Zsolt Törőcsik: Anfang dieser Woche führte der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel, Gespräche mit Ministerpräsident Viktor Orbán zur Vorbereitung des Gipfels der Staats- und Regierungschefs in zwei Wochen. Das Treffen geht auf ein Schreiben von Viktor Orbán an Michel zurück, in dem der ungarische Ministerpräsident angesichts der Lage auf dem Schlachtfeld um ein strategisches Treffen zur Ukraine gebeten hatte. Mein Gast ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Guten Morgen!
Guten Morgen!
In Ihrem Schreiben haben Sie drei Vetos in Aussicht gestellt, von denen eines die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine betrifft. Ist es Ihnen gelungen, im Rahmen der Sitzung am Montag eine Antwort auf Ihre Bedenken hinsichtlich der EU-Mitgliedschaft der Ukraine zu erhalten?
Es ist noch zu früh für eine philosophische Betrachtung, aber Ihre Frage zwingt mich dazu, damit zu beginnen. Ungarn wird also kein Veto einlegen. So etwas wie ein Veto gibt es nicht. Ungarn wird Entscheidungen blockieren, aber es wird kein Veto einlegen. Der Grundlagenvertrag der Europäischen Union kennt dieses Wort nicht einmal. Es scheint also eine philosophische Angelegenheit zu sein, aber es ist hinsichtlich der nationalen Unabhängigkeit von Bedeutung. In der Satzung oder im Grundlagenvertrag der Union steht, dass es bestimmte Themen, bestimmte Bereiche gibt, in denen eine Entscheidung nur mit Zustimmung aller Mitgliedstaaten getroffen werden kann. Es geht also nicht darum, dass jemand eine Entscheidung getroffen hat und wir ein Veto einlegen, sondern dass es ohne uns keine Entscheidung gibt. Wir sind also nicht gegen etwas, aber weil es keine Einigung zwischen den Mitgliedstaaten gibt, gibt es keinen gemeinsamen Standpunkt, und deshalb kann niemand etwas verhindern, weil es keinen solchen Standpunkt gibt. Morgens um 7.30 Uhr scheint dies eine Kleinigkeit zu sein, aber es ist nicht dasselbe, ob wir die EU als einen Ort sehen, der weit weg von uns ist, wo Entscheidungen getroffen werden, denen wir entweder zustimmen oder nicht; das ist ein Missverständnis, aber es ist so, dass wir die EU sind. Die EU ist nicht in Brüssel. Dort sitzen nur die Bürokraten. Die EU ist in Budapest und Warschau und Paris und Berlin. Wenn wir, die Mitgliedstaaten, uns also in bestimmten Fragen einig sind, dann haben wir einen EU-Standpunkt. Wenn wir uns nicht einig sind, haben wir keinen. Wir dürfen uns nicht in eine Lage bringen lassen, in der wir uns schuldig fühlen, als ob wir die Umsetzung von Entscheidungen blockieren würden, die andere bereits getroffen haben. Es gibt keine solchen Entscheidungen! Und wir haben jedes Recht, uns an einer solchen Entscheidung nur dann zu beteiligen, wenn sie im nationalen Interesse Ungarns ist. Die Mitgliedschaft der Ukraine in der EU und die heutige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen decken sich nicht mit den nationalen Interessen Ungarns, und deshalb brauchen wir das nicht zu tun. Deshalb schlagen wir nicht vor, darüber zu diskutieren und dann zu erklären, dass wir nicht miteinander einverstanden sind, sondern dass wir diese Frage nicht auf die Tagesordnung setzen, weil es absehbar ist, dass es keine Einigung geben wird, und dann würden wir die europäische Einheit stören. Die Einheit kann gewahrt werden, indem man Themen, bei denen Uneinigkeit herrscht, nicht auf die Tagesordnung setzt. Wir fangen gar nicht erst an, sie zu diskutieren, etwa auf einem Gipfel der Ministerpräsidenten, weil man im Voraus wissen kann, dass es keine Einigung geben wird. Deshalb habe ich vorgeschlagen, und das tue ich auch jetzt, dass die Verhandlungen über die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union nicht aufgenommen werden. Da sie nicht begonnen werden können, weil wir damit nicht einverstanden wären, sollten wir sie nicht auf die Tagesordnung setzen. Wir sollten dies auf die Tagesordnung setzen, wenn wir es ausdiskutiert haben und eine Einigung erzielen konnten. Es ist daher ein Fehler, dass die Kommission uns, die Ministerpräsidenten, drängt, dies auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist nicht vorbereitet! Vorbereitung bedeutet nicht, dass ich ein Stück Papier schreibe und alle es lesen. Vorbereitung bedeutet, dass ich mit allen spreche, schaue, wer welche Interessen hat und diese koordiniere. Und wenn ich sie in Einklang bringen kann, d.h. wenn es eine Chance auf Einigung gibt, dann mache ich einen Vorschlag. Das ist heute nicht der Fall, denn die Kommission hat vorgeschlagen, dass wir Verhandlungen über die Mitgliedschaft der Ukraine aufnehmen sollten. Das entspricht aber nicht den Interessen vieler Mitgliedstaaten, schon gar nicht denen Ungarns, und wir sind dazu in einem ziemlich guten Zustand, um es zu wagen, das zu sagen, egal, welcher Druck auf uns ausgeübt wird. Diese Angelegenheit darf also nicht auf die Tagesordnung gesetzt werden, und die Kommission muss begreifen, dass sie die Verantwortung dafür trägt, dass die Sitzung schlecht vorbereitet war. Sie soll das zurücknehmen, es ordentlich vorbereiten und dann zurückkommen, wenn es gelungen ist, eine Eintracht herzustellen.
Was ist Ihrer Meinung nach das Haupthindernis für den Beitritt der Ukraine zur EU bzw. für die Aufnahme von Verhandlungen?
Zunächst einmal gibt es eine Reihe von Fragen, auf die wir keine Antwort wissen. Erstens: Die Ukraine befindet sich im Krieg. Wenn sich ein Land im Krieg befindet, funktionieren sein Rechtssystem und sein politisches System anders als in einem Land, das ein friedliches Leben führt. Wir können also heute nicht sagen, ob die Ukraine sich innerhalb jener verfassungsmäßigen Bedingungen der Rechtsstaatlichkeit befindet, so wie jedes Land der EU innerhalb eines bestimmten Rahmens funktioniert, ob sie sich innerhalb dieses Rahmens befindet oder nicht. Das ist unmöglich zu sagen. Zweitens können wir nicht sagen, wie groß das Territorium der Ukraine ist, denn obwohl ein Teil davon ohne Zweifel rechtlich zur Ukraine gehört, ist es militärisch von Russland besetzt. Drittens: Wir wissen nicht, von einer wie großen Bevölkerung wir sprechen, weil Menschen ständig aus der Ukraine fliehen. Wir wissen nicht, ob die Einbeziehung der ukrainischen Landwirtschaft in den freien Markt für die Landwirte in den Ländern, die bereits dort sind, gut sein wird oder nicht. Die ungarischen Landwirte sagen, und ich habe mit ihnen gesprochen – ich meine ihre Vertreter –, dass die Einbeziehung der ukrainischen Landwirtschaft in das europäische Agrarsystem die ungarischen Landwirte zu Hunderttausenden ruinieren wird. Warum sollten wir das also unterstützen? Wir wissen auch nicht, wie viel Geld im Falle eines Beitritts der Ukraine benötigt würde, um ihre Entwicklung in Gang zu bringen. Und woher sollen wir das Geld wegnehmen? Sind die derzeitigen EU-Länder bereit, mehr zu zahlen, oder sollten wir das Geld, das wir bereits haben, zur Finanzierung der Entwicklung der EU verwenden? Wenn es mit den vorhandenen Geldern verwaltet werden muss, werden die mitteleuropäischen Länder von den baltischen Staaten bis hinunter nach Kroatien, einschließlich Ungarn, einige finanzielle Mittel verlieren. Das bedeutet also, dass wir Entwicklungsgelder verlieren. Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, lohnt es sich nicht, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, denn wir können die Frage nicht beantworten, welche Folgen eine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU hätte. Wenn wir das nicht wissen, dann sollten wir auch keine Verhandlungen aufnehmen. Einen solchen Fehler haben wir bereits begangen. Wir haben mit den Türken verhandelt, wir haben ihnen die Mitgliedschaft versprochen, wir haben über die Mitgliedschaft verhandelt, und das geht jetzt seit zwanzig oder dreißig Jahren so, und wir haben es nicht geschafft, sie aufzunehmen. Alle sind frustriert, das Ganze ist ein Misserfolg. Deshalb werde ich, wenn auch wir um unsere Meinung gebeten werden, dafür sein, dass die Europäische Union zum ersten Mal ein strategisches Partnerschaftsabkommen mit der Ukraine abschließt. Das könnte fünf bis zehn Jahre dauern. Bringen wir sie näher, die Entfernung ist jetzt zu groß. Wir müssen sie näher heranholen, wir müssen Zeit dafür lassen, um mit der Zusammenarbeit beginnen zu können. Und wenn wir sehen, dass wir zusammenarbeiten können, dann sollten wir die Frage der Mitgliedschaft angehen. Aber das ist erst nach vielen, vielen Jahren möglich. Das wäre der ungarische Vorschlag, aber niemand hat uns je nach unserer Meinung gefragt. Die Kommission schiebt uns ein Papier vor, in dem steht, dass wir den Vorschlag unterstützen sollen. Nun, so funktioniert das nicht.
In Bezug auf die Ukraine gibt es einen weiteren strittigen Punkt, nämlich die weitere Finanzierung. Brüssel würde dafür 50 Milliarden Euro fordern, und das wäre Teil einer zusätzlichen Zahlung von etwa 100 Milliarden Euro, die die Mitgliedstaaten leisten müssten. Ist der ungarische Standpunkt auch hier derselbe, dass dieser Vorschlag nicht auf die Tagesordnung des nächsten EU-Gipfels gesetzt werden sollte?
Hier sind mehrere Fragen übereinandergeschichtet. Die Grundfrage ist, ob das, was wir tun, sinnvoll ist. Wenn es Sinn macht, sollten wir weitermachen; wenn nicht, sollten wir nicht weitermachen. Was tun wir jetzt? Was wir jetzt tun, ist, dass wir den Ukrainern eine Menge Geld gegeben haben, über 100 Milliarden Euro – teilweise in Waffen und teilweise in bar –. Hätten wir ihnen dieses Geld nicht gegeben, sondern es für die Entwicklung Europas verwendet, wären die europäischen Volkswirtschaften heute in einer besseren Verfassung. Heute sind die europäischen Volkswirtschaften in einem schlechten Zustand. In vielen Ländern ist es zu Nebenkostensteigerungen gekommen. Es gibt Länder, zum Glück nicht Ungarn, aber die Arbeitslosigkeit steigt, die Investitionen sind gestoppt oder sinken, Europa ist also in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und gleichzeitig wirft es mit Geld um sich: Es schickt Waffen und Geld in Waggons in die Ukraine. Wir schicken dieses Geld in die Ukraine, damit die ukrainische Armee, die gegen Russland kämpft, an der Front siegen kann, aber sie siegt nicht! Und es ist höchst zweifelhaft, dass sie siegen würde, wenn wir mehr Geld schicken würden. Davon bin ich ganz und gar nicht überzeugt. Ich denke, wir brauchen einen Waffenstillstand statt eines Krieges. Also sollte nicht der Krieg finanziert werden, sondern der Waffenstillstand und dann der Frieden. Wenn wir Geld für die Ukraine ausgeben wollen, dann nicht für den Krieg, sondern für den Frieden und einen Waffenstillstand. Das ist unser Standpunkt. Das ist die erste, sagen wir, die tiefste philosophische oder strategische Ebene dieser Debatte. Die zweite Debatte lautet: Wenn wir Geld geben wollen – sogar für die Fortsetzung des Krieges, wie die Kommission übrigens vorschlägt –, woher sollen wir es nehmen? Sollen die Mitgliedstaaten es in den Haushalt der Europäischen Union einzahlen und von dort aus? Oder lassen wir den Haushalt der Europäischen Union in Ruhe – er hat schon genug Probleme –, und wenn wir der Ukraine Geld geben wollen, dann lassen Sie uns ein separates zwischenstaatliches Abkommen schließen, um einen Finanzfonds zu schaffen, in den jeder einzahlen kann, was er will, und von dort aus schicken wir das Geld an die Ukraine. Ich bin für die zweite Variante. Die Situation ist also immer noch dieselbe: Der Grund dafür, warum dieses Thema so ein heißes Eisen ist, ist, dass das Geld bisher aus dem EU-Haushalt in die Ukraine geflossen ist. Und das hat den Haushalt strapaziert. Denn die Unterstützung und die finanzielle Hilfe für einen Krieg und das Funktionieren des Haushalts laufen in unterschiedlichen Rhythmen ab. Beim Haushalt geht es um Stabilität und Vorhersehbarkeit. Und die Kriegsunterstützung muss, je nach Bedarf an der Front, erhöht werden oder kann reduziert werden. Nehme ich beides zusammen, so kommt es dazu, dass die Kriegshilfe den Haushalt sprengt, wie wir es jetzt erlebt haben. Und deshalb muss oder müsste ja der Haushalt geändert werden – man kann dies übrigens nur einstimmig tun, da kommen wir ins Bild –, weil das Geld alle ist. Na, wir haben einen Siebenjahreshaushalt, und wir sind im dritten Jahr und haben bereits kein Geld mehr. Das wird so nicht funktionieren. Der ungarische Vorschlag lautet also, dass, wenn wir der Ukraine Geld geben wollen, dies auf jeden Fall außerhalb des Haushalts erfolgen sollte und dass es transparent sein sollte. In vielen Ländern sind die Menschen heute nicht dafür, der Ukraine Geld zu geben, aber die Staats- und Regierungschefs verbergen dies vor den Menschen, indem sie sagen, dass nicht wir es sind, die es geben, sondern die EU, aber in Wirklichkeit geben wir es, weil wir die EU sind. Aber auf diese Weise können sie die persönliche Verantwortung abwälzen. Sie sollen sich auf eine transparente Weise hinstellen und sagen: „Meine Herren, sehr geehrte Ungarn, die Ukraine ist in dieser Situation, lasst uns diskutieren, ob wir sie finanziell unterstützen wollen und wie viel wir ihr geben können.“ Und dann soll jeder dieses Geld auf den Tisch legen. Die Niederländer in gleicher Weise, die Belgier in gleicher Weise, die Franzosen in gleicher Weise und auch die Deutschen. Das ist ein faires Verfahren in einer Demokratie. Die Tatsache, dass wir uns hinter dem Rücken der EU verstecken, dass die Menschen nicht verstehen, was passiert, dass sie nicht genau verstehen, was passiert, dass sie einfach sagen, natürlich, lasst uns die armen Ukrainer unterstützen, aber dass dies auf ihre Kosten geht, ist nicht klar, und die Konsequenzen daraus sind nicht klar: Ich denke, das ist in einer Demokratie nicht akzeptabel. Deshalb sind Konsultationen eine gute Sache, und die Menschen werden deutlich machen, ob sie damit einverstanden sind oder nicht.
Wenn Sie schon die Konsultation erwähnen, mehrere Regierungspolitiker haben ja erklärt, dass es bei der nationalen Konsultation auch um die Verteidigung der ungarischen Souveränität geht und die Meinung der Bevölkerung zu 11 Themen eingeholt wird. Kann die nationale Konsultation ein wirksames Instrument zur Verteidigung der Souveränität sein?
Ein jeder kocht mit dem, was er hat. Das gilt auch im intellektuellen Sinne. Jeder benutzt beim Denken die Krücken, die er in seinem Leben gesammelt hat. Bei mir kommt eine beträchtliche Anzahl von Krücken aus dem Sport. Wenn man eine Mannschaft auf dem Platz hat, sind das elf Mann, und es gibt nicht selten Zeiten, in denen elf Mann nicht ausreichen, um ein Spiel zu gewinnen, man braucht einen zwölften Mann. Und das ist das Publikum, für das wir spielen. Wenn sie uns also unterstützen, können wir gewinnen, dann sind wir zwölf, wenn sie uns nicht unterstützen, ist es fraglich, ob wir gewinnen können. Das ist die Situation heute. Ich werde kämpfen, die ungarische Regierung wird kämpfen. Wir befinden uns in einem schwierigen Kampf, und wir brauchen jeden, ich brauche jeden, dem die Unabhängigkeit und Souveränität Ungarns am Herzen liegt, dem das Land am Herzen liegt, dem seine Kinder am Herzen liegen, dem seine Enkelkinder am Herzen liegen. Ich brauche die Unterstützung aller, denn das wird Ungarn und damit der ungarischen Regierung und letztlich auch mir in den schwierigen Verhandlungen Kraft geben. Ich möchte daher alle bitten, den Konsultationsbogen auszufüllen, sich ein paar Minuten Zeit für ihr Land zu nehmen.
Sicherlich hat ein Land nur dann einen außen- und innenpolitischen Handlungsspielraum, wenn es über ein Höchstmaß an Souveränität verfügt. Gleichzeitig wird jedoch aus den bekanntgewordenen Fakten und den veröffentlichten Geheimdienstberichten immer deutlicher, dass Versuche der Einmischung kontinuierlich im Gange sind. Ist Ungarn in der Lage, seine Souveränität so weit wie möglich zu bewahren und zu verteidigen? Was ist dafür nötig, über die Konsultation hinaus?
Wir haben eine Geschichte. Daraus lassen sich zwei Lehren ziehen. Oder besser gesagt, es gibt viele Lehren, aber für die Zwecke unserer Diskussion hier sollten wir uns vielleicht auf zwei beschränken. Die erste ist, dass wir immer von Imperien umgeben waren, die größer waren als wir selbst. Und Reiche, die größer sind als wir, haben einen größeren Appetit als wir. Und es waren nicht wir, die sie beißen wollten, es waren sie, die uns immer beißen wollten. So ist es nun einmal. So ist die Geschichte, so ist die menschliche Natur, und so ist das Gesetz der Imperien. Wir haben die Taktik gewählt, dass sie natürlich versuchen, uns zu beißen, aber wir bewegen uns so, dass wir an den Beerdigungen aller Reiche teilnehmen können. Und wir waren auf jeder einzelnen von ihnen. Und das ist unser Plan für die Zukunft. Die erste Lektion ist, keine Angst vor Imperien zu haben. Die Geschichte zeigt uns, dass größere Imperien untergegangen sind und wir immer noch hier sind. Die zweite sehr wichtige Lektion der ungarischen Geschichte ist, dass wir seit tausendeinhundert Jahren auf demselben Gebiet leben. Natürlich ist es manchmal kleiner, manchmal größer, wie das Herz: es zieht sich zusammen, es dehnt sich aus, und jetzt sind wir zusammengezogen, aber es ist immer noch dasselbe Gebiet. Und wir haben uns und der Welt im Laufe von eintausendeinhundert Jahren bewiesen, dass wir wissen, wie wir dieses Gebiet gestalten können. Mit anderen Worten, wir wissen, wie man es nach ungarischer Denkweise aufbaut, wie man seine Kultur schafft, wie man seine Wirtschaft schafft, wie man seine Außenpolitik entwickelt – mit anderen Worten, dies ist unsere Welt, die wir am besten so gestalten können, wie es die Kultur, der Instinkt, der Wille und die Wünsche der hier lebenden Menschen tun können. Deshalb brauchen wir niemanden, der uns sagt, wie wir leben sollen. Wir entscheiden das selbst. Das ist die tiefste Bedeutung der Souveränität, dass die Ungarn die historische Fähigkeit haben, einen Staat zu schaffen und in einem staatlichen Rahmen zu leben, wie sie wollen, mit Hilfe der jeweiligen Regierungen. Aber der Ausgangspunkt ist nicht die Regierung, sondern das Volk in dieser Hinsicht und die Kultur. Und da wir diese Fähigkeit haben, wollen wir nicht zulassen, dass andere sich einmischen. Wären wir kleingläubiger, weniger begabt, hätten wir nicht tausend und einhundert Jahre Geschichte hinter uns und wären wir schwächer, dann könnten wir natürlich die Hilfe anderer brauchen, aber danke, wir brauchen sie nicht. Wir werden es schaffen. Das hier ist Ungarn, wir haben es schon einmal geschafft, und wir werden es hiernach schaffen. Natürlich gibt es hier in Ungarn immer diejenigen, die meinen, wir sollten lieber ein Imperium gründen, die Angebote von Imperien annehmen, von denen einige immer persönliche Angebote sind, weil das Geld natürlich in ihre Taschen fließen würde, es gibt immer diejenigen, die bereit sind, für Geld ihr Land ganz oder teilweise zu verkaufen. Es gibt also auch hier einen internen Kampf. In glücklichen Zeiten kommen diese Leute nicht an die Macht und die Regierung heran. In unglücklicheren Zeiten können sie noch regieren. Es gab doch eine Ära Gyurcsány! Sie holten den IWF ins Land, sie führten Fremdwährungskredite ein, die sich als schlecht für die Menschen, aber gut für die Banken herausstellten, sie nahmen den Menschen ihre Renten und Gehälter weg. Man muss also nicht sehr weit in der Geschichte zurückgehen, um Zeiten zu erkennen, in denen klar war, dass die Entscheidungen der Regierung nicht im Interesse des ungarischen Volkes lagen. Das ist ein Verstoß gegen die Souveränität. Nun, die Ausländer üben ihren Einfluss immer und in jedem Land auf zwei Arten aus, also sollten wir uns nicht privilegiert fühlen. Alle Länder von ähnlicher Größe befinden sich in einer ähnlichen Situation. Zum einen gibt es eine Regierung, das Land funktioniert, und sie versuchen, von Fall zu Fall Einfluss auf seine Entscheidungen zu nehmen, wirtschaftliche Entscheidungen, außenpolitische Entscheidungen. Hier haben wir zum Beispiel die Amerikaner, die versuchen, uns in den Krieg in der Ukraine zu drängen. Aber es gibt auch wirtschaftliche Lobbyinteressen, jeder erinnert sich an die dunklen Zeiten der Privatisierung und so weiter. Das andere ist, dass sie, wenn sich die Möglichkeit eines Regierungswechsels ergibt, weil Wahlen anstehen, versuchen, die Menschen zu beeinflussen, damit sie anstelle einer nationalen Regierung eine nichtnationale Regierung wählen. Das geschah bei den letzten Parlamentswahlen, schwarz auf weiß bewiesen, als westliches, Brüsseler und Washingtoner Geld – George Soros und so weiter – den Linken zugeschoben wurde – das ist die Dollar-Linke, das ist die Affäre der rollenden Dollars –, um eine nationale Regierung in Ungarn zu verhindern. Jetzt bestraft das Gesetz das. Der Ungar ist ein talentierter Mensch, er sucht nach Schlupflöchern, er kriecht unter dem Zaun durch, also haben sie Schlupflöcher gefunden, und jetzt können wir darüber diskutieren, ob das Gesetz gebrochen wurde oder nicht. Ich denke schon, aber das kann ich nicht beurteilen, das müssen die Strafverfolgungsbehörden beurteilen, aber es ist sicherlich im Interesse des Landes, klare und eindeutige Regeln zu haben, die nicht umgangen werden können. Damit es nicht wieder vorkommt, dass das ungarische Volk plötzlich hier steht und nach der Wahl erfährt, dass Millionen von Dollars dazu bestimmt waren, seine Entscheidung über die linken Parteien zu beeinflussen. Das ist also nicht richtig, und im Interesse des Schutzes der Souveränität muss das Parlament jetzt einige Entscheidungen treffen, und wir müssen in den kommenden Jahren auch viel ernster daran gehen, die Wege und Pfade solcher Einmischungsversuche zu versperren.
Zur Souveränität gehört natürlich auch die wirtschaftliche Souveränität. Was die Wirtschaft betrifft, so haben Sie sich für dieses Jahr als Hauptziel der Regierung gesetzt, die Inflation unter 10% zu senken. Das haben Sie ja im Oktober erreicht. In der Zwischenzeit gibt es eine wichtige Änderung bei den Löhnen: Ab heute werden diejenigen, die den garantierten Mindestlohn oder den Mindestlohn verdienen, zwischen 10 und 15 Prozent mehr verdienen. Könnte dies alles in allem eine gute Grundlage für alle sein, um 2024 einen weiteren Schritt nach vorn zu machen?
Schauen Sie, die Wirtschaft ist ein komplexes Geflecht. Ich versuche, lieber einfach zu formulieren. Nur weil die Wirtschaft kompliziert ist, können einfache Aussagen immer noch wahr sein. Wenn wir uns also das Jahr 2023 ansehen, dann war es das gefährlichste Jahr seit vielen, vielen Jahren. Inflation, Sanktionen, Energiekrise. Wofür haben wir im Jahr 2023 gearbeitet? Wofür hat nicht nur die Regierung – auch die Regierung –, sondern das ungarische Volk im Jahr 2023 gearbeitet? Das ungarische Volk hat 2023 gearbeitet, um sicherzustellen, dass es nicht noch schlimmer wird, damit es das, was es bereits erreicht hat, schützen kann. Wenn wir auf das Jahr 2024 blicken, müssen wir uns die Frage stellen: Wofür werden wir arbeiten, was ist der Sinn unserer Arbeit im Jahr 2024? Das Jahr 2024 ist ein Jahr der Hoffnung. Wir werden nicht mehr daran arbeiten, damit die Dinge nicht schlimmer werden, sondern wir werden daran arbeiten, die Dinge zu verbessern. Und es gibt erste Anzeichen dafür, dass dieses Jahr der Hoffnung nicht nur ein Wunschtraum ist, sondern eine realistische Möglichkeit. Eines der von Ihnen erwähnten Beispiele – denn eine Anhebung des Mindestlohns ist immer eine gute Nachricht – ist, dass in Ungarn ein allgemeiner Konsens über die Inflation besteht, der irgendwo zwischen 5 und 6 Prozent liegt. Wir werden die Renten in jedem Fall um 6 Prozent erhöhen, selbst wenn die Inflation nur 5 Prozent beträgt – wie die Redewendung es sagt: genaue Buchführung, lange Freundschaft – und wir haben jetzt 6 Prozent versprochen, also werden wir uns hieran halten, selbst wenn die Inflation nur 5 Prozent beträgt. Und wenn die Inflation 5% beträgt und die Löhne in der untersten Stufe – Mindestlohn und garantierter Mindestlohn – um 10 bis 15% steigen, wird das die Löhne in der öffentlichen Beschäftigung nach oben ziehen und die anderen Löhne nach oben schieben. Es wird also in Ungarn Lohnerhöhungen geben, die über der Preissteigerungsrate liegen. Dies wurde nicht von der Regierung beschlossen, bevor ich uns selbst auf die Schulter klopfe, sondern von den Wirtschaftsakteuren in Ungarn. Ein sehr großer Wert der ungarischen Wirtschaftspolitik ist, dass die Zahl, die Höhe des garantierten Lohns nicht von der Regierung beschlossen wird. Ich muss ihn zwar unterschreiben und verkünden, und in diesem Sinne haben wir formal einen Regierungsbeschluss, aber ich zwinge die Wirtschaftsakteure nie. Was immer die Gewerkschaften, also die Arbeitnehmer und Arbeitgeber, untereinander vereinbaren, das akzeptiert die Regierung in der Regel. Wir ziehen es vor, zu vermitteln, zu schlichten, nicht zu entscheiden. Und die Akteure der ungarischen Wirtschaft haben sich darauf geeinigt, dass die ungarischen Unternehmen im Jahr 2024 dazu in der Lage sein werden. Also lasst es uns angehen! Hoffen wir, dass es dazu kommt und ab heute treten die höheren Löhne in Kraft. Aber es gibt auch andere ermutigende Zeichen. Wir konnten die Ausweitung des Wohnungsbauprogramms ankündigen, wir haben den Dorfgutschein noch günstiger gemacht, und wir haben auch ein neues Programm für den Wohnungsbau in den Städten aufgelegt, ein Programm namens Gutschein Plus. Wir haben auch das Babydarlehen erhöht. Ich sage es nur leise: Wir sprechen hier selten über Ergebnisse, und vielleicht ist das auch gar nicht schlecht, denn der spannende Teil der Politik dreht sich immer noch mehr um die Probleme und Misserfolge als um die Erfolge, aber es gibt hier eine wichtige Information: Der Anteil der Ungarn unter 40 Jahren, also der unter 40-Jährigen, die eine eigene Wohnung besitzen, hat 75% erreicht. Das ist sehr wichtig, denn es gibt immer wieder eine Debatte darüber, ob das ungarische Wohnungswesen mehr auf Mieten oder mehr auf Eigenheimen basieren sollte. Ich plädiere immer für das Eigenheim, ich plädiere immer für Wohneigentum. Eigentum gibt mehr Sicherheit als ein Mietverhältnis, und soweit ich das sehe, teilen die Menschen diese Idee, denn wenn 75% der unter 40-Jährigen bereits ein Eigenheim besitzen, ist das meiner Meinung nach eine ernsthafte Leistung. Und ein weiteres ermutigendes Zeichen für 2024 ist, dass wir im Januar die 6-prozentige Rentenerhöhung bekommen und im Februar die jetzt erhöhte dreizehnte Monatsrente auszahlen können. Deshalb sage ich, dass 2024 ein hoffnungsvolles Jahr sein wird oder zu sein scheint, und 2024 werden wir daran arbeiten, es besser zu machen, und nicht daran, das zu schützen, was wir haben, wie wir es 2023 tun mussten.
Wir haben nicht mehr viel Zeit, aber lassen Sie uns über ein weiteres Thema sprechen, denn letzte Woche waren Sie auf einem Wirtschaftsforum in Baku, wo Sie davon sprachen, dass Ungarn die Brücke zwischen Ost und West sein könne. Und wenn wir uns die Treffen und Reisen in den letzten und den nächsten Wochen ansehen, können wir feststellen, dass diese Aussage auch politisch korrekt ist, denn Sie haben sich mit führenden Politikern aus dem Westen und dem Osten gleichermaßen getroffen und verhandelt. Die Frage ist, ob solche politischen und wirtschaftlichen Brücken jetzt notwendig sind, während viele im Westen eher daran interessiert sind, bestehende Brücken abzubrechen oder zumindest hierauf drängen.
Wenn wir von uns selbst ausgehen, sehen wir, dass Ungarn in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren seinen Platz in der westlichen Welt eingenommen hat. Der Kommunismus und die Sowjetunion haben uns aus unserer natürlichen Umgebung herausgerissen, weshalb wir jetzt so aussehen, wie wir aussehen. Wir sähen viel besser aus, wenn es diese vierzig Jahre Kommunismus nie gegeben hätte und die Sowjetunion nie einen Fuß hierhergesetzt hätte, dann… Lassen wir das, denn es macht nur das Herz bitter, aber der Punkt ist, dass wir in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren aus dem Sowjetblock herausgekommen sind und unseren Platz in der westlichen Welt eingenommen haben. Ein Großteil der Bemühungen der ungarischen Diplomatie diente diesem Ziel. Aber wir sind darüber hinaus. Unser Platz ist klar. Wir sind Teil des Westens, Mitglied der NATO, der Europäischen Union und so weiter. Jetzt müssen wir einen grundlegend wirtschaftlichen Ansatz verfolgen. Es liegt in unserem Interesse, mit allen Ländern der Welt Handel zu treiben, wirtschaftlich zusammenzuarbeiten und zu versuchen, Gewinne zu erzielen. Daher ist jede Abschottung – und es gibt, wie Sie sagten, in der Tat im Westen eine solche Tendenz –, ist jedwede Blockbildung unseren Interessen entgegengesetzt. Ungarn ist ein Land mit zehn Millionen Einwohnern. Hätten wir einen Markt von hundert Millionen Menschen, könnten wir es uns vielleicht leisten, uns abzuschotten, weil wir genügend Menschen hätten und unsere Wirtschaft somit groß genug wäre, um genügend Wohlstand zu produzieren und unter den Menschen zu verteilen, und die Menschen könnten ihn sich selbst beschaffen. Aber wir sind nur zehn Millionen Menschen. Ein Land mit zehn Millionen Einwohnern muss, wenn es auf dem Niveau leben will, auf dem wir jetzt leben, oder sogar besser, weil wir noch besser leben wollen, in der Lage sein, seine Produkte in der ganzen Welt zu verkaufen. Unsere Wirtschaft ist nicht die ungarische Wirtschaft, unsere Wirtschaft ist die ganze Welt. Und um das zu erreichen, müssen wir miteinander verbunden sein, wir müssen eine wirtschaftliche Zusammenarbeit entwickeln. Und selbst ein Blinder kann sehen, dass der sich am stärksten entwickelnde, der prosperierendste Teil der Welt derzeit östlich von uns liegt. Deshalb ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Osten das vitale Interesse Ungarns, und dem müssen die außenpolitischen Aktivitäten der jeweiligen Regierung, in diesem Fall unserer Regierung, dienen. Deshalb sehen Sie mich – wie eine vergiftete Maus, ich übertreibe vielleicht ein bisschen – den einen Tag in der Schweiz, am nächsten Tag in Aserbaidschan, nächste Woche in Argentinien und dann in Brüssel, weil ich versuche, ungarischen Wirtschaftsakteuren den Raum zu öffnen, um im Ausland so erfolgreich wie möglich Geschäfte zu machen und so viel Nutzen wie möglich für Ungarn zu bringen.
Über den EU-Beitritt der Ukraine, den Schutz der Souveränität und auch über wirtschaftliche Aspekte befragte ich in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsident Viktor Orbán.