht das vielleicht die Situation gut.
Eine der wichtigsten Erfahrungen des Abdriftens in den Zweiten Weltkrieg war ja auch, dass trotz des lange Zeit vorhandenen Willens die Kraft, die nötig war, um Ungarn aus diesem Krieg herauszuhalten, ständig schwand. Nun, ja… Ist es nicht notwendig, jetzt diese Botschaft zu haben?
Gute Frage, ich bin selbst zur Schule gegangen, habe also über die Geschichte gelernt, und ich habe sie auch gern, aber jetzt habe ich mich wieder mit der Literatur jener Zeit beschäftigt. Ich sehe, dass István Tisza zur Zeit des Ersten Weltkrieges sich aus dem Krieg heraushalten wollte, dass er Ungarn aus dem Krieg heraushalten wollte. Er hat dort im Wiener Staatsrat bis zum letzten Moment dafür plädiert und deutlich gemacht, dass Ungarn etwas riskiert, was niemand, der bei klarem Verstand ist, tun würde, nämlich die gesamte Existenz des Staates, denn wenn wir verlieren würden, so Tisza, dann gäbe es ein großes Problem. Vielleicht wusste er selbst nicht, ein wie großes Problem, es gingen also zwei Drittel des Landes verloren, und außerhalb unserer Grenzen, außerhalb dieser neuen Grenzen, blieb ein Drittel der ungarischen Bevölkerung zurück. Wir haben während des Krieges einen schrecklichen Verlust an Menschenleben erlitten, sowohl in Bezug auf Besitz und Territorium als auch in Bezug auf die Bevölkerung, es war also eine Tragödie für Ungarn, obwohl Tisza und seine Leute versucht haben, das Land aus dem Krieg herauszuhalten. Das ist eine andere Sache, dass die Linke dann im Herbst 1918 den Rest der Kraft des Staates zerschlagen hat, aber das ist ein anderes Interview. Dann hat auch Reichsverweser Miklós Horthy versucht, sich aus dem Krieg herauszuhalten, so lange er konnte, oder so lange es ihm möglich war, aber die Deutschen haben Ungarn schließlich in den Krieg hineingezwungen. Natürlich sind die Situationen von heute nie dieselben wie die historischen Situationen in der Vergangenheit, also ist die Lage heute nicht dieselbe wie 1918 oder eben 1939, 1940 oder 1941, aber es besteht kein Zweifel daran, dass die Großmächte um uns herum daran interessiert sind, Ungarn in diesen Krieg zu drängen, und wir müssen uns dagegen wehren. Unsere Vorgänger haben das nicht geschafft. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, dass aber wir erfolgreich sein werden.
Aber was ist dazu nötig? Sehen Sie eine Kraft, die uns helfen kann?
Das Wichtigste ist die nationale Einheit. Und ich denke, die aktuellen Europawahlen sind eine gute Gelegenheit, um zu zeigen und zu beweisen, dass es sie gibt. Wenn also ein Land eindeutig auf der Seite des Friedens steht und seine führenden Politiker und die aktuelle Regierung unterstützt, dann hat diese Regierung sicherlich eine bessere Chance, ihr Land aus dem Krieg herauszuhalten, als wenn ansonsten hinter ihr Chaos, Verwirrung, Unsicherheit, Instabilität und politische Rivalitäten, die ihre internationale Position schwächen, toben. Deshalb würde ich es für wichtig halten, dass Ungarn bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, die hier in zwanzig und ein paar Tagen stattfinden, eine friedensfreundliche Geschlossenheit zeigt. Das ist natürlich nicht einfach, denn die Linke in Ungarn ist kriegsbefürwortend, weil gerade diejenigen, die sich vom Krieg Profit erhoffen, die ungarische Linke finanzieren und ihr Geld geben, so dass die Anführer der ungarischen Linken – denn ich glaube nicht, dass die Wähler es sind – kriegsbefürwortend sind, weil sie ihr Geld von denen bekommen, die auf Kriegsgewinne setzen. Es gibt also zwangsläufig eine innenpolitische Debatte, aber es ist nicht egal, wie wir sie beenden. Ob Ungarn diese Wahl mit einer starken Pro-Friedens-Meinung oder mit einer unsicheren Position abschließt. Und ich kann heute nur sagen: Wer Fidesz, die Christlich-Demokratische Volkspartei, wählt, der wählt den Frieden, und je mehr von uns das tun, desto größer ist unsere Chance, dass Ungarn aus diesem Krieg herausbleibt. Das ist das Erste, was notwendig ist. Zweitens ist es wichtig, dass unsere führenden Politiker nicht den Mut verlieren. Das muss jeden Tag Bestärkung finden. Man ist nicht generell mutig, sondern es gibt Situationen, in denen man mutig sein muss. Man muss sich anstrengen, der Außenminister steht gut da, vorerst halte auch ich noch die Stellung, also muss man Verbündete finden. Wir haben hierfür jetzt gerade Robert Fico vorübergehend verloren, aber ich suche überall neue Verbündete, in denen ich – wenn ich sie schon nicht dafür gewinnen kann, die ungarische Position gegen den Krieg im Allgemeinen zu unterstützen – aber auf Partner und Verbündete in der einen oder der anderen konkreten Sache, bei der Verhinderung des einen oder anderen in die Richtung des Krieges zeigenden Schrittes treffe. Die Position der Italiener zur Entsendung von Soldaten ist zum Beispiel nicht mehr dieselbe wie in der Waffenfrage, denn sie schicken zwar Waffen, aber sie wollen keine Soldaten mehr schicken, ich habe also das Gefühl, dass die ungarische Regierung doch über einen diplomatischen Spielraum verfügt, um der den Krieg ablehnenden, für den Frieden Partei ergreifenden Politik irgendeine Geltung verschaffen zu können. Aber das Wichtigste ist, dass wir unsere Souveränität verteidigen müssen, und in Fragen von Krieg und Frieden kann niemand anders entscheiden als das Volk und seine gewählten Vertreter, das ungarische Parlament, daneben muss man aushalten und wir müssen versuchen, die nationale Einheit aufrechtzuerhalten.
Apropos Diplomatie: Letzte Woche traf der chinesische Präsident zu einem dreitägigen Besuch in Ungarn ein, bei dem auch mehrere wichtige wirtschaftliche Vereinbarungen getroffen wurden. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärte er, China bringe die fortschrittlichsten Technologien der Welt nach Ungarn. Warum müssen diese Technologien aus China nach Ungarn gebracht werden?
Es gibt einen enormen Wettbewerb in der Welt, und der Wettbewerb bringt auch Veränderungen mit sich. Vor zwanzig Jahren war ein chinesischer Präsident in Ungarn, und ich habe die Zahlen von damals hervorgekramt, und es ist ganz klar ersichtlich, dass sich in diesen zwanzig Jahren Chinas Anteil an der Weltwirtschaft, sagen wir, seine Wirtschaftskraft, verdoppelt hat, während die Europäische Union etwa 20 % ihrer Kraft verloren hat. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das, dass die Chinesen vor 20 Jahren 9 Prozent der Weltproduktion ausmachten und jetzt sind es 19-20 Prozent. Wir machten früher 19 Prozent aus und liegen jetzt irgendwo bei 14,5 Prozent, ich spreche von Europa. Aber nicht nur die Quantität hat sich verändert, sondern auch die Qualität. So gibt es einige Technologien, bei denen heute nicht der Westen, sondern der Osten vorangeht. In meinem Kopf ist dies im Übrigen nicht einfach nur eine China-Frage, sondern die nächste Station eines längeren historischen Prozesses. Ich erinnere mich, dass wir als Kinder immer über „Made in Japan“ gelacht haben, über etwas, das in Japan hergestellt wurde, über unsere kleinen Matchbox-Spielzeugautos, und wir dachten, das sei keine ernste Sache. Im Vergleich dazu ist die japanische Technologie heute weltberühmt oder in vielerlei Hinsicht weltweit führend. Dann kamen die Südkoreaner. Und jetzt sind die Chinesen angekommen. Und hinter den Chinesen kommen übrigens die Vietnamesen, worüber heute niemand spricht, aber wenn wir beide in ein paar Jahren hier sitzen sollten, werden wir dann Gelegenheit haben, glaube ich, auch darüber zu sprechen. Die Weltwirtschaft ist also heute an dem Punkt angekommen, dass die Wirtschaft des Globus durch den Wettbewerb wirklich zu einer Weltwirtschaft geworden ist. Es gibt nicht mehr nur eine westliche Wirtschaft, die den Osten dominiert, sondern die ganze Welt kann sich an der Produktion und der Wirtschaftstätigkeit beteiligen, die von den besten Technologien gelenkt wird. China ist seit kurzem in einigen Bereichen weltweit führend geworden – nicht überall, aber in vielen Bereichen. Eisenbahntechnologie, Elektroautos, umweltfreundliche, grüne Energieerzeugung und -speicherung, die gesamte Batteriekultur, IT, Huawei, ZTE sind große Telekommunikations- und IT-Unternehmen, die in der ganzen Welt genutzt werden und bekannt sind, sie sind heute die Besten in diesen Bereichen. Und ich will die Interessen der ungarischen Wirtschaft nicht der Ideologie oder der Geopolitik unterordnen: Die Wirtschaft ist die Wirtschaft, und es ist in unserem Interesse, dass die beste Technologie nach Ungarn kommt. Geld natürlich, Investitionen und die beste Technologie, und die beste Technologie der Welt kann man von den Chinesen bekommen. Das Ideal, und darauf arbeiten wir hin, ist, dass sich die beste westliche Technologie und die beste östliche Technologie in Ungarn treffen sollten. Mir gefällt der Vergleich überhaupt nicht, dass wir eine Brücke zwischen Ost und West sind, ich sage das ganz ehrlich, denn ich möchte Ungarn als Brückenkopf sehen, nicht als Brückenkörper, der zwischen zwei Punkten gespannt ist und den man zu zerbomben pflegt, wenn die Zeiten schwierig werden oder der zusammenbricht, wir müssen also ein Brückenkopf auf stabilen Beinen sein, und deshalb verwende ich lieber die Metapher eines Treffpunkts als die einer Brücke, was ich für eine genauere Beschreibung halte. Wir wollen westliche Technologie und östliche Technologie, sagen wir so, wie wir dies im Industriepark in Debrecen sehen: eine große chinesische Batteriefabrik auf der einen Seite, eine BMW-Fabrik, ein deutsches Werk auf der anderen Seite, und die Zusammenarbeit dieser beiden, also das ist es, was in Ungarn zustande kommen soll. Natürlich müssen die wichtigsten Sicherheitsvorschriften eingehalten werden. Ein sehr ernsthaftes technologisches Wissen gelangt seitens der Chinesen nach Ungarn, jetzt werden wir nicht nur produzieren, sondern auch Forschung und Entwicklung betreiben, und wir haben mit ihnen ein Abkommen über ein universitäres Forschungszentrum geschlossen, ich glaube also, dass es uns gelungen ist, unsere Beziehungen zum Osten aus der ideologischen und historischen Gefangenschaft zu befreien, ich messe also jetzt im Fall von Russland oder gerade China oder Vietnam dem keine Bedeutung zu, wie ihre aktuelle politische Einrichtung gerade aussieht. Das ist deren Sache. Was wir im Grunde genommen brauchen, sind nicht ideologische, sondern wirtschaftliche Beziehungen sowohl mit dem Osten als auch mit dem Westen in den Hochtechnologien der Zukunft. Denn wenn Ungarn nicht zurückbleiben will und nicht in der zweiten Reihe stehen will, sondern eines der am besten lebende Länder der Welt sein will, dann brauchen wir auch Hochtechnologie. Wir haben in einigen Bereichen eigene Entwicklungen, aber das sind schmale Gebiete, denn ein Land mit zehn Millionen Einwohnern kann keine Industrien in der Weltwirtschaft dominieren, aber in bestimmten Technologien haben wir doch Lizenzen, Wissen und sogar Produktionstechnologien, die in der Welt an der Spitze stehen. Und mit den Investitionen, die hierherkommen, können wir die neueste Technologie hierherbringen. Daher denke ich, dass dieser Besuch des chinesischen Präsidenten in Ungarn ein Meilenstein für die ungarische Wirtschaft war. Wir haben einen riesigen Schritt nach vorn gemacht.
Gleichzeitig ist jedoch zu sehen, dass sich die Welt rasch in Richtung Blockintegration bewegt. Was muss geschehen, damit Ungarn unter diesen Umständen auf Dauer ein Treffpunkt bleiben kann?
Das Wichtigste ist, dass wir sehen, was um uns herum geschieht. Und wir sollten nicht glauben, dass die Blockbildung eine vorherbestimmte Sache sei, denn auch wenn die Stimmen derjenigen, die für eine Form der weltwirtschaftlichen Isolation, der Abkoppelung oder des De-Risking plädieren, lauter sind, sieht die Realität zugleich anders aus. Während es also Versuche gibt, Druck auf chinesische Telekommunikationsunternehmen auszuüben und die Frage gestellt wird, warum Ungarn mit ihnen zusammenarbeitet, arbeitet Deutschland fröhlich mit diesen Unternehmen zusammen. In Wirklichkeit deutet – wenn es also um Geld und um Wirtschaft geht – die Realität eher auf eine Zusammenarbeit. Der Satz, den der chinesische Präsident hier vor uns allen gesagt hat, dass er Ungarn einlädt, sich an der Modernisierung der chinesischen Wirtschaft zu beteiligen, ist eine riesige Chance für die ungarischen Hersteller, für die Unternehmen in ungarischem Besitz in Ungarn, die in China Märkte und wirtschaftliche Möglichkeiten bekommen können und werden, und sie bekommen sie bereits. Jedes Land der Welt tut dies. In Wirklichkeit konkurrieren wir um die Kontakte. Ich denke also, dass indem die ungarische Regierung sich für die Konnektivität, die Zusammenarbeit, den Freihandel und die Investitionen einsetzt, wir damit nicht zu einer Minderheit in der Welt gehören, sondern eher zur Mehrheit. Lassen wir uns nicht für dumm verkaufen! Wir dürfen nicht zulassen, dass während andere von Vorsicht reden, aber in Wirklichkeit das aggressivste wirtschaftliche Vorwärtsdrängen zeigen, dass wir ihnen das glauben, was sie sagen. Wir müssen darauf achten, was sie tun. Hören wir nicht auf ihre Stimmen, sondern schauen ihnen auf ihre Finger.
Ich habe Ministerpräsident Viktor Orbán auch nach dem Attentat auf Robert Fico, dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine und dem Besuch des chinesischen Präsidenten in der vergangenen Woche gefragt.