Viktor Orbáns Rede bei der Eröffnung des Hauses der Ungarischen Musik
22. Januar 2022, Budapest

Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Sehr geehrter Herr Parlamentspräsident, Herr Generaldirektor, Herr Direktor, meine Damen und Herren!

Der Bäcker kann jeden Tag neues Brot backen, doch der Architekt kann seinen Kunden nur empfehlen, Kletterpflanzen anzulegen, wenn ihnen das Endergebnis nicht gefällt, d.h. jedes neue Gebäude ist ein Risiko. Besonders in der heutigen Welt ist es das, in der die Architekten nicht mehr die alte, bewährte Formensprache der historischen Stile gebrauchen wollen. Das heißt, wir sind gespannt. Gespannt bis zum Ende. Die ganze Zeit der großangelegten Bauarbeiten hinweg sind wir gespannt. Erst der erste Blick auf das fertige Gebäude bringt die Beruhigung. In Fragen des Geschmacks gelingt es in schwierigen und nur seltenen Momenten zu einem Einverständnis zu kommen. Der heutige Augenblick ist ein solcher. Es scheint allgemeiner Konsens zu sein, dass Herr Fujimoto ausgezeichnete Arbeit geleistet hat. Lassen Sie mich ihm den Dank der ungarischen Menschen für seine Arbeit aussprechen. Und nicht nur dem Architekten, aber auch den Ausführenden, den General- und den Subunternehmern, den Meistern, den Arbeitern und den Hilfsarbeitern, also einem jeden, der es durch seine Arbeit ermöglicht hat, dass wir heute hier stehen können. Vielen Dank!

Hereinkommend ist mir auch noch eingefallen, dass wir das Gebäude durch einen japanischen Menschen haben entwerfen lassen, während wir es als Haus der ungarischen Musik vorgesehen haben. Warum ist es so, dass wir, Ungarn, uns in einem durch einen japanischen Geist erschaffenen Raum zu Hause fühlen? Vielleicht aus dem Grund, weil die Entfernung zwischen den beiden Völkern, den beiden Geistern, dem japanischen und dem ungarischen Genie doch nicht so groß ist, wie wir das aufgrund der Geografie annehmen würden. Denken wir nur an die wissenschaftlichen Anstrengungen der Verwandtschaftsforschung der 1930-er Jahre. Doch ist es auch eine mögliche Erklärung, dass dieses Gebäude seine Umwelt nicht vergewaltigen möchte, es gliedert sich eher harmonisch ein, passt sich an, harmonisiert, wird organisch. Und das ist für das ungarische Auge: schön. Diese Annäherung ist nicht nur der japanischen, sondern auch den hervorragendsten ungarischen architektonischen Traditionen ihr eigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Churchill mag gesagt haben: Erst formen wir unsere Gebäude, dann formen sie uns. Deshalb sollten wir auch ein bisschen über uns reden. Europa erlebt schwierige Zeiten. Epidemien, Völkerwanderungswellen folgen einander, die europäische Energiekrise haben wir hier im Nacken, auch die Brüsseler ideologische Druckausübung nimmt zu, während das politische, militärische, wirtschaftliche und kulturelle, leider auch das kulturelle Gewicht unseres Kontinents im Vergleich zu den anderen Teilen der Welt kontinuierlich abnimmt. Anderswo pflegen solche Institutionen wegen der Epidemie eher zu schließen, abgebaut zu werden und sich zurückzuziehen, während hier bei uns diese beeindruckende, neue Institution mit seiner starken kulturellen Ausstrahlung in seinem ganzen Glanz vor uns steht. Hinzu kommt noch, dass das Haus der Ungarischen Musik nicht alleine herumsteht, sondern Teil einer gewaltigen kulturellen Investition ist, d.h. wir sollten feststellen: Wir, Ungarn, befinden uns in einer kulturellen Expansion, Krise hin oder her. Aufgrund der zugänglichen frischesten Daten stehen die ungarischen Ausgaben für Kultur – zwar im Gleichstand – in der Europäischen Union an erster Stelle. 2010 befanden wir uns zwar im Mittelfeld, doch kam die nationale verfassungsmäßige Wende, und es gelang uns, im Laufe eines Jahrzehnts so schön wieder an die Spitze zurück zu klettern. Es ist eben ein wichtiger Bestandteil des Selbstbildes der Ungarn, dass wir eine Kulturnation sind.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten auch nicht vergessen, wie sich unsere politischen Gegner in der Angelegenheit der Erneuerung des Stadtwäldchens verhalten haben. Es ist überhaupt kein Zufall, dass der Herr Oberbürgermeister heute gerade woanders etwas zu tun hat. Die Versuchung ist gewaltig, uns Genugtuung zu nehmen. Denn angesichts dieses wunderschönen Gebäudes, der vollbesetzten Sitzreihen, die zahlreichen internationalen Anerkennungen, ist es sonnenklar: Wir hatten recht. Die linken politischen Arbeiter haben das verteidigt, was heruntergekommen, abgenutzt und unwürdig war, und sie waren gegen das, was schön, von Weltniveau und die Seele erhebend ist. Die Versuchung ist groß, doch ziemt es sich vielleicht doch nicht, dass wir uns am Tag der ungarischen Kultur mit der politischen Revanche beschäftigen. Auch ich tue das nicht. Soviel möchte aber doch aus mir heraus, wir sollten es nicht vergessen, dies nur verschieben, und ihnen – um stilgerecht zu bleiben – im April zum Tanz aufspielen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Begeben wir uns statt der Revanche lieber in ernsthaftere Gewässer. Es gibt prominente Orte der ungarischen Kultur. Das Stadtwäldchen ist so einer. Doch wurde es nicht immer seinem guten Ruf gerecht. János Arany schrieb z.B. 1877 folgendes darüber: „Wir passen als Paar gut zusammen: schäbiger Mensch, schäbiges Stadtwäldchen.” Es scheint, als ob weder Arany noch das Stadtwäldchen damals in einem allzu guten Zustand gewesen wären. Doch dann kamen, dann folgten die Entwicklungen zur Zeit des Millenniums: das Museum der Schönen Künste, die Kunsthalle, der Heldenplatz, das Verkehrsmuseum, die Burg Vajdahunyad, das Haus des Millenniums. Das schäbige Stadtwäldchen wurde auf einen Schlag zum Parnass der ungarischen Kultur. Nur kam dann der Weltenbrand und dann die mehr als vier Jahrzehnte des Kommunismus, und aus dem Parnass wurde wieder das schäbige Stadtwäldchen. Bei unserer Rückkehr im Jahr 2010 wollten wir, dass das Stadtwäldchen erneut zur Hochburg der ungarischen Kultur werde. So entstand das Stadtwäldchen Projekt, wenn ich solche Worte am Tag der ungarischen Kultur benutzen darf. Wie immer wir es auch nennen, das ist die größte kulturelle Investition Europas. Das neue Gebäude des Ethnographischen Museums, das bereits erneuerte Museum der Schönen Künste, das Haus des Millenniums und der Rosengarten, unweit von hier ist das Zentrum für Restaurierung und Lagerung der Ungarischen Museen untergebracht worden und wird dann das Verkehrsmuseum ein neues Gebäude erhalten, und so entstand auch der Ausstellungsraum der Sternenfestung von Komárom.

Es gehört sich, dass wir über jene hinaus, die die Arbeit verrichtet haben, auch Herrn István Tarlós unseren Dank aussprechen, unter dessen Oberbürgermeisterschaft die Investitionen beginnen konnten. Während seiner Zeit etablierte die Hauptstadt und die Regierung eine derart geölt funktionierende Zusammenarbeit, deren Früchte die Budapester auch noch nach langen Jahrzenten genießen werden, und auf die die gesamte ungarische Nation stolz sein wird. Wir danken Dir, István!

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Die ungarische Nation vergisst nie die Namen der Erbauer des Landes. Solche Landeserbauer haben uns die Kettenbrücke, das Parlament oder die Margaretenbrücke gegeben. Behinderer, Schwarzseher, Aufhaltende, das Land Zerstörende hat es immer gegeben, doch an ihre Namen erinnert sich niemand mehr, denn die ungarische Nation streicht sie einfach aus ihrer Erinnerung. Man muss auch darüber sprechen, meine lieben Freunde, dass das Stadtwäldchen Projekt in seiner gegenwärtigen Form eine halbfertige Verpflichtung, ein unvollendetes Werk, einen Torso darstellt. gerade deshalb erwarten wir es schon sehr, dass die ungarischen Wähler im April endlich einen Punkt an das Ende der Angelegenheit setzen und wir diese Diskussion abschließen können.

Und schließlich, meine Damen und Herren, setzen die europäischen politischen Debatten der Gegenwart die europäische Hochkultur, noch genauer dessen Sendung, in ein neues Licht. Globalisierung gegen christliche Grundlagen, Brüsseler Bürokratie gegenüber dem Nationalstolz, Einwanderung gegen Unterstützung der Familien, Genderpolitik oder Schutz der Kinder. Das ist kein West-Ost-Konflikt, sondern ein neuer West-West-Konflikt. Und infolgedessen droht – sprechen wir es aus – die kulturelle Entfremdung. Wir aber möchten Europa zusammenhalten. Wir müssen also auch etwas gegen die kulturelle Entfremdung tun. Deshalb müssen wir uns jetzt den klassischen Werten der Hochkultur zuwenden. Die Hochkultur kann vermitteln, fordert Respekt und Aufmerksamkeit in diesem Babylonischen Wirrwarr. Wenn es ein höheres Ziel gibt, das zu erreichen die Musik, die ungarische Musik hier auch mitinbegriffen, in der Lage ist, dann ist es gerade dies.

Ich danke Ihnen, dass ich mit Ihnen zusammen sein durfte! Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit! Ungarn geht vorwärts und nicht zurück, wie Sie es hören konnten.

Vorwärts Ungarn!