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Interview mit Viktor Orbán für die Zeitungsgruppe Mediaworks

Péter Csermely: Herr Ministerpräsident, leider kann diese Diskussion mit nichts anderem als dem Anschlag von Magdeburg beginnen.

Bis zur Migrationsinvasion in Europa ist so etwas nicht passiert. Seitdem ist es aber immer wieder passiert. Wir sollten Gott danken, dass wir so etwas nicht erleben müssen. Weitere Anschläge zu verhindern ist nur eine Aufgabe in jenen Ländern, in die Migranten hineingelassen wurden. Wohin sie nicht hineingelassen wurden, gibt es nur eine Schlussfolgerung: Sie dürfen auch weiterhin nicht hineingelassen werden, Punkt. Ich weiß nicht, was schwieriger ist: sie nicht hereinzulassen oder sich zu schützen, wenn man sie einmal hereingelassen hat. Zum Glück hatten wir, Ungarn, den Verstand und den Mut, rechtzeitig Nein zu sagen. Wenn man es falsch macht, ist man drin, und von da an beginnt eine andere Welt. Die Deutschen leben bereits in dieser anderen Welt.

Deutschland und Frankreich leiden unter dem doppelten Druck des politischen Chaos und der Wirtschaftskrise, von der ganz Europa betroffen ist, aber es gibt kein Entrinnen. Sehen Sie irgendwelche Anzeichen dafür, dass sich das ändern könnte?

Das ist erst der Anfang. Amerika und Europa haben zusammen etwa 300 Milliarden Euro für den Krieg ausgegeben, Geld, das dazu hätte verwendet werden können, den Lebensstandard in ganz Europa rasch anzuheben. Wir hätten den gesamten Balkan auf den Stand der europäischen Entwicklung bringen können. Wir hätten die Migration eindämmen können, wir hätten ein ganz neues europäisches Verteidigungssystem aufbauen können. Aber das Geld wurde verbrannt. Und das Ergebnis? Ein Fünftel des ukrainischen Territoriums ist besetzt, viele hunderttausend Menschen sind tot, Hunderttausende verkrüppelt, weitere Hunderttausende sind verletzt, Hunderttausende verwitwet, verwaist. Und in der Zwischenzeit sind Millionen von Menschen aus der Ukraine geflohen, deren Infrastruktur, Verkehrs- und Energiesysteme zerstört sind, und das Land ist nicht in der Lage, sich in absehbarer Zeit wirtschaftlich selbst aufrechtzuerhalten.

Hatten Sie jemals ein schwierigeres Jahr als dieses?

In meiner Branche gibt es keine einfachen Jahre. Es stimmt allerdings, dass es auch noch nie eine so unglückliche Zeit gab. Im Westen der Welt sind gleich mehrere führende Politiker an der Macht, die lebensfremden, gefährlichen Ideen nachhängen und unfähig sind, ihre Länder zu verteidigen. Innerhalb eines Jahres nach der Wahl 2020, die eindeutig manipuliert wurde, um Donald Trump die Präsidentschaft zu entziehen, schied Angela Merkel, die starke und stabile deutsche Kanzlerin, von ihrem Posten aus, und Frankreichs komplexes politisches System begann, sein hässlicheres Gesicht zu zeigen. Und zu dieser Zeit begaben wir uns in einen militärischen Konflikt mit Russland, der unsere Kräfte übersteigt. Die Sterne standen aber noch nie so schlecht, und die vier Jahre, die hinter uns lagen, waren die schwierigsten, seit mich der Wind des Systemwechsels in die Politik geweht hatte.

Einer der Sterne hat nun für Sie geleuchtet, Donald Trump ist zurück und Ihre persönlichen Beziehungen sind ausgezeichnet. Aber bedeutet das auch irgendetwas Positives für Ungarn? Denn das schlechte Verhältnis zur US-Regierung hatte bisher negative Folgen.

Die Außenpolitik eines gesunden Landes besteht darin, Freunde zu sammeln. Es sollte möglichst viele Länder in der Welt geben, die ein Interesse am Erfolg der Ungarn haben. Der neue US-Präsident mag Ungarn. Der chinesische Präsident hat zwei Länder der Europäischen Union besucht, Frankreich und uns. Unser Freund ist der Präsident der Türkei, unser fairer Partner ist der Präsident Russlands, und unser guter Freund ist der Ministerpräsident Israels. So etwas hat es in der Geschichte der ungarischen Diplomatie wohl noch nie gegeben. Es ist kompliziert, aber nicht unmöglich, diese Teller gleichzeitig so zu drehen, dass keiner von ihnen abstürzt und ihre Konflikte untereinander ihre Beziehungen zu uns nicht beschädigen. Der Grund, warum wir Freunde in der Welt gewinnen müssen, ist, dass die Ungarn, alle Ungarn, einen konkreten Nutzen daraus ziehen können. In Bezug auf Amerika bedeutet dies, dass es in den letzten vier Jahren kein Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den beiden Ländern gegeben hat, und so ist Amerika, das früher der zweitgrößte Investor in Ungarn war, plötzlich auf den vierten Platz zurückgefallen. Dies war auch für Ungarn ein großer Verlust. Die Ungarn werden von einer fairen Visaregelung und einem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den beiden Ländern erheblich profitieren, und es wird zu starken US-Kapitalinvestitionen in Ungarn kommen. Außerdem wird die Welt sicherer werden, wir werden dem Frieden näherkommen, ihn vielleicht sogar erreichen, und der viele ideologische Unsinn, der sich in der Welt ausgebreitet hat, wird mit einer Gartenschere zurückgeschnitten werden.

In Europa, insbesondere in Brüssel, hat Donald Trump nicht gewonnen. Im Europäischen Parlament hat sich zwar die Fraktion der Patrioten gebildet, was eine große politische Leistung ist, aber sie konnten keine gute Stellung erreichen, sie wurden von der Volkspartei und den Sozialisten von allen Positionen ausgeschlossen. Sehen Sie eine Chance für weiteres Wachstum?

Seit 1990, nach dem Fall des Kommunismus, findet in der westlichen Welt eine neue Art des politischen Kampfes statt. Die Liberalen bauen eine internationale Weltregierung und eine progressive Weltordnung auf, während die gegnerischen Patrioten auf einer Weltordnung beharren, die auf der Grundlage der Nationen organisiert ist. Mit dem Sieg von Donald Trump haben die Patrioten nun die große Chance, das Blatt zu wenden. Das Wichtigste war natürlich, dass die europäischen Patrioten sich selbst geschaffen und organisiert haben. Solange man sich nicht mit Gleichgesinnten zusammentut, sein Programm verkündet, die Fahne hisst, kann man nur träumen. Das Zweitwichtigste: In Amerika haben die Patrioten gewonnen. Donald Trump ist ein Patriot, und die Republikanische Partei ist, seit der neue Präsident sie transformiert hat, eine patriotische Partei. Das wird sich auch in der Zusammenarbeit zwischen Amerika und Europa widerspiegeln. Was die Situation in Europa angeht, so sind wir durch den amerikanischen Sieg gestärkt worden, aber wir sind nicht in der Mehrheit, also geht der Kampf weiter. Wir haben einen Schlachtplan, wie wir die Zusammenarbeit mit den europäischen Konservativen aufbauen können, wie wir der Europäischen Volkspartei klar machen können, dass die wahre christdemokratische Rechte und Tradition bei den Patrioten liegt und nicht bei ihnen. Zuerst ordnen wir die europäische Parteienlandschaft neu, und dann wollen wir durch eine Mehrheit im Europäischen Parlament die Kontrolle über die Europäische Kommission übernehmen. Das sind unsere Ambitionen. Die Umsetzung wird sicherlich einige Jahre in Anspruch nehmen, aber ein patriotischer Sieg würde den europäischen Nationen und Bürgern Chancen und Perspektiven eröffnen, für die es sich zu arbeiten lohnt.

Die ungarische EU-Ratspräsidentschaft ist zu Ende. Wie unterscheidet sich das, was Sie auf den Tisch gelegt haben, Ihrer Meinung nach von den vorherigen EU-Ratspräsidentschaften?

Mein Motto ist, dass man allein nie schlau genug sein kann. Auch diesmal habe ich meine älteren, alten Freunde gefragt, wie ihrer Meinung nach der ungarische Ratsvorsitz aussehen sollte. Den überzeugendsten Rat erhielt ich vom ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der sagte, die Ungarn sollten sich entscheiden, ob sie eine bürokratische oder eine politische Präsidentschaft wollen. Wenn Sie wollen, dass man Ihnen in den europäischen Salons auf die Schulter klopft, sagen Sie auch, dass 58 Gesetzgebungsdossiers offen sind und wir in jedem einzelnen einen Schritt voran zu machen planen. Oder geben Sie Europa eine politische Präsidentschaft, denn es liegen brennende Fragen auf dem Tisch, die Sie lösen wollen. Aber – so warnte Sarkozy – wenn Sie sich dafür entscheiden, werden Sie von allen Seiten angegriffen, weil es sich um Themen handelt, die konfliktreich, umstritten und daher spaltend sind. Das erste ist der Krieg. Wenn wir eine politische Präsidentschaft in der EU übernehmen, müssen wir mit dem Frieden und der Friedensmission beginnen. Das zweite ist die Schengen-Erweiterung, die Angelegenheit von Rumänien und Bulgarien. Das dritte ist der westliche Balkan, der schon lange in die Europäische Union hätte aufgenommen werden müssen, aber die Erweiterung ist ins Stocken geraten. Der vierte Punkt ist, dass die europäische Wirtschaft kaputtgeht. Und dann ist da noch die Zukunft der europäischen Landwirtschaft. Ich habe mich mit den Ministern und meinen Kollegen zusammengesetzt, wir haben unsere Ressourcen und unseren Mut eingeschätzt, und dann haben wir die politische Präsidentschaft übernommen. Wer erinnert sich noch an die Präsidentschaften der EU vor uns? Niemand. Wir haben eine Friedensmission gestartet, wir haben es geschafft, den Schengen-Raum zu erweitern, wir haben die Integration des Balkans vorangetrieben, wir haben einen Konsens zwischen den Landwirtschaftsministern geschaffen und wir haben uns auf ein Szenario zur Rettung der europäischen Wirtschaft geeinigt, indem wir die Budapester Erklärung zur Wettbewerbsfähigkeit angenommen haben. Der ungarische Ratsvorsitz wird lange in Erinnerung bleiben.

Kehren wir zurück nach Ungarn. Die ungarische Wirtschaft ist nicht in der Lage, sich selbst zu finden, und seit 2010 ist das Leitmotiv Ihrer Regierung, dass Ungarn und die Ungarn einen Schritt nach vorne gemacht haben, manchmal einen größeren, dann einen kleineren, doch Stück für Stück, aber jedes Jahr. Macht Ihnen die aktuelle Situation Sorgen?

Natürlich wollen wir jedes Jahr einen Schritt nach vorne machen. Aber es gibt Jahre, in denen es auch ein Erfolg ist, wenn wir am Leben bleiben, und es ist auch gut, wenn wir nicht zurückfallen. Die Kriegsjahre sind so. Ungarn hat die drei Jahre des Krieges überlebt. Wir haben versucht, in der Kurve zu überholen, und sogar die Kriegssituation in gewissem Maße zu unseren Gunsten zu nutzen, aber das ist niemandem in Europa gelungen. Mit dem Krieg sind alle schlecht gefahren, jede Wirtschaft. Es ist eine ernsthafte Leistung, dass Ungarn nicht zurückgefallen ist und in denselben Zustand geraten ist wie die meisten europäischen Volkswirtschaften, insbesondere was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft. So können wir jetzt, wo der Krieg vorbei ist, also durchstarten. Man kann einen fliegenden Start nehmen, wenn man sich vorbereitet hat, wenn man die vorbereitende Trainingsarbeit geleistet hat, wenn man weiß, in welchem Startquadrat man stehen muss und wenn man weiß, wann die Startpistole losgeht. Wir sind vorbereitet und werden im Jahr 2025 einen fliegenden Start nehmen. Die Politik der Friedensjahre wird zurückkehren anstatt der Politik des Krieges, und wir werden wieder große wirtschaftliche Erfolge haben.

Und wenn der Krieg nicht zu Ende geht?

Der Krieg wird 2025 enden. Entweder wird es gelingen, ihn durch Friedensverhandlungen zu beenden, oder indem eine der Kriegsparteien vernichtet wird.

Neu ist in diesem Jahr auch, dass der Fidesz in einen lange nicht mehr dagewesenen Wettbewerb gezwungen wurde, da mit Péter Magyar und der Tisza-Partei ein neuer Herausforderer aufgetaucht ist. Hat Sie das überrascht? Halten Sie sie für gefährlich oder reihen Sie sie in das Feld der bisherigen Konkurrenten ein?

Der Ministerpräsident sollte sich um die Menschen und das Land kümmern, nicht um die Opposition. Aber so viel kann ich sagen: Verglichen mit dem jetzigen war Gyurcsány ein Adenauer. Ansonsten ist der Wettbewerb gut. Wenn man nicht konkurriert, wird man selbstgefällig und denkt, man könne seine Arbeit auch routinemäßig verrichten. Das ist in der Politik lebensbedrohlich. Ich habe immer mit Interesse beobachtet, wenn das Leben uns neue und neue Herausforderer vor uns hingestellt hat. Ob das, was auf der Spielfeldhälfte der Opposition passiert, gut für das Land ist, ist schon eine andere Frage. Es ist sicher gut für das Land, wenn politische Debatten über Fakten und wichtige Themen geführt werden, am besten auf intelligente Weise und mit Lösungsvorschlägen. Wenn dagegen das aggressive Sich-Beklagen, das die neue Oppositionsstrategie nun mit sich bringt, zur dominierenden Strategie wird, ist das sicher nicht gut. Aber ein schwacher Wettbewerber ist einer, der sich über die Mittel beschwert, die sein Gegner gegen ihn einsetzt. Er setzt alles ein, keine Frage. Diesmal hat Brüssel Beauftragte zu unserer Absetzung eingesetzt, die diese Waffengattung gewählt haben. Wir werden auch mit ihnen kämpfen. Es gibt aber Dinge, die trotz des häufigen Wechsels der Form, beständig sind. 2010 hat Ungarn beschlossen, dass es den Weg, den Brüssel ihm vorschlägt, nicht gehen wird, denn dann wären wir ruiniert. Das war auch die Lehre für mich nach der großen Finanzkrise. Dies wurde durch die Migrationskrise noch verstärkt, die noch deutlicher machte, dass wir nicht denselben Weg wie Brüssel einschlagen dürfen. Dies wurde auch durch Covid bestätigt, als für die EU-Bürokraten, anstatt Menschen zu heilen wichtiger war, sich mehr darum zu kümmern, dass nicht-westliche Impfstoffe nicht auf dem europäischen Pharmamarkt zugelassen werden sollten. Und das hat sich noch weiter verstärkt, denn wenn wir mit Brüssel voranschreiten würden, steckten wir bis zum Hals im Krieg. Seit 2010 wissen wir es genau, dass Ungarn zwar Mitglied der EU ist, was erhalten werden muss, und auch die Zusammenarbeit mit Brüssel muss man suchen, aber nicht den Weg Brüssels gehen darf. Wir dürfen nicht zulassen, dass Brüsseler Bürokraten diktieren, was in Ungarn passiert. Denn dann werden wir arm sein, unsere Wirtschaft wird weniger wettbewerbsfähig sein, es werden Migranten hereinkommen, der Genderwahn wird sich ausbreiten und wir werden uns am Ende auch noch in einem Krieg wiederfinden. Die Bürokratie in Brüssel ist groß und mächtig, sie hat die Kontrolle über eine Menge Geld und Ressourcen. Wer von ihrer Linie abweicht, muss ständig um seine Souveränität kämpfen. Das ist macht Ungarn. Aber wenn wir das nicht getan hätten, müssten die ungarischen Familien drei- oder viermal so viel für Energie bezahlen wie jetzt, die Magdeburger Szenen könnten sich auch in den ungarischen Städten abspielen, und die 300 Milliarden Euro, die der Westen in die Ukraine gebracht hat, wären auch unser Geld, und wir wüssten nicht, wie wir aus einem Krieg herauskommen sollten, der unmöglich zu gewinnen ist.

Herr Ministerpräsident, was ist Ihre Botschaft an das ungarische Volk zu Weihnachten 2024?

Wagen Sie es, hoffnungsfroh zu sein. Es ist schwer zu glauben, dass nach drei Jahren brutalen Krieges in unserer Nachbarschaft, bei einer gescheiterten Brüsseler Politik, als Opfer einer Politik der Sanktionen, die unsere Wirtschaft trifft, mit Jahren hoher Inflation aufgrund der falschen Brüsseler Reaktion auf den Krieg, das nächste Jahr gut, sogar fantastisch sein wird. Ich glaube es, wenn ich es sehe, sagen die Ungarn. Nun, ich wünsche mir, dass sie es sehen sollen.

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