Erklärung von Viktor Orbán, nach seiner Verhandlung mit Marine Le Pen, der Vorsitzenden der Partei Rassemblement National
Budapest, 26. Oktober 2021

Auch ich begrüße Sie hochachtungsvoll. Und mit besonderer Hochachtung Frau Marine Le Pen. Frankreich ist ein großer Staat und eine große Nation. Es ist uns immer eine Ehre, wenn eine führende Politikerin aus diesem Land uns besucht. Vielen Dank, Frau Vorsitzende, für Ihren Besuch!

Ich schulde auch einen zweiten Dank. Es wurde in den vergangenen Jahren im Europäischen Parlament mehrfach versucht, Ungarn zu kreuzigen, und es gab Abgeordnete und Parteien im Europäischen Parlament, die zu uns standen und es gab solche, die das nicht getan haben. Es gab auch welche, die uns verraten haben, aber das ist eine gut gelaunte Pressekonferenz, sprechen wir jetzt nicht darüber. Und obwohl ich nie in meinem Leben mit Frau Le Pen gesprochen habe, besonders nicht über ungarische Angelegenheiten, ist sie persönlich und auch Ihre Partei immer zu Ungarn gestanden, als Ungarn im Europäischen Parlament angegriffen wurde und diese Angriffe ungerecht waren. Ich muss mich also als Leiter der ungarischen Regierung bei Frau Marine Le Pen auch im Namen von Ungarn für ihre Unterstützung und das Einstehen danken, was sie nicht für die ungarische Regierungspartei, sondern für ganz Ungarn und jeden einzelnen Ungarn getan hat. Vielen Dank, Frau Vorsitzende!

Nun möchte ich Ihnen über die heutige Verhandlung berichten. Zunächst haben wir die Lage der Europäischen Union besprochen. Wir haben festgestellt, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, die Wettbewerbsfähigkeit der Union nimmt in der Weltwirtschaft ab und die Union besitzt im internationalen Bereich nicht den nötigen politischen Einfluss und die nötige Kraft. Sie konnte den Migrationsdruck, der auf der Union lastete, nicht lösen, das ist eine lebendige Wunde, eine laufende Belastung und eine Herausforderung für uns, und jetzt können wir auf der Ebene der Union auch die explodierenden Energiepreise nicht bekämpfen. Wir haben festgestellt, dass die traditionellen Parteistrukturen in ganz Europa im Umbruch begriffen sind, was auch die Wahlen in den vergangenen Monaten in wesentlichen Ländern Europas zeigen. Wir lehnen die Entstehung jeglichen europäischen Superstaates ab, deshalb wollen auch wir uns den veränderten Parteistrukturen anpassen und bei dieser Änderung wollen wir miteinander zusammenarbeiten.

Wir haben mit Bedauern festgestellt, dass der ideologische Druck in der Europäischen Union nie dagewesene Ausmaße erreicht hat, die Migration und die offene Gesellschaft werden in einem nie da gewesenen Maße propagiert und die Kommission wurde vom Wächter der Verträge zu einem ideologischen Zentrum. Ich habe Frau Vorsitzenden gesagt, dass uns das nicht unbekannt ist. Es gab einmal die Breschnew-Doktrin. Die Breschnew-Doktrin gehört zu den außerordentlich hässlichen Ausdrücken. Es sei den Gästen aus Frankreich gesagt, dass das noch in der Weltordnung der Sowjetunion bedeutet hatte, dass, wenn ein Mitgliedstaat von der zentral vorgegebenen Ideologie abwich, die anderen Mitglieder des Ostblocks berechtigt waren, in die inneren Angelegenheiten des Staates einzugreifen, der abgewichen war. Das war die Breschnew-Doktrin, darauf beruhte der Einmarsch in die Tschechoslowakei in 1968.  Wir kennen also die Machtzentren, die keine pluralistische ideologische und Meinungsfreiheit akzeptieren, sondern uns in einen ideologischen Rahmen zwängen wollen und wenn wir ausweichen, dann fühlen sie sich zum Eingreifen berechtigt. Es ist zweifelsohne nicht egal, welche Form der Eingriff annimmt; der Eingriff mit sowjetischen Panzern ist viel brutaler als das Rechtsstaatlichkeitsverfahren, aber das bleibt nichtsdestotrotz ein

Eingriff und wir erleben jetzt eine modernisierte Form dieser Breschnew-Doktrin in der Europäischen Union, diese Erfahrung wird nicht nur von Polen, sondern auch von Ungarn täglich gemacht.

Ich möchte sagen, dass Frau Le Pen besondere Verdienste dabei hat, dass ihr politisches Lager dem föderalen Europa, der Migration und der Globalisierung gegenüber zu einem kritischen und unumgänglichen Akteur geworden ist. Frau Vorsitzende, eigentlich würde ich in Ungarn sagen, dass Ihr Lager rechtsgerichtet ist, aber diese Wörter werden in Frankreich nicht so benutzt, deshalb bin ich damit vorsichtig, sagen wir, dass das Lager der Souveränisten in der europäischen Politik zu einer unumgänglichen Kraft geworden ist und auch wir ein Europa sehen möchten, das auf Nationalstaaten gebaut ist.

Schließlich haben wir auch über die Frage der Zusammenarbeit gesprochen. Hierbei sind wir der Meinung, dass das, was rechts von der europäischen Linke steht, nennen wir das rechtsgerichtet, auf jeden Fall erneuerungsbedürftig ist. Und diese Erneuerung kann nur vollzogen werden, indem wir Bündnisse miteinander schließen. Uns interessiert dieser Gedanke, denn auch wir sind wieder politische Junggesellen geworden. Europapolitische Junggesellen. Mit Rücksicht darauf, dass man in der Europäischen Volkspartei nicht länger bleiben konnte, weil sie dermaßen ins Netz der linken Mainstreamideologie geriet, dass wir dort nichts mehr zu suchen hatten, sind wir an der Entstehung einer neuen Gruppierung interessiert. Den entscheidenden Schritt diesbezüglich haben wir bereits früher gemacht. Ich möchte Sie daran erinnern, dass Anfang Juli von 15 europäischen Parteien, darunter der Fidesz und der Rassemblement National, eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet wurde. Das ist ein außerordentlich wichtiges Dokument, denn das wird die Grundlage jeder späteren Zusammenarbeit bilden. Das war der Eisbrecher, dass wir unsere Ansichten in einer gemeinsamen Erklärung zusammenfassen konnten. Die Zusammenarbeit wird von uns seitdem aufgebaut und auch dieses heutige Treffen ist eine wichtige Station, und wir möchten, dass dieser Vorgang in den kommenden Wochen und Monaten beschleunigt wird.

Und schließlich sind wir auch darauf zu sprechen gekommen, dass in Italien gegen unseren Freund Salvini gerade ein außerordentlich ungerechtes Verfahren läuft. In Ungarn haben wir nie verhehlt, dass Herr Salvini unser Held ist, der als Innenminister bewiesen hat, dass die Migration selbst auf hoher See aufgehalten werden kann und wir sind davon überzeugt, dass Menschen wie Herr Vorsitzender Salvini in der europäischen Politik Anerkennung und Respekt und keine Verfahren verdienen würden, und deshalb sind wir mit Herrn Vorsitzenden Salvini solidarisch.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!