Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
19. Februar 2021

Katalin Nagy: Gestern hat es die Oberste Amtsärztin so formuliert, die dritte Welle der Epidemie sei hier. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán, der von der Sitzung des Operativen Stabs zu uns gekommen ist.

Guten Morgen!

Unterstützen die heutigen Daten, dass tatsächlich die dritte Welle angekommen ist?

Sie unterstützen es. Ich habe mir die Berichte von heute früh 6 Uhr angehört, da geht es um 3.093 neu Infizierte, wir haben 110 Menschen verloren, das Durchschnittsalter der Verstorbenen lag bei 75,6 Jahren, die Zahl der sich in den Krankenhäusern Befindenden nimmt ständig zu, es waren heute Früh 4.024 Personen, und an Beatmungsgeräte angeschlossen sind 352. Das sind an sich schon keine guten Zahlen, hinzu kommt aber noch, dass ihre Tendenz besonders schlecht ist, denn sie steigt steil an. Wir befinden uns in einem sehr gefährlichen Moment. Ich habe darüber nachgedacht, wie ich das für die Zuhörer zusammenfassen soll, was ich heute Früh auf der Sitzung des Operativen Stabs gehört habe. Ich würde es dahingehend formulieren: Wir befinden uns in einem gefährlichen Moment, denn wir haben gleichzeitig schon Impfstoff, wir impfen also, andererseits hat die Konsultation über den Neustart begonnen, und ein jeder möchte auch schon wieder frei werden, und in der Zwischenzeit ist die dritte Welle angekommen. Jetzt laufen also zwei Kurven um die Wette: Die eine ist jene der Impfstoffe, die der Zahl der geimpften Menschen und die andere jene der neuen Infektionen, der dritten Welle, und die Kurve, die schneller sein wird, entscheidet über unser Schicksal. Wenn die Impfungen schneller sein werden, wenn sich mehr Menschen zur Impfung melden, wenn mehr Menschen eine Impfung wollen, wenn sich mehr Menschen registrieren, gewinnen wir Leben; wenn die Kurve der dritten Welle stärker sein wird, werden wir Leben verlieren.

Befürchten Sie nicht, dass das Versorgungssystem, die Krankenhäuser die Belastung nicht aushalten werden? Wir sehen, dass es in Tschechien Probleme gibt, auch in der Slowakei gibt es Probleme…

Aber das ungarische Gesundheitswesen ist außergewöhnlich stark, in dem vergangenen einen Jahr war kein einziges anderes Gebiet einer derartigen kontinuierlichen Kraftprobe ausgesetzt wie gerade das ungarische Gesundheitswesen, und das ungarische Gesundheitswesen hat diese Prüfung hervorragend bestanden. Ich kann also ruhig sagen, dass wir ausgezeichnete Krankenschwestern besitzen. Heute ist der Tag der Pfleger. Ich grüße auch von hier all jene, die ihr Leben der Pflege und der Heilung anderer gewidmet haben, ich bin ihnen dankbar, und wir danken ihnen für ihre Arbeit. Unsere Pfleger sind also hervorragend, unsere Ärzte besitzen Weltniveau und auch unsere Krankenhäuser sind gut. Man pflegt über das ungarische Gesundheitswesen abfällig zu sprechen, aber das ist unbegründet. Im Lichte des vergangenen einen Jahres muss ich sagen, dort arbeiten Menschen, auch die Leitenden mit inbegriffen, die Ärzte und die Krankenschwestern sowie die im Übrigen sich nicht direkt mit der Heilung der Patienten beschäftigenden Menschen wie die Portiere, das physische Arbeit verrichtende Personal usw. sie alle haben insgesamt eine Leistung geboten, die man messen kann. Man kann also alles Mögliche über das ungarische Gesundheitswesen denken, aber hier haben wir ein Jahr des kontinuierlichen Testens unter Belastung hinter uns, und wir haben gesehen, was wir gesehen haben: Sie haben die Leben von sehr vielen Menschen gerettet. Ich muss sagen, das ungarische Gesundheitswesen wird es aushalten. Wenn wir nun die Sprache der Zahlen sprechen, da hat man heute früh mir gemeldet, dass wenn wir plötzlich 20 tausend Menschen eine Versorgung gegen COVID in den Krankenhäusern bieten müssten, dann wären wir dazu in der Lage. Im Vergleich dazu befinden sich heute 4.024 Menschen in den Krankenhäusern, unsere Reserven sind also groß.

Ich habe mich diese Woche mit der Oberschwester des Szent Imre Krankenhauses unterhalten, die die Arbeit auf der COVID-Station organisiert, und sie erzählte, die dritte Welle sei sehr-sehr schwer gewesen, und sie haben es so wie die Soldaten gemacht, indem sie probiert und die Zeit gemessen haben, wie schnell sie die Schutzkleidung anziehen können. Man musste neu erlernen, wie man die Kanüle auch in zwei oder drei Gummihandschuhen einführen muss. Aber jetzt, wo sie es schon wissen und über die Praxis verfügen, jetzt ist es schon ein bisschen, sie hat es auch so formuliert, ist es nicht viel, aber ein bisschen leichter.

Ja. Das sind leicht erscheinende Dinge, sie sind aber dennoch schwierig. Im Frühjahr hatte ich ja die Weise der Leitung der Verteidigung gewählt, dass ich nacheinander die Krankenhäuser besucht hatte, weil auch ich sehen wollte, wie sie den Rhythmus, den Takt, das Tempo aufnehmen, wie sich die Ärzte und die Krankenschwestern an die schnelle Gefahr anpassen, deshalb musste ich einige Male, ja nicht einige Male, sondern oft die Schutzkleidung anlegen. Das ist nicht so einfach, wenn man das fachgemäß machen will, damit man während des Umziehens nicht die Infektion auf sich selbst überträgt, sie nicht zu den Kranken hineinschleppt usw. Hier geht es also nicht nur darum, dass man gut ausgebildet sein muss, sondern es ist auch eine militärische Präzision vonnöten, und das ist tatsächlich etwas anderes, diese Erwartung der Präzision in der Zeit der Epidemie, als es sonst während der normalen medizinischen Versorgung vorkommt. Ich habe gesehen, wie sie es gelernt haben. Ich bin 57 Jahre alt, ich lerne jeden Tag, zu lernen ist keine Schande, neue Dinge kommen, man steht neuen Herausforderungen gegenüber. Natürlich verfügen wir über Erfahrungen, die Alten sind im Vorteil, denn wir haben ja schon viel gesehen, und die Jungen sind frischer, also haben auch sie irgendeinen Vorteil, doch das Wesentliche ist, dass man jeden Tag etwas Neues lernen muss. Es gibt darüber verschiedenste wissenschaftliche Theorien, dass dies noch mehr so sein wird, so schnell wird sich alles um uns herum – nicht nur im Gesundheitswesen – ändern, dass wir uns unsere Lernfähigkeit bis ins Alter von 60-70 oder darüber hinaus bewahren müssen. Das Lernen gehört also nicht zum jungen Lebensalter, wie als wir noch jung waren, und das so gedacht haben, sondern dies bleibt bis zum Ende unseres Lebens so. Das ungarische Gesundheitswesen hat die Prüfung im Neulernen, im Dazulernen gut bestanden.

Wird es soviel Impfstoff geben, um diese sich verschlechternden Zahlen kompensieren zu können? Auch Sie haben erwähnt, es gebe hier doch einen Wettbewerb zwischen den beiden Kurven.

Ich arbeite aufgrund solcher Papiertabellen, die lang wie ein Schlachtplan sind, ich kann Ihnen sagen, dass wir 391.821 einmal schon geimpfte, mindestens einmal geimpfte Personen haben. Dies wird jetzt bald auf 441 tausend hochgehen, von dort aus wird es zu einem großen Sprung kommen, heute haben wir darüber lange uns im Operativen Stab unterhalten, wie dies geschehen wird. Wir werden dann auf einmal im Laufe von sieben, acht, zehn Tagen mehr als 650 tausend Menschen impfen. Da werden wir zu der Zahl von einer Million und hunderttausend hochschnellen, und Anfang März werden wir bei einer Million und zweihundertfünfzigtausend ankommen. Soviel Impfstoff wird es im Land geben, den muss man verimpfen, Herr Staatssekretär István György leitet diese Arbeit, er war Bürgermeister von Kőbánya, er ist ein gründlicher Mensch, und soweit ich das sehe, schreitet dieser ganze Prozess gut voran. Und dann werden wir bis Anfang März an dem Punkt von einer Million zweihundertfünfzigtausend und Anfang April von zwei Millionen und fünfhundertachtzigtausend ankommen, wir werden also zu Ostern nahe daran sein, ja es wird sogar geschehen, dass wir jene, die sich heute registriert haben oder bis heute registriert haben, auch alle werden geimpft haben können. Dies bedeutet, dass ich einen jeden – nicht „dränge“, denn das wäre unhöflich, aber – dazu ermuntere, sich zu registrieren, denn wer sich nicht registriert, von dem wissen wir nicht, wenn wir nicht von ihm wissen, können wir ihn nicht impfen. Die Impfung ist ja freiwillig, wenn jemand zur Impfung geht, dann teilt man ihm mit, mit welchem Impfstoff geimpft wird, wenn ihm dieser Impfstoff zusagt, wenn er ihm passt, wenn er ihn akzeptiert, dann nimmt er diesen an und er wird geimpft. Wenn er ihm nicht zusagt, dann beruhigen wir einen jeden, dass er damit dann nicht aus der Liste der zu Impfenden herausfällt, und wir werden ihn dann benachrichtigen, wenn es so einen Impfstoff geben wird, wie er ihn möchte. Das ist die individuell verantwortliche Entscheidung eines jeden, denn ein jeder verfügt selbst über sein eigenes Leben, doch würde ich jetzt einen jeden darauf aufmerksam machen, dass er darauf achten sollte, dass die dritte Welle im Anstieg begriffen ist. Wenn also jemand sagt, „diesen Impfstoff möchte ich nicht, ich gehe nach Hause“, es vergehen dann einige Tage, die ansteigende dritte Welle kann ihn erreichen, da besteht ein ernsthaftes Risiko. Es sollte also ein jeder eine durchdachte, begründete Entscheidung treffen, ich bitte darum, nicht emotional oder oberflächlich zu entscheiden, denn die Entscheidung kann das Leben kosten, es kann also erhalten bleiben oder man kann es verlieren. Ich bitte also einen jeden, sich zu registrieren, sich zu melden, hinzugehen, sich impfen zu lassen, wenn möglich, dann das zu akzeptieren, was ihm gerade angeboten wird, und dann werden wir bis Ostern an den Punkt gelangen, dass jeder, der sich bisher registriert hat, auch geimpft sein wird. Im europäischen Vergleich muss ich sagen, heute gibt es in Ungarn den meisten, unter den Ländern der Europäischen Union gibt es in Ungarn den meisten zur Verimpfung geeigneten Impfstoff. Wir führen diese Rangliste an, und Ungarn wird im Vergleich zu einem Land seiner Größe, im Vergleich zu einem Land der Europäischen Union bis zum Mai nur aus dem Grund um 3,5 Millionen mehr Menschen geimpft haben als die anderen Länder der Europäischen Union, weil wir uns nicht nur auf die im Übrigen stockende Impfstoffbeschaffung der EU stützen, sondern auch eigene Quellen zur Besorgung nutzen.

Was ist also dann der Grund dafür, dass in der nächsten Woche die Zahl der Geimpften derart sprunghaft ansteigen wird? Hier ist ja eine große Portion an Sputnik Impfstoff.

Mit dem impfen wir schon.

Mit dem wird ja schon geimpft. Übrigens konnte man in der Presse lesen, dass ihn auch schon die italienischen Behörden akzeptiert haben und auch sie mit Sputnik impfen möchten, wenn sie ihn hätten.

Schauen Sie, ich will nicht neunmalklug sein, und auch die Bescheidenheit ist eine wichtige Sache, aber das Unterschätzen der eigenen Arbeit ist ein mindestens genauso großer Fehler wie die Überheblichkeit. Es geht ja doch darum, dass wir denken und die Ungarn sind ziemlich schnell von Begriff. Und im November war es zu sehen – dies hat der Herr Außenminister, Péter Szijjártó klar auf der Regierungssitzung auseinandergesetzt –, dass die gleiche Situation entstehen wird wie im Frühling, als es – wenn sich die Zuhörer daran noch erinnern können – weniger zum Schutz notwendige Instrumente auf dem Weltmarkt gab als der Bedarf war, Beatmungsgeräte, Masken, Kittel und so weiter. Es würde also einen Wettbewerb geben. Im November hat der Außenminister gesagt, es werde einen Wettlauf um den Impfstoff geben. Ganz gleich, was die Europäische Union sagen wird, das wird so sein oder auch nicht. Gebe Gott, dass es nicht so sein wird! Aber er sagte, wir sollten uns dem nicht ausliefern, sondern an allen Punkten der Welt Verhandlungen beginnen, damit – wenn der Impfstoffmangel auftritt – wir an ausreichend Impfstoff gelangen. Aus diesem Grund haben wir im November begonnen, mit den Russen und den Chinesen zu verhandeln. Und da kam dieser Standpunkt zur Sprache, den Sie jetzt in Ihrer Frage angeschnitten haben, was denn die anderen wohl sagen werden? Zuerst einmal interessiert mich das nicht so sehr, das sage ich ganz ehrlich, was die anderen sagen. Jetzt müssen die Leben der ungarischen Menschen gerettet werden und das Leben der ungarischen Menschen ist nur für uns wichtig. Für die anderen ist ihr eigenes wichtig. Deshalb müssen wir also auf uns selbst achten. Zweitens: Ich hatte dem Außenminister geantwortet, wir werden dieses Risiko auf uns nehmen, am Anfang wird man uns wieder kritisieren, kneifen, beißen, treten, uns nach dem Schienbein und dem Hosenbein schnappen. Aber dann werden sie dahinterkommen, dass sie das auch benötigen. Wir müssen also ihnen immer einen Schritt voraus sein. Und das hat zur Folge, dass wer vorangeht, häufiger kritisiert wird. Doch wir wussten auch dann, dass dies eintreten werde. Jetzt arbeiten angefangen mit den Deutschen schon alle daran, den russischen Impfstoff anzunehmen. Und dann kommt der Moment, wenn sie auch an den chinesischen denken werden. Seien wir uns darin sicher, wir sollten uns nicht erschüttern lassen, die Ungarn sollen also auf ihren eigenen Verstand, auf ihre Fähigkeit zum Vorausschauen, auf ihre Fähigkeiten zum Planen vertrauen und wir sollten unseren eigenen Interessen folgend voranschreiten.

Wie sehen Sie es? Ab wann wird man den chinesischen Impfstoff einsetzen können?

Wir alle sind in Cecília Müllers Hand. Ich habe sie heute gefragt, sie sagte – sie ist eine kluge Frau, sicherlich sehen Sie sie genug im Fernsehen – geheimnisvoll, ich käme gut voran. Das hat sie gesagt. Ich habe sie auch neulich gefragt, da schien sie weniger optimistisch zu sein als jetzt. Ich habe also das Gefühl, dass es wirklich gut vorangeht. Es ist nicht meine Aufgabe, mich zu Fragen zu äußern, deren Experte ich nicht bin, sondern sie, und sie hat in der Frage des Zeitpunktes nicht gewagt, entschieden Stellung zu nehmen. Aber ich sehe, dass die Fachleute für Seuchenschutz angestrengt daran arbeiten, damit wir möglichst schnell die Leben von möglichst vielen Menschen retten können.

Am Mittwoch begann die Konsultation über den Neustart. Man muss sieben Fragen beantworten, man kann seine Meinung auch online kundtun. Übrigens hat ein Vertreter der Opposition dahingehend formuliert, dass diese Konsultation eine Clownerei sei. Was denken Sie, warum greift die Opposition die Konsultation an?

Schauen Sie, das ist ein linker Reflex. Das ist eine Schule der Macht, die Linke. Angefangen mit Lenin über Rákosi und János Kádár kommt diese politische Tradition, deren Form sich immer wandelt, doch ändert sich niemals, dass sie die Meister der Macht sind. Und sie kennen keine Gnade und kein Erbarmen. Wenn es also um die Macht geht, dann stampft die Linke alles nieder und stampft über einen jeden hinweg, hierin auch die kranken und durch eine tödliche Krankheit bedrohten Menschen mit inbegriffen. Wenn also die Linke der Ansicht ist, dass sie leichter an die Macht kommt, wenn das Impfprogramm der rechten, der nationalen Regierung erfolglos ist, wenn der Umgang mit der Epidemie erfolglos ist, dann verleiht sie dem auch Ausdruck. Sie verkaufen nicht die Katze im Sack. Am Montag begann das Parlament, ich stand dort, um mich herum brodelte der Hass. Ich habe gesehen, wie sie dafür argumentierten, möglichst langsam, möglichst… Nun ja, sie sind eben so… Wir sollten also darüber nicht überrascht sein. Ich hatte mich gefreut, als vor drei Monaten die Linke ihre Zustimmung für 90 Tage zu den außerordentlichen Regierungsmaßnahmen gab, denn da sah ich eine Chance, dass Linke hin, Linke her, es geht hier doch um den Tod, um Menschenleben, es handelt sich doch um wichtige Dinge, nicht um Macht und das Geld, aber jetzt geben sie ihre Zustimmung nicht erneut. Ich sehe also, dass die drei Monate vergangen sind, und sie haben die Kooperation offen zurückgewiesen, haben sich auf die andere Seite gestellt. Das bedauere ich übrigens sehr und ich kann nichts anderes sagen, als dass ich die Logik der Politik verstehe, und ich stecke seit dreißig Jahren darin, ich habe schon vieles gesehen, aber meiner Ansicht nach ist jetzt hier die Linke viel zu weit gegangen. Es geht um Menschenleben, um unsere eigenen Eltern, unsere Großeltern. Ein jeder, der stirbt, ist der Vater, die Mutter oder der Sohn, zumindest der Sohn oder die Tochter von jemandem. Das sind also viel tiefere Dinge als die Macht und die Politik, hier geht es um menschliche Dimensionen, und die Linke müsste sich in diese Dimension einordnen und dürfte nicht so weit gehen.

Wann werden Sie das Ergebnis der Konsultation zusammenfassen? Wie lange werden Sie warten? Warum ist es wichtig, dass sie möglichst viele Menschen ausfüllen?

Zunächst möchte ich klarstellen, dass die Verantwortung der Entscheidung bei uns liegt, die Konsultation dient nicht dem Ziel, damit andere die Entscheidungen treffen, denn das Gemeinschaftsleben besitzt eine Ordnung: Bei den Parlamentswahlen wählen wir unsere Repräsentanten, die bilden die Regierung, wählen den Ministerpräsidenten und von da an ist es vollkommen eindeutig, wo die Verantwortung liegt. Man kann sich also vor dem nicht wegschwindeln, denn das ist das Wesen unserer Arbeit, es ist auch das Wesen meiner Arbeit, in den schwierigsten Angelegenheiten die Verantwortung der Entscheidung auf sich zu nehmen. Dies wird auch jetzt so sein. Also wird die Regierung auch die Verantwortung für alle Entscheidungen hinsichtlich des Neustarts übernehmen. Jedoch glaube ich an die Herangehensweise – die eine nationalpolitische Herangehensweise ist –, dass jene Entscheidung eine gute ist, in die wir möglichst viele Menschen einbeziehen können. Und eine gute Entscheidung ist, wenn möglichst viele Punkte der Zustimmung entstehen. Unabhängig davon bleibt die Verantwortung noch hier bei der Regierung, persönlich auch bei mir, ich werde diese Entscheidungen auch treffen, aber mir helfen die Menschen viel und über mich auch sich selbst, wenn sie ihre Meinung mitteilen. Wenn es klar ist, worin wir übereinstimmen, wie wir uns verteidigen wollen, wie wir aus der Limitiertheit, der Eingeschlossenheit, aus der Welt der Beschränkungen hervortreten wollen, dann helfen sie uns, und es ist auch für sie besser, wenn bessere Entscheidungen getroffen werden. In Wirklichkeit gibt es diese Konsultation nicht im Interesse der Regierung, sondern in dem der Menschen, im Interesse der guten Entscheidungen. Und es besitzt eine gewisse Schönheit, wenn wir gemeinsam gute Entscheidungen treffen können, deshalb beinhaltet die Konsultation sieben wichtige Fragen, wesentliche Fragen. Auch ich habe über diese Fragen seit Wochen, seit Monaten nachgedacht, ich werde im Übrigen die Konsultation ausfüllen, denn das gebietet die Fairness. Und dann, wenn wir die dritte Welle einknicken lassen können, kann der Neustart dann kommen.

Wie viele Menschen haben sie ausgefüllt? Es sind noch keine zwei Tage seit dem Start vergangen. Kann man es wissen?

Ich halte es auch aus dem Grund für ein Problem, dass die Linke auf so beleidigende Weise über die Nationale Konsultation spricht, denn an ihr pflegen Millionen von Menschen teilzunehmen. Die Nationale Konsultation ist ja keine neue Sache. Bereits 2010, 2011 gab es eine Konsultation über die Verfassung, als die neue Verfassung formuliert werden musste. Wir haben auch mit den Rentnern eine Vereinbarung getroffen, auf die ich immer wieder zurückgreife, auch die Wiederherstellung der 13. Monatsrente geschieht auf diese Weise, dass wir mit den Rentnern eine Vereinbarung geschlossen haben, so vor acht-neun Jahren in Form einer Nationalen Konsultation darüber, wie sie sich die Bewahrung des Werts der Renten vorstellen. Wir halten uns auch seitdem daran. Die Nationale Konsultation ist eine gute Tradition der ungarischen Politik. Die Menschen nehmen gern an ihr teil. Jetzt befinden wir uns in einer besonderen Konsultation, denn sie pflegt schriftlich und auch über das Internet zu geschehen, jetzt gibt es wegen der Notwendigkeit des Tempos und der begrenzten Zeit eine Online-Konsultation. Im Laufe eines Tages haben sie 120 tausend Menschen ausgefüllt. Die 120 tausend Menschen als Clowns zu bezeichnen, ganz zu schweigen von jenen, die den Fragebogen noch ausfüllen werden, ist meiner Ansicht nach verletzend, beleidigend, es ist ganz einfach das Missverstehen der Rolle des Politikers. Es ist nicht unsere Aufgabe, so über Menschen zu sprechen.

Diese Woche gedenken wir dessen, dass sich vor dreißig Jahren die Zusammenarbeit der Visegráder Vier erneuert oder gegründet hat. Wie sehen Sie es: Erfüllt diese Gemeinschaft, diese Zusammenarbeit, ihre Aufgabe in Europa?

Das ist hier nicht der Ort für Reklame, aber ich habe darüber versucht einen Artikel in der Zeitung „Magyar Nemzet“ zu schreiben, er ist vielleicht auch schon erschienen. Ja, ich habe einen Weg gefunden, damit er auch in Tschechien, Polen und in der Slowakei erscheint, denn ich habe ja darin tatsächlich über die Berufung der mitteleuropäischen Völker gesprochen bzw. geschrieben. Wir haben uns vor zwei Tagen in Krakau getroffen, es war ein fantastisches Treffen. Krakaus ist ja an sich schon Krakau. Man erinnert sich an seine eigene Jugend, wenn man dorthin kommt. Der Wawel ist ja doch der Sitz der polnischen Könige, und wenn man dort hinuntergeht zu den Gräbern der Könige, in den Wawel hinein, in die Krypta, dann ist der erste Ort, an dem man stehenbleibt, der Sarkophag und die Grabstätte von István Báthory, der letztlich ja doch zu den größten polnischen Königen gehörte. Und das zeigt gut, dass diese mitteleuropäische Zusammenarbeit kein neuer Gedanke ist. Jetzt sprechen wir über dreißig Jahre, doch jene entstand im 14. Jahrhundert. Hier haben wir 700-800 Jahre hinter uns. Dies ist also auch eine sehr ernsthafte Sache, und es zeigt sehr gut, dass es nicht nur von der jeweiligen Erkenntnis der Anführer abhängt, ob es eine mitteleuropäische Zusammenarbeit geben wird, sondern seit 600-700 Jahren hat dies die Geografie, die Politik, die Welt der europäischen Kräfteverhältnisse erzwungen, dass es so eine geben soll, und wir können ruhig behaupten, diese Zwänge sind nicht verschwunden. Zwischen dem Land der Deutschen und der Russen gibt es ein Gebiet. Das ist Mitteleuropa. Die Slowakei spielt im Übrigen eine strategische Rolle, denn Ungarn ist das einzige Land, das nicht an alle Visegrád-Länder grenzt. Die Polen, die Tschechen und die Slowaken haben alle gemeinsame Grenzen, doch Ungarn nur mit der Slowakei. Die Slowakei verbindet im Übrigen den südlichen Teil Mitteleuropas, zu dem wir auch gehören, mit seinem nördlichen Teil. Eine strategische Rolle spielt also die Slowakei, und ein besonderes Gewicht besitzt Polen. Das ist ein Land mit 40 Millionen Einwohnern. Deshalb ist es ein Problem, und ich arbeite daran, dies zu beheben, doch bis jetzt hatten meine Anstrengungen keinen größeren Erfolg, Polen und Ungarn auch physisch mit immer größeren Pipelines, Stromleitungen und Verkehrswegen zu verbinden. Es ist ein grundlegendes ungarisches wirtschaftsstrategisches Interesse, dass wir über die Slowakei unmittelbar mit Polen verbunden sind. Dazu brauchen wir Autobahnen. Jetzt werden wir mit großer Mühe bis nach Kassa kommen, bis zum Jahresende wird dieser Abschnitt vielleicht fertig sein, aber Kassa ist noch weit von Polen, man müsste also auch diesen Abschnitt errichten, wenn es sein muss, dann gemeinsam. Sicherlich sind die Möglichkeiten der Slowaken begrenzt, doch ist es ein mitteleuropäisches Interesse, dass die Nord-Süd-Verbindungen entstehen. Wir, Ungarn, müssen einen Zugang zum polnischen Markt von 40 Millionen haben, und auch sie wollen einen Zugang zu Ungarn haben, und von hier weiter hinunter in den Süden, zum Balkan. Der Ausbau dieser Routen ist auch die Frage für die wirtschaftlichen Erfolge und dadurch der geschäftlichen Möglichkeiten sowie des Lebensniveaus der Ungarn. Es steckt also in der mitteleuropäischen Zusammenarbeit Politik, Geschichte und Sendungsbewusstsein, aber auch ein sehr starker wirtschaftlicher Inhalt. Wenn wir kooperieren, werden wir alle Vorteile davon haben, wir alle werden reicher sein, vor uns allen werden sich mehr wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen. Doch ist die Voraussetzung dafür, Ungarn so schnell wie möglich an möglichst vielen Punkten mit Polen verbinden zu können.

Sie haben die Geopolitik erwähnt. Sicherlich freut sich Westeuropa nicht unbedingt darüber, wenn hier in Mitteleuropa ein starkes Bündnis entsteht, so wie es sich auch in den früheren historischen Zeitaltern nicht darüber gefreut hat. Aber zum Beispiel, dass Charles Michel, der Präsident des Europäischen Rates, eingeladen worden und er auch zum Treffen gekommen ist, das bedeutet doch, dass der Westen oder Brüssel darauf achtet oder darauf achten muss, was Osteuropa macht.

Zunächst einmal, wenn ich die Wirtschaftskraft der Visegrád-, also der vier mitteleuropäischen Länder addiere, dann sehe ich sofort, dass diese die der westeuropäischen Länder um ein gutes Stück übertrifft. Wir vier sind der größte Handelspartner Deutschlands. Im Falle jedes einzelnen für sich ist das natürlich keine so hohe Zahl, doch wenn wir vier alles addieren, dann sind wir der erste Wirtschaftspartner Deutschlands, das das wirtschaftliche Zentrum Europas ist. Die V4 werden also von niemandem mehr unterbewertet. Das war früher, als es diese Situation des Typs „sie wollen in die Europäische Union hineinkommen, sollen wir sie lassen?” gab. Da sind wir schon darüber hinweg, wir sind drin und stehen ziemlich selbstbewusst auf unseren eigenen Beinen und wir verfügen über eine Leistung. Die niedrigste Arbeitslosigkeit findet man in Europa in diesen Ländern, das schnellste Wirtschaftswachstum gibt es hier, die schnellste technologische Entwicklung gibt es, glaube ich, hier, oder es wird in diesen Tagen offensichtlich, dass es sie hier geben wird. Hier gibt es also Kraft, Dynamik, wir sprechen über die Lokomotive der europäischen Wirtschaft. Nun, wie weit jemand im Westen voraussieht, das ist auch eine Frage der persönlichen Fähigkeiten. Die Lektion, die Lektion der Geschichte findet sich hier. Die Westler konnten sich über einen sehr langen Zeitraum, über einige hundert Jahre hinweg in Sicherheit fühlen, denn die Polen und dann die Ungarn, wir waren der Schild und die Bastion. Wir haben also das Gebiet der Europäischen Union – damals nannte man es noch nicht so –, wir haben Europa gegenüber den äußeren Gefahren verteidigt. Ein starkes Mitteleuropa bedeutet für Europa größere Sicherheit. Jetzt hat sich die Situation geändert, denn sie haben in Form der Migration auch die Kulturen ohne christliche Wurzeln zu sich hereingelassen. Diese Art von kulturellem Druck und diese Herausforderung kommt also nicht über Mitteleuropa, da wir den Zaun errichtet, die Migration aufgehalten haben, sondern er kommt von anderswo. Die Situation hat sich also jetzt geändert. Wir verteidigen ihre Sicherheit, aber das ist keine so vollkommene Sicherheit mehr, wie sie es war, denn sie haben die Hintertür aufgemacht, was natürlich ihre Angelegenheit ist, aber ein westeuropäischer Politiker weiß genau, dass die Sicherheit Westeuropas auch so noch in großem Maße davon abhängt, wie wir, Slowaken, Polen und Ungarn bei der Verteidigung der Außengrenzen der EU bestehen. Doch erinnern wir uns auch daran, dass als die Türken uns bedrängten und das Osmanische Reich nach Ungarn sich erstreckte bzw. ein Drittel des Landes besetzte, da gab es in Westeuropa Länder, die, nur um die Habsburger und die Ungarn zu schwächen, ich will jetzt keine Namen nennen, sich hinter unserem Rücken mit den Türken zusammengetan haben. Also dies und die schlechte europäische Tradition. Europa verfügt also über ein großes Reservoir an Erfahrungen darüber, dass Europa sich gegenüber den Bedrohungen von außen verteidigen kann, wenn es zusammenhält, wenn es aber nicht zusammenhält, sondern auch noch den äußeren Gegner unterstützt, damit das eine oder das andere Land etwas an den inneren Kräfteverhältnissen zu seinen eigenen Gunsten verändern kann, dann beschreitet Europa den falschen Weg. Auch das kennen wir. Insgesamt muss ich also sagen, dass ein kluger europäischer Politiker genau weiß, dass ein starkes Mitteleuropa im strategischen Interesse Westeuropas liegt.

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsidenten Viktor Orbán.