Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Auch wir kommen gerne nach Prag, so wie Premierminister Donald Tusk; es verjüngt uns. Wir sind auch schon als Studenten hierhergekommen. Ich weiß nicht, ob es das U Fleků oder das St. Thomas noch gibt, aber in den 1980er Jahren waren sie Pilgerstätten für ungarische Studenten. Es ist immer gut, hierher zurückzukommen, weil man sich an seine eigene Jugend erinnern kann. Das ist auch notwendig. Ich habe nachgezählt, dies ist das 52. Gipfeltreffen der V4-Ministerpräsidenten, an dem ich persönlich teilnehmen durfte.
Das heutige war nicht das einfachste Treffen von diesen 52. Ich habe schon einmal an einem solchen Treffen teilgenommen, irgendwann nach oder um die Zeit unseres Beitritts herum, als wir ebenfalls ein solches Treffen zur Selbstreflexion abhalten mussten. Das heutige war auch so eines. Man muss sich immer wieder die Frage stellen, da die Welt sich verändert, ob es die V4 in Zukunft noch braucht, und wenn ja, dann in welcher Form. Schließlich haben wir uns, wie Donald Tusk betont hat, bei der Gründung der Visegrád-Vier als Visegrád-Drei das Ziel gesetzt, uns gegenseitig zu helfen, um unseren Platz in den westlichen Strukturen einzunehmen. Und als das geschehen war, haben wir ein Treffen zur Selbstreflexion abgehalten, um uns zu fragen: Jetzt, wo wir dieses Ziel erreicht haben, was sollen wir jetzt tun? Und da haben wir beschlossen, dass die vier Länder eine Menge gemeinsamer Interessen haben, die sie zusammen in den Strukturen von Brüssel und den Institutionen der Europäischen Union viel erfolgreicher vertreten können als einzeln. Und da haben wir beschlossen, die Formation der V4 fortzuführen, und das haben wir ganz bis zum ukrainisch-russischen Krieg gemacht. Der Grund, warum wir jetzt stehenbleiben müssen, ist, dass der russisch-ukrainische Krieg ein Thema ist, das alles überschreibt. Und es ist legitim, sich die Frage zu stellen: Wenn es offensichtlich Meinungsverschiedenheiten über das große Thema gibt, das alles überlagert, ist es dann möglich, die Zusammenarbeit bei weniger wichtigen Themen fortzusetzen oder nicht? Genau das mussten wir am heutigen Tag prüfen. Ich möchte mich bei meinen Kollegen für die Gelegenheit bedanken, dass ich an einer sehr seltenen, intellektuell und politisch sehr spannenden Debatte teilnehmen durfte. Wir sind uns einig, dass die Freiheit die Grundlage der V4 war und bleibt.
Was die Unterschiede betrifft, so müssen wir hier sicherlich über den ukrainisch-russischen Krieg sprechen, aber es gibt auch hier Punkte der Übereinstimmung, wie der tschechische Ministerpräsident sagte. Erstens sind wir uns einig, dass der Angriff Russlands eine grobe Verletzung des Völkerrechts war. Wir sind uns auch darin einig, dass die Ukraine Hilfe braucht, und dass der Ukraine auch geholfen werden muss. Das ist das richtige Verhalten. Aus ungarischer Sicht ist hier auch ein besonderer Aspekt zu erwähnen, denn Ungarn will nicht wieder eine gemeinsame Grenze mit Russland. Es gab Zeiten in unserer Geschichte, als die Sowjetunion und Ungarn eine gemeinsame Grenze hatten. Wir haben schlechte Erinnerungen an diese Zeit. Das wichtigste Grundprinzip der ungarischen nationalen Sicherheit ist also, dass es östlich von uns eine Entität geben sollte, die zwischen Russland und Ungarn liegt, und so helfen wir der Ukraine auch aufgrund der ungarischen nationalen Interessen. Die Meinungsverschiedenheit zwischen uns besteht darin, wie wir der Ukraine auf die richtige Weise helfen können. Die ungarische Position ist klar: Wir werden keine Waffen in die Ukraine schicken, weder mit noch ohne Soldaten, aber wir werden jede Hilfe leisten, die nicht jenseits dieses Punktes liegt. Humanitäre Hilfe, die Ausbildung von Militärärzten und nicht bewaffneten Ärzten, die Aufnahme von Flüchtlingen, den Betrieb und die Wiederherstellung des ukrainischen Energiesystems, und ich könnte noch Weiteres aufzählen. Nach den heutigen Beratungen sehe ich, dass es trotz unterschiedlicher Auffassungen darüber, wie man den Ukrainern helfen kann, es sinnvoll ist, die Zusammenarbeit der V4 weiterzuführen.
Es gibt mindestens vier Themen, die in den letzten Jahren wichtig waren und uns auch in den kommenden Jahren begleiten werden, und wenn wir uns in diesen Fragen nicht einig gewesen wären, stünden unsere Länder heute schlechter da, sowohl einzeln als auch gemeinsam. Hätten wir beispielsweise bei der illegalen Einwanderung nicht entschlossen und gemeinsam gehandelt, würden heute Zehntausende, vielleicht Hunderttausende von Menschen auf dem Gebiet der V4-Länder herumscharwenzeln. Und da die Frage der obligatorischen Quotenzuteilung nicht von der Tagesordnung verschwunden ist, ist die Migration ein Thema, bei dem es sich lohnt, auch in Zukunft zusammenzuarbeiten. Ähnlich verhält es sich mit der Frage, wie die ukrainische Wirtschaft näher an unsere Länder herangeführt werden kann – ich spreche jetzt noch nicht von einer Mitgliedschaft. Da ist die Frage der Landwirtschaft, bei der ich sehe, dass wir identische oder konvergierende Positionen haben. Oder da sind regelmäßig die Steuerharmonisierungsbemühungen von Brüssel, die unsere Wettbewerbsfähigkeit untergraben würden, wenn wir ihnen nachgeben würden. Die Wettbewerbsfähigkeit ist also auch ein Thema, und auch die Frage niedriger Steuern ist ein Thema, bei dem wir in Zukunft zusammenarbeiten sollten. Und so steht es auch um unsere Energiesicherheit, denn wir alle glauben, dass es keine sichere Energieversorgung und kein grünes Zeitalter ohne Kernenergie gibt. Dies ist eine Debatte in der Europäischen Union, und auch hier haben wir gemeinsame Positionen.
Ich möchte Ihnen sagen, dass das heutige Treffen mich davon überzeugt hat, dass Visegrád lebendig ist, dass Visegrád wichtig ist, dass wir unsere Unterschiede mit dem gebührenden Respekt anerkennen können, auch wenn wir mit den Positionen des anderen nicht einverstanden sind, und dass es die Möglichkeit für die Zusammenarbeit in gemeinsamen Fragen gibt. Ungarn ist daher bereit, die Zusammenarbeit fortzusetzen.