Viktor Orbáns Trauerrede auf der Beerdigung von Marcell Jankovics
Viktor Orbáns Trauerrede auf der Beerdigung von Marcell Jankovics

Sehr geehrte Trauergemeinde!

Wir sind gekommen, um von Marcell Jankovics Abschied zu nehmen. Von einem der letzten Universalgelehrten, die die Erde auf ihrem Rücken trug. Unser Freund hat ein überwältigendes Lebenswerk hinterlassen. Mitreißende Filme, epochale kunsthistorische Bücher und erinnerungswürdige Vorträge. Und wir blicken ungläubig, wie konnte so viel in das Leben eines einzigen Menschen passen? Wie ist jemand dazu fähig, allein 23 Jahre für „Die Tragödie des Menschen“ zu opfern? Schon allein die Entschiedenheit, mit der dies begann, und die Ausdauer, mit der er es zu Ende führte, ist bewundernswert. Doch ist das wahre Geschenk, ist die wahre Heldentat das Ergebnis selbst, dass jemand nach 23 Jahren ein Werk aus der Hand gibt, und sagen konnte, die darauf verwendeten Jahre, jeder einzelne Tag, jede damit verbrachte Minute und jeder dafür ausgefochtene Kampf haben sich gelohnt. Dieses Privileg erhalten nur jene, die verstehen, dass sie mit ihrer Arbeit Teil eines heiligen und erhebenden Dienstes sein durften. Sie sind es, denen der liebe Gott erlaubte, ihr Herz tatsächlich zu erheben, und neben unserer prosaischen Realität auch in einer Welt höherer Ordnung zu existieren. Dies steht über allen Anerkennungen unserer Welt, dem Geld, der Bestallung, dem Einfluss und der Macht. Auch uns selbst könnten wir nichts Schöneres und mehr wünschen, als das, was unserem Freund gegeben war.

Er spielte auf allen Instrumenten der Kultur, d.h. der Ewigkeit. Vielleicht fehlte ihm etwas. Aus einem Material zu schöpfen, das beharrlicher als der Film und die Buchstaben dem Vergehen der Zeit widerstehen kann. Man erzählt, er habe Imre Makovecz angeblich mehrmals unter die Nase gerieben, welches Glück dieser hatte, dass aus dem jungen Marcell Jankovics kein Architekt geworden ist. Doch dies erlaubte man ihm nicht, dazu erhielt er keine Erlaubnis von den sich für Halbgötter haltenden kommunistischen Mächtigen. Die in ihrer eigenen Zeit allmächtig zu sein schienen, aber im Lichte des königlichen Lebenswerkes von Marcell Jankovics höchstens kleine Könige sein konnten, und auch nur von der Art derer der Pfingstzeit. Ich habe auch mehrfach von ihm gehört, es sei die Aufgabe des Fahnenträgers, wenn niemand mehr die Flagge weiter hochhalten kann, das Tuch um seinen eigenen Körper zu wickeln, selbst zu einem Sinnbild und Symbol zu werden. Auch heute noch sehe ich meine Frau und die polnischen Mädchen vor mir, wie sie sich in Gdańsk bei der Vorbereitung auf die Messe von Johann Paul II. die Spruchbänder um ihre Körper wickelten, die später hochgehalten werden sollten, da man sie nur auf diese Weise einschmuggeln konnte, so die bis an die Zähne bewaffneten Wächter der Sturmtruppen der polnischen Polizei übertölpelnd.

Ob wir in den heutigen, von Schießpulver schwangeren Zeiten denen die Anerkennung und die Hochachtung geben, ob wir uns vor dem Mut und den Tugenden derer verneigen, die nicht in der ersten Reihe kniend feuern, sondern mit der um ihren Körper gewickelten Flagge unerschütterlich auf der aus ihrer eigenen seelischen Größe und ihrem Talent errichteten Anhöhe stehen? Als unsere Zeit gekommen war, habe auch ich es über lange Jahre hinweg nicht verstanden. Ich wartete darauf, dass er ausholt. Weit, stark, tief. Er solle sie in zwei Teile schneiden, oder wie seine Märchenhelden, zerfetzen, so wie man das mit ihm getan hatte, als man ihn verdrängte, beiseite stieß und mit ihren niederträchtigen Dolchen mit Freuden in Richtung seiner Herzgegend stieß. Als Ministerpräsident gab ich ihm dazu Eisen, Ofen, Salpeter, Blei und auch Waffenschmiede. Aber Nein und Nein. Ich habe weder das Knacken von Knochen noch das Reißen von Sehnen oder das Geräusch umfallender Körper gehört, und ich habe auch keine in dem Korb fallenden Köpfe gesehen. Und ich murrte immer mehr, ich war unzufrieden und ich drängte ihn: Worauf wartet er noch? Aber Nein und Nein. Es brauchte Jahre, bis ich begriff, dass ich vergeblich warte. Darauf warte ich vergebens. Er hatte eine andere Mission. Seine Mission war eine andere als die von Menschen meiner Art.  Seine Mission war es, zunächst mit der Fahne in der Hand, dann als in die Flagge eingewickelter Mensch uns zu zeigen, wofür wir kämpfen, was wir verteidigen müssen. Damit der Kampf nicht verhängnisvoll unsere Herzen härtet, damit wir auch wenn wir unsere Klingen auf das Schärfste kreuzen, in den härtesten Schlachten Menschen bleiben können, damit wir wissen, nicht der zu besiegende Gegner zählt, sondern jene und auch das, was hinter unserem Rücken ist, für die und für das wir in Wirklichkeit kämpfen. Es war sein Auftrag, uns darauf aufmerksam zu machen: Wir erringen vergeblich die Reihe unserer Siege, wenn wir nicht vorsichtig sind, wird unsere herrliche Kultur um uns herum versinken, so wie schon so viele als vital geglaubte Kulturen im Sumpf der Zeiten verschwunden sind. Und wofür haben wir dann gekämpft? Seine Mission war es, in die tiefsten Schichten der ungarischen Geisteswelt hinabzutauchen, vergessene Schätze zu bergen, sie zu säubern und uns zu übergeben. Ungar zu sein, auf Ungarisch zu sprechen war für ihn kein Zustand, sondern stellte einen Rang dar. Die ungarische Legendenwelt hat ihn nur begeistert, denn da schien seine Existenz als Ungar hindurch. Er wurde eins mit Johann dem Helden, dem Sohn der weißen Stute, Der Tragödie des Menschen und der Tragödie des ungarischen Menschen: Trianon. Er zeigte in der ungarischen Kultur das Universale und in der universalen Kultur das Ungarische auf. Er glaubte daran, dass die ungarische Kultur zu Recht Anspruch auf die Aufmerksamkeit der Welt erhebt. Unverfälscht in seiner Reinheit. Es fiel ihm nicht einmal ein, unsere Kultur entsprechend des Geschmacks der westlichen Welt umverpackt verdaubarer zu machen.

Sehr geehrte Trauernde!

Geboren zu werden, ist schwer. An unsere eigene Geburt können wir uns auch gar nicht erinnern. Dies ist eine kluge Anordnung der Dinge. Doch sehen wir, wenn die Mütter unsere Kinder auf die Welt bringen, so ist das schmerzhaft und schwierig. Sterben ist auch schwer. Und gut zu sterben ist es besonders. Aber uns, Christen, eilt der Herrgott zu Hilfe. Er verbindet bereits sehr früh in uns das produktive, arbeitsame, schöpferische Leben mit dem guten Tod. Wenn wir unsere Mission erfüllt haben, mit der wir im irdischen Leben angekommen sind, schont er uns davor, das Leben als ein Stürzen in die Sinnlosigkeit und den Tod als Vernichtung zu fürchten. Dreißig Jahre lernen, dreißig Jahre schöpfen, dreißig Jahre zurückgeben. Vorbereitung, Schöpfung, Zurückgeben. Das ist der Weg der Christen. Lernen, was möglich ist, erschaffen, wozu du fähig bist, und all das zurückgeben, was du erhalten hast. Wenn es gelingt, wirst du einen guten Tod haben, und du wirst erfüllt mit Leben von hier scheiden können. Die Mathematik soll uns nicht täuschen. Es soll uns nicht täuschen, dass der Kalender nur achtzig Jahre zeigte. Das waren auch neunzig oder vielleicht noch mehr. Mit beruhigtem Herzen können wir jetzt hier am Sarg stehen.

„Ich fürchte den Tod nicht, Ich bleibe ihm gegenüber stehen, Aber wenn er mich heimsucht, Gott, umarme mich.” Gott sei mit Dir, teurer Marcell! Gott sei mit Euch, Trauernde Familie! Gott sei mit uns, Trauergemeinde!