Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
15. Oktober 2021

Katalin Nagy: Jetzt kommen aus Rumänien Nachrichten, wie im vergangenen Jahr im Frühling aus Bergamo, Italien, dass die an Corona Erkrankten auf den Krankenhausfluren zu finden sind, und es gibt keinen Platz. Gut, dass wir das in Ungarn nicht durchmachen müssen. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán! Aber ich denke, wir können uns doch nicht zurücklehnen. Gibt es noch über den nüchternen Verstand hinaus eine neuere Idee, um die Impfgegner zu überzeugen?

Tatsächlich, die vierte Welle umzingelt Ungarn langsam. Von Osten her auf alle Fälle, die Lage ist in Rumänien alarmierend, dort sind die Krankenhäuser voll. Wir kämpfen gegen einen gemeinsamen Feind, gegen ein Virus. Wir haben auch bisher Beatmungsgeräte und Medizin gegeben. Jetzt aber, da die Krankenhäuser dort voll sind, haben wir beschlossen, der Bitte der Rumänen zu entsprechen, und in zwei grenznahen Krankenhäusern übernehmen wir vorerst 50 Kranke von ihnen und versorgen sie. In Rumänien beträgt der Grad der Durchgeimpftheit 29 Prozent, in Ungarn ist es 59 – das ergibt den Unterschied. Wenn wir uns erinnern, dann gab es im vergangenen Jahr zu dieser Zeit dreimal so viele aktiv Infizierende als jetzt, und es lagen zweimal so viele Menschen in den Krankenhäusern als heute. Dies bedeutet, dass die Impfung funktioniert. Der Anteil der geimpften Menschen, die erkranken, liegt unter 1 Prozent. Ich versuche mit gutem Beispiel voranzugehen. Ob wir noch einen Trick im Hemdsärmel haben? Das fragen Sie. Ich versuche den Menschen gut zuzureden, dass sie der vierten Welle nicht werden entgehen können. Und diese Variante, die gerade jetzt in Europa attackiert, ist viel aggressiver als die frühere, sie trägt den Namen Delta. Jene, die sich noch nicht haben impfen lassen, sollten also nicht davon ausgehen, welchen Gefahren sie vor einem Jahr ausgesetzt waren, sondern sie müssen davon ausgehen, dass diese Gefahr viel größer ist als jemals zuvor. Das ist ein eine schwerwiegende Erkrankung verursachendes Virus, das sie finden wird, deshalb bitte ich sie, nichts zu riskieren. Darüber hinaus, dass wir sie zu überzeugen versuchen – ich gebe es ehrlich zu, mit keinem besonders großen Erfolg –, versuchen wir mit einem guten Beispiel voranzugehen. Auch ich werde, nicht wahr, am Ende der Woche meine dritte Impfung erhalten – ich sage es einem jeden: Die dritte Impfung ist so viel wie eine Lebensversicherung.

Die Ungarische Akademie der Wissenschaften hat eine Mitteilung veröffentlicht. Sie versuchen es auch noch einmal, das gleiche, was Sie auch Woche für Woche wiederholen, zu sagen, dass es keine andere Lösung gibt als die Impfung, doch in geschlossenen Räumlichkeiten, sagen wir, auf den öffentlichen Verkehrsmitteln sollten wir eine Maske tragen, denn auch die ist etwas wert.

Das ist sicher so, und es ist auch gut, wenn die Menschen eine Maske in ihrer Tasche haben, auch ich habe immer eine bei mir, und wenn wir, wenn ich den Eindruck habe, man sollte sie aufsetzen, denn ich könnte infiziert werden, und wir sehr viele Menschen an einem geschlossenen Ort sind, oder ich könnte jemanden anstecken, dann setze auch ich sie auf. Ich bitte einen jeden, dies zu bedenken, doch sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, die Maske würde uns schützen. Die Maske schützt uns nicht. Eine einzige Sache hat sich bisher als erfolgreich erwiesen, und das ist die Impfung. Wenn also jemand seinen Lieben deren Sicherheit und auch sein eigenes Leben garantieren möchte, dann bitte ich ihn, sich die erste, die zweite und dann auch die dritte Impfung verabreichen zu lassen.

Haben wir genug Impfstoff?

Im Sommer haben wir uns vorbereitet, wir haben also alles: Impfstoff, Krankenhausbetten, Beatmungsgeräte, Medizin, Pfleger, Ärzte, das Land hat sich also im Sommer darauf vorbereitet, auch mit einer sehr starken Welle im Herbst umzugehen, ohne dass das Wirken des Landes gestoppt werden müsste. Wenn die Impfung funktioniert, dann funktioniert auch das Land. Wenn ich die Zahlen des vergangenen Jahres mit denen von diesem Jahr vergleiche, dann ist deutlich ersichtlich, dass diese vierte Welle vorerst in Ungarn noch nicht das Niveau erreicht hat wie in zahlreichen anderen Ländern, z.B. in Rumänien.

Der Außenminister hat berichtet, Ungarn könne vielleicht schon in diesem Jahr die Sputnik-Technologie erhalten, und wenn im kommenden Jahr die ungarische Impfstofffabrik die Arbeit aufnehmen könnte, wäre es möglich, die Produktion damit zu beginnen. Wir wissen ja, dass in Serbien so eine Probeproduktion bereits begonnen hat. Besteht hierin eine Möglichkeit für die ungarische Gesundheitsindustrie?

Der Außenminister hat im Allgemeinen Recht, und ich verstehe seine Überlegungen, denn wir haben ihm die Aufgabe überantwortet, die gesamten Kapazitäten der Fabrik – bis diese die Arbeit aufnimmt – auch mit internationalen Bestellungen auszulasten. Es ist nicht gut, wenn wir eine Fabrik haben, und sie arbeitet nicht, da es kein Produkt gibt, das man auf dem Markt verkaufen könnte. Doch gibt es für mich auch noch einen wichtigeren Gesichtspunkt, und das ist der ungarische Impfstoff. Darüber sprechen wir wenig. Ich gehöre noch zu jenen, zu jener Generation, die nicht gerne das Endergebnis eines Fußballspiels vorwegnimmt. Es macht mich vollkommen nervös, wenn die Kommentatoren in der 67. Minute des Spiels darüber spekulieren, was wäre, wenn das Ergebnis so bleiben würde…

Ich glaube, auch anderen geht es so.

Ich sage es also ganz ehrlich, reden wir dann am Ende des Matches darüber. Wie kommt das hierher? Es kommt hierher, da es ein anderes Spiel, keine Sportveranstaltung, sondern eine wissenschaftliche gibt. Auch die Ungarn, wir, die Ungarn, versuchen einen Impfstoff zu entwickeln. Wir stehen nicht schlecht damit, bis zu einem bestimmten Abschnitt sind wir bereits gekommen, wir haben also die besten Aussichten, über einen Impfstoff eigener Entwicklung verfügen zu können. Und wenn wir über einen selbst entwickelten Impfstoff verfügen, dann könnte er – warum sollte das nicht möglich sein, denn Katalin Karikó ist das anspornende Beispiel – mindestens so gut sein wie der Impfstoff der anderen, eventuell noch besser, und dann können wir den unseren herstellen, und wir können den unseren verkaufen. Doch können wir das nicht mit Sicherheit wissen, deshalb hat der Außenminister Recht, wir sollten uns auf die Herstellung unseres eigenen Impfstoffs vorbereiten, doch dabei sollte es zugleich Bestellungen für anderswo entwickelte Impfstoffe geben, damit unsere Fabrik dann arbeiten kann. Diese ganze Sache beginnt sich zusammenzufügen, und in die richtige Richtung voranzuschreiten.

Der Chefberater für Fragen der inneren Sicherheit, György Bakondi, formulierte dahingehend, Europa sei jetzt schon umschlossen von Wirtschaftseinwanderern, von Migranten, der Druck nimmt auf allen Routen zu, auf dem Landweg, auf dem Meer, im Westen und im Osten. Warum ist das so, dass man in Brüssel trotzdem darüber spricht, dass man die Frage der obligatorischen Quote wieder aufwärmen müsste, und jedes Land müsste mehr als 40 tausend Menschen aufnehmen?

Der simple Grund dafür ist, dass die Brüsseler bzw. die Westeuropäer sich selbst nicht vertrauen. Dort werden also wenige Kinder geboren, auch hier werden wenige Kinder geboren, doch hat man dort die Hoffnung aufgegeben, dass die Frauen und Männer ihrer eigenen Nation dieser demografischen Krise Herr werden könnten. Und sie sagten: „Wenn es eben nicht geht, wenn nicht genügend Kinder geboren werden, deutsche, belgische oder französische, dann muss man die fehlenden ergänzen, wenn ein deutsches Kind fehlt, dann wird an seiner Stelle ein afrikanisches gut sein oder ein asiatisches, ein Stück statt des anderen, am Fließband ist das eine so gut wie das andere.“ Das ist eine Denkweise, die einem ungarischen Menschen doch den Atem verschlägt, also nur jetzt, wo ich diese Sätze ausgesprochen habe, hatte auch ich das Gefühl, dass diese so brutale Sätze sind, doch ist dies die Wahrheit, sie haben also aufgegeben. Sie denken, ihre Welt sei im Weiteren auch biologisch nicht mehr in der Lage, sich aufrechtzuerhalten, man müsse Menschen von außen hereinbringen. Und wir kämpfen. Wir sind der Ansicht, denn das lese ich aus allen Erhebungen heraus, meine Treffen mit Jugendlichen bringen mir die Erfahrung nahe, dass die ungarischen Jugendlichen Kinder haben möchten, und zwar mehr Kinder als geboren werden. Und hieraus ziehe ich die Schlussfolgerung, dass wenn es gelingen würde, jene Hindernisse zu beseitigen, wegen derer schließlich weniger Kinder geboren werden, als die Jugendlichen eigentlich haben wollten, dann könnte sich in Ungarn diese Art von Gleichgewicht wieder einstellen, und dann bräuchten wir keine Migranten und Einwanderer.

Aber warum will man sie uns aufzwingen? Sie sehen es so, und wir sehen es anders.

Weil das aus dem westlichen Hochmut entspringt, dort gibt man sich nicht damit zufrieden, erfolgreich zu sein – wobei in letzter Zeit auch dies ernsthaften Herausforderungen begegnete –, sie bestehen auch darauf, dass sie Recht haben. Es findet sich also in der Brüsseler Denkweise etwas, was aus unseren Köpfen fehlt. Es reicht ihnen nicht, wenn sie frei sind und so leben können, wie sie es möchten, und solche Entscheidungen treffen können, die ihr eigenes Volk wünscht, sie wollen auch, dass ein jeder anerkennt, ihre Entscheidungen seien die einzig richtigen, und diese sollen alle nicht nur anerkennen, sondern danach auch übernehmen. Man will uns also sagen, wie wir leben sollen. Und je größer ein Land ist, das so denkt, eine desto größere Gefahr stellt es für uns dar. Die Wahrheit ist – reden wir geradeheraus –, dass die Deutschen unsere Freunde sind. Wir haben viele schöne Jahre mit ihnen gemeinsam durchgemacht; wenn wir Fehler gemacht haben, haben wir auch häufig zusammen die Fehler begangen, es gibt also – besonders mit den Bayern – eine freundschaftliche Nähe oder ein freundschaftliches Gefühl. Doch ist es in Europa immer die große Frage, was Deutschland will? Will es ein europäisches Deutschland, welches akzeptiert, dass es in Europa viele Völker, also viele verschiedene Lösungen für die gleiche Frage gibt, oder wollen sie ein deutsches Europa, wenn sie sagen, wie Europa zu sein hat. Und wenn ich die unlängst vergangene Zeit betrachte oder wir die letzte Zeit überblicken, dann ist das, sagen wir in der Frage der Migration, ein deutsches Europa. Sie wollen also erreichen, dass wir das, was sie machen, als die beste Lösung anerkennen, und danach, wenn dies die beste Lösung ist, auch sofort übernehmen. Jetzt ist dies von den ungarischen Lebensinstinkten, dem System der Instinkte, der Weltauffassung so weit entfernt wie der Nordpol vom Südpol. Wenn man uns also etwas aufschwatzen will, dann reißt sich der Ungar in dem Moment zusammen, wird steif und widersteht. Auch wir organisieren den Widerstand. Also viele Davids organisieren sich gegen Goliath. Jetzt haben zwölf Länder gemeinsam einen Brief verfasst, in dem wir niedergeschrieben haben, anstatt uns erneut mit obligatorischen Quoten vollzubomben, denn diese werden wieder auf die Tagesordnung gesetzt, welche Schritte man stattdessen unternehmen müsste, um die Außengrenzen Europas zu verteidigen. Während also aus dem Westen der Druck auf uns ausgeübt wird, versuchen wir hier in Mitteleuropa, die Österreicher mit inbegriffen und auch noch die Griechen, also jene, die in der wegen der Migration sich in Problemen befindenden Zone Europas leben, zu organisieren, sie organisieren sich auch, und wir wollen gegenüber der Konzeption des deutschen Europas ein Gegengewicht bilden.

Demnach wird es einen Sinn haben, wenn die kleinen Davids zusammen auftreten? Dies ist aus dem Grund interessant, denn jetzt macht sich die Europäische Union um die litauische Grenze Sorgen. Interessanterweise macht sich die Europäische Union um die Südgrenzen, wegen der serbisch-ungarischen Grenze keine Sorgen.

Seien wir positiv, und sagen wir, dies ist so, weil sie uns vertrauen, und sie denken, wir können unser Problem auch allein lösen.

Natürlich, aber vor sechs Jahren sagten sie, wir sollten den Zaun abbauen.

Ja, aber es war immer so. Wir führen jetzt kein historisches Gespräch, aber wenn jemand die ungarische Geschichte überblickt, dann war es immer so, dass wenn das Übel aus dem Süden kam, da halfen uns die Westler nicht, uns zu verteidigen, sondern sie dachten sich aus, Ungarn solle eine Pufferzone sein, damit sie bequem und in Sicherheit leben können. Denn wenn die Probleme auf dem Gebiet Ungarns auftreten, wenn es die Kriege hier gab, so war das im Fall des Ottomanischen Reiches, im Fall der Russen, wenn es die Probleme hier gibt, dann bedeutet das, dass das Übel nicht zu ihnen gelangen kann, und dann können sie ihr bequemes Leben fortsetzen. Deshalb haben sie uns der Sowjetunion hingeworfen, deshalb haben sie uns nicht gegen die Türken geholfen, sie wollten aus Ungarn eine Pufferzone machen. Darüber spreche ich dann gar nicht, dass als es mit Ach und Krach gelungen war, die Türken hinauszudrängen, haben sie, unter Hinweis darauf, dass wir dazu nicht in der Lage gewesen waren – wie hätten wir das auch sein können, haben sie uns doch allein gelassen –, die von den Türken zurückgenommenen Gebiete unter ihren eigenen Aristokraten als Kriegsbeute verteilt und sie nicht den alten ungarischen Eigentümern zurückgegeben. Wir besitzen also eine Erfahrung damit, wie man in Westeuropa über Mitteleuropa denkt, deshalb kann Mitteleuropa nicht mit ihrem guten Willen rechnen. Es ist gut, wenn es so einen guten Willen gibt, es ist auch gut, wenn wir ihn erlangen können, mit geschickter Diplomatie kann man das auch erreichen, doch muss sich Mitteleuropa entlang seiner eigenen Interessen organisieren, denn außer uns ist ein erfolgreiches Mitteleuropa in niemandes Interesse.

Ja, aber da sind doch die Erfahrungen, da ist die Wirklichkeit. Sie sehen, dass die seit sechs Jahren sich vollziehende massenhafte Migration nicht das Ergebnis mit sich gebracht hat, was sie erwartet hatten, es arbeiten nicht so viele Migranten, wie man erhofft hatte. Der Großteil der Gesellschaft kann die Sitten und die Kultur des anderen nicht akzeptieren. Da ist also dieser Widerspruch, und sie sehen es trotzdem nicht ein.

Das Eingestehen eines Fehlers würde Großzügigkeit, geistige, intellektuelle und seelische Großzügigkeit benötigen. Heute fehlt dies in der Weltpolitik im Allgemeinen, und in der europäischen im Besonderen. Heute baut jeder einen Zaun, ja heute freut sich jeder darüber, dass Ungarn den Zaun gebaut hat. Nie hat auch nur ein einziger europäischer führender Politiker gesagt: „Ihr hattet vor sechs Jahren Recht, wir waren ungerecht zu Euch, es war falsch von uns, Euch zu attackieren, und wir bitten Euch als Freunde, verzeiht uns dies, denn der Freund ist deshalb ein Freund, weil er auch die Fehler des anderen akzeptieren kann.“ Diese Art zu sprechen gibt es nicht, sie ist aus der Mode gekommen, die Großzügigkeit ist nicht Teil der europäischen Politik.

Es gibt hier eine andere sehr wichtige Frage. Wir sehen, wie im westlichen Teil der Europäischen Union die Preise, die Nebenkosten in einem erschreckenden Maß ansteigen. Kann man in Ungarn verhindern, dass die hohen Energiepreise auch unser Land erreichen?

Wenn die Hörer sich an die ersten Jahre der 2010 beginnenden bürgerlichen, christdemokratischen Regierung zurückerinnern – es ist zwar lange her –, dann gehörte zu den ersten Schlachten der Kampf um die Nebenkosten mit Brüssel. In Ungarn gab es ja in den 2000-er Jahren, die die unter der Leitung der Linken verbrachten Jahre bedeuten, eine Praxis, dass die großen internationalen Multifirmen, die im Übrigen auch einen Teil der Stromdienstleister und auch noch einen der Stromerzeuger gekauft haben – denn die linken Regierungen hatten sie verkauft –, die Regierung darum baten, ihre Preise erhöhen zu können, da die Lage auf dem Markt dies erfordere, und dann hat die Gyurcsány-Bajnai-Regierung diese Erlaubnis auch etwa fünfzehnmal erteilt. Und die Preise waren im Himmel. Hieran kann sich vielleicht jener erinnern, der damals schon einen eigenen Haushalt führte und Kinder hatte, also die Nebenkosten waren im Himmel. Und dann haben wir 2010, als eine bürgerliche Regierung kam, entschieden, dass man dem ein Ende setzen müsse. Das war eine große Schlacht. Es dauerte Jahre, bis es uns gelungen war, unseren Willen durch die in Ungarn tätigen Multis und die sie im Übrigen bis zum Letzten verteidigenden Brüsseler Bürokraten akzeptieren zu lassen. Aber diese Schlacht haben wir gewonnen, und wir haben eine Regelung der Nebenkosten in Ungarn eingeführt, die die Kosten für das Gas und den Strom festlegte. Dem war es zu verdanken – ich habe einige Daten herausgesucht –, dass in Wien der Strom mehr als Doppelte dessen kostet wie in Budapest, und die Berliner bezahlen dreimal so viel wie wir. Die gleiche Situation liegt beim Gas vor, in Berlin beträgt der Gaspreis das Doppelte des Budapester Preises, und in Wien das Dreifache. Um ein Beispiel aus weiterer Entfernung zu nennen: In Schweden muss man das Achtfache des Budapester Gaspreises zahlen. Wir haben also einen erfolgreichen Kampf ausgefochten, wenn sich auch der Marktpreis nach oben bewegt, so wie im vergangenen Zeitraum, so schützt uns dieser festgelegte Preis. Das erkläre ich immer im Parlament den linken Abgeordneten, dort, der Gyurcsány’schen Stoßtruppe, sie sollten nicht die Einführung des Marktpreises fordern. Sie bringen das ständig vor, wir sollten den Marktpreis hinsichtlich der Gas- und Stromversorgung einführen. Wenn wir dies machen würden, dann würde heute eine durchschnittliche ungarische Familie ungefähr um 380-400 tausend Forint mehr jährlich zahlen, monatlich etwa um dreißig und einige tausend Forint mehr. Man muss also meiner Meinung nach das Ergebnis des Kampfes um die Nebenkosten verteidigen. Nun konnte man bereits vor einem halben Jahr wissen, dass die Preise auf dem Weltmarkt anzusteigen beginnen würden. Brüssel hatte ein halbes Jahr, um sich darauf vorzubereiten. Sie haben nichts getan. Und jetzt, anstatt im Übrigen ihren Fehler zuzugeben – ein Kommissar namens Timmermans leitet diesen Teil der EU – und zu sagen, „da gibt es zum Beispiel das gute ungarische Beispiel, schützen wir unsere Bürger, unsere Staatsbürger vor den hohen Preisen“, legen sie noch eins drauf. Sie bereiten sich jetzt also in Brüssel darauf vor, dass das gegenwärtige Übel nicht ausreicht, sie wollen im Fall des Stroms und des Gases und auch im Fall der Kraftstoffe die Preise noch weiter erhöhen – mit der Begründung, dass man den Klimaschutz durchführen muss. Wir, Ungarn, stimmen dem zu, der Klimaschutz ist also eine gute Sache, dieser Kampf muss geführt werden, aber man muss das so machen, dass den Preis und die Kosten dafür die das Klima zerstörenden, großen, internationalen Firmen zahlen und nicht die Bevölkerung. Jetzt will man mit der Einführung eines komplizierten Systems jene Menschen und Familien besteuern, die ein eigenes Auto und eine eigene Wohnung besitzen. Jetzt widerstehen wir dem. Jetzt sind wir gerade mit den V4 in einer „Verschwörung“, hier in Budapest, und wir haben besprochen, dass wir auf dem in der nächsten Woche fälligen europäischen Gipfeltreffen keinesfalls Beschlüssen zustimmen werden, die die Preise für den Strom und das Gas weiter anheben würden.

Es wird ja schon seit langem darüber gesprochen, dass es über die Zukunft Europas im Grunde eine gesamtgesellschaftliche Konsultation gibt. Ich habe gelesen, man habe bereits auch dreitausend Konferenzen zu diesem Themenkreis abgehalten und man sammle die Ideen, wie man die Zukunft Europas schöner und besser gestalten könnte. Man fragt sich aber doch, über was für eine Zukunft gesprochen wird, wenn wir weder die Grenzen verteidigen noch für Energiesicherheit sorgen können. Ich höre gerade, die niederländische Rutte-Regierung wisse bereits im Voraus, dass es im Winter Probleme geben wird und es nicht ausreichend Gas gebe, und dann ist sein bester Vorschlag, man solle abends zu Hause in der Wohnung, bitte schön, einen zusätzlichen Pullover anziehen. Sagen wir, das wäre auch mir eingefallen.

Auch meine Frau sagt das, man müsse nicht die Heizung aufdrehen, sondern einen weiteren Pullover anziehen, doch ist das nicht zu erwarten, dass dies zur allgemeinen Lösung wird.

Das ist doch keine Strategie, nicht wahr?

Ja, und wir sind auch nicht alle gleich, und das müssen wir auch beachten. Also schauen Sie, ich kann sagen, heute hat sich in den westeuropäischen Ländern eine Kultur herausgebildet, in der man von den gewählten Politikern, deren Verantwortung für den Zustand und das Schicksal ihrer Länder im Übrigen besteht, nicht erwartet, eine Richtung vorzugeben, Vorschläge zu machen, zu führen, sondern man erwartet von ihnen, dass sie die Arbeit der Institutionen wie das Parlament, die Kommission, alle möglichen Körperschaften und Organisationen leiten, so vor sich hin managen. Das ist ein netter Gedanke. Denn in Westeuropa geht man davon aus, dass ein starker Führer auch zu Problemen führen könnte, und dort hat es auch schon genügend Probleme daraus gegeben, also ist ein schwacher Führer besser. Und darin steckt auch etwas Wahrheit. Es erscheint als kein allzu sympathischer Gedanke, aber ich verstehe ihn, denn darin steckt im Allgemeinen etwas Wahrheit und dann, wenn die Dinge gut laufen. Aber wenn die Dinge schlecht laufen und neue Erscheinungen auftreten, zum Beispiel hat sich in Ungarn der auf uns lastende Migrationsdruck an der serbischen Grenze verdreifacht, dann kann man im traditionellen Hamsterrad gehend keine Lösung finden, dann ist eine Entscheidung notwendig, eine Parlaments-, Regierungsentscheidung oder die des Ministerpräsidenten, die aussagt, dies wird so und so und so geschehen. Mit Blumensträußen, Plüschbären, mit Empfangskomitees der Kommission zum Beispiel kann man die Grenze gegen die Migranten nicht schützen, denn sie greifen gerade – ich sehe die täglichen Berichte – die Polizisten und die Soldaten an, denen wir Dank für die Verteidigung der Grenze schulden. Aber irgendjemand muss es aussprechen, dass die die Grenze attackierenden, den Zaun überwinden wollenden Migranten aufgehalten werden müssen. Man kann also nicht einfach Institutionen so vor sich hin managen, sondern man muss sagen: „Meine Herren, es ist unsere Erwartung an unsere Polizisten und Soldaten, dass sie die Grenze verteidigen.“ Und danach muss der Befehl eingehalten werden, er muss vollstreckt werden, man muss das kontrollieren, und wenn nötig, muss man es wiederholen. Die jetzige Welt also, in der wir leben, hat diese weiche, verweichlichte, Unisexannäherung in der politischen Welt unbrauchbar gemacht, wir leben in dem Zeitalter der Epidemien und der Migration. Die führenden Politiker brauchen eine Ermächtigung, die Parlamente müssen die Frage diskutieren, die Menschen müssen ihre führenden Politiker wählen, doch danach, wenn es Probleme gibt, muss entschieden werden. Wenn die Nebenkosten ansteigen, müssen sie gebremst werden, es reicht nicht aus, den Menschen zu erklären, weshalb die Preise steigen, sie müssen gebremst werden, die Familien müssen geschützt werden. Es reicht nicht aus, die Ursachen der Migration zu erklären, es muss verhindert werden, dass die Migranten hereinkommen. Die Epidemie muss nicht verstanden werden, sondern sie muss mit Hilfe der Impfungen aufgehalten werden. Hier in Mitteleuropa – vorgestern habe ich die V4 getroffen – ist dies eine eindeutige und klare Erwartung der Menschen an die Politiker, an die Parlamente, an die Abgeordneten, im Westen herrscht Unsicherheit, das ergibt den Unterschied in der Beschaffenheit der Politik zwischen Westeneuropa und Mitteleuropa.

Nehmen die V4 einen konkreten Vorschlag mit zum Gipfel der Europäischen Union in der nächsten Woche?

Wir nehmen Vorschläge mit. Wir wollen auf jeden Fall das System der Preisregelung, die heute in Westeuropa angewendet wird, umformen und wir wollen das Element der Spekulation ausschließen. Es gilt heute also ein kompliziertes System der Preis- und Verschmutzungsregulierung in Westeuropa, als deren Ergebnis man mit Verschmutzungsquoten auf dem Markt Handel treiben kann, und wenn wir das Finanzkapital auf Gebiete hineinlassen, wo es nichts verloren hat, auf denen vielmehr die Sicherheit der Menschen, die Sicherheit der Versorgung Vorfahrt genießen müssten, entstehen daraus immer Probleme. Also wir, die V4- sind der Ansicht, dass dieses System der Regulierung, das heute auch der Spekulation Raum eröffnet, was auch die Preise nach oben treibt, eine schlechte Regelung ist. Deshalb schlagen wir vor, zahlreiche Elemente des jetzt bestehenden Systems zu verändern, und wir wollen die Kommission dazu bringen, ihren Plan aufzugeben, die die Familien nachteilig betreffende Pkw- und Grundsteuer zu erhöhen. Man kann sich nicht so gegen die Zerstörung des Klimas verteidigen, indem wir den Menschen sagen: „Heizt weniger und nutzt Eure Autos seltener“. Man muss sich anschauen, wer an den die Verschmutzung verursachenden Geschäftszweigen gewinnt, und aus diesem Profit muss man einen festgelegten Teil zurücknehmen und für die Ziele des Klimaschutzes nutzen.

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsident Viktor Orbán.