Viktor Orbáns Interview in der Sendung „180 Minuten” [„180 perc”] von Radio Kossuth
2. Dezember 2016

Éva Kocsis: Lohnerhöhung, Konkurrenzfähigkeit, Rentenerhöhung, außenpolitische Angelegenheiten sind die Themen der folgenden halben Stunde. Im Studio anwesend ist Ministerpräsident Viktor Orbán. Guten Morgen!

– Ich wünsche den Zuhörern einen guten Morgen!

– Wir haben neulich unser Gespräch an dem Punkt beendet, als es um die Wirtschaft ging, wie die Lohnerhöhung auf allen Ebenen der Arbeitskräftemarktes verwirklicht werden kann. Seitdem wissen wir es, auch die Vereinbarung sowohl im Zusammenhang mit dem Minimallohn als auch dem Lohnminimum ist zustande gekommen, und Sie waren relativ selbstsicher in der Hinsicht, dass es auf allen Gebieten Wachstum geben wird. Warum ist es für Sie derart eindeutig, dass ein jeder dies erwirtschaften wird können?

– Schauen Sie, ich bin seit 1990 Parlamentsabgeordneter, das heißt, ich habe an Debatten von 26 Haushalten teilgenommen. Einen Teil dieser Haushalte haben wir aus der Position der Regierungspartei heraus selber aufgestellt, wir verfügen über Erfahrungen. Mit der notwendigen Bescheidenheit, aber selbstbewusst kann ich sagen: Wir haben gelernt, was was zur Folge hat. Wir besitzen also das Wissen darüber, wenn wir an irgendeiner Schraube der großen Maschinerie der Wirtschaft etwas drehen, wie man die anderen dem anpassen muss, damit die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit gut funktioniert. Und ich habe auch gelernt, dass wenn wir klare Ziele festlegen und über diese Ziele vor ihrer Festlegung substanzielle Gespräche mit den Akteuren der Wirtschaft führen und sie die Richtung und die Absicht der Wirtschaftspolitik der Regierung kennen, dann kann jener Zusammenklang oder jene Gleichklanglehre zwischen der Regierung, den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern entstehen, die zum Erreichen der Ziele notwendig sind. Man muss mutig, klar, geradeheraus sprechen, und man muss mutige Ziele festlegen. Ich bin mir darin sicher, dass es kein Zufall ist, dass wir nach 2010, als das Land vom Abgrund eines wirtschaftlichen Bankrotts zurück gezerrt werden musste, wir nicht sagten, die Arbeitslosigkeit solle abnehmen, die damals etwa 12% betrug, sondern ich habe die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer darum gebeten, setzen wir die Vollbeschäftigung als Ziel. Und heute liegt die Arbeitslosenquote unter fünf Prozent. Genauso habe ich sie jetzt darum gebeten, wir sollten darüber übereinkommen, dass wir im Gegenzug für eine Lohnerhöhung eine bedeutende Steuersenkung durchführen, und wir sollten gemeinsam das Ziel festlegen, dass in Ungarn nicht nur ein jeder eine Arbeit haben soll – denn heute kann schon ein jeder, der es will, in Ungarn arbeiten, dies können wir im Großen und Ganzen sagen –, sondern setzen wir uns zum Ziel, dass es sich in Ungarn immer mehr lohnen soll, zu arbeiten. Und ein jeder erhält eine Steuersenkung, wenn er im Gegenzug die Lohnerhöhung durchführt. Dies ist die einfache Logik, die hinter unseren Entscheidungen steckt.

– Nun, wenn ein höherer Lohn gezahlt werden muss, dann bedeutet dies auch, dass die jeweiligen Firmen diesen erwirtschaften müssen, sie müssen verantwortungsvoller denken. Kann dies Ihrer Ansicht nach eine Wirkung auf das Anwachsen der Konkurrenzfähigkeit haben?

– Selbstverständlich glaube ich daran, dass die Steuersenkung immer die Konkurrenzfähigkeit erhöht, und ich glaube auch daran, dass die Lohnerhöhung über bestimmte indirekte Faktoren auch die Verbesserung der Qualität der Arbeitskraft hervorruft. Wir werden also konkurrenzfähiger sein.

– Wir hatten neulich auch darüber gesprochen, zumindest hatten wir angefangen, darüber zu sprechen, welche Pfeiler diese im Laufe von fünf Jahren zu verwirklichende Lohnerhöhung, Reallohnerhöhung von vierzig Prozent besitzt, wir sprachen über das wirtschaftliche Wachstum, darüber, wie die Abnahme der Zinslasten dazu beitragen werde. Und ein wichtiges Element dessen ist die Schaffung von Arbeitsplätzen, hierüber haben wir weniger gesprochen, und ein wichtiges Element ist das Aufschließen wegen der regionalen Lohnquote. Schauen wir die Schaffung von Arbeitsplätzen, denn…

– Schauen Sie, wir sind mit einer Arbeitslosigkeit von 12% gestartet, und heute befinden wir uns unter 5%. Im Jahre 2010 befand sich Ungarn, hinsichtlich der Rangliste der Arbeitslosen, also was das Gewicht und die Höhe der Arbeitslosigkeit anging, irgendwo um den 19. Platz herum in Europa, und heute sind wir vielleicht schon unter den ersten 5. Ungarn ist also das durch die Arbeitslosigkeit am wenigsten betroffene Gebiet. Ich wage es heute zu behaupten, dass der, der es will, der findet für sich auch irgendeine Arbeit in Ungarn. Es ist wahr, dass die Lage noch nicht ideal ist, wir sollten uns also nicht zurück lehnen, sondern sehen, dass es regionale Unterschiede gibt. Es stimmt auch, dass es nicht immer einfach ist, an den Arbeitsplatz zu kommen, und auch das stimmt, dass der Arbeitnehmer nicht immer das bekommt, was er möchte, oder wofür er gelernt hat, doch können wir sagen, dass irgendeine Arbeit, im schlimmsten Falle im Rahmen der öffentlichen Beschäftigung, ein jeder finden kann. Deshalb sage ich, dass heute nicht mehr die Schaffung von Arbeitsplätzen das Ziel ist, sondern es vielmehr lohnenswerter ist, uns als Ziel zu setzen, dass es sich zu arbeiten lohnt.

– Ich habe hier eine Studie vor mir: Wie Sie auch schon darauf hingewiesen haben, ist es eigentlich so, dass auf die Weise die Arbeitslosigkeit auf einem Rekordtief ist, dass sie zugleich auch mit für die Region typischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Dies besitzt angefangen mit der Mobilität sicherlich viele Pfeiler. Doch habe ich hier vor mir eine Studie des Institutes „Századvég“ darüber, wie der Arbeitskräftemangel und der Arbeitskräfteüberschuss aufeinander abgestimmt werden könnten, und ein wichtiger Pfeiler hierfür ist die Umgestaltung des Schulwesens, der Berufsausbildung bzw. das Vorausdenken dahingehend, was der Arbeitskräftemarkt in ein, zwei Halbjahren brauchen wird.

– Schauen Sie, natürlich haben wir mit zahlreichen Sorgen zu kämpfen. Ein jeder, der die Wirklichkeit in Ungarn kennt, sieht, dass wir noch nicht dort angelangt sind, wohin wir hin möchten. Doch können wir auch ruhig sagen, dass seit 1990 die Lage noch niemals derart hoffen ließ wie heute. Es geht also nicht darum, dass wir angekommen sind, sondern dass wir uns auf dem Weg befinden, und die Richtung, die wir verfolgen, erfolgversprechend ist. Ich kann sagen, dass in den vergangenen 27 Jahren wir jetzt die besten Chancen dafür haben, dass gleichzeitig die Staatsverschuldung abnimmt, zugleich sich die Konkurrenzfähigkeit verbessert, die Steuern abnehmen und die Löhne wachsen. Ich halte es auch für wichtig, dass jeder es spüren oder darüber nachdenken soll, dass wir dies nicht im Lotto gewonnen haben, also nicht das Glück uns dieses Ergebnis hergeblasen hat, so wie auch nicht ein äußerer Umstand einer internationalen Konjunktur die Grundlage für diese Lohnerhöhungen gegeben hat, sondern die in den vergangenen sechs Jahren verrichtete Sisyphusarbeit. In diesem Land hat in den vergangenen sechs Jahren so gut wie ein jeder gearbeitet. Ich spreche jetzt nicht über die Regierung, weil das selbstverständlich ist, sondern jeder einzelne ungarische Mensch hat seit 2010 den Gedanken akzeptiert, dass wir größere Anstrengungen im Interesse dessen unternehmen müssen, damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht, und wir in Richtung auf die noch vor zwanzig und einigen Jahren zur Zeit des Systemwechsels gesteckten Ziele losgehen. Und das haben die Ungarn gemacht. Also für ein im Laufe des 20. Jahrhunderts geschlagenes und deshalb häufig kleingläubig gemachtes Volk hören sich jetzt jene Sätze, die ich sage, merkwürdig an, aber ich möchte das Land aus diesem seinen Zustand herauszerren, denn die Ungarn sind sehr wohl darüber hinaus, dass sie talentiert und fleißig sind, jetzt auch erfolgreich. Wir haben also die Richtung getroffen, wir gehen in die richtige Richtung, es gelang uns, zusammenzuhalten, die Ergebnisse sind gekommen, wir gehören zu den Siegerländern. Wir gehören also zu den Ländern, deren Situation sich verbessert, wir gehören zu den siegreichen Ländern – dies ist ein ungewohntes Erlebnis, hieran hatten wir schon seit Langem keinen Anteil mehr, aber wenn wir dies nicht spüren, wenn wir dies nicht verstehen, wenn wir dies nicht wissen, dann können wir keine richtigen Schlussfolgerungen ziehen und weitere korrekte Ziele festlegen.

– Jetzt gehört all das, was Sie gesagt haben, zu den Grundpfeilern der Konkurrenzfähigkeit, des langfristigen Denkens. Aber eigentlich in Zahlen übersetzt, sagen wir für das nächste Jahr, mit welchen Daten rechnen sie?

– Wir dienen mit vielversprechenden Daten, das kann ich sagen, denn die Situation wird sich in jeder Dimension verbessern. Die Staatsverschuldung wird abnehmen, das Haushaltsdefizit wird abnehmen oder zumindest auf dem gleichen Niveau bleiben, wird sich also nicht verschlechtern. Es wird gelingen, die Inflation in der Hand zu halten, wenn sie auch höher sein wird als dieses Jahr. Wir rechnen statt der früher geplanten kleineren Rentenerhöhung mit einer viel größeren, wir rechnen mit einer weiter abnehmenden Arbeitslosigkeit. Dies ist eine knifflige Sache, denn wir sagen zugleich, dass es keine Arbeitslosigkeit gibt und dass sie abnehmen wird, was nach der Logik des menschlichen Geistes zwei entgegen gesetzte Behauptungen sind, doch ist die Wirklichkeit, dass es eine Arbeitslosigkeit irgendeines Ausmaßes immer gibt, denn Arbeitsplätze hören auf zu existieren, die Frage ist, ob parallel dazu neue geschaffen werden. Es gibt also immer irgendeine temporäre Arbeitslosigkeit, drei-vier Prozent, bei solchen Daten sagt die Wirtschaftswissenschaft, dass im Wesentlichen Vollbeschäftigung herrscht. Wir sind schon sehr nah daran. Ich sehe das Anwachsen der Bedürfnisse zum Hausbau, im vergangenen Zeitraum sind mehr als zwanzigtausend Baugenehmigungen ausgegeben worden, es beginnt also auch bei den Familien der Hausbau, im Falle der Familien mit zwei Kindern haben wir, nicht wahr, die Steuerermäßigung erhöhen können. Ich bin also der Ansicht, dass angefangen mit den Rentnern über die Arbeitenden und über die Menschen im reifen Alter bis hin zu den Jugendlichen ein jeder einen Schritt nach vorne machen kann, so wie ich das 2010 allen versprochen habe, als ich das erste Mal bei den Wahlen um Vertrauen gebeten hatte.

– Vorhin haben Sie auch die Rentenerhöhung erwähnt. Inwieweit wird im kommenden Jahr der Umstand seinen Stempel draufdrücken, dass die Europäische Kommission die staatliche Regelung der Strompreise auf dem europäischen Markt streicht?

– Zuerst werden wir es nicht zulassen, dass sie sie streicht. Man muss sich also darauf vorbereiten, dass sich unsere oppositionelle Position in Brüssel weiter verstärkt, weil hier erneut ein Thema vorliegt. Ich würde mich gerne in allen Fragen auf die Seite der Brüsseler Mehrheit stellen, also auch ich glaube an die Kraft des Zusammenhaltes, ich glaube daran, dass wenn die europäischen Völker alle in eine Richtung wollen, dann würden wir weiterkommen. Jedoch kann ich mich nicht auf die Seite dummer, für die Ungarn schädlicher Vorschläge hinstellen, und Ungarn darf sich nicht dorthin stellen. Dies bedeutet, dass der Gedanke, dass wir die behördliche Regelung der Preise aus dem europäischen Energiesystem streichen sollen, mit sich ziehen würde, dass wir die Reduzierung der Nebenkosten einstellen müssten, und die Kommission beziehungsweise die Europäische Union irrt sich, wenn sie glaubt, der Wettbewerb würde zur Senkung der Preise führen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dies im Energiesektor nicht so ist. Der Wettbewerb führt nicht zur Senkung der Preise, sondern infolge verschiedenster im Hintergrund geschlossener Absprachen führt er zum Ansteigen der Preise. Deshalb glaube ich, wenn es in Europa – ich sage nicht überall, und über Amerika spreche ich erst gar nicht, aber in Europa –, besonders in Mitteleuropa keine Preisregulierung gäbe, würden die Rentner, die Familien, die unter schwierigen Bedingungen Lebenden einen viel höheren Preis für die Energie zahlen, als wenn es solch eine Preisregulierung gibt. Deshalb besteht Ungarn auf der Reduzierung der Nebenkosten, und wir werden sie auch verteidigen, obgleich dies in dem vor uns stehenden Jahr ein sehr schwieriger Kampf sein wird, aber wir haben eine Chance zum Erfolg.

– Ja, ich wollte fragen, ob dies nicht eine weitere Front wäre, die…

– Ja, das ist eine neue Front, aber schauen Sie! Nicht wir haben sie eröffnet. Ich möchte also nicht in die Rolle eines streitsüchtigen Landes oder streitsüchtigen Ministerpräsidenten hineinschliddern, weil dies nicht unser Charakter ist, auch nicht meiner. Wir suchen nach vernünftigen Lösungen, und wir bevorzugen die Vereinbarungen im Gegensatz zu den Auseinandersetzungen. Aber über schlechte Dinge darf man keine Vereinbarung treffen, und wir wollen das gegenwärtige System auch nicht verändern, sondern Brüssel. Also haben sie eine Front eröffnet, und es gibt keine andere Möglichkeit, wir müssen unsere Rüstung anlegen und den Helm aufsetzen und in die Schranken treten.

– Zu Brüssel werden wir noch zurückkehren. Sprechen wir noch kurz über das Wirtschaftswachstum, denn hierauf haben sicherlich auch äußere, außenwirtschaftliche Umstände einen Einfluss. Zum Beispiel der, dass die Deutschen selber bis 2018 in ihrer eigenen Wirtschaft mit einer Verlangsamung der Wirtschaft rechnen. Wird uns das nicht…

– Der Zusammenhang, den Sie erwähnen, existiert zweifellos, denn die ungarische Wirtschaftsleistung produziert zu einem ansehnlichen Teil für den Export. Dies bedeutet, wenn es niemanden gibt, der unsere Produkte kauft, dann wird auch das Wachstum der ungarischen Wirtschaft langsamer. Aber ich würde es nicht erlauben wollen, dass wir in die Denkweise zurücksinken, die Ungarn ständig als Opfer betrachtet, und die vor Selbstmitleid trieft. Denn das Selbstmitleid ist eines der schädlichsten Dinge, und wenn wir sagen, „nun ja, in der Welt gehen die Dinge schlecht, und dann wird es auch uns schlecht gehen“, ist dies eine bestimmte Form des Selbstmitleids, dies empfehle ich nicht. Wenn also sich das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamt oder auf unseren Märkten unvorteilhafte Tendenzen zu erwarten sind, dann kann man von allen erwarten, von der Wirtschaftskammer, den Gewerkschaften und auch von der Regierung, dass sie eine politische Leitlinie finden, die das Wachstum der Wirtschaft auch unter sich verschlechternden Bedingungen im Außenhandel aufrechterhält, oder zumindest in dem Maße, wie es möglich ist, verteidigt. Wir legen die Waffen also nicht nieder, ja, wir wollen ein höheres Wachstum.

– Ist das die östlich-südliche Öffnung, ist schon dies die Richtung?

– Ja, die Welt besteht nicht nur aus Deutschland, obwohl wir Deutschland zum einen Teil, hinsichtlich der Arbeitsdisziplin und der Leistungsfähigkeit sowie der Qualität auch als unser Vorbild betrachten, und auch ein großer Teil, ein ansehnlicher Teil unserer Exportgüter geht nach Deutschland, aber Deutschland ist nicht identisch mit der ganzen Welt. Die Welt besitzt auch andere Ecken. Als Ergebnis der östlichen Öffnung haben wir, während Sanktionen gegenüber Russland bestanden, trotzdem ein bedeutendes Wachstum erreichen können, und auch die südliche Öffnung hat begonnen. Wir haben also damit begonnen, ungarische Produkte auch in den Regionen südlich von uns zu platzieren.

– Nun, Sie haben jetzt im Zusammenhang mit der Wirtschaft, im Zusammenhang mit der Richtung vieles aufgezählt, von der Lohnerhöhung über die Rente bis zu den Pfeilern der Außenwirtschaft, aber was wird der nächste praktische Schritt sein, wenn sie zur Regierungssitzung zusammenkommen, was werden dann die operativen Teile des folgenden halben Jahres in wirtschaftlicher Hinsicht sein?

– Nun dies ist eine… Eine raffinierte Frage ist das. Ich müsste also eine komplizierte Sache auf einfache Weise erzählen, es ist nicht sicher, ob das gelingen wird. Man muss sich eine Regierung als etwas vorstellen, das gleichzeitig mindestens drei Gehirne hat. Man muss also mit drei Köpfen nachdenken. Das sind zunächst die strategischen Ziele, das sind die nächsten zehn-zwanzig Jahre. Wie so ein Abendstern. Ihn muss man also immer sehen, unabhängig davon, wenn es gerade auch nicht darum geht, ganz gleich, was wir auch machen, wir dürfen nicht in die entgegen gesetzte Richtung gehen, als in jene, wo die Ziele zu finden sind, die wir in der Perspektive von zehn-zwanzig Jahren festgesetzt haben. Es gibt also ständig ein Gehirn, das sich mit den strategischen Fragen beschäftigt. Und dann haben wir ein weiteres Gehirn, das betrachtet, ob unsere zuletzt gefällten Entscheidungen mit unseren Absichten übereinstimmen. Weil eine Regierung entscheidet irgendetwas, und dann geschieht das, was geschieht. Die Wirtschaft und die Menschen reagieren nicht immer so auf eine Entscheidung, wie wir das angenommen haben. Im guten Fall geschieht dies natürlich, und die Erfahrung hilft in solchen Fällen, denn wir haben schon Haushalte zusammengestellt, wie ich erwähnt habe, und dies ist auch nicht unser erstes wirtschaftspolitisches Programm, doch trotzdem muss die Wirkung unserer Entscheidungen kontinuierlich untersucht werden. Und das dritte Gehirn muss über die Gestaltung der vor uns stehenden kurzfristigen Entscheidungen nachdenken. Also denken wir in allen drei Dimensionen auf einmal nach, dies ist unsere Arbeit, hierdurch wird sie zu einer spannenden Sache, dies ist eine ernsthafte Herausforderung, es gelingt auch nicht immer jedem. In der heutigen Welt ist die Zahl der erfolgreichen Wirtschaftspolitiken ziemlich begrenzt. Große Kräfte müssen nicht nur im Interesse der Durchführung mobilisiert werden, sondern auch für das Denken. Ungarn geht es heute meiner Ansicht nach – jetzt spreche ich nicht nur über die Regierung, sondern über die universitäre Sphäre, die Welt der Intellektuellen, die über die Wirtschaftspolitik nachdenkenden Akteure der Wirtschaft –, recht gut, wir sind also konkurrenzfähig im Denken, und das Eigenlob ist keine schöne Sache, doch vielleicht kann ich soviel im Interesse Ungarns sagen. Es ist kein Zufall, dass wir diese riesigen Schlachten, die auch wirtschaftsphilosophische Dimensionen besaßen, dann doch nacheinander gewonnen haben. Nun zum Beispiel jene Debatte – ich weiß nicht, ob Sie sich noch daran erinnern – als wir den IWF nach Hause geschickt haben und daraufhin gesagt wurde, dies sei eine unorthodoxe Wirtschaftspolitik, und, dass dies zum Zusammenbruch führen werde. Auch die ungarische Opposition hat dies ständig gesagt, wir sollten auch nicht vergessen, dass die ungarische Opposition uns in keiner einzigen Angelegenheit unterstützt hat. Weder in der Steuersenkung, noch in der Lohnerhöhung, noch in der Rentenerhöhung, wir haben keinerlei Unterstützung erhalten. Also mussten die Regierung und die ungarischen Menschen entgegen der internationalen Windrichtung und entgegen der ungarischen Opposition erfolgreich sein, dies halte ich für besonders wertvoll. Und wir haben große Schlachten gewonnen, und aus dem schwarzen Schaf Ungarn ist langsam, aber sicher eine Erfolgsgeschichte geworden, widerstrebend zwar, doch langsam erkennen dies auch unsere Gegner an.

– Wenn Sie schon die Schlachten erwähnt haben, in zwei Wochen wird es wieder eine Schlacht geben, nehme ich an, auf der Bühne der Europäischen Union und im Zusammenhang mit den Quoten. Doch jetzt gehen Sie dorthin schon so, dass das Verfassungsgericht am Mittwoch auf seiner Homepage mitgeteilt hat: Das ungarische Verfassungsgericht kann die gemeinsame Ausübung von Kompetenzen über die Institutionen der Europäische Union dahingehend untersuchen, ob dies die Würde des Menschen, das grundlegende Recht, die Souveränität des Landes oder zum Beispiel die auf der historischen Verfassung basierende ureigene Identität antastet.

– Schauen Sie, dies scheint eine abstrakte rechtsphilosophische und verfassungsrechtliche Frage zu sein. Ist es aber nicht.

– Ich bin aber trotzdem auf das Drehbuch neugierig, auf den praktischen Teil.

– Die Situation ist die, dass – als ich dies gehört habe – ich meinen Hut vor der Entscheidung des Verfassungsgerichtes und den ungarischen Verfassungsrichtern gezogen habe, und danach habe ich ihn zum Himmel hinaufgeworfen, denn ich habe eine riesige Hilfe für die Schlacht erhalten, die in Brüssel geschlagen werden muss. Hier geht es also nicht mehr darum, was die ungarische Regierung denkt, und es geht nicht darum, wie wir die Volksabstimmung auslegen, in deren Rahmen drei Millionen und dreihundert tausend Menschen ihren Willen klar zum Ausdruck gebracht und eine neue Einheit im Interesse der Verteidigung Ungarns erschaffen haben, und jetzt können wir auch die Manöver des Gegners, der Opposition in Klammern setzen. Wir können also auch vergessen, dass die Opposition auf die Seite Brüssels übergelaufen war, dass die Jobbik sich quer gelegt hat, denn jetzt ist es uns gelungen, auch die quer daliegende Opposition zu umgehen. Denn das ungarische Verfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass auch ohne Verfassungsänderung, obwohl es besser gewesen wäre, wenn unser Text eindeutiger ist, aber auch ohne Verfassungsänderung aufgrund der gegenwärtigen Verfassung es das Recht – und was ich jetzt sage, ist das wichtigste: – und auch die Pflicht der ungarischen Regierung ist, sich überall, so auch in Brüssel für die ureigene Identität des Landes, seine Verfassungsidentität und seine grundlegenden Interessen einzusetzen. Wir können also keine Brüsseler Entscheidung unterstützen, die die Souveränität Ungarns verletzt. So hat also zum Beispiel das Verfassungsgericht auf diese Weise die Frage eindeutig geklärt, dass niemand außer uns uns sagen kann, mit wem wir zusammenleben sollen, nur das ungarische Parlament und wir selbst. Denn die Bevölkerung gehört zur Verfassungsidentität. Man kann die Bevölkerung Ungarns nicht durch einen äußeren Beschluss verändern, den Volksanteil, die Zusammensetzung, die Regeln des Aufenthaltes hier kann man mit einem Beschluss von außen nicht verändern. Dies ist also eine gute Nachricht für jeden ungarischen Menschen, eine gute Nachricht für all jene, denen die Sicherheit Ungarns wichtig ist, die keine Einwanderung wollen, nicht möchten, dass wir besetzt werden, und nicht wollen, dass Brüssel all jene hierher abschiebt, die im Übrigen gar nicht hierher kommen wollen und die wir hier auch gar nicht sehen wollen.

– Jetzt müsste ich schon nachzählen, wir oft ich gefragt habe, ob es in diesem Thema auf dem nahenden Unionsgipfel einen wesentlichen Fortschritt geben wird. Ich bin pessimistisch. Sie sind, wenn ich es richtig verspüre, optimistisch.

– Dies ist so, wie die ritterlichen Turniere, wir marschieren dort alle zu der Beratung ein, ich habe schon vorhin gesagt, man muss in die Schranken treten, dann zieht ein jeder seine Rüstung, seinen Panzer an, setzt sich auf sein Ross, wir prallen aufeinander. Und dann brechen die Lanzen, und am Ende gibt es ein Ergebnis. Vorerst konnten sie uns nicht aus dem Sattel werfen. Es stimmt zwar, dass auch wir sie nicht aus dem Sattel werfen konnten, also steht dieses Match vorerst unentschieden, doch – wie der ungarische Spruch lautet – „wer Zeit gewinnt, gewinnt Leben“.

– Aber wie ist das Kräfteverhältnis? Die Slowaken arbeiten doch an einem Vorschlag.

– Das Kräfteverhältnis ist wie zwischen David und Goliath. Goliath befindet sich auf der anderen Seite, und wir sind auf dieser Seite, die Visegráder Vier. Und das Beschlussfassungssystem der Europäischen Union ist aber derart, dass die Ministerpräsidenten in wichtigen Fragen nur einen einstimmigen Beschluss fassen dürfen, so hat also auch noch David Möglichkeiten. Es ist keine bequeme Situation, wenn man diese Waffe schon wer weiß wie oft angewandt hat, man wird auch nicht nett angeschaut, eher schief angesehen, der Zerrüttung der Einheit und wer weiß welch anderer hässlichen Dinge bezichtigt. Aber es gibt hier keine andere Möglichkeit, hier muss man für die Interessen der Nation ausharren.

– Sie sprechen jetzt nur über die Visegrád-Staaten, doch laut einer gestrigen Meldung oder von Mittwoch sagte Miloš Zeman, dass weder Tschechien noch Frankreich die obligatorische Quote über die Verteilung der Flüchtlinge unterstützt. In Italien wird es eine Volksabstimmung, in Österreich eine Wahl geben. Jetzt sollten wir noch zu François Hollande hinzufügen, dass er gestern Abend angekündigt hat, er werde nicht wieder antreten. Also ist jetzt das, was er über die Quote sagt, in dieser Hinsicht bereits …

– Schauen Sie, ich würde an dieser Stelle gerne eine stärker Formulierung gebrauchen, also jene Regierungen und jene Länder, die nicht verstehen, dass die Menschen keine Einwanderung möchten, keine Fremden unter sich sehen wollen, helfen jenen gerne, die tatsächlich in Not sind, doch wollen sie keine Menschen hereinlassen, mit denen sie nicht werden zusammenleben können, wegen denen die öffentliche Sicherheit abnimmt, weshalb die Terrorgefahr zunimmt. Sie glauben überhaupt nicht, dass der Wohlstand jedem auch ohne Anstrengung zustehen würde, dass man hierherkommen könne und das, was wir aufgebaut haben, mit uns teilen oder uns wegnehmen kann. Also werden jene Regierungen, die diese Volksmeinung nicht beachten, die werden alle stürzen, dies ist nur eine Frage der Zeit. Und dies geschieht. Nur müssen wir aushalten, bis die Demokratie wiederhergestellt ist. Denn heute ist die Demokratie in Europa im Ungleichgewicht, es gibt kein demokratisches Gleichgewicht. Das Volk denkt etwas anderes als das, was seine Führer ihm aufzwingen wollen. Es wird die Zeit kommen, in der dieser Unterschied verschwindet, denn nach den Regeln der Demokratie wird dies verschwinden. Und seit dem Gedicht von Petőfi wissen wir es ja, dass letztlich das Wasser der Herr ist. Und das Wasser wird sich nicht der Galeere anpassen, sondern die Galeere wird sich dem Wasser anpassen, das ist ein ehernes Gesetz, dies wird eintreten. Jene, die zunächst nicht von dieser demokratischen Attitüde ausgegangen sind, werden darauf kommen, dass sie entweder Demokraten sein oder stürzen werden. Und dies geschieht heute in Europa der Reihe nach, Schritt für Schritt, ja, meiner Ansicht nach ist dies auch in Amerika geschehen. Und dies wird eintreten, nur wir müssen aushalten, bis wir schließlich in der Überzahl sein werden, wir, die deutlich sagen, dass sie keine Einwanderung in Europa wollen.

– Dies sagen Sie nun auch zu jenen, die sich auf die Abstimmungen in Italien, in Österreich, Frankreich oder auf die Wahlen in den deutschen Bundesländern vorbereiten?

– Ich möchte den Namen keines einzigen Landes erwähnen, wir haben auch so schon genug Probleme, auch ich persönlich, ich möchte kein weiteres Feuer auf unser Dach ziehen oder würde keine Glut auf das Dach werfen wollen.

– Was wird mit der Türkei?

– Die Türkei hat gute Chancen, ihre Stabilität zu bewahren. Wenn wir auf die Türkei blicken, dann können wir all das, was dort geschieht, unter vielerlei Aspekten untersuchen. Aus der Sicht des Interesses der ungarischen Menschen ist der wichtigste Aspekt, dass es dort eine stabile, berechenbare Regierung gibt, die in festen Händen ist. Denn wenn es in der Türkei Störungen gibt, Gott bewahre, wenn es dort ein Durcheinander gibt – dort gab es unlängst ja einen Putschversuch, es hing von zwanzig und einigen Minuten ab, dass der Präsident zusammen mit seiner Familie am Leben geblieben ist, denn man wollte ihn ja töten. Es gelang ihm, zu entkommen, so hat die Türkei eine Führung. Und wir wünschen den Führern und dem Volk der Türkei, dass sie die Stabilität des Landes bewahren, denn wenn sich dort die Ordnung auflöst, wenn es dort keine eindeutige, starke Regierung gibt, dann wird Europa darunter schwerwiegend zu leiden haben.

– Sie hörten Ministerpräsidenten Viktor Orbán.