Interviews / Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth
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Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth

Zsolt Törőcsik: Vor zwei Wochen war Ministerpräsident Viktor Orbán zuletzt in Sopron mein Gast, den ich jetzt im Studio begrüße. Guten Morgen!

Guten Morgen!

Seitdem gab es eine Rede in Tusnádfürdő, die teilweise recht heftige Reaktionen in einzelnen benachbarten Ländern ausgelöst hat. Welche Wirkung hat das Gesagte auf das Verhältnis, das mit diesen Ländern besteht? Das waren ja besonders Rumänien und die Slowakei, die Punkte der Rede besonders beanstandeten.

Und dann haben auch noch von der Seite die Tschechen, vielleicht etwas regelwidrig doch gegen das Standbein gegrätscht. Tusnádfürdő ist ein ikonischer Ort der nationalen Seite. Das Interesse an ihm ergibt sich daraus, dass es von dem Genre her nicht eingegrenzt werden kann, wir wissen also nicht genau, was in Tusnádfürdő geschieht, denn in der Politik existieren Stilkategorien, es gibt die Rede, usw. Und das ist eine freie Universität, was nicht wirklich eine Rede ist, auch nicht wirklich eine Vorlesung, denn es ist ja gerade dadurch eine freie Universität, dass sie nicht so straff ist wie eine normale Universität. Doch würde ich es eher eine Vorlesung nennen, oder uns der Absicht annähernd glaube ich, es ist das gemeinsame Denken. Ich nutze also diese Möglichkeit immer dazu, denn ich werde dorthin oft eingeladen, um ein gemeinsames Nachdenken anzubieten. Jetzt sind deshalb im Allgemeinen die Reaktionen spannender als die Botschaft selbst. Wie reagieren die Menschen auf einen Aufruf zum gemeinsamen Denken. Jetzt ist auch die ungarische Innenpolitik interessant, nicht nur das Ausland, denn jetzt sehe ich schon seit Jahren, dass die, nennen wir es so, die Linke oder die Liberalen, die sind provinziell geworden. So wie ich das sehe, wie jene, die nicht lesen, nicht die Ereignisse verfolgen, ihre Frische verloren haben, keine neuen Dinge aufnehmen, sondern jenes alte Mantra, immer und immer, immer das gleiche. Ich glaube also, dass – obwohl dies nicht meine Aufgabe ist – wenn wir die Antwort auf jene Frage suchen, warum der politische Wettbewerb nicht schärfer ist, warum unser Herausforderer, die ungarische Linke, nicht stärker ist, dann finden wir meiner Ansicht nach die Antwort hierauf irgendwo im Umfeld des Begriffs Provinzialismus. Es ereignen sich so viele neue Dinge in der Welt. Ein Teil davon ist gefährlich, ein anderer Teil ist begeisternd, das Ganze ist also anziehend. Das ist also in Wirklichkeit Spiritus, intellektueller Spiritus in der modernen Politik, und das, sagen wir, ersieht man aus den Reaktionen der ungarischen Linken nicht. Was nun die Angelegenheiten jenseits der Grenze angeht, so habe ich mich mit dem rumänischen Ministerpräsidenten getroffen, ich wünsche es mir sehr, wenn es uns gelänge, ein gutes Verhältnis zu etablieren. Der neue Ministerpräsident ist ein junger, agiler führender Politiker, meiner Ansicht nach kann man mit ihm gemeinsam ernsthafte Dinge verwirklichen. Ich bin also optimistisch und ich hoffe, das bleibt auch nach Tusnádfürdő so. Die Slowaken sind ein schwierigerer Fall. Zunächst einmal wird es dort im September Wahlen geben. Jetzt sind die Nervenenden eines jeden in solchen Momenten viel empfindlicher, als hätte man in solchen Momenten keine Haut auf den Fingerkuppen und man reagiert eben auf alles nervöser. Da gibt es eine Frage, in der wir wohl kaum auf einen gemeinsamen Nenner gelangen werden, deshalb wäre es besser, wenn wir diese den Historikern überließen. Und das ist die ganze Frage der Nachfolgestaaten. Jetzt sprechen wir ja über die entrissenen Gebiete oder die Nachfolgestaaten oder worüber. Und hier ist die slowakische Annäherung eine ganz andere als die ungarische. Die Ungarn ziehen ja keine solchen Epochengrenzen. Ich könnte auch sagen, wenn jetzt schon gerade in Esztergom die Jugendlichen dort auf einer anderen ungarischen Freiuniversität sind, dass wir Ungarn uns seit 1100 Jahren im Flow befinden. Für uns ist das also nicht zerbrochen, zerstückelt, sondern das ist eine Geschichte, die auch schon vor uns Kapitel besaß, jetzt erleben wir die aktuelle und unsere Kinder werden das dann fortsetzen. Das ist bei uns nicht „Vor“ und „Nach“, es ist also nicht zerstückelt. Doch wenn wir diese Frage in den Mittelpunkt der slowakisch-ungarischen Beziehungen hineinlassen, dann begehen wir einen Fehler. Das müssen wir den Historikern geben und wir müssen uns auf die Zukunft konzentrieren, denn wir sehen auch große Möglichkeiten in der Zusammenarbeit mit den Slowaken. Jetzt gab es dort verworrenere Zeiten, viele Regierungen sind einander rasch gefolgt. Jetzt wird es Wahlen geben, wenn dort eine stabile Lage entsteht, dann könnten Slowaken und Ungarn meiner Ansicht nach viele schöne gemeinsame Dinge im kommenden Zeitraum machen. Und die Tschechen, so wie ich das sehe, die diskutieren miteinander. Ich muss das für bare Münze nehmen, was der Minister für Europäische Angelegenheiten sagt, der gesagt hat, sie würden die Vereinigten Staaten von Europa unterstützen. Das ist der Standpunkt des Föderalismus gegenüber der ungarischen und der polnischen Souveränitätsauffassung. Damit können wir nichts anfangen. Meiner Ansicht nach wird diese Debatte dann in den kommenden Jahren ihren Ruhepunkt erreichen, an dem sich auch das Schicksal der Europäischen Union entscheiden wird.

Sie haben ja in Tusnádfürdő auch über wirtschaftliche Themen gesprochen, zum Beispiel darüber, dass im Laufe von 3 Jahren die ungarische Wirtschaft mit zwei Meteoriten, Covid und dem Krieg, zusammengestoßen ist, und letzterer hat Ungarn auch aus der vorgegebenen Bahn geworfen. Und wie Sie formulierten, kämpft jetzt das Land darum, um wieder auf die vorgegebene Bahn zurückkehren zu können, frühestens um den Juli 2024 herum. Eine wie große Kraftanstrengung erfordert dies von der Gesellschaft und seitens der Regierung, damit das gelingt?

Wir sind zwei unterschiedlichen Meteoriten begegnet. Äußerlich kann man Meteoriten kaum voneinander unterscheiden, doch wenn man mit ihnen zusammenstößt, dann ist das sichtbar. Denn während Covid sind zunächst einmal viele Menschen gestorben. Das waren sehr schmerzhafte anderthalb Jahre für Ungarn. Da musste man um Leben kämpfen. Seine Wirkung auf die Wirtschaft ging mit dem Verschwinden, der zeitweiligen Pausierung von Arbeitsplätzen einher. Da musste also über die Rettung von Leben hinaus auch ein wirtschaftliches Übel behandelt werden, bei dem Arbeitsplätze, das heißt die Grundlage für alles, die Arbeitsmöglichkeiten geschützt werden mussten. Jetzt ist der Krieg anders, da der Krieg vorerst die Arbeitsplätze nicht gefährdet. Das ist nicht nur in Ungarn so. Ich betrachte den Zustand der europäischen Länder und ich sehe, dass sich an der Arbeitslosigkeit, am Maß der Arbeitslosigkeit der Krieg nicht viel verändert. In Ungarn gab es vor dem Krieg Vollbeschäftigung. Wir kamen aus Covid heraus, sind zur Vollbeschäftigung zurückgekehrt und der Krieg konnte uns nicht aus dieser Balance bringen. Der Krieg bedrängt und würgt die Ungarn eher wegen der Erhöhung der Energiepreise, wegen der Brüsseler Sanktionen eher von der Seite der Inflation aus. Und wir können eine einzige Sache tun, und das ist, durch die gesenkten Preise der Nebenkosten die ungarischen Familien zu schützen. Das ist heute am wichtigsten. Wir entlasten die Familien monatlich mit 181 tausend Forint, indem wir die Unterstützung der Nebenkosten aufrechterhalten. Hier betrachte ich die Daten, in ganz Europa bezahlen die ungarischen Familien die niedrigsten Nebenkosten. Meiner Ansicht nach ist das eine riesige Leistung. Nicht von der Regierung, sondern ich würde vielmehr sagen, vom gesamten Land. Das ist eine große Leistung der ungarischen Wirtschaft. Ich sage es noch einmal, die ungarischen Familien zahlen die niedrigsten Nebenkosten. Hier ist es unsere Aufgabe, die Inflation niederzuringen. Preisstopps, Zinsstopps, Preisbeobachtungssystem, obligatorische Sonderangebote. Jetzt kann man auch mit der SZÉP-Karte Lebensmittel im Geschäft kaufen, wir spielen also auf allen Instrumenten. Und soweit ich das sehe, werden das dann die Zahlen über die Inflation für den Juni und Juli auch bestätigen, dass der Prozess, den wir als die Niederringung der Inflation bezeichnen, angefangen hat, und das Ziel, dass die Inflation bis zum Ende des Jahres unter zehn Prozent sinken soll, werden wir erreichen können. Doch gibt es eine Erscheinung, die uns nicht erlaubt, uns zurückzulehnen. Hier müssen wir scharf formulieren, denn während das ganze Land gegen die Inflation kämpft, besonders gegen den Anstieg der Lebensmittelpreise, gibt es leider jene, die nicht ihren Beitrag zu diesem Kampf leisten, ja die Situation sogar ausnutzen, was ich für empörend halte. Die großen Lebensmittelketten, formulieren wir es so, die Multis, die verhalten sich wie Preisspekulanten. Sie heben die Preise also auch unter Bedingungen an, unter denen es keinerlei Grundlage dafür gibt, und sie heben auch noch die Preise der importierten Lebensmittel an, denn aus dem Anstieg der ungarischen Produkte fließt zumindest ein Teil zurück zu den ungarischen Landwirten, doch die Anhebung der Importlebensmittelpreise ist meiner Ansicht nach unbegründet und inakzeptabel. Das ist eine simple, nun, ich mag diese Wörter mit einem kommunistischen Beigeschmack nicht, aber das ist Profitmacherei. Sie nutzen also die Möglichkeit aus, dass die Energiepreise hoch sind, man kann sich darauf berufen, und während die Erhöhung der Preise nicht mehr begründet ist, versuchen sie es auch weiterhin damit. Und wir treten ja gegen sie auf, wir haben alle möglichen Regeln eingeführt, zäunen sie von rechts ein, drängen sie von links aus und sie laufen nach Brüssel und zeigen uns an. Und Brüssel versucht uns von der Route der Verteidigung der Menschen abzubringen. Solche als Preisspekulanten auftretende Multis machen mit den Brüsseler Bürokraten gemeinsame Sache. Wir haben doch schon Strafen in der Höhe von 3 Milliarden Forint erlassen, da wir keinerlei Kartellbildung und künstliche Preiserhöhungen zugelassen haben und unsere Ämter, das Wettbewerbsamt, der Verbraucherschutz haut ihnen auf die Finger, wenn es sein muss. Ich denke, dass die Intensität dessen erhöht werden muss und man muss ständig präsent sein und festhalten, festhalten, festhalten. Doch dürfen wir das nicht akzeptieren, dass nur weil wir in einer solchen Zeit der höheren Inflation leben, hinsichtlich der Lebensmittel es zu unbegründeten Spekulationen kommt. Das ist empörend, falsch und dagegen müssen wir auftreten.

Diese Woche gab es eine Regierungssitzung und wie wir darüber ja auch gesprochen hatten, ist einer der auslösenden Gründe für die Inflationssituation der Krieg und die Sanktionspolitik. Und auf der Regierungssitzung haben Sie laut der Meldungen die im Interesse des Friedens und des Waffenstillstands nötigen diplomatischen Schritte überblickt. Solange die Vereinigten Staaten praktisch wöchentlich Waffenlieferungen im Wert von mehreren 100 Milliarden Forint ankündigt und solange die EU laut den Plänen die der Ukraine Waffen gebenden Länder mit 20 Milliarden Euro unterstützen will, übrigens aus der Europäischen Friedensfazilität, hat es da einen Sinn, über eine Feuerpause, über den Frieden zu reden?

Es hat immer einen Sinn. Wenn es Krieg gibt, dann hat es einen Sinn, über den Frieden zu reden, denn der Krieg beraubt letztlich jetzt doch Hunderttausende ihres Lebens bzw. bringt sie durch Verletzungen und Verwundungen in eine Lage, dass es danach für hunderttausende von Menschen sehr schwer sein wird, ein vollwertiges Leben zu führen, ganz zu schweigen von den Familienmitgliedern, den zu Waisen gewordenen Kindern und den Witwen. Solange es also Krieg ist, muss man immer, man kann und man muss über den Frieden reden. Wenn wir nicht über ihn reden, wird es keinen Frieden geben. Wenn also die Stimme des Friedens nicht stark genug ist, dann bleibt die allgemeine Auffassung unter den Politikern vorherrschend, dass in so einer Situation nur der Krieg die Lösung ist. Obwohl die Wahrheit genau das Gegenteil dessen ist. Für diesen Krieg, für diese Situation gibt es keine Lösung auf dem Schlachtfeld. Diese Situation kann man nur mit Diplomatie und mit Verhandlungen lösen. Und der erste dorthin führende Schritt ist die sofortige Feuerpause. Also lohnt es sich für Ungarn, auf diesen zu drängen. Wenn man uns zum Fenster hinauswirft, kommen wir durch die Tür wieder herein. Wenn sie uns durch die Tür hinausstoßen, dann kommen wir durch das Fenster zurück. Hier ist also das Durchhalten notwendig. Darin haben Sie Recht, dass dieser Krieg schon lange nicht mehr der Krieg der Ukrainer ist, insgesamt erleiden sie ihn und, leiden sie unter ihm natürlich am meisten. Doch wir alle wissen, dass die Souveränität der Ukraine praktisch nicht mehr existiert. Ein Land, das keine eigenen finanziellen Einnahmen besitzt, nicht in der Lage ist, das eigene zivile Leben aufrechtzuerhalten, geschweige denn den Krieg zu finanzieren, dieses Land ist nicht souverän. Nun ist die Wahrheit, dass der Krieg eine sehr kostspielige Sache ist. Das war er früher auch. Es ist eine alte Wahrheit, dass zum Kriegführen drei Dinge notwendig sind: Geld, Geld und Geld. Das bestätigt die moderne Welt noch mehr, die Waffen sind moderner geworden, sind somit auch teurer geworden. Also einen Krieg zu führen, das stellt auch eine sehr schwere wirtschaftliche Belastungsprobe dar. Und die Kraft der Ukrainer ist aufgebraucht. Heute erhalten nur die westlichen Gelder die Ukraine am Leben und erhalten die ukrainische Armee in einem funktionstüchtigen Zustand. Hier gibt es zwei Fragen. Die erste Sache ist, wie sich der Präsident der Vereinigten Staaten entscheiden wird, auf welche Weise er auf die im Herbst 2024 fälligen amerikanischen Präsidentschaftswahlen zugehen möchte. Auf die Weise, dass Amerika noch durch so einen Proxykrieg gebunden ist und an ihm teilnimmt und hier in Osteuropa ungezählte Milliarden ausgibt, oder möchte er mit einer Feuerpause auf die Wahlen zugehen. Das wissen wir nicht, wir können es auch nicht beeinflussen und wir können auch die Frage nicht beantworten, das ist die Entscheidung der Amerikaner. Die andere Sache ist, wie lange es Europa durchhält, denn die Amerikaner besitzen ja eine Weltwährung, das ist der Dollar, deshalb können die Amerikaner mit allen möglichen finanziellen Manipulationen und Operationen sehr viel Geld herstellen, das man dann für den Krieg verwenden kann. Doch der Euro, das ist eine andere Geschichte, der ist anders. Der Euro ist dazu nicht geeignet. Wir können also nicht so leicht Geld herstellen, wie das die Amerikaner tun. Die Europäische Union kann auf die Weise Geld herstellen, dass die Mitgliedsstaaten ihr Geld in den gemeinsamen Hut werfen. Die Frage ist die, wie lange wir das aushalten. Während die europäische Wirtschaft in Problemen steckt, ist das Ende des Krieges nicht abzusehen. Wir haben mehr als 70 Milliarden Euro gegeben und wir wissen nicht, wohin diese gegangen sind, es gibt keine Abrechnung. Und dann kommt jetzt die Kommission und sagt bei der Hälfte der siebenjährigen Haushaltsperiode der Europäischen Union: „Mein Geld ist ausgegangen, gebt mir insgesamt 100 Milliarden Euro, 50 Milliarden für die Ukrainer oder 20 Milliarden für die höheren Zinsen der früher aufgenommenen Kredite. Und wir möchten noch unsere Gehälter anheben, und ein bisschen Reserve wäre auch nötig.“ Und dann schieben sie uns ganz einfach diesen Anspruch vor die Nase, wir sollen 100 Milliarden Euro geben. Und darüber hinaus gibt es noch jene 20, über die Sie sprechen. Wir reden hier also über gewaltige Gelder. Während die EU nicht Ihre den Mitgliedsstaaten gegenüber bestehenden Verpflichtungen erfüllen kann. So ist es auch mit Ungarn. Das ist auch die ungarische Situation. Die EU schuldet uns, wir zahlen alles ein, die Mitgliedschaft in der EU geht also mit einer Zahlungsverpflichtung einher. Es ist nicht sicher, dass die Zuhörer das wissen, aber jeder Mitgliedsstaat der EU muss jedes Jahr eine Summe in den gemeinsamen Haushalt der EU einzahlen. Wir zahlen das ein. Wir erfüllen also unsere Verpflichtungen, und von dort gibt man uns nicht das Geld, das uns zustehen würde. Deshalb schulden sie uns Geld. Meiner Ansicht nach schulden sie uns unermesslich viel Geld wegen des Grenzschutzes. Dessen Kosten liegen irgendwo in der Höhe von ungefähr 2 Milliarden Euro. Der Grenzschutz und der Bau des Zaunes. Sie haben Schulden bei den Lehrern, denn sie hatten ja versprochen, dass sie Ungarn bei einer rascheren Anhebung der Gehälter der Pädagogen helfen würden, das sind auch gute 800 Milliarden Forint, und sie schulden uns auch die Quellen des Wiederaufbaufonds, den wir im Übrigen auch mit Hilfe ungarischer Einzahlungen geschaffen haben, damit nach der Covid-Epidemie eine rasche wirtschaftliche Erholung eintreten kann. Covid ist schon nirgendwo mehr, wir haben eingezahlt, was wir einzuzahlen hatten, und dabei erhalten wir nicht das Geld, was uns aber zustünde. Wir stellen die Frage nicht ohne Grund, ob es nicht so ist, ob sie uns nicht deshalb das Geld schulden, weil sie das uns zustehende Geld für etwas anderes, sagen wir die Ukraine, ausgegeben haben? Und auf diese Frage gibt es heute keine Antwort.

Bedeutet dies auch, dass solange wir diese Gelder nicht erhalten, solange wird Ungarn nicht der Modifizierung des Haushaltes der EU zustimmen?

Dies wäre ein sehr unfreundlicher Satz. Hinzu kommt noch, dass es eine, meiner Ansicht nach kluge Regel in der Europäischen Union gibt, die besagt, dass von den Mitgliedsstaaten eine loyale Mitwirkung erwartet werden dürfe. Was, wenn ich es ins Ungarische übersetze, denn so ist das ein nebulöser Wunsch, was so viel bedeutet, dass es sich nicht ziemt, nicht zusammengehörende Angelegenheit miteinander zu verbinden, dass man dies nicht machen darf. Wir müssen sehr vorsichtig darüber reden, wann wir was unter welchen Bedingungen zu erfüllen bereit sind, denn es ist keine schöne Sache, es ist keine richtige Sache und der, der verschiedene Dinge miteinander verbindet, bewegt sich am Rande der Rechtmäßigkeit. Doch eine zeitliche Übereinstimmung existiert. Auch letztens war es so, dass Entscheidungen, die der Einstimmigkeit bedurften, zeitlich mit Entscheidungen über die Gelder für Ungarn zusammenfielen. Nun, wenn sich die Verhandlungen so gestalten sollten, dann muss man natürlich mit den zeitlichen Übereinstimmungen umgehen.

Kehren wir ein bisschen zu dem Punkt zurück, dass Sie erwähnt haben, die Frage sei, wie lange Europa in der Lage ist, die Ukraine zu finanzieren. Doch kann die Frage auch so erscheinen, ob Europa diese Last überhaupt aushält, wenn es, sagen wir, alleine bleibt? Denn wie auch Sie darauf hingewiesen haben, in den Vereinigten Staaten von Amerika wird die Debatte im Zusammenhang mit der Unterstützung der Ukraine immer lebhafter, und dieser Konflikt ereignet sich in der Nachbarschaft der Europäischen Union. Ist es also vorstellbar, dass Europa langfristig mit diesem Konflikt in seiner Nachbarschaft alleine bleibt?

Nun, vorstellbar ist es schon. Da wir uns aber an der Grenze unserer Belastbarkeit befinden, das heißt die Europäische Union und auch jeweils die Mitgliedsstaaten, deshalb würde, wenn dies einträte, Europa in dem Moment die Partei des Friedens ergreifen. Ich halte es also für unmöglich, dass während die öffentliche Meinung immer stärker die Begründetheit der Finanzierung des Krieges in Frage stellt, ihre Aufmerksamkeit immer stärker durch die eigenen inneren Sorgen gebunden wird. Sie sieht immer weniger, dass aus diesem Krieg ein Sieg werden würde. Sie sieht immer weniger ein, was der Sinn dessen ist, statt des Friedens und der Verhandlungen lieber den Krieg zu finanzieren. Denn wenn der Krieg in immer weitere Ferne rückt, warum wählen wir dann schließlich nicht den Weg der Verhandlungen und des Waffenstillstands? Die öffentliche Meinung bewegt sich also meiner Ansicht nach in diese Richtung. Inzwischen halten die Politiker an ihren früheren Entscheidungen fest, ja, sie schreiten lieber in die entgegengesetzte Richtung. In einer Demokratie, und die Europäische Union ist eines der größten demokratischen Territorien der Welt. Also in einer Demokratie kann die Bewegung des Volkswillens und der führenden Politiker des Landes nicht so scharf, kann nicht langfristig einander entgegengesetzt sein, hier wird früher oder später etwas geschehen müssen, und da man das Volk nicht ablösen kann, deshalb pflegt man die Regierungen abzulösen. Also für die demokratisch gewählten europäischen führenden Politiker bleibt nicht mehr viel Zeit, die veränderte öffentliche Meinung zu beachten und sich ihr anzupassen.

Und es ist ja nicht nur die Gesellschaft, deren Standpunkt sich verändert, sondern es gibt auch Frontberichte, die deutsche Bild-Zeitung schreibt unter Berufung auf einen Bundeswehrbericht, dass die Situation der ukrainischen Gegenoffensive tragisch ist. Und das Wall Street Journal in Amerika schreibt, die westlichen Amtsinhaber wussten, dass die Ukrainer nicht genügend Waffen und Soldaten für einen erfolgreichen Gegenangriff besitzen, doch habe sie auf die Begeisterung der Soldaten vertraut, wie sie es formulieren. Ergeben sich hier über den politischen Gesichtspunkt hinaus nicht auch moralische Bedenken? Also darf eine Großmacht darauf vertrauen, dass die Soldaten eines anderen Landes begeistert genug sind, um eine Kriegspartei zu besiegen?

Es ergeben sich zahlreiche solcher Fragen wie Sie sie erwähnen. Doch das Problem, die Verrenkung, der Irrtum findet sich am Ausgangspunkt. Also als die Russen die Ukraine angegriffen haben, hatte Europa, oder sagen wir es so, hatte der Westen zwei Möglichkeiten. Die eine, so wie im Fall der Halbinsel Krim, dort ist das ja auch passiert, zu versuchen, den Konflikt zu lokalisieren und zu sagen, es handelt sich um den Konflikt zweier Länder. Es ist klar, dass das eine das andere angegriffen hat. Klar ist auch, dass hier in unserer Nachbarschaft eine Kriegsgefahr entstanden ist. Wenn wir nicht aufpassen, dann kann daraus sogar noch ein Weltkrieg werden. Die Ereignisse schließen dies in diesem Moment überhaupt nicht aus. Wir haben Grund zur Besorgnis. Und dann sollten wir versuchen, den Konflikt zu lokalisieren. Das hat Frau Bundeskanzler Merkel getan, indem sie nicht zuließ, dass der ganze Konflikt die europäische oder westliche Politik belastet. Jetzt haben die führenden Politiker nicht diese Lösung gewählt. Im Übrigen haben wir das empfohlen. Also als der Konflikt ausbrach, da sagten wir, natürlich, es gibt zahlreiche moralische, rechtliche und weitere Bedenken, aber wir sollten versuchen, den Konflikt zu lokalisieren. Wenn wir uns in diesem Konflikt engagieren – wenn auch nur halbherzig, so wie das die Westler machen, dass sie natürlich keine Soldaten schicken, denn für Donezk zu sterben wäre dann doch zu viel. Doch Waffen schiecken sie und Geld schicken sie, und die Ukrainer sollen kämpfen, wie man so sagt, der Westen kämpft bis zum letzten ukrainischen Soldaten. Wenn man also diese Lösung wählt, dann wird man den ganzen Konflikt auf ein globales, also ein westliches, europäisches, dann auf Weltniveau, oder auf die Ebene der ganzen Welt heben. Das ist eingetreten und das besitzt sehr schwerwiegende Konsequenzen. Jetzt über das Schicksal der im Krieg gefallenen Hunderttausende hinaus, drückt der ganze ukrainisch-russische Krieg die Weltwirtschaft nieder. Die größte Tugend der Weltwirtschaft war im vergangenen Zeitraum – und auch Ungarn war ein Nutznießer dessen – der Freihandel, dass wir miteinander verbunden sind. Ungarn hat 30 Jahre geturnt, im Fitnessraum trainiert, um an diesem Handels- und Produktionswettlauf nicht auf dem niedrigsten, sondern auf einem höheren Niveau teilnehmen zu können. Endlich haben wir uns Muskeln antrainiert. Unsere Größe ist eben so groß, wie sie ist, doch unsere Muskeln sind in Ordnung, wir sind wettbewerbsfähig. Das gilt auch für andere Länder. Und dann kommt so ein Krieg, dem wir, anstatt ihn zu isolieren, erlauben, sich wie eine Wolke über das gesamte Verbindungssystem der Weltwirtschaft zu erstrecken und als Grund dafür zu dienen, jene Kontakte kappen zu lassen, von denen im Übrigen der Wohlstand eines Landes und von 10 Millionen Menschen abhängt. Zum Beispiel wird die russische Energie von der europäischen Wirtschaft abgeschnitten, was für uns einen hohen Preis und Schaden darstellt bzw. wir zahlen ihn. Doch jetzt verbreitet sich das schon weiter. Im Denken über die ganze Weltwirtschaft ist die Annäherung erschienen, es sei gar nicht sicher, dass es gut ist, wenn jeder derart frei in Kontakt mit den anderen steht, und dann kommt diese decoupling, Abtrennung, Risikominderung und statt des Gesichtspunktes der Verbindung, der Arbeitsteilung, der Produktion, des Wirtschaftswachstums kommt irgendeine Art Abschottung, Isolierung, eine Art Ghettoisierung. Wir haben die gesamte Angelegenheit im ersten Augenblick falsch angegangen und was wir jetzt sehen, das ist das sich später äußernde System von Nebenwirkungen einer im ersten Augenblick fälschlicherweise angewandten Heilmethode. Das sehen wir jetzt und dessen Folgen erleiden wir jetzt alle. In solchen Momenten muss man, wie das Deák einst sagte, wenn die Weste falsch zugeknöpft worden ist, aufknöpfen. Man muss zum Anfang zurückgehen und dann alles wieder neu zuknöpfen. Vom Krieg muss man jetzt zum Verhandlungstisch zurückkehren.

Nun gibt es noch eine Weste, die jetzt die Europäische Union zumindest neu zuzuknöpfen versucht, und das ist die Weste, die mit der Migration zusammenhängt. Und hier ist eine interessante Doppelheit in der Einstellung der EU zu beobachten, denn auf italienische Initiative versucht Brüssel mit Drittländern Abkommen abzuschließen, um die Migration aufzuhalten, und auf der anderen Seite drängt sie auf die Migrantenquote, was laut Meinung von Experten ein Einladungsbrief für die gleichen Migranten darstellt, die man zu Hause zu halten versucht. Kann man diesen Widerspruch irgendwie auflösen?

Vorhin haben wir im Zusammenhang mit den Geldern der Europäischen Union über das zeitliche Zusammenfallen gesprochen. Auch hier gibt es eine unerwartete zeitliche Übereinstimmung, um niemandes guten Willen in Zweifel zu ziehen. Italien, das ja lange die verpflichtenden Quoten und die Schaffung von Migrantenghettos abgelehnt hat, hat seinen Standpunkt geändert, und dies akzeptiert. Und dann hat es einige Wochen später 19 Milliarden Forint aus dem Wiederaufbaufonds gegen Covid erhalten, aus dem wir nichts bekommen. Hierbei handelt es sich auch sicherlich um einen Zufall und nur um eine zeitliche Übereinstimmung. Also sozusagen, da laufen komplizierte Matches im Hintergrund. Ich bin kein Anhänger solcher Matches. Meiner Ansicht nach ist die Migration laut unseren historischen Erfahrungen keine taktische, noch nicht einmal eine strategische, sondern eine historische Frage. Man muss dies auf dieser Ebene betrachten. Wenn du die Migranten hereinlässt, verlierst du die Kontrolle darüber, wen du hereinlässt und wen nicht, dann erscheinen Menschen in deinem Land, mit all den Risiken, in erster Linie zusammen mit den Sicherheitsrisiken, über die du nichts oder kaum etwas weißt. Nicht du hast sie gerufen, nicht du hast sie ausgewählt, ganz einfach die Menschenschlepper haben sie dir aufgedrückt und du hast sie hereingelassen. Und die Zahl dieser wächst. Auch die Zahl der Hereinkommenden nimmt zu und sie kommen aus Ländern mit einer Kultur, wo im Übrigen die Familien stärker sind als hier bei uns in der christlichen Welt. Deshalb nimmt die Zahl der Hereinkommenden, die ihre kulturelle Identität bewahren, diese nicht aufgeben, wegen des Hereinströmens und auch wegen der hohen Kinderzahl zu. Und auf einmal wirst du, die Frage der Migration in historischem Zeitrahmen betrachtend, merken, dass sie immer mehr werden. Dann beginnst du dich in deiner eigenen Heimat als Eingeborener zu fühlen und du siehst, dass die Fremden auf einmal, ohne dass dich jemand zuvor gefragt hätte, ohne dass du darüber hättest entscheiden können, dass du das nicht willst, es geschieht trotzdem. Und das kann meiner Ansicht nach ein Land kaputtmachen. Ich wünsche es den auf der Seite der Migranten stehenden westeuropäischen Ländern, dass ich nicht Recht haben möge. Letztendlich ist es ihre Entscheidung, es ist ihr Schicksal. Ich wünsche ihnen, dass diese Migrationspolitik am Ende keine sehr schwerwiegenden Konsequenzen für sie haben soll. Doch wir Ungarn können nur so viel sagen, dass wir das Risiko, das Land zu verderben als ein derart hochgradiges ansehen, dass wir nicht an so einem Versuch teilnehmen möchten. Wir wollen weder eine Migrantenquote noch ein Migrantenghetto, und wenn wir das nicht wollen, dann wird es das auch nicht geben.

Über die Rede in Tusnádfürdő, über die Inflation, über den russisch-ukrainischen Krieg und auch die Migration befragte ich in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsident Viktor Orbán.

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