Interviews / Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth
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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth

Zsolt Törőcsik: Die Regierung hat über das Maß des Rentenzuschusses entschieden, was bedeutet, dass im November im Vergleich zur Medianrente die Betroffenen eine halbe Monatsrente mehr erhalten werden. Dies kündigte gestern Ministerpräsident Viktor Orbán an, den ich im Studio begrüße. Guten Morgen!

Guten Morgen!

Gestern hat ja Gergely Gulyás, der das Amt des Ministerpräsidenten leitende Minister u.a. mitgeteilt, dass die Erhöhung 190 Milliarden Forint kosten wird. Sicherlich wird niemand die Begründung im Zusammenhang mit der Anerkennung der Rentner in Zweifel ziehen, doch kann sich dies der Haushalt jetzt erlauben?

Nein. Im ersten Augenblick würde man sagen, das kann er sich nicht erlauben. Sicherlich verfügen die Zuhörer nicht über dieses Hintergrundwissen, dass wenn wir doch den ungarischen Haushalt betrachten, und jetzt ist es gleichgültig, ob wir jung, alt, Rentner sind oder gerade Unterstützung zur Erziehung der Kinder erhalten möchten, wenn wir aus der nötigen Entfernung den ungarischen Haushalt betrachten, da planen wir ihn immer auf das Defizit hin. Es ist also doch eine absurde Sache im Übrigen, dass Ungarn in einem Jahr Geld in einer bestimmten Menge erwirtschaftet, und wir geben jedes Jahr mehr Geld aus, als wir erwirtschaften. Zwischen den beiden gibt es einen Unterschied. Deshalb sagt man, das Minus des Haushalts beträgt so viel oder so viel oder eine andere Summe, und den Unterschied muss man natürlich irgendwie verschwinden lassen, da pflegen wir einen Kredit aufzunehmen, den wir dann über einen langen Zeitraum vor uns herschieben. Wir werden dann ein sehr starkes, sehr stabiles und glückliches Land sein, wenn die sehr geehrten Zuhörer hören werden, der ungarische Haushalt sei im Plus abgeschlossen worden, also mehr Geld hergestellt als verbraucht hat, sogar eine Reserve gebildet oder anderen einen Kredit gegen Zinsen gegeben hat, und Ähnliches. Doch ist der ungarische Haushalt nicht so. Und das ist so seit den Kommunisten. Das hat man also irgendwann noch im kommunistischen System kaputtgemacht. Seitdem schieben wir das vor uns her, und deshalb erscheint jede derartige Ausgabe auf den ersten Blick, wenn wir sie nur mit den Augen des Ökonomen betrachten würden – wie im Übrigen die Linke das häufig getan hat, Lajos Bokros war der Champion darin, aber es gibt noch einige andere Heroen, die sich in der Schinderei der Menschen hervorgetan haben –, sie haben immer damit argumentiert: „Schaut euch die Zahlen an: Wir geben mehr aus, als wir erwirtschaften können, also sollten wir nichts geben.“ Gut, aber das Leben regelt sich nicht auf diese Weise, man kann dies also nicht mit Menschen tun, die in anständiger Arbeit ergraut sind, dass sie vierzig, manche fünfzig Jahre ihres Lebens durchgearbeitet haben, im Sozialismus oder in den verworrenen Jahren des Übergangs einen relativ niedrigen Lohn unter dem Verweis darauf erhalten haben, dass sie aber dann in ihrem Alter in Sicherheit sein werden, weil das Geld da ist, das werden sie dann auch als Rente erhalten, die ihnen diese Sicherheit geben wird. Und dann sagen wir ihnen auf einmal: „Wisst ihr, die Rationalität, die Vernunft, ihr bekommt sie doch nicht…“ Also das pflegt die Linke zu tun, doch eine nationale Regierung, da wir nicht in Zahlen denken – obwohl die Zahlen wichtig sind, doch sind sie trotzdem nicht die wesentlichsten Dinge –, sondern wir denken ja in den Kategorien Nation, Menschen, Familien, wir geben es ihnen. Deshalb war es so, dass man in der Ära Gyurcsány eine Monatsrente weggenommen hat, jetzt hat es zwar den Krieg und die COVID-Krise gegeben, wir haben trotzdem keinen einzigen Fillér weggenommen, ja wir haben immer alles gegeben, was den Rentnern zustand. Also wenn wir die Frage so stellen, wie Sie das formuliert haben, ob wir uns das erlauben können, dann lautet die Antwort „nein“. Wenn die Frage ist, ob wir das tun müssen, dann ist die Antwort, wir müssen es tun und es ist die Aufgabe der Regierung, sich manchmal auf derart unmögliche Dinge einzulassen. Ich wünschte mir, dass das Land etwas Stolz darüber verspürte, dass wir auch in Kriegszeiten in der Lage sind, die Sicherheit der Rentner aufrechtzuerhalten. Das ist keine Evidenz, das ist nicht in allen Ländern so, an sehr vielen Orten ist die Anhebung der Renten weit hinter der Inflation zurückgeblieben. Ungarn gehört jetzt zu den Ländern, in denen die Rentner tatsächlich die Vorfahrt haben, Krieg hin, Krieg her, sie erhalten, was ihnen zusteht. Mit den Rentnern hat die Regierung ein Bündnis, ein Abkommen noch aus dem Jahr 2010. Sie haben uns bisher schon immer unterstützt, die Rentner unterstützen in ihrer großen Mehrheit die nationale Regierung, und wir haben uns dazu verpflichtet, den Wert der Renten zu erhalten, ja sogar das, was man ihnen in der Gyurcsány-Periode weggenommen hat, zurückzugeben. Wir haben die dreizehnte Monatsrente auch wieder zurückgeführt. Und jetzt, wo der Krieg ausgebrochen ist, die Energiepreise galoppieren, die Inflation kam, ist es uns nicht einmal in den Sinn gekommen, jene dreizehnte Monatsrente wieder zurückzunehmen, die wir gegeben haben. Und auch diese jetzige Erhöhung, über die wir sprechen – diese geben wir nicht einfach nur jetzt im November –, diese wird in die Rente der kommenden Monate integriert, denn also ab dem Januar legen wir die Rentenerhöhung des nächsten Jahres auf die Weise fest, dass wir diese jetzt im November ausgezahlte Summe in den Grundstock integrieren, den wir anheben.

Weshalb dies sicherlich notwendig ist, das ist die hohe Inflation, gegen die die Regierung auch weiterhin kämpft. Laut den neuesten Prognosen für den November kann die Inflation einstellig sein. Und über die Gründe haben wir auch schon in diesem Studio viel gesprochen, ganz gleich ob es um den Profithunger der Multis oder die Erhöhung der Transitgebühren geht. Was sehen Sie im Augenblick hinsichtlich der Verlangsamung der Inflation als das größte Risiko, als die größte Gefahr?

Schauen Sie, man lernt viel, wenn einen das Leben vor solch schwierige Herausforderungen stellt wie der Krieg eine ist und die Brüsseler Sanktionen und der aufgrund dieser entstandene Anstieg der Energiepreise. Eine Weile beschritten wir den traditionellen Pfad. Mit der Inflation muss man so umgehen – das ist die Methode nach dem Lehrbuch –, dass es die Regierung und die Notenbank gibt, die Regierung verhält sich rational und die Notenbank geht mit der Inflation um, denn in ihren Händen sind jene Instrumente, mit denen man die Preiserhöhungen mindern kann, bzw. den Wert des Geldes bewahren kann. Das Wissen der Notenbank ist ein großes Wissen, man muss komplizierte Mechanismen, die Zinspolitik, den Wechselkurs, also man muss vieles im Auge behalten. Es ist kein Zufall, dass in allen Ländern der Welt die am besten bezahlten staatlichen Angestellten immer in den Notenbanken zu finden sind, denn dort ist dieses finanzielle Wissen das ausgebildetste. Und auch hier, auch wir haben das gemacht. Inflationsziel: Das macht dann die Notenbank. Doch ich musste nach einiger Zeit einsehen, das würde so nicht gehen. Also das Messer der Notenbank hat sich als zu schwach im Kampf gegen die Inflation erwiesen. Und dafür kann die Notenbank nichts, denn sie verfügt nur über ein Messer, doch die Inflation ist zu einem Baum gewachsen. Solange diese nur ein Busch war, konnte auch die Notenbank mit ihrem Messer der Inflation Herr werden, doch da diese sich zu einem Baum ausgewachsen hat, ist hier eine Axt nötig. Nun, so eine gibt es in der Notenbank nicht. Die ist bei der Regierung, deshalb musste der Kampf gegen die Inflation, deren Aufgabe und auch die Verantwortung von der Notenbank übernommen werden. Und wir haben angefangen, mit einer großen Axt die Inflation zu verkleinern. Und da kamen die Preisdeckel, dann kam der Zinsstopp, dann der obligatorische Wettbewerb bzw. die Preisnachlässe, das Online-System der Beobachtung der Preise. Wir haben die Multis angefangen zu bedrängen, haben sie bei den Ohren gepackt, und haben gesagt: „Liebe Freunde, das sind Erhöhungen in unbegründetem Maß, also bitte…“ Das Kartellamt, das ebenfalls über eine große Axt verfügt, legte los, und wir haben versucht, für Ordnung zu sorgen. Wir haben die Situation also auf eine von der traditionellen Weise abweichende Art behandelt. Das ist nicht so einfach, weil die Welt das nicht gerne sieht. Die Welt hat sich also daran gewöhnt, dass die Notenbanken das schon regeln werden, die Regierungen sollten in dieser Sache lieber vorsichtig sein, sie sollten keine Helden aus Actionfilmen sein, sondern abwarten, dass es von selbst, mit den Mitteln der Notenbank gelingt, die Inflation zu senken. Doch das konnten wir in Ungarn nicht erlauben, denn den Energiepreisen sind wir am stärksten in ganz Europa ausgesetzt. Man musste unmittelbar eingreifen. Ich melde gehorsamst, wir hatten Erfolg. Diese Axtschläge haben das erwartete Ergebnis mit sich gebracht, wir haben die Inflation gesenkt. Soweit ich das sehe, ist unser Ziel, dass dieses Jahr, 2023, das Jahr der Niederringung der Inflation werde, es wird gelingen, bis zum Ende des Jahres werden wir eine einstellige, also unter 10 Prozent liegende Inflation haben. Im nächsten Jahr wird sie irgendwo um 4-6, 5-6 Prozent sein, sagt die Notenbank, sie verfügt über das beste Kontrollsystem, deshalb verlassen auch wir uns darauf. Also das haben wir meiner Meinung nach hinbekommen. Die Frage ist jetzt nicht dies. Da sind wir schon darüber hinweg. Die Frage ist die, wann wir den Anstieg der Löhne starten können. Und die Frage ist, ob wir parallel zum Anstieg der Löhne das Wachstum der Wirtschaft starten können und ob das Wirtschaftswachstum zugleich auch mit der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit einhergeht? Und ich blicke auf diese drei Fragen sehr optimistisch, sehr hoffnungsfroh in die Zukunft: ich antworte mit „ja“. Soweit ich das also sehe, werden vielleicht schon im August, aber mit Sicherheit im September die Löhne mehr gestiegen sein als die Preise, der Prozess des Anstiegs der Löhne hat also begonnen. Soweit ich das sehe, befindet sich das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal – das schließen wir jetzt – bereits im positiven Bereich, das Wachstum hat also erneut begonnen, das wird auch im vierten Quartal so sein. Ich habe Wirtschaftsprognosen von großen weltweit operierenden Firmen gesehen, die besagen, es könnte durchaus sein, dass im kommenden Jahr das Wirtschaftswachstum in Ungarn am höchsten sein wird, und ich habe den Eindruck, dass zugleich die ungarischen Firmen, die ungarischen Gesellschaften sich gut an die Situation der Energiekrise angepasst haben und immer effektiver produzieren, ihre Produktion, ihre Energiesysteme modernisiert haben, also ist in dem vergangenen einen Jahr die Wettbewerbsfähigkeit der ungarischen Wirtschaft angestiegen. Das zusammen gibt also die Chance, die Hoffnung darauf, dass ich sagen kann: 2024 wird das Jahr der Wiedererrichtung des Wirtschaftswachstums sein.

Sicherlich ist der Hauptgrund für die Probleme, die wir sehen und über die wir bisher gesprochen haben, auf jeden Fall der russisch-ukrainische Krieg. In den vergangenen Wochen kann man aber doch in den westlichen Gesellschaften oder auch in den uns umgebenden Ländern eine Art von Verunsicherung sehen im Zusammenhang mit der Unterstützung des Krieges, und wir haben auch gesehen, wie Kiew auch mit einem seiner wichtigsten Verbündeten, mit Warschau, in Streit geriet. Wohin führt Ihrer Ansicht nach diese Verunsicherung, die wir im Westen im Zusammenhang mit der Ukraine sehen?

Es gibt einen unbescheidenen Satz, mit dem wir uns aufzumuntern pflegen, wenn wir in einen internationalen Konflikt geraten, wie es z.B. die Beurteilung des Krieges bereits schon beim Ausbruch des Krieges war. Ungarn hat diesen Krieg anders gesehen als die westliche Welt. Wir sagten das ist nicht unser Krieg. Das ist ein slawischer Bruderkrieg zwischen zwei Ländern. Zweifellos hat das eine Land das andere angegriffen, aber für uns, die wir Außenstehende sind, denn das ist nicht unser Krieg, es ist unser Interesse, dass wir diesen Konflikt, wie wir das sagen: lokalisieren, also isolieren, separieren, verhindern, dass er sich weiter ausbreitet. Alle Länder der westlichen Welt sagten aber nein dazu, man müsse den Konflikt globalisieren, also man müsse ihn nicht isolieren, sondern man müsse ihn ausweiten, auch wir sollten da einsteigen, denn das sei ja auch unser Krieg, stecken wir das Geld hinein usw. Und wir haben zu Beginn gesagt, dies sei eine falsche Vorstellung, vor allem deshalb, weil man in einen Krieg einsteigen kann – das gibt es, obwohl es besser ist, dies zu vermeiden –, wenn du sagen kannst, was dein Ziel ist. Und wenn du auch sagen kannst, mit welchen Mitteln du dein Ziel erreichen wirst. Und ob dieses Ziel so wertvoll ist, um im Übrigen dafür Menschenleben zu riskieren, ja welche zu verlieren? Und ob das System von Instrumenten, das du in diesem Krieg einsetzen willst, realistisch gedacht ist? Wenn du auf diese Fragen keine Antwort hast, dann sollte dir nicht einfallen, in einen Krieg verwickelt zu werden, denn deine Bürger, deine Soldaten, die Menschen werden auf eine Weise sterben, dass die Politik dann am Ende keine Rechenschaft wird ablegen können über diese Menschenleben. Und ich hatte das Gefühl, das die westliche Welt – die weit von diesem Krieg ist, wir sind ihm nah, wir verstehen, was das ist, sie sind in der Ferne – diese nüchternen Abwägungen nicht vorgenommen hat. Also hinsichtlich des Krieges habe ich auch weiterhin die schlechtesten Gefühle. Die Frontlinien bewegen sich nicht, trotzdem sterben Zehntausende. Waisen, Witwen, Schwerverletzte, verkrüppelte Menschen, ohne dass man wüsste, wo das enden wird, während zugleich die Gefahr ständig da ist, dass immer modernere, immer neuere, immer gefährlichere Waffen eingesetzt werden, deren Auswirkungen sich nicht mehr auf die Frontlinie beschränkt, sondern auch uns erreichen kann, die wir im Übrigen auf der Seite des Friedens stehen. So eben sieht der Krieg aus. Also der Spruch, den ich an dieser Stelle anführen wollte, mit dem wir uns ermuntern, lautet: Die Ungarn haben nicht Recht, sondern sie werden Recht haben. Und leider haben wir im Zusammenhang mit dem Krieg auch Recht behalten.

In der Zwischenzeit läuft aber auch ein Prozess, der die Ukraine der Europäischen Union immer näherbringt. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission spricht ja darüber, sie staune nur darüber, wie die Ukraine in der Lage ist, die für den Beitritt zur EU notwenigen Reformen auf die Weise durchzuführen, indem sie zugleich Krieg führt, und Denys Schmyhal, der ukrainische Ministerpräsident sagte gestern gegenüber Politico, das Land würde innerhalb von zwei Jahren Mitglied der EU. Wie sehen Sie das, gibt es dafür eine reale Chance, und was denkt in dieser Frage die ungarische Regierung?

Wenn Sie die Frage so direkt stellen, wie Sie das getan haben, dann kann ich nur antworten, also ob die Ukraine Mitglied werden wird, da kann ich sagen, jeder Mitgliedsstaat der Europäischen Union muss dem zustimmen. Es gibt Länder, in denen ist auch eine Volksabstimmung nötig, es gibt solche, in denen das Parlament ausreicht. Das ungarische Parlament betrachtend sehe ich im Sitzungssaal den unüberwindlichen Wunsch nicht, dass das ungarische Parlament für die Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union in den kommenden zwei Jahren stimmen würde. Ich wäre also vorsichtig mit diesen hochgreifenden Plänen. Was verständlich ist, denn die Frage werden wir nicht umgehen können, wenn wir im Laufe des Herbstes in Brüssel substanziell über die Zukunft der Ukraine debattieren werden, ob man ernsthaft über die Mitgliedschaft eines Landes nachdenken darf, ob man die Verhandlungen mit einem Land beginnen darf, das im Krieg steht. Und zwar in einem territorialen Krieg, wir wissen also nicht, wie groß das Territorium dieses Landes ist, denn es gibt noch Krieg. Wir wissen nicht, wie groß seine Bevölkerung ist, weil sie fliehen, und das ganze System der Europäischen Union basiert darauf, wie groß welches Land ist, eine wie große Bevölkerung es besitzt. So verteilen wir die Verantwortung und so verteilen wir auch die Entwicklungsquellen. Ein Land so aufzunehmen, dass wir seine Parameter nicht kennen – das ist beispiellos. Ich denke also, wir müssen sehr lange und sehr schwierige Fragen beantworten, bis wir an den Punkt gelangen, um überhaupt über die Aufnahme von Verhandlungen entscheiden zu können.

In der Zwischenzeit bittet Brüssel die Mitgliedsstaaten doch, mehr Geld als bis jetzt zur Unterstützung der Ukraine zu geben. Dabei hat Gergely Gulyás gestern dahingehend formuliert, dass die Europäische Kommission im Rahmen der Verhandlungen im Zusammenhang mit der Zuerkennung der Ungarn zustehenden EU-Quellen Fragen stellt, mit denen sie Zeit schindet. Was denken Sie, warum erhält oder warum erhielt Ungarn die ihm zustehenden EU-Quellen bisher nicht?

Wir sprechen also über zwei Dinge. Das eine ist die den Ukrainern zu gebende Geld, das andere ist das den Ungarn zustehende Geld. Und dann kann die Frage kommen, ob die beiden in Zusammenhang miteinander stehen. Was das den Ukrainern zu gebende Geld angeht, da ist uns ganz einfach das Geld ausgegangen. Ich sehe also nicht die Möglichkeit, dass wir der Ukraine Geld geben, denn auch wir haben keines. Und nicht nur Ungarn hat es nicht, auch die EU nicht. Auch in der EU gibt es ein Defizit. Also damit wir irgendjemandem mehr Geld geben können, dazu müssten die Mitgliedsstaaten mehr Geld einzahlen, und jene Mitgliedsstaaten, die bisher Geld aus der EU erhalten haben, müssen auf dieses Geld verzichten. Das bedeutet, wenn wir der Ukraine mehr Geld geben wollen, müssen wir mehr einzahlen und wir werden weniger erhalten. Ungarn gehört zu den Ländern, die jährlich hinsichtlich der Summe des eingezahlten und des erhaltenen Geldes mit einem positiven Saldo von etwa 2 Milliarden schließen. Das werden wir verlieren. Man muss also geradeheraus sprechen: Die Sache sieht so aus, dass wenn wir der Ukraine Geld geben, dann können wir es nicht Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Kroatien geben, wir können den weniger entwickelten Ländern kein Geld geben, denn für alles gibt es kein Geld. Damit muss man also rechnen. Deshalb bin ich in der Angelegenheit der der Ukraine zu gebenden Kredite oder der finanziellen Unterstützung vorsichtig. Darauf lautet die Antwort aus Brüssel natürlich, wir sollten einen Kredit aufnehmen. Nun, ich bin aber 26 Jahre lang im Sozialismus aufgewachsen. Nun, dort hat man dies gemacht: „Nehmen wir einen Kredit auf!“ Und wer bezahlt ihn jetzt? Wir! Wenn wir also einen Kredit aufnehmen, diesen nicht für uns, also nicht für die Europäische Union ausgeben, nicht uns wettbewerbsfähiger machen, nicht die europäische Wirtschaft entwickeln, wir nehmen einen Kredit auf, geben ihn jemandem anderen, über den wir wissen, dass er ihn niemals wird zurückzahlen können oder ihn zumindest nicht einmal in der Lebenszeit unserer Enkel wird zurückzahlen können, dann bedeutet das: Wir haben das Geld und die Zukunft unserer Kinder und Enkel jemandem anderen gegeben. Man kann so etwas machen – nur sollten wir darüber ehrlich sprechen. Und ich würde das auch gar nicht unterstützen und auch nicht empfehlen, dass wir das tun. Die andere Frage ist, warum wir das Geld nicht erhalten? Es kann sein, dass ein Teil dessen bereits in der Ukraine ist. Also wenn kein Geld dafür da ist, um die der Ukraine bereits versprochenen Summen zu geben, und wir versprechen weitere, und es gibt jemanden, der das Geld nicht bekommen hat, dann ist es ein berechtigter Verdacht, dass das Geld vielleicht nicht mehr da ist. Das wissen wir nicht eindeutig, wir wissen es nicht, weil Brüssel in dieser Angelegenheit nicht klar spricht. Was ich sehe, ist, dass Zeit geschunden wird. Etwa 3 Milliarden Euro schuldet Brüssel Ungarn, weil wir das immer einzahlen, was wir einzahlen müssen: Genaue Abrechnung bedeutet eine lange Freundschaft, und es gibt auch schwerwiegende Strafen, wenn du nicht einzahlst, also fallen hier der Zwang und der gute Wille zusammen. Wir haben also bisher eingezahlt, was eingezahlt werden muss, aber das, was sie hierherschicken müssten, das kommt nicht. Deshalb entsteht eine Art von Schulden. Brüssel schuldet Ungarn mehr als 3 Milliarden Euro! Das ist keine Kinderei, denn bei einem Wechselkurs von 400 sind das doch schon 1.200 Milliarden Forint, die angesichts der Größe der ungarischen Wirtschaft eine bedeutende Summe darstellt. Jetzt schinden sie Zeit. Sie sagen jetzt also nicht, dass sie es nicht hergeben, sondern sie sagen, sie würden uns im Zusammenhang mit dem Funktionieren unseres Justizsystems einige Fragen stellen. Wir haben gerade jetzt neun Fragen erhalten. Darunter gab es solche wie, ob ein Richter über ausreichend Büroräumlichkeiten verfügt? Ob der Posten A unabhängig vom Posten B verbucht wird? Man kann also solche Fragen stellen, jetzt natürlich darüber hinaus, dass dies sie überhaupt nichts angeht, denn laut der Verfassung der Europäischen Union haben sie mit diesen Fragen nichts zu tun, aber selbst wenn wir uns darüber hinwegsetzen und ihre kleinliche Kritik akzeptieren, so ist es doch so: Das sind unseriöse Fragen. Also jetzt ist die ganze Debatte schon absurd. Also ein jeder spürt, dass Ungarn alle Verpflichtungen erfüllt hat. Und Brüssel will das Geld nicht hergeben, und lebt von umständlich ausgedachten, zum Zweck des Zeitschindens vorgebrachten Ausflüchten. Wenn Sie mich jetzt darüber fragen würden, wann dies zu Ende sein wird oder wie lange dies so weitergeht, dann würde ich sagen – es kann sein, dass ich das in einer offenen Debatte nicht verteidigen kann, weshalb ich vorsichtig mit dieser Meinung bin –, ich habe den Eindruck, die Brüsseler Bürokraten warten auf das Ergebnis der polnischen Wahlen. Die Brüsseler möchten ja die polnische Regierung stürzen, wir sollten keine Illusionen haben: Sie wollen eine linke Regierung in Polen. Sie machen auch alles im Interesse dessen. Wir wissen nicht, ob sie Erfolg haben werden. Das polnische Volk hat mit sehr ernsthaften Dilemmata zu ringen. Mitte Oktober gibt es die Wahlen und man hofft in Brüssel, dass wenn eine linke Regierung kommt, dann bleibt Ungarn allein, sie werden mit uns leichter fertig. Doch wenn die konservative Regierung in Polen bleibt, dann kann man nichts tun, die beiden Länder werden einander immer verteidigen, und dann muss aber Brüssel nachgeben. Meiner Ansicht nach ist dies das Ereignis, dessen Eintreten auf die eine oder andere Weise auch das Schicksal der Gelder Ungarns vorantreiben wird.

In dieser Angelegenheit heißt es also vorerst: Abwarten. Es gibt aber eine andere EU-Angelegenheit, im Zusammenhang mit der es zu einer Wende kam, und das ist die Migration. Deutschland hat sich im Laufe der Woche umgewandt und unterstützt jetzt schon die bisher von ihm beanstandeten Passagen des Migrationspaktes. Jetzt sind es die Italiener, die um etwas Geduld gebeten haben. Kann es mit der Unterstützung von Berlin, jedoch trotz der Beanstandungen der V4, unter ihnen Ungarn, einen Fortschritt in dieser Angelegenheit geben?

Rückschritt. Das ist kein Fortschritt. Dieser Migrationspakt ist ein Schritt zurück. Dies ist die größte Frage unserer Zukunft. Es gibt immer unmittelbar drohende Gefahren in der Politik. Wir haben über das Haushaltsdefizit zum Beispiel gesprochen: Ob du die Renten zahlen kannst? Und es gibt sich langfristig meldende ständige Gefahren. Die Migration ist so eine. Hier stehen wir einem historischen Prozess gegenüber. wenn wir die europäische Geschichte betrachten, dann sehen wir, dass an den beiden Ufern des Mittelmeeres Völker in einem unterschiedlichen demografischen Rhythmus leben, manchmal entsteht an dem einen Ufer des Meeres und ein anderes Mal am anderen Ufer eine neue Population in hoher Zahl, wie die Demografen das nennen: Ein Bevölkerungsüberschuss. Und dann geht es los. Es gab Zeiten, da sind wir auf das Südufer des Mittelmeeres gegangen, manchmal kommen sie hierher nach Norden. Jetzt ist es gerade der Zeitraum, in dem sie nach Norden kommen. Und das droht uns ständig. Und mit dieser Herausforderung kann die Europäische Union nichts anfangen. Denn sie betrachtet diese Frage nicht vor dem Horizont der Geschichte, nicht vor dem Horizont der Kinder und Enkel, nicht aus ihrer Perspektive, sondern sie betrachtet dies als eine aktuelle Menschenrechtsfrage. Das ist ein Fehler! Wir müssen diesen Prozess aufhalten. Die Migration ist eine schlechte Sache. Eine gefährliche Sache. Sie geht mit Kriminalität einher, sie geht mit Terrortaten einher, sie geht mit Zusammenstößen zwischen Zivilisationen, Menschengruppen einher, die unterschiedliche Lebensauffassungen vertreten. Dies konnte man lange als eine Hypothese ansehen, doch seit die Migration zu so einer Invasion seit 2015 geworden ist und aktuelle Erfahrungen und Tatsachen zur Verfügung stehen, ist das keine Annahme, sondern eine Tatsache. Kriminalität, Gewalt, Unfähigkeit zum Zusammenleben, Konflikte, mit denen wir nicht umgehen können. Ungarn will das vermeiden. Danken wir dem lieben Gott, dass wir uns aus verschiedenen Gründen – dazu gehört auch die ungarische Regierung, der Mut der ungarischen Regierung – bisher vor der Migration schützen konnten. Und das haben wir so getan, dass es in dieser Frage keine Einigkeit in Ungarn gibt. Meiner Ansicht nach denkt die Mehrheit das, was die Regierung, doch in der Politik gibt es keine Einigkeit. Die Linke steht auf der Seite der Migration. Ich verfolge also die Diskussionen in Brüssel, da sind ja alle Parteien aus Ungarn vertreten, und ich sehe, dass die ungarische Linke, ja auch selbst die sich als rechte bekennende ungarische Linke – es gibt auch so einen Teil unserer Welt – dort für die die Migration verwalten und nicht aufhalten wollenden Vorlagen stimmt. Sie stimmen also dort, im Europäischen Parlament, solchen Entscheidungen zu, auch wenn sie darüber hier zu Hause nicht viel reden, obwohl manchmal auch hier die Wahrheit zum Vorschein kommt, mit denen sie in Wirklichkeit die Migration vorantreiben. Die Migration kann man auf eine einzige Weise aufhalten. Eine Bibliothek von Literatur ist darüber verfasst worden und ich kenne deren Großteil, ich nehme seit mehr als zehn Jahren an den Diskussionen darüber teil, es gibt kaum ein Argument, das ich noch nicht gesehen habe, und ich habe mich davon überzeugt, dass dies eine einfache Angelegenheit ist. Wenn du dich vor der Migration schützen willst, dann lass die Migranten nicht herein. Man kann dies verkomplizieren, die Fakten drehen und wenden, doch am Ende ist es das. Das heißt also, du sollst nur Menschen auf das Gebiet deines Landes hereinlassen, die zuvor einen Antrag eingereicht haben, den du geprüft hast und positiv beschieden hast. Und dann kannst du sagen, wenn er an der Tür klopft, wir haben deine Angelegenheit geprüft, lieber Freund, du kannst hereinkommen oder du kannst nicht hereinkommen. Aber dass du sie zuerst hereinlässt und dann danach beginnst, Verfahren durchzuführen, wie wirst du sie hinaustun? Auf keinerlei Weise! Darum geht es in der Migrationskrise. Deshalb ist das eine sehr einfache, jedoch Bestimmtheit erfordernde Sache. Doch nur weil etwas einfach ist, ist es noch nicht leicht. Das ist einfach und schwierig. Das muss getan werden. Man muss „nein“ sagen. Und wenn du „nein“ sagst, dann kommen sie nicht, dann gehen sie nicht los, dann ertrinken sie nicht im Wasser, dann gibt es keine menschlichen Tragödien. Dann können wir also sagen, dass man nicht die Probleme hierherbringen soll, worauf die am anderen Ufer des Mittelmeeres Lebenden sagen, gut, aber bringt dann die Hilfe hierher. Na, und das macht die EU nicht. Dabei müsste man das tun, nicht das Übel hierherrufen, sondern die Hilfe dort hinbringen. In der Sahelzone ist das Problem am größten, dort gibt es jenes Durcheinander, das die Menschen am meisten nach Norden, an das Südufer des Mittelmeeres hochschiebt. Wir sind im Übrigen bereit, in diesen Regionen, so auch in der Sahelzone, an der Stabilisierung der dortigen Situation teilzunehmen, auch wirtschaftliche, medizinische, militärische Hilfe zu leisten, darüber laufen die Verhandlungen, wir wollen also das Problem der Migration lösen, aber nicht auf die Weise, dass wir sie hereinlassen. Am schmerzlichsten ist nicht der Seitenwechsel der Deutschen, denn jetzt ist Deutschland seit dem II. Weltkrieg ein Land mit beschränkter Selbständigkeit: Wenn du einen Krieg verlierst, dann pflegt das so zu sein. Was mich überrascht hat, war, dass die Slowaken die Seite gewechselt haben. Also die Slowakei hat doch immer an der Seite des ungarischen und polnischen Standpunktes durchgehalten. Die Tschechen sind schon früher ausgestiegen. Ich habe früher auch über sie gewitzelt, das war vielleicht nicht richtig, und deshalb waren sie auch auf mich böse, ich sagte, sie hätten ihr Pferd in den brennenden Stall gebracht, aber das soll ihr Problem sein. Doch die Slowaken sind unsere Nachbarn, das ist ein besonnenes Volk. Und die Slowaken waren in der Angelegenheit der Migration immer ein Bestandteil des gemeinsamen polnisch-ungarischen Standpunktes. Und gestern oder vorgestern sehe ich, dass auf einmal die Slowaken sich von diesem zurückgezogen haben. Das ist schlecht, denn die polnisch-ungarische Kooperation gegen die Migration ist dann erfolgreich, wenn es eine geographische Beständigkeit gibt. Also wenn wir einen Streifen garantieren und sichern können: Polen, Slowakei, Ungarn, dann südlich Kroatien. Diese Front ist die Migrationsfrontlinie. Wenn eines dieser Länder daraus ausschert, ergeben sich hieraus Probleme.

Unter anderem über den Rentenzuschuss, den Kampf gegen die Inflation, die Diskussionen mit Brüssel und auch über die Migration befragte ich in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsident Viktor Orbán.

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