Viktor Orbáns Presseerklärung nach seiner Unterredung mit Irakli Gharibaschwili, dem Ministerpräsidenten von Georgien
27. Oktober 2022, Budapest

Guten Tag, meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich begrüße recht herzlich den Herrn Ministerpräsidenten und die Mitglieder der georgischen Delegation. Der Presse sage ich, dass wir gestern Abend bereits ein langes Gespräch unter vier Augen geführt haben, dem heute offizielle Verhandlungen folgten. In Ungarn besteht ein starkes positives Vorurteil gegenüber Georgien, also besitzen unsere Verhandlungen ausgezeichnete kulturelle Ausgangsgrundlagen. Die beiden Länder liegen zwar in weiter Entfernung voneinander, denn hier sind wir in den Karpaten und sie im Kaukasus, doch unsere geopolitische Lage zeigt viele Ähnlichkeiten. Und für einen Ungarn ist es nicht schwierig, den Leitfaden der georgischen Geschichte zu verstehen und für einen Georgier ist es auch nicht schwierig, den Leitfaden der ungarischen Geschichte zu verstehen. Beide sind wir über eine große Kultur, große kulturelle Traditionen, über eine unikale Sprache verfügende Nationen, die diese Kultur und diese Sprache umgeben von Völkern, die größer als sie es sind, aufrechterhalten müssen. Ich sagte auch dem Ministerpräsidenten, wenn man einen Ungarn fragt, warum er auf der Welt ist, da gibt es die einfache Antwort darauf, darum, weil jemand die ungarische Sprache und die ungarische Kultur auch dann fortsetzen muss, wenn wir in der großen Politik auf Istanbul, Berlin und Moskau achten müssen. Und das ist unsere Mission, das ist unsere Sendung, dass diese Kultur, dass diese Sprache niemals verlorengeht. Von hier aus ist es leicht, auch die Geschichte und die Mission der Existenz Georgiens zu verstehen. Wenn wir heute in der europäischen Politik normale Zeiten erleben würden, dann würden wir heute eine große Feier abhalten, denn jetzt haben wir den dreißigsten Jahrestag der neuzeitlichen Kontaktaufnahme der beiden Nationen. Da wir heute aber keine normalen Zeiten haben, sondern wir unser Leben inmitten einer beispiellosen Sicherheits-, Wirtschafts- und Energieversorgungskrise leben, haben wir jetzt anstatt zu feiern lieber Gespräche geführt.

Ich führe kurz aus, zu welchen Ergebnissen wir gelangt sind. Zunächst einmal stelle ich mit Freuden fest, dass unsere Standpunkte sehr nah zueinander sind, wenn es um die Geopolitik, die Frage von Krieg und Frieden geht. Wir, Ungarn, wollen im ukrainisch-russischen Krieg einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen – so schnell wie möglich, und das ähnelt sehr der georgischen Annäherung. Die andere wichtige Frage, über die wir verhandelt haben, sind die Aspirationen des Herrn Ministerpräsidenten und seiner Leute in Bezug auf die Europäische Union, denn sie würden gerne Mitglied der Europäischen Union und Teil der europäischen Integration werden. Hier wissen wir alle, dass unlängst in Brüssel eine sehr schlechte Entscheidung gefällt worden ist, eine diskriminierende Entscheidung, als wir den Status eines Beitrittskandidaten der Moldau und der Ukraine verliehen haben, diesen Status aber nicht Georgien gegeben haben. Das ist eine unerklärliche, moralisch unvertretbare und auch schädliche Entscheidung. Unsere Gäste haben durch ihre Arbeit der letzten Jahre den Beitrittskandidatenstatus verdient und so eine europäische, so eine Brüsseler abweisende Entscheidung ist eine Respektlosigkeit gegenüber den georgischen Menschen und der georgischen Nation. Was können wir in dieser Situation tun? Wir unterstützen auch weiterhin den möglichst raschen Beitrittskandidatenstatus, wir unterstützen die EU-Mitgliedschaft Georgiens, wir stellen ihrer Regierung Experten: Sechzehn Ungarn arbeiten in der georgischen Beobachtungsmission der Europäischen Union und wir entsenden regelmäßig Experten, um die Vorbereitung auf die Unterredungen zu unterstützen.

Doch war das wichtigste Thema, über das wir sprachen, die Frage der Energie. Ich möchte die ungarische Öffentlichkeit darüber in Kenntnis setzen, dass sich eine großangelegte, neue energetische Zusammenarbeit abzeichnet, an der wir, Ungarn, ein besonderes Interesse besitzen. Wir möchten ein neues, gewaltiges Elektroenergieleitungsnetz schaffen, dessen Wesen darin besteht, die Energie aus Aserbaidschan durch Georgien und Rumänien nach Ungarn zu bringen. Dadurch könnten wir Erdgas in großer Menge ersetzen, Erdgas, das wir heute im Übrigen zur Herstellung von elektrischer Energie in Ungarn nutzen. Wenn wir diese elektrische Energie in unmittelbarer Form erhalten könnten, dann wären wir den Kauf und die Nutzung von Gas los. Ich stelle mit Freuden fest, dass der Herr Ministerpräsident dieses Programm voll und ganz unterstützt, dies ist hinsichtlich der Interessen Ungarns eine Schlüsselfrage. Es ist unsere Überzeugung, dass man die Energiekrise und die hohen Energiepreise auf die Weise überwinden, über sie hinwegkommen kann, wenn wir möglichst viel Energie auf das Gebiet der Europäischen Union einführen. Man kann es auch mit Regulierungen versuchen, doch ich denke, dass diese zu keinem Ergebnis führen oder wenn sie es doch tun, dann nur kurzfristig. Eine langfristige Lösung ist, wenn aus möglichst vielen Richtungen möglichst viel Energie auf den europäischen Kontinent gelangt. Dies, das heißt das angewachsene Angebot kann die Preise senken, was ein elementares Interesse Ungarns ist, denn Ungarn kämpft gegen die Inflation, die zu einem ansehnlichen Teil wegen der hohen Energiepreise entsteht.

Abschließend möchte ich Sie darüber informieren, dass wir mit dem Herrn Ministerpräsidenten darüber übereingekommen sind, dass wir im kommenden Jahr eine gemeinsame Regierungssitzung abhalten werden. Es wird eine georgisch-ungarische gemeinsame Regierungssitzung in ihrem Land geben, der das Treffen der Fachminister vorausgehen wird, die dann diese gemeinsame Regierungssitzung vorbereiten werden, auf der wir der wirtschaftlichen Zusammenarbeit der beiden Länder einen großen Schwung geben möchten.

Ich möchte mich auch vor der ungarischen Öffentlichkeit bei dem Herrn Ministerpräsidenten dafür bedanken, dass er Ungarn besucht hat. Das ist für uns eine große Ehre, dass er hier ist. Wir bedanken uns, dass wir hier verhandeln durften und er seine Zeit mit uns verbracht hat. Wir wünschen Georgien, seiner Regierung und auch dem georgischen Volk viel Erfolg!

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!