Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn!” von Radio Kossuth

Zsolt Törőcsik: Genau vor einem Jahr, am Frühmorgen des 24. Februar fuhren die russischen Panzer Richtung Ukraine los und es begann der bis auf den heutigen Tag andauernde Krieg zwischen den beiden Ländern. Auch von den Experten hatten nur wenige damals gedacht, dass nach einem Jahr sich noch nicht einmal die Umrisse einer Lösung abzeichnen, dass die EU gerade dabei ist, das zehnte Sanktionspaket anzunehmen und dass die modernsten westlichen Schwerpanzer auf dem Weg zum Schlachtfeld sein werden. Wie hat sich die Welt und in ihr die Lage Ungarns im Laufe des vergangenen Jahrs verändert? Auch darüber frage ich Ministerpräsident Viktor Orbán in den nächsten Minuten. Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen!

Guten Morgen!

Sie haben in Ihrer Rede zur Lage der Nation und laut Presseinformationen auch auf der Fraktionssitzung betont, dass wir diesem Krieg fernbleiben müssen, am vergangenen Samstag haben Sie zugleich auch darüber gesprochen, dass wir Teil der EU und der NATO sind. Kann man trotzdem dem Krieg fernbleiben, während ein britischer Historiker in einem Interview für ein ungarisches Blatt schon darüber spricht, dass Europa dann eine Großmacht sein wird, wenn es erträgt, dass seine Töchter und Söhne in Särgen aus einem fremden Land zurückkehren.

Die Angelsachsen sind für ihre unerbittlichen Formulierungen und auch für ihr unerbittlich logisches Denken bekannt. Jetzt kam sie wieder zum Vorschein, auch ich habe diese Schrift gesehen, die George Soros vielleicht noch 1992-1993, zum Beginn der Zeit nach dem Zusammenbruch des Kommunismus veröffentlicht hat, als er noch darüber sprach, man müsse früher oder später die Russen doch auf irgendeine Weise besiegen und das Ende des Kalten Krieges sei in dieser Hinsicht irgendwie doch nur die halbe Arbeit. Man müsse sie dann auch militärisch besiegen. Und da es die westlichen Demokratien nur schwer ertragen, wenn ihre Bürger in einem Krieg sterben, der in einem weit von ihnen entfernten Gebiet geführt wird, wird man dann die Mitteleuropäer hineinschicken, hinwerfen, überzeugen, anwenden müssen, um mit ihrem Blut und ihrem Opfer Russland zu besiegen. Diese Denkweise also, von der Sie jetzt ein frisches Beispiel zitiert haben, ist dem angelsächsischen Denken nicht fremd. Es ist ein großes Glück, dass die angelsächsische Politik sich auch im vergangenen Zeitraum nicht diesen Gedanken zu eigen gemacht hat und auch heute noch sind unsere Verbündeten in der Hinsicht zweideutig, denn die Angelsachsen sind im Übrigen unsere Verbündeten, wir sind gemeinsam mit ihnen NATO-Mitglieder, was denn genau das Kriegsziel sein sollte. Das Vertrackteste an diesem Krieg ist aber, darüber hinaus, dass die einander gegenüberstehenden Seiten schreckliche Verluste erleiden, sagen wir es so, dass die Menschheit, dass unzählige Menschen sterben und eine unfassbar große Menge an Werten verlorengeht, doch was den Umgang mit der Lage wirklich schwierig macht, ist der Umstand, dass es nicht klar ist, worin das Kriegsziel besteht. Hinzu kommt noch, dass dies auf keiner Seite klar ist, die einander gegenüberstehenden Seiten nennen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedliche Kriegsziele. Das gilt auch für die Ukraine, die natürlich ihre Freiheit verteidigt, denn sie ist ja angegriffen worden, sie ist die angegriffene Seite und sie will nur die Folgen der gegen sie gerichteten Aggression abwehren. Doch ist auch nicht klar, was dies genau bedeutet; ob die Ukrainer dann früher oder später einen Militärschlag gegen das Gebiet Russlands ausführen, wie weit sie die russischen Truppen zurückdrängen wollen, ob die Halbinsel Krim belagert wird oder nicht, das sind also alles ungeklärte Dinge. Und wenn es in einem Krieg hinsichtlich der Kriegsziele ungeklärte Dinge gibt, dann ist es sehr leicht, sich zu verirren, denn es gibt nichts, woran man seine Entscheidungen messen könnte, durch die man auch zu Lasten der eigenen Nation und der eigenen Bürger Opfer auf sich nimmt, denn letztlich werden ja dort, auf dem Schlachtfeld jene sterben, die im Interesse irgendeines Zieles dorthin geschickt werden. Und wir müssen genau wissen, was jenes Ziel ist. Und natürlich bestimmen im ideellen Sinn die Angelsachsen und die Westler, dass es Gut und Böse usw. gibt, doch konkret bis wohin, bis zu welcher Linie, bis zu welchem Kilometerstein usw., das sind ungeklärte Fragen. Also ist die Ursache für das Hineinschliddern in den Krieg nicht nur, dass wir, Westler, eine falsche Entscheidung getroffen haben, als wir anstatt der Lokalisierung des Konflikts diesen zu einem gesamteuropäischen Krieg erhoben haben, das war ein Fehler, sondern wir haben auch den Fehler begangen, dass wir auch für uns selbst nicht geklärt haben, wo die Grenze für unsere Hilfeleistungen für die Ukraine liegt, wie weit wir mit den Ukrainern gehen. Stattdessen gebrauchen wir jenen Satz, den ich in jedem Dokument der Europäischen Union lese, dass so lange es auch dauern wird, so viel es auch kosten wird. Auf diese Weise ist es schwer, Krieg zu führen. Sie sagen jetzt, nur wenige hätten vor einem Jahr gedacht, dass wir dann an diesen Punkt angelangt sein würden. Bescheiden hebe ich meine Hand, um zu signalisieren, dass die Ungarn genau das gesagt haben, da wir in der Situation sind, die ich jetzt beschrieben habe, werden wir in einem Jahr an dem Punkt sein, dass es unzählige Opfer geben wird, die Kriegslage nicht leichter sein wird, die Ziele ungeklärt bleiben, und wir, Europäer, driften kontinuierlich in den Krieg. Es ist die symbolische Beschreibung hiervon, dass, sagen wir, die Deutschen zum Beginn des Krieges gesagt hatten, sie würden dann aber niemals zum Auslöschen menschlichen Lebens geeignete Instrumente schicken, deshalb sollten sich die Ukrainer mit den Helmen zufriedengeben. Dann kamen die Waffen, jetzt sind wir dann schon bei den Leopard-Panzern und jetzt drängen schon die Angelsachsen auf die Lieferung von Kampfflugzeugen. Und ich möchte kein Wahrsager sein, besonders nicht der Überbringer schlechter Nachrichten, aber es ist nicht in weiter Ferne, dass die ungarische Öffentlichkeit darüber hören wird, dass bereits Vorschläge auf dem Tisch liegen, nach denen Friedenskräfte oder irgendwelche militärischen Truppen auf dem Gebiet der Ukraine notwendig sind. Dies wird dann der logische, der nächste Schritt des Hineindriftens in den Krieg sein.

Inzwischen gibt es auch schon Berichte, nach denen der Leiter einer deutschen Rüstungsfirma sagte, Deutschlands eigene Verteidigung sei wegen der Hilfeleistung für die Ukraine in eine ausgelieferte Situation geraten. Und wenn wir über Ziele sprechen, dann wird das westliche Argument häufig angeführt, das Ziel sei, dass Russland nicht die Westmächte, den Westen gefährdet. Zugleich haben Sie in Ihrer Rede zur Lage der Nation dahingehend formuliert, Russland würde gegenüber der NATO auch keinerlei Chance haben.

 

Wenn man natürlich die Zahlen kennt, was selbstverständlich für die sich mit der Politik beschäftigenden Menschen ein obligatorisches Wissen darstellt, dann kann man aus diesen Zahlen deutlich ersehen, sagen wir, wie viel Russland im Laufe eines Jahres für die Entwicklung seines Waffenarsenals ausgibt, hierbei auch noch einkalkulierend, dass es vielleicht nicht ganz die wahren Zahlen mitteilt. Es ist ganz offensichtlich, wenn ich die Rüstungs-, die militärischen Ausgaben der europäischen NATO-Mitgliedsstaaten in einem gegebenen Jahr addiere, dann übertreffen diese die russischen um Größenordnungen. Und wenn ich dazu auch noch die amerikanischen dazurechne, die die höchsten der Welt sind, so übertrifft dies die Ausgaben von allen, von China, von allen, ja selbst die der darauffolgenden zusammengenommen, also sind die Realitäten klar: Heute besitzt niemand auf der Welt die Chance, also nicht nur nicht die Russen, sondern niemand besitzt die Chance, die NATO angreifend einen Erfolg zu erreichen. Die NATO ist ein Verteidigungsbündnis und wir sind dazu verpflichtet. Also wenn man uns angreift, sind wir verpflichtet, uns gegenseitig auszuhelfen. Deshalb ist die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine problematisch und deshalb sagt der Nordatlantikvertrag richtig aus, dass ein Land, das im Krieg steht, nicht in die NATO aufgenommen werden kann, denn damit wird der Krieg in das Bündnis getragen, und das Verteidigungsbündnis muss einen Mitgliedsstaat, wenn er im Krieg steht, sofort verteidigen. Die NATO ist also ein Verteidigungsbündnis und kein Kriegsbündnis. Es gibt keine Passage im NATO-Grundlagendokument, in den mit der NATO unterzeichneten Verträgen, die ich unterschrieben habe, dass die NATO im Übrigen das Recht hätte und die Mitgliedsstaaten die Pflicht, an militärischen Aktionen teilzunehmen oder solche zu starten, die einen gemeinsamen Angriff eines Nichtmitgliedsstaates der NATO zum Ziel haben. So etwas gibt es nicht. Wenn sich so eine Situation einstellt, dann tritt die NATO einen Schritt zurück, die NATO nimmt daran nicht teil. NATO-Mitgliedsstaaten können, wenn sie wollen, außerhalb der NATO solche militärischen Bündnisse, Kriegsbündnisse schaffen, aber sie können nicht jene NATO-Mitglieder darin hineinzerren, die im Übrigen daran nicht teilnehmen wollen. Das ist das Wesen der ungarischen Position, ich stehe, die Position Ungarns ruht in juristischem und moralischem Sinn auf der Tatsache, dass die NATO ein Verteidigungsbündnis ist und kein Kriegsbündnis.

Sie und auch die anderen Mitglieder der Regierung betonen praktisch seit einem Jahr die Wichtigkeit des Friedens. Wie weit kann der Westen hinsichtlich des auf Ungarn ausgeübten Drucks gehen, damit es seinen Standpunkt verändert? Ich frage das auch deshalb, weil ja die Regierungsmehrheit eine Erklärung im Parlament einreicht, in der auch das Parlament sein Engagement für den Frieden zum Ausdruck bringen würde.

Der ungarische Standpunkt ist sowohl moralisch als auch politisch richtig, hinzu kommt noch, dass er rational ist. Natürlich gibt es auch in Ungarn, aber überall auf der Welt einen Reflex, der einem natürlichen menschlichen Instinkt entspringt, dass man so einen Konflikt sieht, und dann identifiziert man sich entweder mit der einen Seite oder man sympathisiert stärker mit ihr, beginnt sie zu unterstützen oder drückt ihr die Daumen. Das ist in der Politik schlecht, aber das ist eine natürliche menschliche Sache, die politischen Entscheidungsträger müssen sich von diesem Gefühl des persönlichen Einbezogenwerdens unabhängig machen. Das ist besonders in dieser Situation so, in der man nach jeder nüchternen Berechnung diesen Krieg nicht gewinnen kann. Es kann ihn also keine Seite gewinnen. Also meiner Meinung nach kann Russland den Krieg nicht gewinnen, obwohl es nicht geklärt ist, was genau das Gewinnen des Krieges bedeuten würde, doch der Westen mobilisiert eine solche Menge an Waffen und Energie für die Ukraine, dass es nach menschlichem Ermessen unwahrscheinlich ist, gegen so eine Kraft einen offenen militärischen Konflikt zu gewinnen. Und umgekehrt ist es auch wahr: Wenn also jemand denkt, man könne Russland schlagen, während Russland eine Atommacht ist, der irrt meiner Ansicht nach. Es kann also keine der beiden Seiten diesen Krieg gewinnen, nur die Zahl der Opfer wird ständig um Hunderte, um Tausende, um Zehntausende zunehmen. Hier sind schon mehrere hunderttausend Menschen gestorben oder haben Verletzungen erlitten, die nicht behebbar, die irreparabel sind. Wir – wenn Sie so wollen – als Menschheit erleiden schreckliche Verluste. Deshalb sagt die nüchterne Position: Feuerpause. Sie sagt nicht einmal, dass wir sofort über den Frieden übereinkommen sollen, denn damit es Frieden gibt, muss zuerst verhandelt werden. Die Standpunkte sind darüber weit voneinander entfernt, was für ein Frieden für die eine oder die andere Seite akzeptabel wäre. Wir sind nicht naiv, das sehen wir auch, deshalb muss verhandelt werden, es muss vielleicht auch lange verhandelt werden. Deshalb ist es nach meiner Logik am wichtigsten, jetzt nicht darüber zu reden, wie dann der Frieden sein wird, der sich aus den Friedensverhandlungen ergibt. Das werden wir dann sehen. Jetzt wäre es wichtig, dass es eine Feuerpause gibt. Das Wesentliche der ungarischen Position ist eine so schnell wie möglich zu erreichende Feuerpause. Wir sprechen ja über Europa, denn wir leben ja hier, sind Mitglied der EU und der NATO. Wir sprechen wenig über die Welt, doch gerade jetzt, heute Nacht gab es eine Sitzung der Generalversammlung der UNO, auf der auch ein Text aus Anlass des ersten Jahrestages des Krieges angenommen wurde. Na, das ist ein Text, der auf der Seite des Friedens steht. Es ist also gut, wenn die Ungarn sehen, dass wir nicht isoliert sind, wir sind nicht allein, wir gehören zur Mehrheit. Also die Mehrheit der Welt, die Mehrheit der Länder der Welt sagt das, was wir sagen: Es soll eine Feuerpause geben, der Krieg soll nicht eskalieren, soll sich nicht weiter ausbreiten. Es soll eine Feuerpause geben, die beiden Seiten sollen sich hinsetzen, zu verhandeln beginnen und irgendwann übereinkommen, wenn sie können. Doch am wichtigsten ist, dass jetzt keine weiteren Menschen sterben und andere Menschen durch das Schreckgespenst, das Risiko, die Angst bedroht werden, entgegen ihrem Willen in diesen Krieg hineingezogen zu werden und sie über das Geld hinaus früher oder später als Ergebnis des Hineingezogenwerdens auch Menschenopfer werden bringen müssen. Wir, Ungarn, sind im Übrigen so. Aus irgendeinem Grund beherrscht es nicht den öffentlichen Diskurs in Ungarn über den Krieg, dass im Karpatenvorland, das Teil der Ukraine ist, eine große ungarische Gemeinschaft lebt, wir reden von 150-200 tausend unserer Landsleute. Ein Teil von ihnen besitzt dazu auch noch die ungarische Staatsbürgerschaft. Sie wurden eingezogen, ein Teil von ihnen wurde zur Armee eingezogen. Die Männer hat man an die Front gebracht. Dort sterben sie. Also während sie Ungarn kritisieren, das heißt seitens Brüssel, und Druck auf uns ausüben, sind wir das einzige Land in der Europäischen Union, das zwar weder russisch noch ukrainisch ist, und trotzdem gezwungen ist, Menschenopfer zu bringen. Und hier verlieren wir Ungarn doch zu Hunderten. Jetzt helfen wir ihren Familien, aber wir versuchen zu verfolgen, wer genau stirbt, wie er stirbt, welche Bindung er an den ungarischen Staat besitzt und wir versuchen den Familien, den zu Waisen gewordenen zu helfen. Deshalb verfügen wir über das Wissen, was genau an der Front geschieht, in der Mitte der Ereignisse, in der Wirklichkeit und wir sind dort unter den Opfern. Und das muss Brüssel respektieren. Deshalb sage ich: Mehr Respekt für die transkarpatischen Ungarn in Brüssel und Washington und auch in Kiew.

Ungarn ist, wie Sie das auch erwähnt haben, Teil der NATO, und Finnland sowie Schweden möchten vorerst Teil der NATO werden, sie haben um ihre Aufnahme in das Verteidigungsbündnis gebeten. Dieser Bitte haben jetzt noch die Parlamente zweier Mitgliedsstaaten nicht zugestimmt, das eine ist das ungarische, und angeblich kam es über die Frage auch auf der Fraktionssitzung zu einer Diskussion. Was für Bedenken haben die Abgeordneten und kann man diesen Abhilfe schaffen?

Was die Türkei anbetrifft, die im Übrigen ebenfalls unser Verbündeter ist, und deshalb müssen wir auch ihre Stimme hören, vielleicht hören wir ihnen, da wir näher zu ihnen sind als die anderen NATO-Mitglieder, mit schärferen Ohren zu. Sie haben ernsthafte Einwände. Weniger gegenüber Finnland, aber gegenüber Schweden schon, was den einfachen Grund besitzt, dass in Schweden sich selbst als zivil bezeichnende Organisationen wirken, die gegen die Türkei arbeiten und nach der türkischen juristischen Auslegung terroristische Organisationen sind. Und die Türken wollen keinen Mitgliedsstaat in der NATO sehen, auf dessen Territorium Gruppen existieren, die auch Terroraktionen gegen die Türkei organisieren wollen und können. Und dafür bitten sie um eine Garantie. Jetzt hat die Türkei diese Garantien bisher nicht erhalten. Es gibt also so eine Sache. Wir müssen auch die Türken beachten, denn am Ende wird dann der gesamte Prozess steckenbleiben. Wenn es keine Lösung für das türkische Problem gibt, dann wird aus der Erweiterung nichts. Betrachten wir jetzt die ungarischen Gesichtspunkte! Ungarn ist ja der NATO beigetreten, und zwar nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, wir sind also keine Gründungsmitglieder, deshalb sind wir ein Land, das aufgenommen worden ist. Sie hätten uns auch abweisen können, aber sie haben uns aufgenommen. Dies verleiht Ungarn eine Art moralischer Verpflichtung, dass wenn jemand in die NATO aufgenommen werden möchte und es aus ungarischer Sicht kein entgegengesetztes Interesse, keine bedeutende Verletzung ungarischer Interessen gibt, dann soll dieses Land – so wie man uns auch aufgenommen hat – aufgenommen werden. Das ist ein logisches und auch aus menschlicher Sicht, aus der Sicht der Ehre ein richtiges Verhalten. Deshalb habe ich die Fraktion gebeten, die NATO-Mitgliedschaft von Schweden und Finnland zu unterstützen, und die Regierung hat deshalb den Vorschlag auf die Weise dem Parlament vorgelegt, dass sie die Abgeordneten bittet, für ihn zu stimmen. Doch die Abgeordneten sind nicht allzu begeistert, unter uns gesagt. Es gibt einen Teil unter ihnen, der sagt, mit Finnland entsteht dann doch ein mehr als tausend Kilometer langer unmittelbarer Grenzkontakt zwischen Russland und Finnland, angesichts der ukrainischen Situation ist dessen Kriegspotential hoch, wir sollten das bedenken, ob es sicher sei, das dies gut wäre. Es gibt also so eine geopolitische Überlegung. Meiner Ansicht nach besitzen wir gegen dieses Gegenargument überzeugende Argumente, warum man dieses Risiko eingehen kann, diese Debatte kann man gewinnen. Und die andere Seite sagt, wir sollten doch noch einige Worte mit diesen braven Finnen und Schweden wechseln, denn das geht ja doch nicht, dass sie uns bitten, sie aufzunehmen, und sie offensichtliche Lügen über Ungarn, über den Rechtsstaat in Ungarn, die Demokratie, über das Leben hier verbreiten, und wie will jemand so unser Verbündeter in einem militärischen System sein, dass er hemmungslos Lügen über Ungarn verbreitet? Bleiben wir doch für ein freundschaftliches Wort stehen und fragen wir sie, wie das denn ist. Und soweit ich das sehe, geht das Parlament auch in diese Richtung. Ich gehöre zu jenen, die Nüchternheit empfehlen. Ich verstehe, ja ich stimme der Meinung unserer Fraktion auch zu, dass hier nicht alles in Ordnung ist, doch bitte ich darum, dass am Ende doch klar sein soll, dass wir auf prinzipieller Grundlage den NATO-Beitritt Schwedens und Finnlands unterstützen, doch zuvor sind doch einige ernsthafte Gespräche notwendig, gar nicht zwischen den Regierungen, denn das ist eher Teil unseres Lebens, sondern zwischen den Parlamenten würde es nicht schaden, wenn es zu einem klärenden Gespräch käme, dass sie uns doch nicht treten sollten, wenn sie zugleich hierherkommen,, darum bittend, dass wir sie aufnehmen sollen. Wenn sie erwarten, dass wir ihnen gegenüber anständig sein sollen, dann sollen auch sie sich bequemen und anständig gegenüber Ungarn sein.

Wenn wir zum Krieg zurückkehren, dann war neben der Unterstützung der Ukraine jene Sanktionspolitik das andere Instrument des Westens, dessen Ziel es gewesen wäre, Russland derart zu schwächen, dass es den Krieg beendet. Wir sehen, dies ist vorerst nicht geschehen, jedoch hatten die Sanktionen eine Wirkung, eine im Alltag spürbare Wirkung, das ist jene Inflation geworden, die in Ungarn im Januar die 25 Prozent überstieg und beinahe die 26 Prozent erreichte. Halten Sie es im Lichte dessen für einhaltbar, dass das Maß der Geldentwertung bis zum Jahresende einstellig wird, wozu Sie sich verpflichtet hatten?

In dieser Frage stecken zwei Fragen, wenn Sie erlauben, würde ich sie einzeln betrachten, sie trennen. Die erste, warum es zu Sanktionen kam? Es ist schwierig, diese Frage zu beantworten. Wenn wir Gutgläubigkeit annehmen, was ebenfalls nicht einfach in der europäischen Politik ist, also wenn wir Gutgläubigkeit annehmen, dann muss man sagen, sie haben es ernsthaft gemeint, was die Anhänger der Sanktionen gesagt haben. Ungarn hat ja von Anfang an klargestellt, dass dies keine gute Marschrichtung ist, nicht nur aus philosophischen oder historischen Gründen, da wir aus der Weltgeschichte die Sanktionsregime kennen und wissen, dass diese kaum ein Ergebnis erreicht haben und auf die Köpfe jener zurückgefallen sind, die sie verhängt hatten, und nach einer Weile sind diese auch ausgelaufen. Es geht nicht nur hierum, sondern auch darum, dass ein europäisches Sanktionssystem gegenüber Russland Ungarn sofortigen und unmittelbaren Schaden zufügt. Wir philosophieren also nicht, wir sprechen nicht über die Geschichte, sondern wir sprechen hier und jetzt über das Gas, über das Öl und über die Nuklearenergie. Weil die Mitgliedsstaaten der EU sich in unterschiedlichen Lagen befinden. Es gibt jene, die über eigene Energie, Energiequellen verfügen, und es gibt jene, die nicht. Es gibt jene, die ein Meer besitzen, und es gibt jene, die nicht. Wer weder Energie noch ein Meer hat und die Energie einführen muss, der kann sie nur über eine Pipeline einführen. Sie wird an einem Ende der Pipeline eingespeist, am anderen Ende entnommen. Und da es in Ungarn Röhren gibt, deren anderes Ende in Russland ist, tötet eine Sanktion auf dem Gebiet der Energie gegen Russland die ungarische Wirtschaft in einem einzigen Augenblick. Es ist also unser nationales Interesse, unser einschneidendes nationales Interesse, die Ausweitung des Sanktionsregimes auf die Energie zu verhindern. Auch so zahlen wir einen unerhörten Preis. Ungarn hat wegen der aufgrund der Sanktionen angestiegenen Energiepreise im vergangenen Jahr um 4.000 Milliarden Forint mehr Geld für die gleiche Menge an Energie gezahlt wie ein Jahr zuvor. Es fehlen 4.000 Milliarden Forint aus unserem Leben. Die Regierung löst das, es ist nicht einfach, Herr Minister Varga muss also ein ernsthaftes Herumjonglieren durchführen, und Herr Minister Márton Nagy muss im Interesse der langfristigen Lösung sehr viel Wissen konzentrieren und mobilisieren, doch damit schreiten wir voran, wir werden das also lösen. Wir werden das Geld beschaffen, wir werden es erwirtschaften, aber man muss doch sagen, dass diese 4.000 Milliarden Forint durchaus einen besseren Platz gefunden hätten, als dass wir sie jenen geben, von denen wir die Energie kaufen müssen. Da ist die Situation der Familien, es gibt Familien, die etwas mit 4.000 Milliarden Forint anfangen könnten. Da sind die geringverdienenden Berufsgruppen, die Selbstverwaltungen, der Unterricht, das Gesundheitswesen, Innovationen, Entwicklungen, es gäbe also durchaus Verwendung für dieses Geld. Dieses wird uns jetzt als Ergebnis einer schlechten Brüsseler Entscheidung weggenommen, und zwar auf voraussehbare Weise, denn wir hatten ja gesagt, dass es so kommen würde, dieses Geld nimm man den Ungarn aus der Tasche, man lässt uns den Preis der verfehlten Sanktionsentscheidungen zahlen. Das sind also schlecht entworfene, schlecht geplante, schlecht ausgeführte Sanktionen und die Folgen dieser werden jetzt wir erleiden. Die andere Frage ist, warum sie es denn machen, wenn es sich nicht einfach um einen Irrtum handelt, weil wir auch nicht ausschließen sollten, dass das, worüber wir wussten, es würde eintreten, auch andere wussten. Zwar haben die Ungarn keine schlechte Meinung über ihre eigenen Fähigkeiten, die Dinge vorauszusehen, wir halten uns für geschickt und auch gewitzt, na aber dies bedeutet nicht, dass andere auf der Welt keinen Verstand hätten. Also das, was wir vorausgesehen haben, dass es eintreten würde, das wird die Konsequenz sein, darüber können wir annehmen, dass dies auch andere vorausgesehen haben. Und hier kommen die Spekulanten ins Bild. Dass es sich hier nicht einfach um eine schlechte politische Entscheidung handelt, die falsch kalibriert, schlecht entworfen, schlecht geplant worden ist, obwohl man von Deutschen, wenn es um Planung geht, mehr erwarten würde, sondern dass es hier sehr wohl auch Gewinner an der Sache gibt. Es gibt jene, die auf die Sanktionen spekuliert und auf die Folgen der Sanktionen spekuliert haben. Sie wussten, dass daraus eine Energiepreissteigerung werden würde, sie wussten, dass man dann die Energie aus Amerika würde einführen müssen, sie wussten, dass dann LNG-Terminals gebaut werden müssen und sie haben von vornherein eine Unmenge von Geld mobilisiert, das sie darauf setzten, dass der Preis der Energie steigen würde und sie spekulierten im Wesentlichen gegen die Interessen der Menschen. Und da ist George Soros und da sind eine ganze Reihe von großen Funds, Fonds, Finanzfonds, die hier in der Welt herumscharwenzeln und schauen, wo sie ihr Geld hinlegen müssten, wo es sich mit den höchsten Renditen rentiert. Nun, wenn es voraussehbare Situationen gibt, wie es z.B. jetzt infolge der Sanktionen war, dort erscheint dieses Geld und beginnt gegen die Menschen zu arbeiten – zum eigenen Nutzen und gegen die Menschen. Die Spekulanten haben sich also totverdient mit der Entscheidung der Europäischen Union und es bedarf eines großen Glaubens, doch bewahren wir uns unseren Glauben, dass es hier kein Zusammenspiel zwischen den Entscheidungsträgern und den Spekulanten gegeben hat. Nach dem, was, sagen wir, in der Zeit von COVID bei dem Medikamentenankauf in Brüssel geschehen ist, ist diese Annahme, dass es hier keine stillschweigende Absprache gab, mehr als gutmütig und tolerant gegenüber den Brüsseler Bürokraten. Ob wir es jetzt einhalten können, wozu wir uns verpflichtet hatten, dass die Inflation bis zum Jahresende einstellig sein wird? Hierüber darf man auch Wetten abschließen, meiner Ansicht nach, ich ermuntere also einen jeden, dass wenn die Wettbüros eventuell solche Wetten eröffnen, dann lohnt es sich, auf diese zu wetten, da jene Maßnahmen, zwanzig Entscheidungen, die gegen die Inflation gefällt werden können und müssen, die ungarische Regierung bereits getroffen hat. Der Organismus ist also zwar noch krank, hat Fieber, hat aber bereits die Injektion erhalten. Also ist die das Fieber senkende Injektion schon drin im Körper, nur ist noch ein bisschen Zeit notwendig – wie im Fall der Krankheiten im Allgemeinen –, bis das Mittel zu wirken beginnt. Ich denke, dies wird bereits im Monat März zu spüren sein. Also wird das Maß des Preisanstiegs sich verlangsamen und wir werden bald darüber reden, dass jene Maßnahmen, die die Regierung getroffen hat, bereits ihre Wirkung ausüben, und wenn wir sie nicht falsch kalibriert haben, und ich glaube, wir haben ziemlich vorsichtig geplant, dann wird das Ergebnis dieser Inflationsverlangsamung sein, dass am Ende des Jahres im Vergleich von Dezember zum Dezember des Vorjahres die Inflation einstellig sein wird.

Sprechen wir über noch eine Angelegenheit, die die Öffentlichkeit in den vergangenen Tagen schockiert hat. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass der pädagogische Assistent einer Budapester Schule mit einem 15jährigen Jungen ein sexuelles Verhältnis hatte und damit auch noch in den sozialen Medien angab. Und einige Tage danach wurde auch im Zusammenhang mit einem Minderjährigen ein anderer sexueller Missbrauch bekannt. Man kann diese Angelegenheiten in vielerlei Hinsicht untersuchen, doch ich glaube, der erste und wichtigste Gesichtspunkt ist der des Kindes, der der Minderjährigen. Wie kann man solche Fälle noch effektiver verhindern oder ihnen vorbeugen?

Schauen Sie, so wie ich Ungarn kenne, gibt es wenige Länder in der Welt, die das Kind für so wichtig halten würden wie Ungarn. Wir sind also ein familienzentrisches Volk und das Kind nimmt in unserem Herzen irgendwie einen besonderen Platz ein. Ich bin überhaupt nicht überrascht, die Reaktionen hörend, die diese pädophile Angelegenheit ausgelöst hat, was die Ungarn gesagt haben. Nun, sie pflegen solche Dinge zu sagen. Ja, die Situation ist die, dass sie das auch ernst meinen. Und wenn sie es tun könnten, dann würden sie das auch tun, was sie sagen. Denn in Ungarn ist das Kind heilig und unantastbar, andererseits ist es auch die Erwartung von uns Erwachsenen aneinander, und wir halten dies für normal, worüber man auch nicht sprechen muss, denn es ist so, es ist unsere Aufgabe, also die Aufgabe der Erwachsenen, die Kinder zu schützen, denn im Leben gibt es Gefahren. Es gibt alle möglichen Gefahren, und wer sollte die Kinder schützen, wenn nicht die Erwachsenen und vor allem nicht die Eltern. Die Eltern haben hier also eine Verantwortung. Und wer den Eltern die Möglichkeit nimmt, die Erziehung des Kindes, die Sicherheit des Kindes zu bestimmen und vorzugeben, der verstößt gegen die allgemeine Auffassung, gegen jene moralische Auffassung der Öffentlichkeit, die in Ungarn allgemein ist. Auch für mich gibt es etwas zu tun in dieser Angelegenheit, also auch ich bin empört, ehrlich gesagt, wenn dies zur Sprache kommt, und ich muss die Frage stellen, und ich habe auch den Nachmittag des heutigen Tages dafür vorgesehen, wo die Erwachsenen gewesen sind? Wo war der Direktor der Schule? Wo war der Schulbezirk, dessen Aufgabe es ist, die Kinder zu schützen, auf sie zu achten? Jetzt ist das eine Sache, dass wir einen Täter haben, dies wird dann am Ende der Diskussionen, in der Sprache des Rechts meiner Ansicht nach der Selbstverteidigungsreflex der ungarischen Gesellschaft regeln. Na, aber wo sind jene staatlichen Leute, deren Sache es ist, auf unsere Kinder aufzupassen, denen wir unsere Kinder anvertrauen, sie in die Schule geben, in dem Glauben, dass sie ihr Gehalt dafür erhalten, ja, dass sie nicht einmal für ihr Gehalt arbeiten, denn sie sind Pädagogen, also auch seelisch entschlossene und sensible Menschen, also Menschen, denen wir vertrauen. Wo waren sie? Und hierauf möchte ich im Laufe des heutigen Tages, wenn ich mich mit dem Innenminister treffe, das habe ich gesagt, eine sehr klare Antwort erhalten, wie das funktioniert. Und ich erwarte, dass ein jeder solcher Fall aufgedeckt wird. Das sind also sehr peinvolle, sehr schmerzhafte Fälle, doch wenn wir sie unter den Teppich kehren, dann wird ihre Zahl steigen. Und wir können unsere Kinder nur dann vor der Genderideologie schützen, wenn wir im Zusammenhang mit solchen konkreten Fällen sagen: „Seht Ihr, meine lieben Mitmenschen, das ist die Genderideologie, das ist keine Blödelei. Das ist kein lustiges Herumwursteln, dass als Mädchen verkleidete Jungs und als Jungs verkleidete Mädchen in die Schule gehen, um die Kinder zu sensibilisieren. Das ist kein trendy Talk, sondern das ist eine Gefahr, vor der wir unsere Kinder schützen müssen, und hier besitzt unser Staat eine Pflicht, denn wenn es stimmt, dass wir unsere Kinder so lieben, wie wir sie lieben, dann folgt daraus, dass Ungarn das Land mit dem strengsten System des Kinderschutzes in Europa sein muss.“

Über den russisch–ukrainischen Krieg, die Sanktionen, die Inflation und den Schutz der Kinder befragte ich in der vergangenen halben Stunde Ministerpräsident Viktor Orbán.

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