Gábor István Kiss: Guten Tag allerseits! Ich begrüße die Zuschauer. Wir sprechen mit Viktor Orbán, dem Ministerpräsidenten Ungarns, diesmal in Rom. Guten Tag, Herr Präsident!
Guten Tag!
Vielen Dank, dass wir uns unterhalten können. Sie haben heute zum ersten Mal Papst Leo XIV. getroffen. Ist Papst Leo an Bord des Schiffes des Friedens?
Es gibt in der Welt ein anti-kriegerisches, verstecktes Beziehungsgeflecht, um nicht zu sagen Netzwerk, ich spreche von einem Beziehungsnetzwerk aus Führungskräften, von denen jeder weiß, und wir untereinander am besten, dass für sie der Frieden das Wichtigste ist. Dieses Netzwerk hat zwei Verdichtungspunkte. Der eine ist ein Machtzentrum, wo es reale politische Instrumente gibt, die für den Frieden notwendig und gegen den Krieg einsetzbar sind; hier steht jetzt der amerikanische Präsident im Mittelpunkt, der frühere amerikanische Präsident stand nicht hier. Und es gibt auch ein spirituelles oder geistiges Zentrum dieses Netzwerks, von dem Politiker, die gegen den Krieg kämpfen, immer wieder Energie, Motivation, Engagement, Segen und Ermutigung erhalten, und das befindet sich hier im Vatikan, beim Heiligen Vater selbst.
Und das ist in der Gegenwart zu verstehen, also ist es weiterhin hier, zusammen mit Papst Franziskus, für den es klar war, was die Frage des Friedens bedeutet. Papst Leo hat an seinem dritten Arbeitstag Präsident Selenskyj angerufen, was im Vergleich dazu eine Veränderung darstellt. Ist der Vatikan weiterhin das spirituelle Zentrum in Bezug auf Friedensprozesse?
Natürlich, denn der Frieden richtet sich nicht gegen die Ukrainer, sodass die Tatsache, dass der Heilige Vater mit einer der Kriegsparteien konsultiert, nicht gegen den Frieden, sondern eher gegen den Krieg gerichtet ist. Theoretisch würden wir denken, dass es keinen großen Unterschied zwischen den Heiligen Vätern oder Päpsten gibt, und in gewisser Hinsicht ist das auch so, da sie die Heilige Kirche leiten müssen, das Lehrsystem, das System der Lehren, das Erbe Jesu ist eindeutig, aber dennoch sind auch die Päpste Menschen, und jeder von ihnen ist anders, und es spielt eine Rolle, aus welcher Nation sie kommen. Es war sehr interessant, meine eigenen Erfahrungen zu reflektieren. Bei meinem ersten offiziellen Besuch im Vatikan war ein polnischer Papst im Amt. Dann kam ein deutscher, dann ein argentinischer und jetzt ein angelsächsischer, ein amerikanischer. Jetzt haben wir einen angelsächsischen Papst.
Auch im x-ten Jahr dieses zerstörerischen Krieges reichen noch immer unsere Hände aus, um die Führer dieser Welt zu zählen, die konsequent auf der Seite des Friedens stehen und sich aktiv dafür einsetzen. Der letzte Neuzugang ist der Herr des Weißen Hauses, Präsident Trump. Aber warum gibt es so wenige, die sich aktiv für den Frieden in der Welt einsetzen, Sie eingeschlossen?
Ja. Das ist eine Sinnestäuschung. Denn wenn wir von der Welt sprechen, meinen wir damit die westliche Welt, aber die Welt ist mehr als das. In der westlichen Welt sind wir tatsächlich wenige, dazu werde ich gleich noch etwas sagen, aber vergessen wir nicht, dass auf dem Globus, wenn man die gesamte Menschheit betrachtet, die überwiegende Mehrheit auf der Seite des Friedens steht. Die Araber alle, die Fernöstler, allen voran China, die Inder ebenfalls, es ist also eine Sinnestäuschung des westlichen Menschen zu glauben, dass diejenigen, die außerhalb davon stehen, nicht wichtig sind oder keine bedeutende Rolle spielen. Es gab eine solche Zeit, aber die ist vorbei. Wenn wir über die westliche Welt sprechen, müssen wir auch sehen, dass der größere oder stärkere Teil davon die Vereinigten Staaten sind, und der stärkere Teil steht auf der Seite des Friedens. Manchmal muss man zählen, manchmal muss man abwägen. In diesem Fall ist es besser, abzuwägen, was den Präsidenten der Vereinigten Staaten betrifft. Und hier in Mitteleuropa kehren jetzt die friedliebenden und kriegsfeindlichen Tschechen zurück, in der Slowakei gibt es eine kriegsfeindliche Regierung, in Ungarn gibt es eine kriegsfeindliche Regierung. Ich sehe, dass sich auch in Polen der Wind dreht, dort braucht es noch Zeit, um klarer zu sehen. Und ich glaube, dass mit zunehmenden wirtschaftlichen Problemen in Westeuropa immer mehr Länder zugeben werden, dass wir ganz einfach nicht das Geld haben, um diesen Krieg zu finanzieren. Ich gehe also davon aus, dass mit der Zeit, fast von Tag zu Tag, wir immer mehr im Lager der Kriegsgegner sein werden.
Erzählen Sie uns von Ihrem Gespräch mit dem Papst! Wie haben Sie sich verstanden, welche Geschenke haben Sie mitgebracht, welche Details können Sie uns verraten?
Wir bringen immer Geschenke mit, denn man kann dem Papst schließlich nicht mit leeren Händen gegenübertreten. Auch diesmal haben wir ein wunderschönes altes ungarisches Buch mitgebracht, das über das Leben des Heiligen Gellért handelt, und so hatten wir Gelegenheit, ein wenig über die Geschichte des ungarischen Christentums zu sprechen, dessen zentrale Figur oder zentrale Figur des ersten Kapitels Bischof Gellért selbst ist. So konnten wir auch über Budapest sprechen, obwohl das jetzt nicht unbedingt nötig war, da der Heilige Vater schon einmal in Budapest war, nämlich als er Mitglied der Delegation beim Besuch des vorherigen Papstes in Budapest war. Ich sage nicht, dass er uns kennt, aber er hat uns schon gesehen, er weiß, wo Ungarn liegt, er weiß, was Budapest ist, er hat also keinen Gast vom Mars empfangen. Außerdem ist er ein europäisch, also ein westlich gebildeter Mensch, auch wenn er viel in Lateinamerika gedient hat, sodass er die traditionelle europäische Bildung, die sowohl Geschichte als auch Geografie umfasst, im kleinen Finger hat und daher die Welt, in deren Mitte er jetzt hier in Rom sitzt, sehr gut kennt.
Der Friedensgipfel in Budapest, der nun doch nicht zustande kommt, wurde abgesagt oder verschoben. Das wäre doch der Besuch von Präsident Putin und Präsident Trump in Budapest gewesen, oder?
Es gibt einen Friedensgipfel. Es handelt sich also um eine Absicht, die beide Verhandlungsparteien gegenseitig bekundet haben, nämlich dass es einen Gipfel in Budapest geben wird. Was sich verzögert, kommt irgendwann, würde ich sagen.
Was wissen Sie darüber, wann, in Wochen, Monaten? Denn dies könnte ein wichtiger Schritt sein, um diesen mörderischen Konflikt hier an unseren Grenzen endlich beizulegen.
Was wissen Sie darüber, wann, in Wochen, Monaten? Denn dies könnte ein wichtiger Schritt sein, um diesen mörderischen Konflikt hier an unseren Grenzen endlich beizulegen.
Schauen wir uns das Szenario des letzten großen Friedensgipfels dieser Art an. Dieser fand in Scharm El-Scheich in Ägypten statt, wo der Frieden im Nahen Osten unter Dach und Fach gebracht wurde, wo die betroffenen Parteien, darunter auch die Amerikaner, lange verhandelt haben und dann am Samstag verkündeten, dass am Montag unterzeichnet werde. So muss man sich das vorstellen. In zwei bis drei Tagen könnte also der Frieden bzw. das Abkommen unter Dach und Fach sein. Wann dies geschehen wird, weiß niemand, da die Verhandlungsdelegationen ständig miteinander verhandeln.
Aber wird die Unterzeichnung dann auch weiterhin in Budapest stattfinden?
Das wurde angekündigt. Nehmen Sie das als Tatsache hin.
Aber im Hintergrund läuft ja gerade etwas, Präsident Trump verhandelt gerade in China, und laut den Nachrichten geht es in einem der Verhandlungsprozesse darum, russische Energieträger vom Weltmarkt auszuschließen. Man liest Analysen, dass die Chancen dafür jetzt größer sind als in den letzten Jahren, und das würde doch auch Ungarn betreffen, wenn die Pipeline „Freundschaft” plötzlich eingestellt oder gesprengt würde oder etwas damit passieren würde.
Ich glaube nicht, dass die Produkte eines einen bedeutenden Rohstoff produzierenden Landes vom Weltmarkt ausgeschlossen werden könnten. Man kann zwar Regeln gegen sie erlassen, und es gibt auch jetzt Sanktionen, aber diese werden naturgemäß alle umgangen. Wir sind also bei der 19. Sanktionsentscheidung. Das zeigt deutlich, dass die vorherigen nicht erfolgreich waren. Ich glaube also, dass es Dinge gibt, die man mit Politik gegen die Geschäftslogik erreichen kann, und andere, die man nicht erreichen kann. Sie werden also sicherlich den Eintritt russischer Energieträger in den Weltmarkt erschweren, aber ob man sie davon ausschließen kann, bezweifle ich. Das interessiert uns jedoch weniger, das ist eine intellektuelle Frage. Was uns interessiert, ist, was mit den Ungarn passieren wird. Was wird mit den ungarischen Haushalten passieren, was wird an den ungarischen Tankstellen passieren? Das ist es was für uns wichtig ist. Ich kann sagen, dass wir bis zum Äußersten kämpfen müssen, um Zugang zu russischem Öl und Gas zu erhalten. Erstens, weil wir es nicht von anderswo ersetzen können, es würde also zu Engpässen kommen, wenn auch nicht absolut, aber es würde zu Engpässen kommen, und zweitens würden die Preise steigen. Man muss also so rechnen, dass sich die Ausgaben der ungarischen Haushalte verdoppeln würden und auch die Kosten für den Betrieb von Kraftfahrzeugen in die Höhe schnellen würden. Es liegt also im elementaren, unmittelbaren Interesse jedes ungarischen Haushalts, dass wir Zugang zu russischen Energieträgern haben und dass Frieden herrscht, denn wenn Frieden herrscht, sinken auch die Preise für Energieträger und die Wirtschaft kommt wieder in Gang. Heute blockieren Sanktionen und Krieg, vor allem Krieg, die europäische Wirtschaft und damit auch die Entwicklung der ungarischen Wirtschaft. Es liegt im Interesse aller, die mehr verdienen und weniger für Nebenkosten ausgeben wollen, dass so schnell wie möglich Frieden einkehrt und russische Energieträger nicht aus dem ungarischen Energiesystem verdrängt werden.
Aber das sieht man in Brüssel nicht, weil man dort dieses geografisch bedingte Argument, ein praktisches Argument dafür, dass Ungarn seine Energieträger von dort bezieht, nicht versteht oder nicht sieht. Im Übrigen ist es das souveräne Recht Ungarns, darüber zu entscheiden. In Brüssel hört man den starken und brutalen Satz, dass jeder, der russische Energie importiert, Putins Krieg finanziert. Dies ist ein Konflikt, für den es keine Lösung zu geben scheint.
Ja, aber die meisten Energieträger aus Russland werden nicht von Ungarn importiert, sondern von den westlichen Ländern, die sagen, dass diejenigen, die dort einkaufen, Putins Krieg finanzieren. Nun, sie kaufen reichlich ein.
Zum Beispiel über Indien.
Es gibt alle möglichen Tricks, also ja, aber es gibt auch andere Lösungen, LNG und so weiter. Heute – ich möchte keine Namen nennen, denn warum sollten wir einen unserer europäischen Freunde verärgern – kennen wir drei oder vier Länder, die kontinuierlich große Mengen russischer Energieträger kaufen, während sie gleichzeitig die Ungarn dazu drängen, dies nicht zu tun.
Aber darum geht es doch in dieser Debatte, oder? Von außen betrachtet sieht es so aus, als wollten sie Russland irgendwie sanktionieren, weil sie diese Situation schwarz-weiß sehen, und es gibt die Guten, die Ukrainer, und es gibt die Bösen, und es gibt keine Nuancen in dieser Frage.
Ja, aber ich glaube, darum geht es nicht, denn die Energieexporte aus Russland, der Energieexport Ungarns aus Russland macht nur 2 Prozent der gesamten russischen Energieexporte aus. Es ist also offensichtlich, dass diese 2 Prozent keine Rolle in diesem Krieg spielen. Sie wollen uns das verbieten, um den Ungarn eins auszuwischen. Denn wie sieht die Lage aus? Sie haben es vermasselt, sie haben sich von den russischen Energiequellen abgekoppelt, deshalb sind die Preise dort in die Höhe geschossen, was für sie schlecht ist. Wir hingegen sind bei den russischen Energiequellen geblieben, ich sage nicht, dass es einfach ist, aber für uns ist es einfacher. Und sie sagen, dass es nicht fair ist, dass es für sie schlecht ist und für uns einfacher. Darum geht es hier.
Stimmt es, dass man Sie in Washington nach der ungarischen Position fragen wird, ob Sie einen Plan für diese 2 % vorlegen können oder ob das Embargo für russische Energieträger überhaupt umgesetzt werden kann?
Unter den gegenwärtigen geografischen Gegebenheiten kann kein Plan vorgelegt werden, da Ungarn keine Küste hat. Wenn wir eine Küste hätten, wäre unsere Energieversorgung auch ohne russische Pipelines möglich. Da wir aber keine haben, müssen wir an dem russischen Pipelinesystem festhalten, wir haben auch keine andere Wahl. Aber das habe ich schon mehrfach mit den Amerikanern besprochen, also – wie soll ich sagen? – es gibt keine geografischen Neuerungen, sie wissen genau, dass sowohl Ungarn als auch die Slowakei – wie sie sagen – land-lock-countries sind, also von Land umschlossene Länder, weshalb man Öl, Gas und Erdöl nur über Pipelines hierher transportieren kann. Und heute haben wir eine Hauptversorgungsroute: Diese kommt aus Russland, und wir haben eine zusätzliche Route: Diese kommt aus Kroatien. Das ist das System, das wir brauchen, daran können wir nichts ändern.
Wenn wir noch einmal auf die Politik in Brüssel zurückkommen: Letzte Woche gab es einen EU-Gipfel, bei dem die 26 einen – wie haben sie es formuliert? – einzigartigen Ansatz zur Zukunft der Ukraine in der Europäischen Union verabschiedet haben, was im Grunde genommen ein Nachdenken darüber bedeutet, wie man Ungarn aus dieser Frage ausschließen kann. Im Laufe des Tages treffen Sie sich auch mit der italienischen Ministerpräsidentin zusammen. Während wir jetzt sprechen, steht dieses Treffen noch bevor. Über Frau Meloni wird gesagt, dass sie aufstehen und die Idee ablehnen wird, Ungarn von irgendetwas auszuschließen, das eine strategische Frage der Europäischen Union darstellt. Es ist klar, dass Frau Meloni nicht die Stehgeigerin, ist, von der man sich Musik bestellen kann, aber dennoch kann man sich vielleicht auf sie verlassen, so schreiben es die Analysen. Was denken Sie darüber?
Ja, aber die Analysen sehen nicht tief genug in die Hinterzimmer hinein. Es gibt also eine Reihe von Ländern, die unter keinen Umständen zustimmen werden, dass ein Mitgliedstaat von einer solchen Entscheidung ausgeschlossen wird. Und das nicht, weil sie die Ungarn mögen, obwohl es unter ihnen auch solche geben mag, sondern weil sie nicht wollen, dass ihnen das gleiche Schicksal widerfährt. Niemand will also den Präzedenzfall schaffen, dass wir ein Problem lösen und den Widerstand eines Landes brechen, indem wir es ganz einfach von der Entscheidung ausschließen. Denn dann könnte jeder an die Reihe kommen. Deshalb wird das nicht passieren. Die italienische Ministerpräsidentin ist eine vernünftige Frau, aber es gibt viele andere, die ähnlich denken. Wir müssen also keine Angst davor haben.
Welche weiteren Themen sind mit Frau Meloni zu erwarten? Das Thema Migration wird sicherlich zur Sprache kommen. Italien ist ein Frontland, das seit Jahren mit diesem Problem zu kämpfen hat, und ihre Lösung weist viele Ähnlichkeiten mit der ungarischen Denkweise auf.
Zunächst einmal glaube ich nicht, dass wir es vermeiden können, über den Krieg zu sprechen. Allerdings haben wir bereits vor einigen Tagen auf dem EU-Gipfel in Brüssel darüber gesprochen, sodass wir dieses Thema schnell abhandeln werden. Danach kommen die wirtschaftlichen Fragen. Die europäische Wirtschaft befindet sich in einer äußerst schlechten Verfassung. Im nächsten Jahr wird die Wirtschaft der Eurozone vielleicht um 1 Prozent wachsen, die Weltwirtschaft um 2 Prozent, die amerikanische und die chinesische um 4, 5 oder 6 Prozent. Und so geht das schon seit Jahren. Damit schreibt sich Europa aus dem Kreis der wettbewerbsfähigen Akteure der Weltwirtschaft aus. Der große Verlierer dabei ist Italien, und auch für Ungarn hat dies schmerzhafte Folgen. Darüber hinaus liegen Vorschläge aus Brüssel auf dem Tisch, die zu einem erheblichen Anstieg der Energiepreise um mehr als 10 Prozent führen würden, was sowohl italienische als auch ungarische Familien hart treffen würde. Das müssen wir verhindern, darüber werden wir auf jeden Fall sprechen. Und dann ist da noch die Migration, die hier ein sehr ernstes Thema ist. Die Italiener gehören zu denen, denen ihre linken Regierungen das vermasselt haben, weil sie Migranten ins Land gelassen haben. Jetzt müssen sie zum Teil ihre Grenzen schützen, damit nicht noch mehr kommen, zum Teil müssen sie eine rechtliche Lösung finden, wie sie sie loswerden, nach Hause schicken, wie sie diejenigen, die bleiben, integrieren, wie die Zukunft der italienischen Gesellschaft aussehen wird, das ist ihr großes Problem. Unser Problem ist ein anderes, denn wir haben sie nicht hereingelassen. Unser Problem ist, wie wir Ungarn trotz des Drucks aus Brüssel als migrantenfreies Land bewahren können. Und Brüssel hat eine Entscheidung getroffen, wonach wir ein Flüchtlingslager für 30.000 Migranten bauen müssen oder bereits hätten bauen müssen. Und wir müssten akzeptieren, dass, wenn eine große Anzahl von Migranten nach Europa kommt, Brüssel über ihre Verteilung entscheidet und wir diejenigen aufnehmen müssen, die von dort zu uns geschickt werden. Wir widersetzen uns dem, ich akzeptiere keines von beiden, wir protestieren dagegen, wir organisieren ein Lager dagegen, wofür wir als Belohnung täglich eine Million Euro an Brüssel zahlen müssen – als Strafe. Aber wir sind immer noch besser dran, wenn wir das bezahlen, als wenn wir die Migranten hereinlassen und so handeln wie die anderen westeuropäischen Länder, die keinen Ausweg aus der Krisensituation finden, die die Ankunft der Migranten in Westeuropa sowohl im Bereich der öffentlichen Sicherheit als auch in der Wirtschaft verursacht hat.
Wenn Sie gestatten, möchte ich noch eine Frage zum Thema Ukraine stellen, nämlich was Italien, Ungarn und auch die Slowakei gemeinsam haben, denn viele sagen derzeit, dass es in dieser Achse viele Gemeinsamkeiten gibt, was die Zukunft der Ukraine in der Europäischen Union oder die Beendigung des Konflikts betrifft. Also, die Entsendung von Truppen, die Frage der NATO-Mitgliedschaft, die Frage der EU-Mitgliedschaft, also in drei Ländern, vor allem im Fall Italiens, was ist der gemeinsame Nenner mit Ungarn?
So überraschend es auch sein mag, wir ordnen Italien vor allem aus touristischen Gründen immer Süd-Europa zu, und darin liegt eine geografische Wahrheit, aber dies ist nicht die ganze Wahrheit. Denn der oberste und produktivste Teil Italiens, in dem die echte, sehr starke italienische Industrie tätig ist, liegt in Mitteleuropa. Norditalien gehört eher zu Mitteleuropa. In der europäischen Politik war es schon immer so, dass die Italiener sowohl zur westlichen Gruppe als auch zur mitteleuropäischen Ländergruppe gehörten. Je nach Regierung ändern sich die Schwerpunkte. Ich glaube, dass die Italiener, wenn sie wirtschaftlich überleben wollen, und das wollen sie natürlich, eine immer stärkere Zusammenarbeit in Mitteleuropa aufbauen müssen. Denn die Zukunft der europäischen Wirtschaft liegt nicht in Westeuropa, das ist eine Wirtschaft auf dem absteigenden Ast. Die Zukunft liegt in Mitteleuropa. Die riesige und erfolgreiche polnische Wirtschaft, die sehr starke tschechische Wirtschaft, die gut aufgestellte Slowakei, das zu dynamischer Entwicklung fähige Ungarn, ich könnte auch die Kroaten und sogar die Serben außerhalb der Union hinzufügen. Und Italien hat immer gute Beziehungen zu dieser Region gepflegt. Wenn wir mit dem Auto kommen, müssen wir nur durch Slowenien fahren, und schon sind wir da. Ich habe also das Gefühl, dass Italien eine Identität hat, die es nach Mitteleuropa hinzieht, und dass es daran teilhaben will, dass es in der mitteleuropäischen Wirtschaft ein gewichtiges Wort mitreden will. Das ist gut für uns, denn Italien ist ein kapitalstarkes Land.
Das ist geografisch gesehen ein sehr starkes Argument, und was Sie gesagt haben, ist durchaus vorstellbar, aber aus Sicht des wirtschaftlichen Erfolgs gilt es nur, wenn sich die Länder der Region darauf einigen, dass Europa an den derzeitigen Grenzen Europas endet und die Ukraine nicht dazugehört, oder?
Selbstverständlich, wenn die Ukraine der Europäischen Union beitreten würde, was nicht geschehen wird, weil Ungarn dies nicht unterstützt, und solange es in Ungarn eine nationale Regierung gibt, wird dies auch nicht geschehen, also solange die Ukraine nicht beitritt, muss man in diesem Rahmen denken. Wir wissen nicht, wie sehr die Italiener den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union unterstützen, das müssen Sie sie selbst fragen, aber sicher ist, dass wir Ungarn fest auf unseren Beinen stehen. Die Mitgliedschaft der Ukraine würde bedeuten, dass sie den Krieg hereinbringen und das Geld der Ungarn hinausnehmen würden. Meiner Meinung nach will niemand, dass der Krieg in das derzeitige Gebiet der Union kommt, und niemand will, dass sein Geld in die Ukraine fließt, während die gesamte Europäische Union sonst schon kein Geld mehr hat. Hier gibt es finanzielle, schwerwiegende finanzielle Probleme. Es gibt kein Kapital für Entwicklung und Fortschritt, und zusätzlich zum Krieg findet gerade ein großer technologischer Wandel in der Welt statt. Dieser technologische Wandel ist extrem kapitalintensiv, künstliche Intelligenz, Robotisierung, und dafür gibt es auch kein Geld. Wenn wir das Geld, das wir haben, in die Ukraine schicken, wie sollen wir dann mit der technologischen Entwicklung Schritt halten? Darauf hat niemand eine Antwort. Deshalb bin ich überzeugt, dass diese große Welle der Unterstützung für die Ukraine und für den EU-Beitritt der Ukraine gerade abebbt und verschwinden wird.
Wenn Sie gestatten, würde ich am Ende unseres Gesprächs noch ein wenig auf die Innenpolitik eingehen, aber jetzt, kurz gesagt, lassen Sie uns diesen Teil abschließen: Wie ist Ihre Position, Ihre Aufgabe, Ihr Plan in Bezug auf die bisher diskutierten Fragen? Damit Frieden, etwas Reales und Spürbares im russisch-ukrainischen Konflikt entsteht, damit diese Region in wirtschaftlicher Hinsicht funktioniert…
Das Wichtigste ist, dass es eine Vereinbarung gibt. Ich hätte mir gewünscht, wir Ungarn möchten, dass auch Europa Teil dieser Vereinbarung ist. Deshalb haben wir immer darauf gedrängt, dass Europa mit den Russen verhandeln muss. Mit russisch-ukrainischen Verhandlungen wird es niemals Frieden geben, das ist unmöglich, denn wenn es möglich wäre, hätte es ihn schon längst gegeben. Deshalb kann Frieden nur unter Einbeziehung externer Kräfte erreicht werden. Jemand muss mit den Russen eine Friedensvereinbarung treffen. Das können die Vereinigten Staaten sein, und das kann Europa sein. Europa ist nicht bereit, mit Russland zu verhandeln, was ein katastrophaler Fehler ist, während die Amerikaner verhandeln und sich einigen werden und über die Zukunft der Ukraine, ihre wirtschaftlichen Ressourcen und die Frage der Sicherheit Europas in einem Abkommen mit den Russen entscheiden werden. Wir Europäer tun so, als würde uns das gefallen, und werden dann applaudieren. Aber eigentlich haben wir keinen wirklichen Einfluss auf unsere eigene Zukunft. Wir befinden uns genau dort, wo wir nach dem Zweiten Weltkrieg waren. Auch damals haben Länder von außerhalb Europas über die Zukunft Europas entschieden. Wir möchten also, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs direkt mit den Russen in Kontakt treten, Verhandlungen aufnehmen und ein russisch-europäisches Abkommen über das europäische Sicherheitssystem und die Zukunft der Ukraine, des als Ukraine bezeichneten Gebiets, schließen. Das ist das Erste, was wir wollen. Das zweite ist, dass die Mitgliedstaaten der Union nach dem Krieg keine Mitgliedschaft mit der übriggebliebenen Ukraine eingehen, sondern eine strategische Partnerschaft aufbauen, nicht den Krieg hereinbringen, führen, kein Geld hinausschicken, sondern immer Vereinbarungen mit der Ukraine treffen, die für sie gut sind, uns aber nicht gefährden. Deshalb sollten wir keine Mitgliedschaft gewähren, denn davon gibt es kein Zurück, sondern eine strategische Partnerschaft. Und drittens sollten wir der Ukraine so wenig Geld wie möglich geben und so viel Geld wie möglich in der europäischen Wirtschaft behalten, denn sonst kann die europäische Wirtschaft keinen Schwung aufnehmen. Viertens sollten wir uns gegenseitig in Ruhe lassen. Wer kein russisches Öl und Gas kaufen will, soll es nicht kaufen, wer es aber braucht, weil sonst seine Wirtschaft ruiniert wird und seine Haushalte zugrunde gehen, wie es in Ungarn der Fall ist, dem soll man es gestatten, und wir sollen das tun, was für uns vernünftig ist.
Innenpolitik?
Da Sie mich nach Programmpunkten gefragt haben, würde ich es so zusammenfassen.
Darum hatte ich gebeten. In diesem Zusammenhang fällt mir noch ein, dass man dafür ja Partner braucht, nicht nur in den Fluren, sondern auch in den Sitzungssälen und Entscheidungszentren der europäischen Institutionen.
Ja, aber ihre Zahl wächst langsam, die Zeit ist auf unserer Seite, wir müssen nur durchhalten.
Also Innenpolitik. Die Ereignisse vom 23. Oktober waren eindeutig eine Demonstration der Stärke auf der Straße, die Veranstaltung des Fidesz zeigte viele, viele Unterstützer, der Friedensmarsch nahm nie dagewesene Ausmaße an. Was sagen Sie dazu einerseits, und andererseits beschäftigen Sie sich damit, dass auch die derzeit stärkste Oppositionspartei eine ähnliche Machtdemonstration vorweisen konnte?
Ich beschäftige mich vor allem damit, dass es ein schöner Nationalfeiertag war. Natürlich steckt hinter den Dingen immer Politik, aber für uns ist der 23. Oktober, ein Nationalfeiertag. Wir haben Helden, wir haben in diesen Wochen eine fantastische Haltung gezeigt, wir haben ein fantastisches Erbe, das es zu feiern gilt, denn wenn wir solche Momente nicht feiern, verschwinden sie aus unserem Leben, und doch sind es gerade solche Momente, die die Lebenskraft, die Größe und die Energie einer Nation ausmachen. Deshalb ist der Nationalfeiertag so wichtig. Es ist wichtig, dass er schön ist, dass er groß ist, dass er stark ist, dass er fröhlich ist, dass er glücklich ist, dass er in die Zukunft weist, dass die Menschen Kraft aus ihm schöpfen können. Und meiner Meinung nach war die staatliche Feier, an der sich auch der Friedensmarsch beteiligt hat, genauso, wie sie meiner Meinung nach aus einer Gemeinschaft von Menschen entstehen sollte, die an die Zukunft glauben und ihr Land lieben. Ich muss also sagen, dass ich die Feier sehr erhebend fand. Dass es dabei einen politischen Wettbewerb im Hintergrund gibt, ist zweitrangig. Das werden wir regeln, wenn die Wahl kommt.
Viele haben jedoch das Gefühl, als ob die Wahlen schon am Sonntag stattfinden würden, da sowohl Ihre Rede als auch die Reden Ihrer politischen Gegner eine so starke Mobilisierung zum Ausdruck bringen und die Digitális Polgári Körök (Digitale Bürgerkreise) ihre Tour durch das Land beginnen, was eine neue politische Phase einläuten könnte.
Sehen Sie, wir sind eine Regierungspartei. Unsere vorrangige Aufgabe ist es, das Land gut zu regieren, daher müssen wir einen Großteil unserer Energie vier Jahre lang auf die Regierungsarbeit konzentrieren. Gleichzeitig finden alle vier Jahre Wahlen statt, auf die man sich vorbereiten muss. Wenn man sich nicht vorbereitet, unterliegt man. Folglich wechseln wir ständig von der Regierungsarbeit zur Arbeitsweise der Wahlkampagne. Aber am Ende können wir uns nicht einmal am letzten Tag zu hundert Prozent umstellen, denn auch dann müssen wir uns um die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Landes und so weiter kümmern. Es ist also eine wichtige Aufgabe für mich, unsere Kräfte, die Kräfte der Regierungsparteien, einschließlich meiner eigenen, klug zu mobilisieren oder von der Regierungsarbeit in Richtung politischer Kampf zu verlagern. Derzeit liegt der Schwerpunkt doch noch zu mehr als 50 Prozent auf der Regierungsarbeit. Vor uns liegen sehr wichtige Aufgaben, wirtschaftliche Entscheidungen, familienpolitische Entscheidungen, die Umsetzung des 3-Prozent-Wohnungsbaudarlehens: All dies muss erledigt werden. Das ist ein Großteil meiner Arbeit. Deshalb führen wir nicht täglich Wahlkampf, sondern veranstalten vielleicht jede Woche ein oder zwei große Events des Digitalen Bürgerkreises, zu denen wir gehen müssen, damit sich unsere Anhänger langsam auf den Moment vorbereiten können, in dem sie zur Wahl gehen müssen. Dafür gibt es eine Technologie, in der uns die Opposition nicht beeinflusst. Das heißt, eine Regierungspartei darf ihren Rhythmus, ihren Zeitplan und ihre Schritte niemals an die Bewegungen der Oppositionsparteien anpassen, das ist deren Aufgabe. Wir müssen unsere Bewegungen in das Koordinatensystem der Regierungsverantwortung und der Wahlvorbereitung einordnen. Wir sind eine Regierungspartei, das bedeutet, dass wir ernsthaft und verantwortungsbewusst handeln und uns auch so auf die Wahlen vorbereiten müssen.
In der italienischen Hauptstadt Rom konnten wir mit Ministerpräsident Viktor Orbán sprechen. Herr Präsident, vielen Dank für das Gespräch!
Ich danke Ihnen ebenfalls!