Viktor Orbáns Interview in der Sendung „Guten Morgen Ungarn” von Radio Kossuth
3. April 2020

Katalin Nagy: Die Zahl der Infizierten nimmt von einem Tag zum anderen um etwa zehn Prozent zu. Die Kurve des Verlaufs der Epidemie ist zum Glück ziemlich flach. Ich begrüße im Studio Ministerpräsident Viktor Orbán! Welche neuen Maßnahmen haben Sie heute auf der Sitzung des Operativen Stabes beschlossen? War die Einführung weiterer, schwerwiegenderer Maßnahmen notwendig geworden?

Die Sitzung des Operativen Stabes läuft so ab, und ich wünsche den Zuhörern einen guten Morgen, dass wir uns zuerst die aktuellen Meldungen anhören, an erster Stelle stehen die medizinischen, die Seuchenschutzmeldungen. Wir haben jetzt 623 Kranke und 26 Tote. Danach hören wir uns die Meldungen über den Grenzschutz an, denn die Grenzen sind ja im Wesentlichen geschlossen, doch öffnen wir im Interesse der Durchreise humanitäre Korridore. Und danach hören wir uns die Vorbereitungen auf den großen Sturm, wie wir stehen, an, denn jetzt befinden wir uns noch am Anfang. Also steht uns der das Gesundheitssystem auf die Probe stellende große Sturm noch bevor. Darauf bereiten wir uns jetzt vor. Die Situation des Landes ist schwer, ist seelisch nicht einfach, so ist es dann auch unsere nicht, denn jetzt geht es ja darum, dass hier ein Übel ist, dieses Virus, und das Übel möchte man aus der Welt schaffen. Man will also auch das Virus vernichten, man will es liquidieren. Da wir aber über keinen Impfstoff verfügen, können wir das nicht tun. Wir wissen also alle, was getan werden müsste, nur besitzen wir dazu keine Instrumente. Denn wenn wir den Impfstoff besäßen, würden wir einen jeden impfen, würden uns bedanken, würden nach Hause gehen, und unser Leben würde sich auf die Weise fortsetzen, wie es zuvor war. Aber es gibt keinen Impfstoff, und die Fachleute sowie die Wissenschaftler sagen, in dieser Situation gibt es eine einzige Möglichkeit, eine Lösung, nämlich dass die Ausbreitung des Virus verlangsamt werden muss. Und dafür gibt es ein einziges Mittel, nämlich dass wir die Zahl unserer Begegnungen auf das möglichste Minimum senken. Und die Arbeit hieran verrichten wir jeden Tag. Aber im Kleinhirn, hinter meinen Ohren steckt es, dass man in Wirklichkeit nicht dies machen müsste, sondern das Virus töten sollte, doch dafür sind wir nicht geeignet, denn wir alle befinden uns in den Händen der klügsten Menschen und Wissenschaftler der Menschheit. An allen Punkten der Welt arbeiten andere daran, und wir müssen warten, zu welchem Ergebnis sie gelangen. Es bleibt also das Verlangsamen. Und es gibt noch eine Sache, die wir tun müssen, denn wer sich infiziert hat, der kann auch krank werden, und wer krank geworden ist, kann auch sehr krank werden. Und wer sehr krank ist, der kann auch sterben. Und deshalb ist dann die andere Sache, die wir tun müssen: Um das Leben jedes einzelnen Menschen zu kämpfen. Wir versuchen jeden Ungarn, der in Not geraten ist, zu retten, wir kämpfen um ihn. Je disziplinierter wir uns verteidigen, umso eher können wir die Seuche in einer geordneten Bahn halten. Das ist nun die Lage der Dinge. Vor 21 und einigen, vor 23 Tagen haben wir die Gefahrensituation ausgerufen. Ich beschäftige mich seitdem nur damit, und ich muss sagen, wir müssen unseren Dank all denen aussprechen, wir müssen die Hüte vor all denen lüften, die an der Frontlinie kämpfen, und denen, die im Hinterland arbeiten, vor denen auch. Unsere Ärzte sind ausgezeichnet, die Schwestern sind vorbereitet. Die Rettungswagenbesatzungen sind voll auf ihre Arbeit konzentriert. Die Fachleute des Seuchenschutzes sind auf ihrem Posten. Polizisten, Mitarbeiter der Ordnungskräfte, Soldaten versehen ihren Dienst anständig, und in den die Versorgung garantierenden Lebensmittelläden und Apotheken die Mitarbeiter, und die Transporteure auch. Also ein jeder. Und auch die Mütter, das ist eine wichtige Sache, denn ich sehe das auch hier in meiner Familie, wie schwer das ist, denn je kleiner ein Kind ist, also ob es in den Kindergarten geht bzw. in Volksschule, in die Unterstufe, umso größer ist die Last für die Mütter, da sie die Kinder nicht in die Schule geben können. Noch genauer formuliert: Sie könnten die Kinder in die Schule geben, denn die Schulen sind auf, dort werden die Kinder in Gruppen von fünf betreut und unterrichtet, doch wagen die Mütter es nicht, die Kinder in der Schule abzugeben. Ich sehe, dass ich vergebens sage, die Schulen sind doch geöffnet, man kann die Kinder hinbringen, die Eltern sagen, wenn das Übel vorbei ist, dann werden sie es tun. Natürlich weiß niemand, was das bedeutet, dieses „das Übel wird vorbei sein“, doch werden sie erst dann die Kinder hingehen lassen. Folgerichtig muss man sich mit den Kindern zu Hause beschäftigen. Und Hut ab auch vor unseren Lehrern, die sich von so einem auf das persönliche Zusammentreffen aufbauenden Unterricht auf den digitalen Unterricht umstellen konnten, aber wenn neben einem Kind aus der Unterstufe niemand dasitzt oder niemand mit ihm ist, dann funktioniert das nicht. Ich sehe also, dass auch die Mütter schon ganz schön erschöpft sind. Und natürlich auch die ältere Altersgruppe, die die größten Probleme hat, denn über sie lohnt es sich zu sagen, dass es für sie – was wir Jüngere weniger verspüren – am schwersten ist, da je älter man ist, umso mehr – das spüren wir auch selbst – sehnt man sich danach, andere Menschen zu treffen, da man gegen die Vereinsamung kämpft. Und sie kommen und gehen zu Verwandten, zur Familie, zu Freunden, und jetzt geht das alles nicht. Im Alter ist das also besonders schwer. Ich verfolge also mit großer Anerkennung, wie die meisten unserer älteren Landsleute jene Bitten und Regeln diszipliniert einhalten, die das Leben ihnen auferlegt hat.

Letzte Woche hatten Sie gesagt, die Zahl der Kontakte, der persönlichen Kontakte sei auf ein Zehntel zurückgegangen. Ob dies auch in dieser Woche so war? Wir sehen doch, dass die Polizisten darüber berichten und auch die Mitglieder der Bürgerwehren, die ihnen bei der Arbeit helfen, dass man die Menschen aufmerksam machen muss, doch ein großer Teil von ihnen macht das, was getan werden muss, sehr diszipliniert. Zugleich werden wir kommende Woche die Karwoche haben.

Nun, wir sind in einer schwierigen Situation. Ich plane für Mittwoch, dass wir eine Entscheidung hinsichtlich der Ausgehbeschränkungen fällen. Jetzt haben wir ja am Sonntag Palmsonntag, nächste Woche haben wir Ostern. Ostern ist ein Familienfest. Man würde am liebsten schon gehen, würde gern den alten ungarischen Brauch des Besprengens begehen, seine Eltern, Großeltern, Kinder besuchen. Dies wird jetzt wohl kaum möglich sein oder nur unter strengen Beschränkungen. Die Ausgehbeschränkungen sind ja bis Karsamstag gültig, also bis zum Samstag nächster Woche. Wir müssen darüber entscheiden, ob wir sie aufrechterhalten oder nicht. Wenn wir sie aufrechterhalten, dann in welcher Form? Hierin sehe ich nicht klar. Ich warte also den Mittwoch ab, und dann möchte ich auf Grund der Berichte der Ärzte, des Seuchenschutzes und der Polizei darüber entscheiden, ob dies verlängert werden muss. Wenn die Not uns dazu bringt, dann tun wir es, ich spüre aber, dass das unnatürlich ist. Dann werden wir zu Ostern natürlich uns ein bisschen ordnen können, ich hoffe doch darauf, das sind manchmal doch ruhigere Tage, an denen es auch die Möglichkeit zu einem vertieften Nachdenken gibt. In dieser Zeit pflegen wir ja unsere Gedanken doch eher in die Richtung des lieben Gottes zu steuern. Dies wird vielleicht auch heuer nicht ausbleiben, doch werden wir jetzt auch einiges über uns selbst nachzudenken haben, darüber, wie wir unser Leben in dem vor uns stehenden Zeitraum organisieren sollen. Einen jeden beschäftigt eine einzige Frage, dieses: „Was wird sein? Wie lange muss man diese Einschränkungen auf sich nehmen?“ Unsere Generation hat ja etwa dreißig Jahre im Kommunismus durchgemacht. Das hat uns mit Erfahrungen ausgestattet, und ich erinnere mich gut daran, dass es damals den Kalauer gab, nachdem Freunde einander fragen: „Was wird sein?“ Und die Antwort lautete: „Wir wissen was sein wird, aber was wird bis dahin sein?“ Also auch jetzt ist es so, damals wussten wir es auch, wir würden dann die Russen, die Sowjets irgendwie hinausdrängen, und auch früher oder später die Kommunisten besiegen, aber was würde bis dahin sein? Und wir wissen auch, dass es einen Impfstoff geben wird. Die Professoren, die Doktoren sagen Unterschiedliches über den Zeitpunkt, jeder sagt, es dauere ein Jahr, anderthalb Jahre. Gut, gut, aber was wird bis dahin sein? Werden wir bis dahin so leben, eingeschlossen, im Bunker, die Schule nicht besuchend, unter erschwerten Bedingungen? Also so wird das schwer werden. Und vielleicht ist Ostern dazu geeignet, zu überdenken, wie wir unser Leben bis zu dem Zeitpunkt organisieren wollen, über den wir alle wissen, dass er kommen wird, also bis der Impfstoff entsteht, wie soll es bis dahin weitergehen? Also meiner Ansicht nach lohnt es sich zu Ostern hierüber nachzudenken, und uns vielleicht unserer Angst zu stellen. Denn ein jeder hat ja Angst, wir stehen einem unbekannten Feind gegenüber. Auch von seiner Natur her ist das eine kleine Sache, dieses Virus. Hinzu kommt noch, dass man sich kaum vorstellen und denken kann, wie es wohl aussehen mag? Wir stehen also einem niederträchtigen, nur sehr schwer vorstellbarem Feind gegenüber. Es ist verständlich, wenn wir Angst haben. Doch ist ja die Angst dazu da, damit wir sie besiegen. Das nennt man in der ungarischen Sprache „Mut“. Und darin stehen wir nicht sehr gut. Soweit ich das sehe, kämpfen wir gegen zwei Viren, es gibt das Coronavirus und es gibt das Angstvirus. Und jetzt zu Ostern müssten wir uns wappnen, damit wir danach unsere Angst besiegen können. Wir sind ja nicht alle in der gleichen Situation. Natürlich kann ein jeder mutig sein, und jedem kann es gelingen, seine Angst zu besiegen, doch gibt es Gruppen, deren Pflicht dies ist. Ich arbeite ja jetzt am meisten mit ihnen, ich würde dies eine „Pflicht des Zustandes“ nennen. Es gibt also Menschen, deren Pflicht es ist, ihre Angst zu besiegen, denn sie können nur auf diese Weise den anderen Menschen helfen. An erster Stelle erwarten wir das ja von Priestern, denn das Niederringen der Angst erfordert ja doch seelische Kraft, wofür sie zuständig sind. Dann stehen an der zweiten Stelle die führenden Staatsvertreter, die sehr schwierige Entscheidungen treffen müssen, und wer Angst hat, der kann es nicht, der kann keine guten Entscheidungen treffen. An dritter Stelle stehen die Polizisten, die Soldaten, die Mitarbeiter des Katastrophenschutzes, die Uniformierten, denn sie haben es ja auf sich genommen, irgendwann auch physisch gegen den Feind zu kämpfen. Für sie ist der Mut also eine „Pflicht des Zustandes“. Dann gibt es die Ärzte, die den Kampf gegen den unsichtbaren Feind auf sich genommen haben. Ich hoffe also, zu Ostern wird sich jeder selbst ordnen, sich seiner „Pflichten des Zustandes“ bewusst, wird wissen, was seine Aufgabe ist, und wir versuchen uns für die kommenden einigen Monate einzurichten, die bis zur Erfindung des Impfstoffes vergehen. Und dann wird es ein erträgliches Leben in Ungarn geben.

Die Krankenhausärzte haben mit ihrer Arbeit begonnen, und wir machen seit der letzten Woche die Erfahrung, dass die Flugzeuge mit den Schutzausrüstungen hintereinander von Osten her kommen, aus China, zumeist aus China und der Türkei kommen diese Ausrüstungen. Interessanterweise kommt die Hilfe aus dem Osten, und aus dem Westen kommt Kritik. Also jene Kritik, die anscheinend ziemlich gut organisiert jetzt zuerst in der westlichen Presse, dann in den Äußerungen der westlichen Politiker im Zusammenhang mit dem ungarischen Coronavirusgesetz zu verspüren ist.

Zunächst einmal lassen Sie mich über die Vorbereitung noch sagen, wenn Sie hier schon die aus dem Osten kommende Hilfe erwähnt haben. Hieraus würde ich jetzt keine ideologische Frage machen, ob nun Westen oder Osten. Ich sehe, manche tun das. Ich beneide sie um ihre Probleme. Ich konzentriere mich auf die praktischen Angelegenheiten. Aber zweifellos ist es wahr, dass die Hilfe vom Türkischen Rat kam, an den ich mich brieflich gewandt hatte, sie mögen uns helfen, und wir haben auch Hilfe erhalten, und wir konnten noch mit den Chinesen eine substanzielle Kooperation ausbilden. Dies stellt einen wichtigen Teil unserer Vorbereitung dar, da ja im Prinzip eine Luftbrücke errichtet werden musste. Gestern kam auch schon eine komplette Fertigungsstraße, mit der wir Masken herstellen können, der Aufbau ist gerade im Gang. Wir haben ja die Beatmungsgeräte bestellt. Das ist eine Schlüsselfrage, dass diese ankommen, wir sie in Betrieb nehmen können. Dann errichten wir ein Seuchenspital in Kiskunhalas, damit sind wir bald fertig und entlasten dadurch die Krankenhäuser zur Aufnahme von Coronakranken. Und natürlich ist ein Kommandoplan notwendig, denn auch die Ärzte und die Schwestern können nicht darauf hoffen, dass sie – nur weil sie Mitarbeiter des Gesundheitswesens sind – nicht erkranken. Es ist die Erfahrung aller Länder, dass die Krankheit auch unter ihnen sich verbreitet, ja die Gefahr dafür ist noch größer, und sie müssen dann ersetzt werden. Jetzt sind die ungarischen Gesetze in dieser Hinsicht gut, denn sie ermöglichen in einer Gefahrensituation im Falle aller Mitarbeiter im Gesundheitswesen, sie obligatorisch abzukommandieren. Das formuliert das Gesetz natürlich eleganter, nicht in so einer militärischen Sprache. „Abstellung“ nennen wir es, aber das ist in Wirklichkeit Kommandieren. Und in solchen Situationen kann man zentral mit allen Ärzten, Pflegern, also allen Mitarbeitern des Gesundheitswesens haushalten. Die Zuhörer sehen es nicht, aber hier halte ich das wichtigste Dokument des Landes in der Hand. Das heißt „Medizinischer Umgruppierungsplan“.

Es scheint ziemlich dick zu sein.

Jetzt zeige ich es Ihnen. Hierin geht es darum, wie man die Kräfte umgruppieren muss, wenn dann der große Ansturm kommt, wenn die Infektion sich massenhaft verbreitet haben wird, und die Menschen zu Tausenden, zu Zehntausenden in die Krankenhäuser kommen, wie wir sie dann versorgen und wie wir kommandieren, wen aus welchem Krankenhaus wir im Notfall wohin kommandieren werden. Hier haben wir 110 Wohnheime reserviert, wir können 19.820 Personen anästhesistisch betreuen. 58 Hotels sind reserviert und stehen in Bereitschaft, dort können wir dann 5.661 Personen unterbringen. 3.543 Kraftfahrzeuge sind im Dienst, und wir sind auf die Speisung von 203.770 Personen vorbereitet. Das ist ein militärischer Kommandoplan für den Zeitraum der massenweisen Seuche. Damit beschäftigen wir uns eben. Jetzt ist die Frage, womit sich Brüssel beschäftigt? Es beschäftigt sich mit uns, dabei müsste es sich mit dem Virus, mit der Krankheit befassen. Ich will nicht in ihre Angelegenheiten hineinreden, aber es geht schließlich doch um Menschenleben. Ich weiß nicht, was für Menschen dort sitzen, aber ich weiß, hier in Budapest schmerzt uns der Verlust jedes einzelnen ungarischen Lebens. Sowohl gemeinsam uns allen als auch mir persönlich. Man kann keine wichtigere Beschäftigung haben, als sich damit zu beschäftigen, Leben zu retten. Dazu ist Kooperation, Zusammenarbeit notwendig. Je besser wir kooperieren, desto mehr Leben können wir retten. Dort herrscht aber irgendeine andere Mode. Man sitzt in Brüssel in irgendeiner Blase und verteilt gute Ratschläge, anstatt Leben zu retten. Ich sehe dies. Das wichtigste ist meiner Ansicht nach, nicht zu zulassen, dass man uns von unserer eigenen Arbeit abbringt. Wir sollten uns also nicht provozieren lassen, wir sollten nicht nervös sein. Wir sollten auch unsere berechtigte Empörung zurückhalten und all unsere Energie auch weiterhin darauf konzentrieren, wie wir den Ungarn helfen können, wie wir möglichst viele Leben retten? Morgen wird Herr Gergely Gulyás, der für die Regierungskoordinierung verantwortliche Minister, der ungarischen Öffentlichkeit den Fonds für Seuchenschutz vorstellen, den wir eingerichtet haben. Dieser umfasst alle möglichen Maßnahmen und Finanzmittel. Soviel kann ich vielleicht schon im Voraus verraten, dass wir in diesem Jahr jedem Mitarbeiter des Gesundheitswesens eine zusätzliche Zuwendung von fünf hunderttausend Forint zukommen lassen können, um dadurch ihre Arbeit anzuerkennen. Und außerdem besitzt dieser Seuchenschutzaktionsplan noch eine ganze Reihe weiterer Elemente.

Noch eine einzige Sache dann doch zu Brüssel. Man versteht also nicht, warum in einer Zeit, in der in Rumänien – obwohl es nicht angekündigt worden war, sondern sich erst im Nachhinein herausstellte – die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention suspendiert wird, es ein Problem ist, dass in Ungarn die Regierung bis zum Ende der Seuche um die Autorisierung dafür bittet, mittels Verordnungen auf die Weise regieren zu dürfen, dass ansonsten das Parlament tagt? Verwechseln sie nicht zufällig die ungarische Regierung mit der Leitung der ungarischen Hauptstadt? Denn dort hat man ja nicht einmal mehr im März das Stadtparlament zusammengerufen, und der Oberbürgermeister hat ja auch erklärt, er wird es auch nicht bis zum Ende der Seuche zusammenrufen, sondern er wird über Verordnungen regieren?

Das Europäische Parlament tagt auch nur in irgendeiner Form übers Internet, es setzt sich also nicht zusammen. Das ungarische Parlament arbeitet. Gestern, vorgestern haben wir 16 Gesetze eingereicht. Wir beschäftigen uns also nicht nur mit den Fragen des Seuchenschutzes, denn das ist die Aufgabe, die Pflicht der Regierung mittels Verordnungen, sondern in der Zwischenzeit geht unser normales Leben, die andere normale Hälfte unseres Lebens weiter, denn gleichzeitig gibt es auch noch andere Angelegenheiten im Leben über die Belange der Seuche hinaus. Da muss die Gesetzgebung arbeiten. Wir haben diese Gesetze auch vorgelegt. Das ungarische Parlament arbeitet mit Volldampf. Es sind also faktisch falsche Behauptungen, mit denen unsere Gegner operieren. Jetzt kann ich in dieser Situation ruhig sagen, unsere Feinde. Wenn ich mir die der ungarischen Regierung und die mir persönlich übergebenen Kompetenzen in der Gefahrensituation betrachte, deren Umfang und Gewicht, dann sehe ich, dass dies im Großen und Ganzen soviel umfasst, wie der Präsident Frankreichs in Friedenszeiten an Zuständigkeiten besitzt. Es ist also ganz offensichtlich, dass es sich hier um eine politische Attacke handelt. Und die Wahrheit ist, dass dies ein Netzwerk ist. Ich möchte dieses Mantra nicht erneut aufsagen, aber Ungarn besitzt Gegner, die auf dieses Land erpicht sind. Sie möchten es ausplündern, sich der Kraftressourcen dieses Landes bemächtigen. An der Spitze dieses Netzwerkes steht George Soros. Seine Leute besetzen in Brüssel jene Posten, von denen aus Kritik uns gegenüber geäußert wird. Aber, ich habe ja gesagt, wir lassen uns nicht provozieren. Wir sollten das Adrenalin ein bisschen runtergehen lassen und uns damit beschäftigen, was unsere Aufgabe ist: Den Ungarn zu helfen und die ungarischen Leben zu retten.

Sehr wichtig ist die Bewahrung der Arbeitsplätze. Darüber spricht ein jeder. Auch in Amerika hat die Zahl der Arbeitslosen einen großen Sprung gemacht, sie ist recht hoch. Was unternimmt die ungarische Regierung, um die Arbeitsplätze zu retten?

Wir sind ja nicht die Ursache dieser Wirtschaftskrise. Wir haben sie nicht gesucht, wir haben sie nicht gewollt, wir haben sie nicht verursacht, wir haben sie in den Nacken bekommen. Dies wird eine weltweite Wirtschaftskrise werden. Ich glaube, dies kann man riskieren zu sagen, doch dass sie von europäischem Ausmaß sein wird, das ist gewiss. Die Frage ist, wie wir unser Leben hier in Ungarn organisieren, wie wir uns mit dieser Wirtschaftskrise auseinandersetzen? Als Hauptrichtung kann ich soviel sagen, dass als ich noch aktiver Fußballer war, da erinnere ich mich, wie unser ehemaliger Mannschaftskapitän, Jenő Lasztovicza, Gott habe ihn selig, uns in der Kabine einteilte: „Du greifst von hier von links aus an, in der Mitte. – Und, Jenő, wer wird verteidigen?“ Und er sagte: „Na, der Gegner!“ Und das Krisenmanagement in meinem Kopf richtet sich immer auf diese Weise aus. Wir wollen also vor der Krise nicht zurückweichen und wir wollen uns nicht verteidigen, sondern angreifen. Was das bedeutet? Wir wollen unsere Ziele nicht aufgeben! Ich denke also immer auf die Weise, dass die ungarischen Menschen Ziele besitzen. Auch das Land besitzt gemeinsame Ziele. Jetzt haben sich die Umstände verändert, doch darf man die Ziele nicht aufgeben, nur muss man auf andere Weise zu ihnen gelangen, man kann ihnen mit Hilfe anderer Mittel Geltung verschaffen. Ich möchte also nicht umkehren, und ich möchte nicht, dass mein Heimatland in den Zeitraum der auf Hilfen basierenden Wirtschaft zurückkehren würde. Denn am Ende der finanziellen Unterstützungen muss man Kredite aufnehmen, und daraus folgt Verschuldung. In meinem Kopf sieht dies also so aus, dass es die auf Hilfen basierende Wirtschaft gibt, die Hilfe ist ein Almosen, eine Abwertung und Abhängigkeit, und am Ende ist da ein bettelndes Leben. Und es gibt die andere Route, die auf Arbeit basierende Wirtschaft, in der es Arbeit, Verdienst, Selbstachtung, Unabhängigkeit und am Ende ein stolzes Leben gibt. Das kann man nun nicht aufgeben. Deshalb müssen wir Arbeitsplätze bewahren und schaffen. Am Dienstag werden wir den – so glaube ich – größten Plan der ungarischen Wirtschaftsgeschichte zur Belebung der Wirtschaft vorstellen, der aus vier Kapiteln besteht. Das erste ist die Bewahrung der Arbeitsplätze, das zweite ist die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Wir arbeiten also mit riesigen Kräften daran, und wir möchten riesige Kräfte mobilisieren, um zum Teil das zu verteidigen, was noch verteidigt werden kann, aber um sofort anzugreifen, und möglichst viele neue Arbeitsplätze zu schaffen. Und das wird unser Aktionsplan befördern. Wenn wir das nicht tun, dann wird es eine auf Hilfen basierende Wirtschaft geben, dann muss man Kredite aufnehmen, in erster Linie aus dem Ausland, und wir biegen in jene Straße ein, an deren Ende der IWF auf uns wartet sowie die George-Soros-artigen Finanzspekulanten. Ich schlage vor, dies nicht zu tun. Wir sollten also auf die Weise mit dieser Krise ringen, dass wir unsere Ziele nicht aufgeben, wir sollten das nicht aufgeben, was wir erreicht haben! Geben wir Ungarns Unabhängigkeit nicht auf! Geben wir die auf Arbeit basierende Wirtschaft nicht auf und geben wir auch nicht die Möglichkeit des stolzen Lebens auf!

Ja, aber dazu sind grundlegende Veränderungen notwendig. Ich habe auf Ihrer Facebook-Seite am 31. März ein Bild gesehen, dass Sie mit Mihály Varga eine Unterredung haben und darunter stand, die Umformung, die Umstellung des Haushaltes, des diesjährigen und jenes des kommenden Jahres sei jetzt die Aufgabe. Gibt es im Übrigen eine Idee, eine Hilfe, die von den Kammern, der Handels- und Industriekammer kommt? Nimmt die Ungarische Nationalbank an diesem Programm teil?

Mein Motto oder mein politisches Kredo lautet, dass man allein nie klug genug sein kann. Also ist das Schicksal eines Landes, seine Sorgen, seine Probleme eine zu große Herausforderung, um glauben zu können, man könnte allein oder man könnte auch allein klug genug sein. Man muss also ständig zuerst intellektuelle Energien miteinbeziehen. Ja, von der Notenbank, den Wirtschaftswissenschaftlern der Akademie, dann sind hier noch die Interessenvertretungen wie die Kammer. Und dann sind da jene Menschen, mit denen ich bereits früher in der Regierung zusammengearbeitet habe und die verschiedene Wirtschaftsportefeuilles geleitet hatten. Ich konsultiere, ich spreche also mit allen, mit allen von ihnen. Dieses Programm nimmt Konturen an. Diese Arbeit läuft schon seit Wochen. Nicht zufällig haben wir es nicht überhastet, uns mit ihm vor die Öffentlichkeit zu stellen, denn jetzt ist ein überzeugendes, starkes – ich sage es noch einmal –, für die Zukunft Hoffnung gebendes Aktionsprogramm notwendig. Wir kommen sehr gut mit ihm voran. Wir arbeiten auch sehr viel. Meiner Ansicht nach werden wir Montagnachmittag fertig sein, am Dienstag werden wir es vorstellen können.

Noch eine Frage: Sie hatten dahingehend formuliert, es sei ein juristisches Leck entstanden, als in der vergangenen Woche ja das Parlament nicht die die Frage der dringlichen Behandlung akzeptieren konnte, akzeptieren wollte. Und danach hat das Parlament mit zwei Dritteln zugestimmt. Glauben Sie, jetzt sei die Ordnung wieder hergestellt, die vor 15 Tagen begonnen hat?

Schauen Sie, ich habe nie die Hoffnung aufgegeben, dass auch die Opposition es einsehen wird, dass dies nicht die Zeit für parteipolitische Debatten ist und wir kooperieren müssen. Und ich möchte alle Parlamentsabgeordnete, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, gewinnen, damit sie jenen Wirtschaftsplan, jenen Plan zum Schutz der Wirtschaft unterstützen, der auf die Verteidigung der Arbeitsplätze sowie die Schaffung neuer Arbeitsplätze gerichtet ist. Ich bitte sie, wir sollten uns in eine gemeinsame Formation aufstellen, und gemeinsam aussprechen, dass wir so viele Arbeitsplätze schaffen werden, wie das Virus vernichtet. Hierzu ist die Einheit notwendig.

Im Übrigen sind auch in linken Zeitungen Meinungen von Wirtschaftswissenschaftlern veröffentlicht worden, die – man hat irgendwie so im Titel formuliert – sagten: „Es kann sein, dass Orbán und seine Leute darin Recht haben, dass man nicht Geld verteilen soll, sondern sich der Frage von irgendwo anders her annähern sollte.“

Also ich verteile gerne Geld. Wo ist dieses Geld? Ich sehe also, ein jeder spricht, besonders auf der Seite des Spielfeldes der Opposition, über irgendwelche Gelder aus der Europäischen Union. Ich sehe keinen einzigen Fillér davon. Das sind faktisch unwahre Behauptungen. Es gibt also Geld niemals umsonst. Man kann Geld verteilen, aber jedwedes Geld muss früher oder später erwirtschaftet werden. Wenn du es zuerst verteilt hast, dann muss man danach dafür arbeiten. Aber dass eine Gemeinschaft als Geschenk, ohne Arbeit, ohne eine Anstrengung an Geld kommt, um es dann einfach so verteilen zu können, so etwas hat die Welt noch nicht gesehen. Aus Krediten kann man das machen, aber dann wirst du am Ende die Kosten des Kredites zahlen, und das kostet immer viel mehr, als wenn du gearbeitet hättest. Das ist die Regel, die ich in meinem Leben gelernt habe.

Vielen Dank! Sie hörten Ministerpräsidenten Viktor Orbán.