Viktor Orbáns Rede auf dem türkisch-ungarischen Geschäftsforum
9. Oktober 2018, Budapest

Ich wünsche Ihnen einen guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident Erdoğan!

Ich begrüße Sie alle recht herzlich. Gesondert begrüße ich auch Adnan Polat, den Vorsitzenden des Türkisch-Ungarischen Geschäftsrates. Wir haben spannende Verhandlungen hinter uns. Ich bedanke mich voller Respekt bei Herrn Präsidenten Erdoğan für die Offenheit und die Freundschaft, die er uns gegenüber im Laufe der Verhandlungen gezeigt hat. Ich erinnere an seinen Besuch im Jahre 2013, als er für die türkisch–ungarische wirtschaftliche Zusammenarbeit langfristige Ziele steckte, dabei ein bedeutendes Anwachsen des türkisch–ungarischen Handelsverkehrs vorschlagend. Damals sprachen wir über fünf Milliarden Dollar, gestern hielten wir auch bereits den Horizont von sechs Milliarden Dollar für erreichbar. Meine Wortmeldung ist eine Einleitung zur Rede von Herrn Präsident Erdoğan; ich möchte also einige kurze Gedanken über die westliche Hälfte Europas ausführen.

Sehr geehrte türkische Freunde!

Ein jeder spürt in der westlichen Welt, dass etwas in der Luft liegt. In der westlichen Welt sind die Sprache der Politik und auch die politische Auseinandersetzung rauer geworden, manchmal ganz brutal. Neue Technologien sind im Wettbewerb um die Macht erschienen, die sozialen Medien und die Erscheinung der auch die Regierungen erreichenden Welt der „fake news”. Ein großer Teil der europäischen Mittelklasse konnte in den vergangenen zwanzig Jahren nicht vorankommen. Hinzu kommt noch, dass sich große Menschenmassen unkontrolliert auf die Grenzen Europas hin bewegen. Und wir sehen auch, dass es nach dem früher herrschenden Geist, dem Zeitalter der globalen Regierung es Versuche zur Rückkehr zu den nationalen Rahmen gibt – in der westlichen Welt geht es hierum bei der Wahl des amerikanischen Präsidenten und auch beim Brexit selbst. Das heißt, wir hier haben das Gefühl, dass sich in der Welt Veränderungen von großer Tragweite abspielen, und das Grundgefühl jener Welt, in der wir Leben, die wir als die westliche Welt bezeichnen können, ist die Unsicherheit. Dies bestimmt sowohl die Stimmung des Geschäftslebens als auch jene des politischen Lebens. Dies stellt die Akteure der europäischen Politik und der europäischen Wirtschaft auf die Probe. Übereinstimmend wollen in Europa alle Sicherheit und Berechenbarkeit. Ein jeder führende Politiker sucht in Europa die Antwort auf die Frage, wie er seinem eigenen Volk Sicherheit und Berechenbarkeit bieten könnte.

Wenn Sie, liebe Türkische Gäste, auf Ungarn blicken, dann sehen Sie ein Land, das ebenfalls seinen eigenen Weg sucht. 2010 sind wir an die politische Macht zurückgekehrt, als Ergebnis der damaligen Wahlen. Wir haben damals eine Entscheidung getroffen, nach der wir über den Aufbau eines eigentümlichen ungarischen Modells Sicherheit und Berechenbarkeit für die ungarischen Menschen schaffen werden. Dieses ungarische Modell baut auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, auf Steuersenkungen und auf Lohnerhöhungen auf. Im vergangenen Jahr ist die ungarische Wirtschaft um mehr als 4 Prozent gewachsen, ihr Wachstum scheint stabil und nachhaltig zu sein, und ihre Grundlagen breit. Die Arbeitslosigkeit, die über dem Niveau von 11 Prozent im Jahre 2010 lag, beträgt heute etwas um die 3,5 Prozent. Ich sage es Herrn Präsidenten Erdoğan, dass in Ungarn das verkündete Ziel das Erreichen der Vollbeschäftigung ist, und davon sind wir nur noch eines Armlänge entfernt. Wenn Sie auf Ungarn schauen, dann wissen Sie vielleicht über uns, dass wir praktisch über keine natürlichen Ressourcen verfügen, wir keine industriellen Rohstoffe besitzen, kein Gas, kein Öl, keine Energiequellen haben. Was Sie hier in Ungarn sehen, diese phantastische Stadt, wenn Sie sie sehen, Budapest, wir haben sie dank unseres eigenen Wissens und unserer Arbeit erbaut; alles, was Sie in Ungarn sehen, ist ein Lob der Arbeit und der Leistungsfähigkeit des menschlichen Gehirns. Deshalb ist es für Ungarn eine Schlüsselfrage, dass wir wettbewerbsfähig sind, dass wir in unserer Wirtschaft offen und wettbewerbsfähig sind. Sie haben die Zahlen des Herrn Ministers hören können: Ungarn kann man heute schon als ein wettbewerbsfähiges Land ansehen, doch sage ich es Herrn Präsidenten Erdoğan, dass wir mit dem gegenwärtigen Zustand überhaupt nicht zufrieden sind. Die Wettbewerbsfähigkeit der ungarischen Wirtschaft muss radikal verbessert werden. Wir werden weitere wichtige Schritte unternehmen. Die ungarische Regierung wird bald einen großen Aktionsplan zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit annehmen, vielleicht schon in dieser Woche.

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ungarn besitzt bereits einen Haushalt für das Jahr 2019, was ebenfalls die Berechenbarkeit zu unterstreichen versucht, das heißt also, dass man schon lange vor dem Ende des Jahres die staatlichen Wirtschaftszahlen des kommenden Jahres kennen kann, deshalb können Sie wissen, dass im kommenden Jahr die Steuersenkungen fortgesetzt werden und wir mit einem bedeutenden Wirtschaftswachstum rechnen.

Sehr geehrter Herr Präsident!

Sicherlich ist auch Ihnen aufgefallen, dass nach 2010 die gegenwärtige Regierung noch bei zwei weiteren Anlässen eine sehr starke parlamentarische Ermächtigung erhalten hat, deshalb können wir sagen, dass in Ungarn die stabilste, seien wir bescheiden: eine der stabilsten Regierungen Europas zu finden ist. Wir halten es für ein Glück, dass auch die Türkei über ein stabiles Regierungssystem und einen führenden Politiker mit starker Ermächtigung verfügt. Wir hoffen, dass die wirtschaftliche Kooperation der stabilen Regierungen zu einem großen Erfolg führen wird. Im Hinblick auf die Türkei muss ich auch noch sagen, dass wir von vornherein Verbündete sind, denn beide Länder sind ja Mitglieder der NATO, die heute das engste militärische Bündnissystem der Welt ist.

Was die wirtschaftliche Zusammenarbeit angeht, auch ich möchte den türkischen Investoren, die in Ungarn erschienen sind und einige hundert Arbeitsplätze geschaffen haben, gratulieren. In Ungarn arbeiten mehr als tausend Menschen als Angestellte türkischer Firmen. Laut dem Bericht unserer Investmentagentur befinden sich gegenwärtig acht wichtige Projekte mit türkischer Relation im Stadium der Verhandlungen, und wir sind guter Hoffnung, dass als Ergebnis dieser es auch zu Investitionen im Wert von etwa einer halben Milliarde Dollar kommen wird. Unser Handelspotenzial ist außergewöhnlich. Wir sprechen über ein Land mit einer Bevölkerung von zehn Millionen Menschen, zugleich überstieg der Wert unserer Exporte im vergangenen Jahr die 100 Milliarden Euro. Wir stellen einen Export im Wert von 100 Milliarden Euro in einem Land mit zehn Millionen Einwohnern her! Ich möchte die hier anwesenden Firmen auf das Landeslimit der Eximbank aufmerksam machen, wir versuchen also den eine türkisch-ungarische Wirtschaftstätigkeit ausübenden Firmen besonders günstige Kredite anzubieten. Ich möchte die Anwesenden darauf aufmerksam machen, dass wir mit fünf Büros auf dem Außenmarkt in der Türkei arbeiten. Ich bitte Sie, sich vertrauensvoll an diese Büros zu wenden.

Sehr geehrter Herr Präsident!

Hier muss ich erwähnen, dass wir auch Mitglied eines großen, 500 Millionen Menschen umfassenden Marktes, der Europäischen Union sind und innerhalb dieser einem speziellen Bündnis angehören, das wir V4 nennen. Dies ist ein mitteleuropäisches Bündnis: Es beinhaltet Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn. Wenn diese vier Länder heute nicht Mitglieder der Europäischen Union wären, dann gäbe es heute in der Europäischen Union kein Wirtschaftswachstum. Und dies bedeutet, dass der Wachstumsmotor der europäischen Wirtschaft sich in Mitteleuropa befindet. Wer hier in Mitteleuropa ist, der befindet sich in der Mitte des Herzens des europäischen Wirtschaftswachstums. Deshalb mache ich Sie jetzt nicht nur auf Ungarn aufmerksam, sondern auf die gesamte mitteleuropäische Region. Das sind 64 Millionen Menschen. Sie in der Türkei sind mehr als 80 Millionen. Die Kooperation zwischen den beiden Regionen kann schon ein bedeutendes Wirtschaftspotenzial vertreten. Die Frage ist, wie wir unsere Zusammenarbeit organisieren können.

Und schließlich, sehr geehrter Herr Präsident, müssen wir auch an die Zukunft denken. Obwohl der Mensch gerne daran glauben möchte, dass er selbst die Dinge bis zum Ende der Zeiten verwalten wird, so wissen wir doch alle, dass die Chancen hierfür äußerst begrenzt sind, weshalb wir auch an die Zukunft denken müssen. Und die Zukunft bedeuten die Jungen. Deshalb freue ich mich, dass wir mit Herrn Präsidenten Erdoğan in der Frage immer übereingestimmt haben, dass die Freundschaft und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Völkern auch auf der Ebene der Jugendlichen aufgebaut werden muss. Ungarn verfügt über ein Stipendienprogramm. Wir haben der Türkei 150 staatlich finanzierte Stipendien angeboten, damit 150 türkische Jugendliche jedes Jahr nach Ungarn kommen, hier studieren, uns kennenlernen, Kontakte ausbilden, und später Botschafter der türkisch–ungarischen wirtschaftlichen und politischen Kooperation werden. Ich sehe mit Freude, dass um die 150 Stipendiatenplätze sich die Bewerbungen auf mehr als das Zweieinhalbfache beliefen. Dies bedeutet, dass dieses Programm eine Zukunft besitzt, wir werden es in jedem Jahr wiederholen. Und schließlich spreche ich Herrn Präsidenten Erdoğan auch dafür meinen Dank aus, dass Ungarn den Beobachterstatus in der Internationalen Türkischen Akademie erhalten hat und ab jetzt auch ungarische Forscher an der Arbeit dieser internationalen Institution teilnehmen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe türkische Gäste!

Ich hoffe sehr, dass nicht nur unsere Worte, sondern auch das, was Sie persönlich gesehen haben, Ihr Interesse für Ungarn erweckt hat. Ich bitte die anwesenden türkischen Geschäftsleute, den guten Ruf Ungarns in die Welt hinauszutragen. Erzählen Sie es überall in der Türkei, dass man Sie hier gerne sieht. Ermuntern Sie die Akteure des türkischen Geschäftslebens, nach Mitteleuropa zu kommen, hier ihr Glück zu versuchen, denn hier können Sie mit guten wirtschaftlichen Aussichten Unternehmungen starten. Und zum Abschluss danke ich Herrn Präsidenten Erdoğan respektvoll dafür, dass er schon seit langen Jahren die Tätigkeit der türkischen Geschäftsleute in Ungarn unterstützt und die Entscheidungen seiner Regierung es ermöglichen, dass auch ungarische Geschäftsleute in der Türkei investieren und Handel treiben können.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!